Epilog - erster Teil

„Merlins Bart, ich weiß, wen sie mitbringt."

Harry verdrehte gespielt die Augen angesichts Ginnys Versuche, ihn vorsichtig auf etwas Unerwartetes hinzuweisen. „Die Tatsache, dass sie anfangs nur gesagt hat, dass sie eventuell jemanden mitbringt, war aussagekräftig genug. Aber sie hat mir gestern Abend einen Patronus geschickt und gefragt, ob es mir recht ist."

Prüfend sah er Ginny an, die sich eine Haarbürste herbeigezaubert hatte und jetzt damit noch einmal vorsichtig durch ihre heute leicht gelockten Haare fuhr. Sie stutzte angesichts seines Blickes.

„Sieht es nicht gut aus?"

„Was?"

Ihre Frage hatte Harry kalt erwischt und er machte ein verwirrtes Gesicht.

„Meine Haare", erklärte Ginny geduldig, bevor sich ein amüsiertes Lächeln auf ihr Gesicht schlich. „Warum mache ich das eigentlich, wenn du es sowieso nicht wahrnimmst?"

„Keine Ahnung." Harry grinste und zog sie an sich. „Du bist immer hübsch, egal, was du mit deinen Haaren machst. Aber ich hatte gerade über Hermine und Malfoy nachgedacht. Sind die beiden jetzt offiziell zusammen? Seit wann?"

„Keine Ahnung", erwiderte Ginny. „Hermine hat sich da immer sehr bedeckt gehalten."

Vorsichtig wand sie sich aus Harrys Armen und ging zum Spiegel hinüber, um sich kritisch zu betrachten.

„Vielleicht zwei Wochen oder so? Sie hat ihn jedenfalls lange genug warten lassen. Ambers Tod ist vier Monate her und schon da war nicht zu übersehen, dass er Gefallen an ihr gefunden hatte. Aber erst jetzt, wo er nach London gezogen ist..."

Harry hob die Augenbrauen. „Malfoy hat dem Herrensitz seiner Eltern den Rücken zugekehrt?"

„Ich glaube, daran war Hermine nicht ganz unschuldig." Ginny lachte und drehte sich zu Harry um. „Ich glaube, sie hat so einiges bewirkt..."

Dann wurde sie wieder ernst. „Es ist doch ok, dass er kommt?"

Harry zuckte mit den Schultern. „Es ist ihr Liebesleben", sagte er neutral. „Ich muss ihn ja nicht mögen. Aber ich kann ihn tolerieren."

Obwohl es leichthin gesagt war, konnte Harry eine leichte Unruhe nicht verhehlen. Die letzte Unterhaltung, die er mit Malfoy gehabt hatte, war nicht ohne Provokation von dessen Seite abgelaufen, wie immer, wenn sie beide aufeinander trafen. War es weise, dass er Hermine erlaubt hatte, ihn heute mitzubringen? Doch daran war nun nichts zu ändern...

Ein Klopfen an der Scheibe ließ ihn ans Fenster eilen, wobei ihm Ginny mit einem „Alohomora" zuvorkam. Das Fenster öffnete sich und eine dunkelgraue Eule schwebte herein. Ginny zwinkerte ihm amüsiert zu.

„Bin gespannt, wann du diese Anwandlungen verlernt haben wirst."

„Du hast keine Ahnung, Gin, wie hilflos du ohne Zauberstab wärest", konterte Harry belustigt und neigte den Kopf zur Seite, so dass sich die Eule auf seine Schulter setzen und liebevoll an seinem Ohr knabbert konnte. Dann erhob sie sich behutsam und flatterte zu Ginny hinüber, die sie auf gleiche Art begrüßte.

An das Gespräch von eben anknüpfend fuhr Harry fort:

„Es verwundert mich allerdings, dass deine Antipathie ganz verschwunden zu sein scheint." Er zog die Augen hoch.

„Ach", Ginny machte eine wegwerfende Handbewegung, von der sich ihre Eule vertrieben fühlte. Sie ließ sich von Ginnys Schulter fallen und flatterte ins obere Stockwerk, wo sie ihre Leckereien wusste.

„Wenn er sich in meiner Gegenwart zusammenreißt und keine abfälligen Bemerkungen macht, sollte das wohl gehen. „Immerhin..." – sie sah Harry bedeutungsvoll an – „...hat er dir zwei Mal das Leben gerettet. Wie kann ich ihm da noch dauernd seine Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit vorwerfen?"

„Amber hätte mich nicht getötet", korrigierte Harry automatisch. „Aber über das, was sein Auftauchen schließlich verhindert hat, bin ich natürlich nicht unglücklich."

Ein Schatten flog über sein Gesicht. Die Cruciatus-Flüche hatten glücklicherweise keine sichtbaren Spuren hinterlassen, aber die Erinnerung an die Stunden, in denen Amber ihre Maske hatte fallen lassen, war schwer zu vergessen.

„Und Hermine hat mir versichert, dass er seine Reinblüterattitüde abgelegt hat", erklärte Ginny und legte ihren Arm um Harrys Hüften. Dankbar ging Harry auf die Ablenkung ein:

„Hermine tut ihm anscheinend gut."

Sein Ton trug einen gewissen Abschluss in sich, denn er war jetzt mehr darauf konzentriert, mit den Fingern Ginnys Schultern entlang zu fahren, die das sommerliche Kleid auf ansprechende Weise enthüllte.

„Hermine hat das Gute in ihm hervorgeholt", stimmte Ginny ihm zu, bevor sie genießerisch den Nacken langmachte, denn Harry war dazu übergegangen, kleine Küsse auf ihrer nackten Haut zu verteilen. Einen Moment lang schloss sie angetan die Augen, dann entzog sie sich leise kichernd ihrem Freund.

„Benehmen Sie sich, Mr. Potter!", schalt sie lächelnd. „Wir erwarten gleich Besuch..."

„Was für eine Schande", versetzte Harry mit einem anzüglichen Grinsen. „Wollen wir nicht den heutigen Abend absagen...?"

„Untersteh dich, Harry!"

Belustigt drohte ihm Ginny mit dem Zeigefinger. „Heute wird gefeiert und damit Schluss mit der Diskussion!"

Sie drehte sich um, so dass das Kleid schwungvoll um ihre Knie schwang, und betrat die Küche, um zu gucken, ob noch etwas getan werden musste. Wie immer verspürte Harry ein unangenehmes Gefühl, wenn er die Küche betrat. Um sich abzulenken, brachte er den ersten Gedanken zur Sprache, der ihm durch den Kopf ging.

„Genaugenommen war ich überrascht, dass Hermine mich nicht schon früher gefragt hat", teilte er mit, während Ginny ihn anwies, sich um das Obst zu kümmern, das noch geschnitten werden muss. Dieses Mal ohne zu vergessen, dass er Magie beherrschte, sorgte Harry mit dem Zauberstab dafür, dass das Obstmesser die Früchte in mundgerechte Teile zerschnitt.

„Sie wird sich entschlossen haben, Malfoy mitzubringen, als du ihr sagtest, dass Ron nicht kommen wird", vermutete Ginny und verwandelte das Wasser in einer kleinen Schale in Eiswürfel, die sie dann auf die Getränke in den Karaffen verteilte.

„Bin echt froh, dass er sich nach der Trennung von Hermine und seiner Wut in den ersten Tagen schließlich mit der Situation arrangiert hat", kommentierte sie erleichtert, ließ das gesamte Essen auf einem überdimensionalen Tablett landen und wandte sich damit der Stube zu.

„Wohl wahr."

Harry nickte zustimmend. Er ahnte, dass das, was zwischen Hermine und Malfoy auf dessen Landsitz vorgefallen war und was Hermine ihm anvertraut hatte, höchstens dezent den Weg in Rons Ohren gefunden hatte. Wenn überhaupt. Und das war wahrscheinlich auch gut so, dachte er. Es war so schon schlimm genug gewesen. Erst einige Wochen nach dem Bruch seiner Beziehung zu Hermine war auch Ron klargeworden, dass es nur noch Gewohnheit und Freundschaft waren, die ihn und Hermine zusammengehalten hatten.

Er und Hermine hatten dann noch einmal ein ruhiges Gespräch miteinander geführt, wie Ron Harry später erzählt hatte, in dem sie sich einig waren, dass ihre gegensätzlichen Interessen und Verhaltensweisen zu einem langsamen Auseinanderleben geführt hatten. Obwohl Harry es ungemein bedauerte, konnte er die Entscheidung seiner beiden besten Freunde verstehen und hatte keinen Versuch gemacht, etwas zu kitten, was ganz offensichtlich nicht mehr zu heilen war.

Hilfreich in der ganzen unangenehmen Situation war lediglich, dass sich Ron mittlerweile in den USA aufhielt und damit eine Idee umsetzte, die er bereits seit längerem gehabt hatte, aber aus Rücksicht auf Hermine nie ernsthaft angegangen war. Nach dem Ende ihrer Beziehung hatte es nicht lange gedauert, bis Ron klargeworden war, dass er nun die Chance hatte, seinen Traum in die Tat umzusetzen. Er war seit zwei Monaten fort und hielt Harry in unregelmäßigen Abständen auf dem Laufenden.

Harry machte ein paar Schritte auf die Wand zu, an der Ginny verschiedene Fotos befestigt hatte. Eines davon zeigte Ron und ihn beim letzten gemeinsam besuchten Quidditchmatch. Sie strahlten genauso ausgelassen aus dem Rahmen, wie sie es beim Spiel gewesen waren. Harry betrachtete das wohlbekannte Foto lange und seufzte. Wann würden sie das nächste Mal gemeinsam losziehen?

In seinem letzten Brief hatte Ron geschrieben, dass er mit dem Gedanken spielte, die geplanten sechs Monate um drei weitere zu verlängern... Der Ozean zwischen ihnen erschwerte frustrierenderweise ein unkompliziertes Besuchen, denn die Entfernung war nur mit einem Portschlüssel zu bewältigen, der vorher beantragt werden musste. Oder mithilfe eines Flugzeuges, wie es die Muggel taten.

Dabei wünschte sich Harry so manches Mal den Freund an seiner Seite. Auch wenn er nicht wusste, ob er Ron wirklich die Gedanken mitteilen würde, die ihm dann und wann durch den Kopf gingen, allein seine Anwesenheit und sein Humor würden für eine gewissen Leichtigkeit sorgen. Unwillkürlich glitt Harrys Blick hinüber zum Küchentresen unterhalb des Fensters.

Die unschönen Erinnerungen, die mit der Küche verbunden waren, sobald er sich allein in ihr aufhielt, und die Ungeduld, mit der er darauf wartete, dass diese verblassten, versetzten seiner Stimmung nicht zum ersten Mal einen Dämpfer. Doch das Bild von Ambers arroganter und herablassender Haltung, so vollkommen anders als all die Monate zuvor, schien für ewig auf seine Netzhaut gebrannt zu sein.

So oft Harry darüber auch nachdachte, er verstand es nicht. Waren es die Gene, die Amber so gefühlskalt wie Voldemort gemacht hatten und sie Bellatrix' Hang zur Grausamkeit übernehmen ließen? Oder war die Ursache in ihrer Kindheit in England zu suchen? Er ließ die Hände in die Taschen seiner Jeans gleiten und schauderte bei dem Gedanken daran, sich Bellatrix mit einem Kind vorzustellen. Amber war in Bezug auf ihre ersten Lebensjahre wortkarg gewesen. Das Wenige, was sie tatsächlich erzählte hatte, vermutete Harry inzwischen, war der Wahrheit aber wohl nur geringfügig nahegekommen.

Nachdenklich schüttelte er seinen Kopf und wandte sich vom Fenster ab. Ginnys Handeln hatte seine volle Zustimmung gefunden, sowohl damals als auch heute. Nur so hatte dieses bedrohliche Kapitel ein für alle Mal geschlossen werden können. Er bedauerte den Tod von Voldemorts Tochter daher nicht, doch es tat bisweilen weh, an den Menschen zu denken, als den sie sich die ganze Zeit präsentiert hatte.

Ein zartes, leises Klingeln ließ ihn aufschrecken und machte auf den ersten Besucher aufmerksam. Beklommenheit und Vorfreude zugleich hielten sich die Waage, als er weit die Tür öffnete, so dass das Sonnenlicht ungefiltert in die Stube hineindringen konnte.

Es war in den vergangenen Stunden deutlich heißer geworden. Der ehemals gepflegte Rasen wies inzwischen erste Spuren einer sommerlichen Trockenheit auf. Harry bemerkte es mit einem Stirnrunzeln, aber wenn er ehrlich war, legten weder er noch Ginny einen gesteigerten Wert darauf, mit einer samtweichen Rasenfläche zu beeindrucken.

Er blinzelte gegen das helle Licht von draußen und erkannte eine fröhlich zum Winken erhobene Hand, so dass er mit einem kleinen Schlenker den Schutzzauber um das Grundstück herum löste. Ohne es zu wollen, erfasste ihn leichte Nervosität, während er im Eingangsbereich stand und auf den Moment wartete, an dem es kein Zurück mehr geben würde.


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