Kapitel 1
3 Jahre später
Eine Vielzahl von fröhlichen Stimmen brandete an ihre Ohren, wie es der Atmosphäre eines Pubs zur Feierabendzeit eigen ist, wenn die Tagesarbeit beendet ist und das Treffen von Freunden Priorität genießt. Die Wärme des zum Bersten gefüllten Pubs hing in der Luft und ließ die für Juli ungewohnte Kälte vergessen.
Ein rothaariger, durchtrainierter Mann schob sich durch das Gedränge, dabei umsichtig eine Frau hinter sich her lotsend. Ihre braune Haarmähne fiel ungebändigt auf ihre Schultern und weckte dadurch nicht den kleinsten Anschein, aufwendig gestylt worden zu sein. Lediglich ein paar Strähnen hatte sich die junge Frau aus dem Gesicht gezogen und mit einem Band zusammengefasst, dessen daraus entstandener Zopf sich wieder mit den restlichen wuscheligen Haaren vereinte. Angesichts der im Raum herrschenden Geselligkeit zog ein erfreutes Lächeln über ihr Gesicht, aber ihr Begleiter bemerkte es nicht, war er doch angestrengt damit beschäftigt, nach einer freien Ecke an den Tresen Ausschau zu halten.
Ihnen folgte ein schlaksiger junger Mann, der bis auf sein ungewöhnlich wirres schwarzes Haar von undefinierbarem Äußeren war. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er sich fehl am Platze fühlte und es vorgezogen hätte, woanders zu sein. Unachtsam prallte er gegen den Rücken eines Hünen, der am Tresen auf seine Getränke wartete, aber offenbar nichts von der Berührung mitbekommen hatte.
Von den Tresen her war das Zischen der Bierzapfanlage zu vernehmen und der helle Ton mehrerer Gläser legte davon Zeugnis ab, dass in der Nähe heiter miteinander angestoßen wurde.
„Hier!", rief der Rothaarige gegen das Stimmengewirr an und zog seine Freundin zu sich an einen Platz am Tresen, der soeben von zwei Gästen geräumt worden war. Die Frau schwang sich auf einen der beiden Barhocker und ließ angetan ihren Blick durch den Raum wandern, dessen hervorstechendstes Merkmal die hölzerne Deckenverkleidung und die Stützbohlen waren, die den Eindruck eines Fachwerkhauses vermittelten. Inzwischen wurde der weitere Hocker herbeigezogen, doch der ihnen folgende Mann lehnte dankend ab.
„Nun nimm schon, Harry! Schließlich bin ich der Sportlichste von uns, da kann ich locker mal etwas stehen bleiben."
Der Angesprochene zog daraufhin lediglich die Augenbrauen nach oben, erwiderte aber nichts mehr, sondern ließ sich auf dem Hocker nieder und starrte in Richtung Tresen, um die Aufmerksamkeit einer Bedienung zu wecken. In einer Geste, deren Lässigkeit für ihren Automatismus sprach, zog er sich seine Haare in die Stirn.
„Ist cool hier, oder?", strahlte die junge Frau und entledigte sich ihrer Jacke, um sie ordentlich auf ihren Schoß zu legen. Ihr Freund zog die Nase ein wenig kraus und wackelte bedächtig mit dem Kopf hin und her.
„Ich weiß nicht...", er warf einen vorsichtigen Blick in die Runde, „Ziemlich ungewohnt. Und ich weiß gar nicht, was ich hier trinken soll. In den Drei Besen würde ich mir jetzt ein Butterbier mit Schuss reinziehen."
„Ron, du weißt doch...", seine Begleiterin warf ihm einen indignierten Blick zu.
„Du musst gar nicht so geheimnisvoll tun, Hermine, ich weiß sowieso, was du meinst", ließ sich nun mürrisch der mit Harry Angesprochene vernehmen, bevor er sich wieder abwandte und bei der nun auftauchenden Bedienung drei Bier bestellte.
„Ja...?", fragte Ron, der noch nicht im Bilde war, worum es ging und daher Hermine mit einem neugierigen Blick bedachte. Diese seufzte nur und erklärte dann:
„Ist doch klar, dass Harry lieber hier bei den Muggeln als in Hogsmeade oder in der Winkelgasse etwas trinken geht. Da erkennt ihn jedenfalls keiner. Und außerdem...", trumpfte sie auf, „...mir gefällt es hier. Ist mal etwas Anderes!"
In dem Versuch, ihn zu entspannen, schenkte sie ihm ihr goldigstes Lächeln, so dass Ron nicht anders konnte, als es zu erwidern und sich in das Unvermeidbare zu fügen.
„Dann gucken wir halt mal, wie die Biere der Muggel schmecken."
Hermine warf Harry einen amüsierten Blick zu, den er jedoch nicht bemerkte. Im Gegensatz zu ihm und ihr, die in dieser Welt von Nichtmagiern aufgewachsen waren, kannte Ron nur das Leben in der Zaubererwelt. Er war daher im Allgemeinen nicht besonders interessiert daran, sich irgendwohin zu begeben, wo man nichts mit Zauberstäben, magischen Sprüchen und seinem Lieblingssport Quidditch anzufangen wusste. Anders als sein Vater ließ er jegliche Faszination für die Muggelwelt missen.
Harry ließ ein paar Münzen in die Hände der Bedienung fallen und stellte die erhaltenen Biergläser vor sich und seine Freunde. Hermine hob ihr Glas an und prostete den Männern zu.
„Schön, dass du heute mal mitgekommen bist", bemerkte sie an Harry gewandt, während ihre Augen, soweit es in dem gedimmten Licht des Pubs auszumachen war, ihn länger als nötig anzuschauen schienen.
„Du hast mir ja auch kaum eine Wahl gelassen", brummte dieser, denn Hermine hatte ihm mehr als einmal eine Eule vorbei geschickt, deren Nachrichten er schlichtweg ignoriert hatte. Bis sie schließlich selbst vor seiner Gartenpforte gestanden hatte, was weiteren unhöflichen Benehmens ihr gegenüber einen Riegel vorgeschoben hatte.
Ron, Hermine und er kannten sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit in der Hogwarts-Schule für Zauberei und Hexerei, wo sie zusammen vieles durchgemacht hatten, um zu verhindern, dass Lord Voldemort, der vor ihrer Geburt mit Schrecken und Tyrannei geherrscht hatte, seine frühere Macht zurück erlangte. Sechzehn Jahre später jedoch hatten dessen Schergen den amtierenden Zaubereiminister ermordet, um erneut ein Schreckensregime zu errichten. Doch der Widerstand von Zauberern und Hexen gegen Voldemort hatte schließlich in einen Krieg gemündet, zu dessen Ende Harry im erfolgreichen Duell gegen Voldemort maßgeblich beigetragen hatte.
Dieses war ein weiterer Grund für Harrys Berühmtheit in der Zaubererwelt, die einst dadurch begonnen hatte, dass es Voldemort nach der Ermordung von Harrys Eltern nicht gelungen war, den ein Jahr alten Harry zu töten. Stattdessen hatte sich Voldemort plötzlich aller seiner Kräfte beraubt auf der Flucht wieder gefunden. Diese Popularität war Fluch und Segen zugleich für Harry in Hogwarts gewesen, jedoch nichts im Vergleich zu dem, was er nach dem Sieg über Voldemort erlebt hatte.
Zwar hatten er und Hermine sich zunächst zu Rons Familie im Fuchsbau zurück gezogen. Doch nachdem Harry das Haus seiner Eltern wieder hatte aufbauen lassen und dort eingezogen war, hatten ihn die Reporter des Tagespropheten und anderer Zeitungen regelrecht belagert und unzählige Eulen hatten sich ein Stelldichein gegeben, um ihm Fanpost zu überbringen. In dieser Zeit hatte er sich nicht anders zu helfen gewusst, als sich völlig zu Hause zu verschanzen und sich nur des Nachts auf seinen Besen zu schwingen, um für ein paar ruhige Stunden dem ganzen Wahnsinn entfliehen zu können.
Enttäuscht von der fehlenden Reaktion ihres Stars hatten sich die Medien Ron zugewandt, der, anders als Harry, durchaus freigiebig Interviews gegeben hatte und in aller Ausführlichkeit vom Kampf gegen Voldemort und seine Todesser berichtet hatte. Für ein paar Wochen hatte er die Beliebtheit erfahren, von der er seit Kindesbeinen geträumt hatte. Merkwürdigerweise hatte sich das Interesse an Hermines Darstellung, die weiterhin bei Rons Familie lebte, in Grenzen gehalten. Dies hatte, wie Rons Schwester Ginny nicht müde wurde zu betonen, wohl daran gelegen, dass sich die Leser der magischen Medien nur wenig dafür interessierten, welchen enormen Anteil die von Muggel abstammende junge Hexe am Fall Voldemorts hatte.
„Harry?"
Harry merkte erst jetzt, dass Ron und Hermine ihn fragend ansahen, so abgelenkt war er durch seine Gedanken gewesen, die sich vor allem darum drehten, wann er sich höflicherweise verabschieden konnte, ohne seine Freunde völlig vor den Kopf zu stoßen. Sie meinten es gut, aber sie verstanden einfach nicht, dass ihm nichts mehr daran lag, unter Leute zu gehen – Zauberer, Hexen und Muggel gleichermaßen. Das Höchste seiner Gefühle bestand darin, sich in Erinnerungen an seine Eltern und seinen Patenonkel Sirius zu verlieren, mit denen ihm ein Zusammenleben nicht mehr vergönnt gewesen war.
Er haderte mit sich, dass er den Stein der Auferstehung damals im Krieg zu Boden hatte fallen lassen! Dessen Magie hätte es ihm jetzt ermöglicht, seine Eltern wieder zu sehen und mit ihnen zu sprechen, doch diese Chance war unwiderruflich dahin.
Mit Mühe wandte Harry seine Aufmerksamkeit Hermine zu, die eine steile Falte über der Nase trug und ihn mit einem Ausdruck größter Sorge ansah.
„Du hörst uns überhaupt nicht zu. Was ist denn nur los mit dir?"
Das Gelächter von der Gruppe junger Leute neben ihnen klang wie Hohn in Harrys Ohren. Einer von ihnen gab offenbar eine lustige Erzählung zum Besten und seine Zuhörer übertrumpften sich gegenseitig in begeisterten Kommentaren. Wann hatte er selbst das letzte Mal so viel Spaß und Leichtigkeit empfunden? Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
„Ich höre doch zu", gab er halbherzig und ohne große Überzeugung zurück und bemühte sich um einen aufgeschlossenen Gesichtsausdruck.
Ron und Hermine wechselten einen vielsagenden Blick miteinander, der Harry ausschloss. Obwohl es ihm eigentlich egal sein sollte – schließlich ging es ihm allein ohnehin am besten – begann er dennoch, sich darüber zu ärgern, insbesondere als Ron offenbar das wiederholte, was Harry vorher entgangen war:
„Ich hatte dich gefragt, warum du dich nicht mehr bei uns blicken lässt. Und warum du nicht mehr die Quidditch-Spiele besuchst."
Rons Gesicht lag im Dunkeln, aber durch seinen Tonfall ließ sich dennoch eine gewisse Irritation nicht verbergen und er schloss mit:
„Wir machen uns Sorgen um dich, Kumpel."
„Braucht ihr nicht. Alles gut", presste Harry hervor und nahm einen langen Schluck von seinem Pint, um einer längeren Antwort auszuweichen.
Seine Freunde wussten nichts davon, dass ihn seit langem Schuldgefühle darüber plagten, dass so viele Menschen im Krieg gestorben waren, weil es ihm nicht gelungen war, Voldemort früher zu besiegen. Selbst seine geliebte Eule hatte den Krieg nicht überlebt und Harry hatte es bis heute nicht über das Herz gebracht, sich eine neue anzuschaffen.
In seinen Alpträumen erlebte er Momente des Schreckens wieder, von denen er nie gedacht hätte, dass sie ihm einmal Probleme bereiten würden, zu leicht war er als Kind darüber hinweg gekommen. Indem er den Blick ständig auf die Zukunft gerichtet hatte, die von ihm abverlangte, gemäß einer Prophezeiung all seine Energie dem Kampf gegen Voldemort zu widmen, hatte er die entsetzlichen Momente schnell verdrängt. Doch nun schien es, als ob ihn das Grauen seiner Erlebnisse einholte...
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Nun haben wir hier ein paar alte Bekannte wiedergetroffen. Ich hoffe, ich habe sie passend beschrieben.
Wie, glaubt ihr, wird es mit Harry weitergehen?
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