Kapitel 20: Eine haarige Angelegenheit

Was tat ein verantwortungsbewusster Schüler, wenn er kurz davor war, sich auf ein gefährliches und verbotenes Abenteuer einzulassen? Vica hatte keine Ahnung, doch sie beschloss jedenfalls, alle Verteidigungszauber zu wiederholen, die sie je gelernt hatte. Einschließlich denen, die den höheren Semestern vorbehalten waren. Wer wusste schon, was sie im Wald erwarten würde?
Die Gerüchte über finstere Kreaturen, die im verbotenen Wald beheimatet waren, hielten sich hartnäckig in sämtlichen Jahrgängen. Angriffslustige Zentauren, blutsaugende Vampire und vom Mond wahnsinnig gewordene Werwölfe waren nur ein kleiner Teil davon. 

Vica war nicht dumm. Sie wusste, dass die Lehrer einige der Gerüchte vermutlich selbst in die Welt setzten, als Abschreckung. Sonst würden sich die Schüler wohl kaum vor Strafdiensten im Wald fürchten. Doch sie wusste auch, dass kein Lehrer sie jemals tiefer hinein schickte, zu groß war die Gefahr auf etwas zu stoßen, das Eindringlingen alles andere als freundlich gesinnt war. 

Fred und George waren vermutlich öfters auf Streifzügen im Wald unterwegs, wie Vica vermutete. Die beiden brachen jede Regel mit dem größten Vergnügen. Sie hätten bestimmt einige Tipps für sie gehabt. Vica wusste nicht, wieso, doch während der nächsten Stunden wurde sie von einem unheilvollen Gefühl ergriffen, das nicht allein dem Besuch im verbotenen Wald geschuldet war. Ständig drehte sie geistesabwesend den magischen Ring an ihrem Finger, als könnte sie die Geste beruhigen. Während alle Ravenclaws langsam um sie herum zu Bett gingen, verließ sie ihren Sessel nur, um sich neue Bücher aus den Regalen zu ziehen. Sie erntete nicht einmal schräge Blicke. Kaum jemand schlief in letzter Zeit besonders gut und wenn irgendjemand verstand, wieso jemand lieber lernte, statt sich auszuruhen, dann waren es die Ravenclaws. 
Irgendwann musste Vica über ihren Notizen eingenickt sein, denn als sie plötzlich hochschreckte, war es bereits nach Mitternacht und der Gemeinschaftsraum völlig leer. Irgendjemand hatte eine Strickjacke über Vicas Schultern gelegt während sie schlief. Als Vica danach griff, erkannte sie die sorgfältig aufgestickten Runen, Ranken und kleinen Figuren als Lunas Werk. Die Uhr im Gemeinschaftsraum schlug halb eins. Vica sprang aus ihrem Sessel, riss eine Seite aus ihrem Notizbuch mit den Zaubern heraus und stopfte sie in die Rocktasche. Noch einmal hoch zugehen und ihre Jacke zu holen, erschien ihr zu zeitaufwendig, daher schlüpfte sie stattdessen in Lunas Jacke und hastete aus dem Gemeinschaftsraum. Während sie immer zwei Stufen auf einmal nahm hoffte sie inständig, dass Harry und Ron noch am Fußende der Treppe warteten und nicht ohne sie gingen. 
Um nicht gleich einem Lehrer in die Arme zu laufen, verbarg sich Vica zunächst im Schatten der Treppe und spähte nur vorsichtig um die Ecke. Der Gang vor ihr war leer. Die Enttäuschung saß ihr wie ein Kloß im Hals. Sie beschloss dennoch, noch etwas zu warten. Vielleicht hatten sich Ron und Harry ja ebenfalls nur verspätet. Die Kälte der Steinmauer kroch ihr unter langsam unter die Haut, als sie jemanden flüstern hörte. 
"Vielleicht ist sie schon gar nicht mehr da"
"Wenn Fred und George nicht ständig ein neues Spiel angefangen hätten..."
"Psst, sei leise"
Das waren eindeutig die Stimmen von Ron und Harry. Erleichtert riskierte Vica einen erneuten Blick in den Gang doch zu ihrer großen Überraschung war er noch immer leer. Hatte sie sich die Stimmen bloß eingebildet?

"Ronnie"
Vica löste sich mit klopfendem Herzen von der Wand und wagte es, ganz in den Gang hinein zu treten. So lautlos wie möglich sah sie sich um. 
"Harry?", flüsterte sie fast tonlos. "Wo seid ihr?"
Als auf einmal eine Hand vor ihr in der Luft schwebte, machte ihr Herz vor Schreck einen Satz und sie presste sich beide Hände vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken. Der Hand folgte ein grinsendes Gesicht, das Vica eindeutig als Harry erkannte, auch wenn eine Hälfte seines Körpers zu fehlen schien. 
"Ist das...?"
"Ein Tarnumhang", sagte Ron stolz und wie aus dem Nichts schwebte auch sein sommersprossiges Gesicht plötzlich im Flur. Er war ein paar Zentimeter größer als Harry, weshalb auch ein seltsam abgeschnittener Teil seines Halses zu sehen war. "Harry hat ihn letztes Jahr zu Weihnachten geschickt bekommen"
Trotz ihrer sonst so wortgewandten Art konnte sie nichts weiter erwidern als: "Wie... Wer... Einfach Wahnsinn"
Vica hatte noch nie einen so perfekt funktionierenden Tarnumhang gesehen. Generell hatte sie bisher nur einen einzigen zu Gesicht bekommen, schließlich waren sie unglaublich selten und kostbar. Doch im Gegensatz zu Harrys hatte jener den verhüllten Gegenstand nicht komplett verbergen können, es war mehr so, als hätte jemand eine sehr gut getarnte Decke übergeworfen. Auf den ersten Blick versteckt, doch bei näherer Betrachtung konnte man noch immer die Wölbungen des Gegenstandes darunter entdecken. Jetzt sah Vica allerdings wirklich nur, was die Jungs nicht unter dem Umhang versteckten. Fasziniert griff sie nach dem Stoff und war verwundert, als sie ihn tatsächlich weich und kühl mit den Fingerspitzen betasten konnte.
"Echt Wahnsinn", wiederholte sie.
Harry zog sie unter den Mantel und nahm sie in ihre Mitte. Sie war fast so groß wie er, trotz der fünf Monate Altersunterschied, doch Ron überragte sie beide und sie mussten sich eng aneinanderdrängen, um ungesehen bleiben zu können. Für Vica war es einfach eine unglaubliche Erfahrung. Sie stellte fest, dass der Mantel Atemgeräusche oder Schritte kaum dämpfte, doch egal an wem sie auch vorbei liefen- nicht einmal die Gemälde bemerkten sie. Fast schon konnte sie vergessen, wieso sie eigentlich hier waren. Eine weitere Hürde auf ihrem Weg war das schwere Eichentor, dessen alte Beschläge gerne knarzten. Sie entriegelten es so lautlos wie möglich und flüchteten im Schutz des Umhangs auf das mondbeschienene Schlossgelände hinaus. 

Harry steuerte zunächst Hagrids verlassene Hütte an. Alle Fenster waren dunkel, doch als sie vor der Tür standen, hörten sie von innen ein leises Jaulen. Fang begrüßte sie schwanzwedelnd, sobald sie eintraten. Sein Bellen hallte schon bald in der Hütte wieder und besorgt beeilte sich Vica, ihn zu beruhigen, ehe jemand vom Schloss etwas bemerkte. Sie kraulte ihn hinterm Ohr bis er sich zufrieden auf den Rücken legte und ihr den Bauch als nächstes bot. Vica tat dem Saurüden den Gefallen, während Harry den Tarnumhang zusammenlegte und auf Hagrids Tisch ablegte. Ron schnappte sich etwas Trockenfleisch von der Küchentheke, setzte sich neben Vica auf den Boden und begann, Fang damit zu füttern.

"Vielleicht sollten wir ihn mitnehmen. Er wird wieder anfangen zu bellen, wenn wir gehen", meinte Vica.

Harry nickte, beugte sich ebenfalls zu dem Hund herab und tätschelte ihm den Kopf.

"Komm, Großer, wir gehen spazieren"

Sofort sprang Fang auf und lief zur Tür. 

"Ist es wirklich klug, den Umhang hier zu lassen?", fragte Vica.

"Es ist so dunkel, niemand wird uns sehen", sagte Ron. "Wir holen ihn nachher wieder ab. Vielleicht finden wir auch gar nichts und sind gleich wieder hier"
Seine Stimme klang dabei mehr als hoffnungsvoll. Sie zückten ihre Zauberstäbe, Rons war noch immer eher schlecht als recht mit dem magischen Klebeband fixiert. Aus diesem Grund erhellten nur Harry und Vica mit Lumos den Weg. Sie richteten die Stäbe auf den Boden und hofften, ein paar Spinnen entdecken zu können. Das Gras war feucht und bereits nach kurzer Zeit war Vicas Strumpfhose durchnässt und klebte unangenehm an ihren Beinen. Sie richtete den Zauberstab auf sie, um sie zu trocknen und sich aufzuwärmen. Sobald der warme Lufthauch, der aus ihrer Zauberstabspitze schoss und das Licht flackern ließ, das Gras zu ihren Füßen aufwirbelte, bemerkte sie eine etwa handtellergroße Spinne, die zielstrebig auf die Bäume zukrabbelte. 

"Ich habe eine!", rief Vica den anderen zu.
"Hier sind auch zwei", sagte jetzt Harry. "Sie laufen wirklich in den Wald"
Vica lief zu ihm und sah in die Richtung, in die die leuchtende Spitze seines Zauberstabs zeigte. Ron stöhnte gequält. "Na schön, bringen wir es hinter uns"
"Willst du lieber hier bleiben und Wache stehen?", fragte Vica vorsichtig.

Ron schüttelte energisch den Kopf. Seine Gesichtsfarbe wirkte dennoch deutlich fahler als sonst. 

"Er hat Angst vor Spinnen", erklärte Harry.
"Und trotzdem willst du mit?"
"Ich lasse euch doch nicht alleine dort reingehen", sagte Ron mit zittriger Stimme und lief voraus. Nach wenigen Schritten drehte er sich noch einmal um. "Kann mir vielleicht jemand leuchten?"

Sie folgten einem der Trampelpfade in den Wald hinein. Fang freute sich sehr über den Spaziergang. Trotz der Dunkelheit und den, im Schein der Stäbe erkennbaren, Nebelschwaden sprang er aufgeregt um sie herum, schnüffelte an Baumwurzeln und spielte mit am Boden liegendem Laub. Vica konnte seine ausgelassene Freude überhaupt nicht teilen. Je länger sie dem Pfad folgten, umso mehr verschluckte sie die Dunkelheit. Die Bäume standen immer dichter nebeneinander und ragten so hoch in den Himmel, dass dieser gar nicht mehr zu sehen war. Wurzeln schlängelten sich am Boden entlang wie Schlangenleiber, manche hatten einen größeren Umfang als Vicas beide Arme zusammengenommen. Die Geräusche von raschelnden Blättern und fernen Flügelschlägen trugen nicht gerade zur Beruhigung ihrer Nerven bei. Es war gar nicht so leicht, die Spinnen dabei im Auge zu behalten. Dornenbüsche zerkratzten ihnen die Hände und blieben an ihrer Kleidung hängen. Noch schwieriger wurde es, als die Spinnen anfingen, den Trampelpfad zu verlassen. 

"Schneller, sonst verlieren wir sie", sagte Harry und stieg über eine besonders hoch aufragende Wurzel, Fang folgte ihm dicht auf den Fersen. Eilig setzten Ron und Vica ihnen nach. Vica unterdrückte einen Schrei, als sie plötzlich Fangs Schnauze an ihrem Bein fühlte. Der Rüde war in der Dunkelheit kaum noch zu sehen. Auch die Spinnen waren immer schwerer auszumachen. Mehr als einmal mussten sie anhalten und den Boden gründlich nach Spuren von ihnen absuchen. Ron zuckte heftig zusammen, als bei einer dieser Suchaktionen eine der Spinnen über seinen Handrücken krabbelte. 
Fang jaulte leise. Inzwischen blieb er mit eingezogenem Schwanz nah an ihrer Seite. Abseits der Pfade hatte auch er seine Begeisterung für den Ausflug verloren. Harry wandte sich gelegentlich zu ihm um und tätschelte beruhigend seinen Kopf. Inzwischen waren sie eine gefühlte Ewigkeit im Wald unterwegs. 
"Woher wissen wir, dass die Spinnen uns überhaupt irgendwohin bringen? Wenn ich eine Spinne wäre, würde ich die Menschen eher in die Irre als in mein Versteck führen", sagte Vica und stieg erneut über eine Wurzel. Langsam ging es bergab und die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren und zu stolpern, wurde immer größer.
"Vielleicht sind das auch die falschen Spinnen", ergänzte Ron dicht hinter ihr. "Vielleicht meinte Hagrid ganz andere"

Harry erwiderte nichts, doch Vica sah ihm an, dass auch ihm langsam Zweifel kamen. War das Ganze wirklich Hagrids Absicht gewesen? Hatten sie ihn falsch verstanden? Es war unmöglich, ihn zu fragen. Plötzlich begann Fang zu kläffen und alle drei sprangen vor Schreck fast in die Luft. Sein Bellen hallte laut durch den Wald und war unmöglich zu überhören. Harry schaffte es irgendwie dem riesigen Hund die Schnauze zuzuhalten, doch was auch immer Fangs Angst geweckt hatte, es würde spätestens jetzt wissen, wo sie waren.
"Hört ihr d-das?", stammelte Ron und tatsächlich vernahmen sie ein Geräusch um sie herum. Äste brachen in der Ferne. In der Dunkelheit des Waldes klang das Krachen noch lauter und furchteinflössender. Sie starrten so angestrengt auf die Umgebung, dass ihre Augäpfel zu brennen anfingen, ohne dass sie etwas erkennen konnten. Weitere Äste brachen.
"Das... klingt etwas größer als eine Spinne", sagte Vica heiser.
"Oh nein, oh nein, oh nein...", kam es unentwegt von Ron, bis Harry sie beide anzischte: "Seid still! Zauberstäbe aus, sonst findet es uns noch"
"Es hat auf jeden Fall schon Fang gehört!", erwiderte Ron hysterisch.
"Ich glaube, es hat uns schon gefunden" Vica hielt ihren Stab so fest umklammert, wie sie konnte. Das Knacken der Äste war verstummt. Man hörte nur noch ihren eigenen Atem und das rauschende Blut in ihren Ohren. So leise sie konnte trat Vica näher an die Jungs heran, bis sie die Wärme von Harrys Schulter neben ihrer spürte. Ron hatte sich an Harrys anderen Arm geklammert. Noch immer bewegte sich nichts.

"Beobachtet es uns?"

"Vermutlich springt es uns gleich entgegen", flüsterte Ron mit Grabesstimme. 

"Oder es ist fort", schlug Harry halbherzig vor als sie plötzlich von einem gleißend hellen Licht geblendet wurden. Sie schützten ihre Augen und Fang sprang vor Schreck in einen Dornenbusch, an dem sich sein Halsband verhedderte. Er jaulte und fiepste gequält und Vica sprang zu ihm, um ihn zu befreien.

"Es ist der Wagen!", sagte Ron lachend und klang furchtbar erleichtert. "Harry! Es ist unser Wagen. Er war die ganze Zeit hier"

Fang war keineswegs beruhigt. Er jaulte erneut und versuchte ruckartig, seinen Kopf zu befreien, was es Vica noch schwerer machte ihm zu helfen. Sei traute sich nicht, einen Zauber anzuwenden und riss die Dornen schließlich mit der freien Hand von ihm weg, auch wenn sich einige davon schmerzhaft in ihre Hände gruben. Sie hatte gerade die letzten Ranken entfernt, als die Lichtquelle sich entfernte. Ron folgte aufgeregt und rief ihnen zu, dass sie ihm nach sollten. Vica sah zu Harry. Sie konnte ihn kaum erkennen, der Unterschied vom gleißenden Licht zu dem schwachen seines Zauberstabes war für ihre Augen nur schwer zu verarbeiten. Sie meinte aber zu erkennen, wie er sie zu sich winkte, ehe er Ron nachging. Fang stupste mit der Schnauze gegen ihre Hand. Das wäre die Gelegenheit, sich den Hund zu schnappen und zurück zu Hagrids Hütte zu gehen. Stattdessen tätschelte Vica dem Saurüden mit zittriger Hand den Kopf. 

"Na los, Fang. Gehen wir"

Harry und Ron waren dem Licht auf eine Lichtung gefolgt und jetzt konnte auch Vica erkennen, dass es sich dabei um einen ziemlich mitgenommenen Ford Angelica handelte. Die Jungs standen an dem Wagen der seltsam lebendig wirkte. Die Art, wie er die Scheinwerfer aufblinken ließ und mit den Seitenspiegeln spielte erinnerte an das Bild eines Hundes, der sein Herrchen begrüßte. Fang, dem echten Hund auf dieser Lichtung, war das Auto jedenfalls nicht ganz geheuer. Er wich nicht von Vicas Seite und hatte den Schwanz fest zwischen seine Hinterläufe geklemmt. Harry steckte seinen Zauberstab weg jetzt wo der Wagen ihnen leuchtete und suchte den Boden nach weiteren Spinnen ab. 
Ein leises Klickern ertönte hinter ihnen und Fang stellte die Ohren auf. Vica wollte sich gerade umdrehen, als sie spürte, wie sich etwas um ihre Beine schlang. Ehe sie reagieren oder die anderen warnen konnte wurde sie von den Füßen gerissen und baumelte kopfüber in der Luft. Sie schrie und versuchte sich zu orientieren, während man sie hin und her schwang. Das Klicken ertönte inzwischen aus verschiedenen Richtungen und Vica erkannte mit Schrecken, dass es sich hierbei um gigantische Greifzangen handelte, die nah an ihrem Gesicht auf und zu schnappten. Ihr ganzer Körper versteifte sich bei dem Anblick. Hinter sich hörte sie gedämpft Harry Ron und Fang, die zweifellos ebenfalls mit gleichen Problem wie sie zu kämpfen hatten. Oberhalb der Greifzangen spiegelten runde schwarze Augen das Licht ihres Zauberstabes. Zwei davon mittig und so groß wie Baseballbälle, die anderen sechs jeweils daneben, jedoch kleiner. Weider klackerten die Greifzangen und Vica brauchte einen Moment um zu erkennen, welche Kreatur sie an den Beinen gepackt hielt. Es war eine gigantische Spinne.

"Acromantulas!", stieß sie hervor und die Spinne brummte zur Antwort. Das Bein, das Vica umschlungen hielt, bewegte sich plötzlich heftig hin und her, sodass Vica fast schlecht wurde. Die Kreatur schüttelte sie absichtlich durch. Vicas Kiefer schlugen fest aufeinander und ihr Kopf schmerzte, doch die Spinne hörte nicht auf. Mit Schwung prallte Vica gegen etwas festes, das ihr die für einen Moment sämtliche Luft aus der Lunge presste. Sie rang nach Atem und verlor beinahe ihren Zauberstab. Wieder wurde sie umher geschleudert, dieses Mal traf sie etwas am Kopf. Ein greller Schmerz fuhr in ihre Schläfe und ließ schwarze Punkte vor ihren Augen tanzen und sie fragte sich, wieso die Spinne sie nicht gleich fraß statt sie zu schütteln wie einen Cocktail. Erst, als die Spinne einen ungeduldigen Laut ausstieß, hatte Vica die Erleuchtung. Es ging der Spinne nicht um sie, sondern um das, was sie bei sich trug.

"Du willst  also meinen Zauberstab loswerden. Ich gebe dir gleich meinen Zauberstab und zwar ins Auge!", stieß sie wütend hervor und packte das Holz noch fester. Sie versuchte, die Spitze auf den Leib der Spinne zu richten, was bei dem Gewackel jedoch alles andere als einfach war. "Incen-" 

"Ronnie, nicht!", rief ihr Harry von der anderen Seite der Lichtung zu. "Das müssen die Spinnen sein, die Hagrid meinte"

"Entweder das oder sie wollen uns fressen und wollen nicht, dass wir uns wehren können", sagte Vica laut genug, sodass Harry es hören musste.

"Lass es einfach sein!", sagte Harry, diesmal eindringlicher.

Widerwillig biss sich Vica auf die ohnehin schon malträtierte Lippe. Dennoch beschloss sie, auf Harry zu hören, jedenfalls teilweise. Statt den Zauber auszusprechen löschte Vica nur das Licht ihres Stabes und tat so, als ließe sie ihn fallen, während sie ihn geschickt in ihrem Ärmel verschwinden ließ. Eine Bewegung die unter den gegenwärtigen Bedingungen fast schon eine akrobatische Meisterleistung war. Erst dann hielt die Spinne ihr Bein wieder still und Vicas Welt hörte auf sich zu drehen. Sie hatte sich mehrfach auf Lippe und Wangen gebissen, sodass sich ein metallischer Geschmack in ihrem Mund ausbreitete. Vermutlich war es besser, dass Harry sie gestoppt hatte. Sonst hätte sie sich beim Versuch den Zauber zu wirken womöglich noch selbst verletzt. Ihr war schlecht, kalt und ihr Kopf dröhnte noch immer vom Schwindel. Als die Spinne anfing, sich in Bewegung zu setzten war Vica sich fast sicher, dass man sie nicht zu einem angenehmen Plausch verschleppte. Je weiter man sie trug umso mehr Spinnen schlossen sich ihnen von allen Seiten an. Sie kamen lautlos zwischen den Bäumen hervor, ein ganzes Heer aus sechsbeinigen haarigen Monstern. Vica versuchte krampfhaft, sich an alles zu erinnern, was sie je über Acromantulas gelesen hatte. Doch je mehr ihr zu dem Tierwesen einfiel, umso schlechter beurteilte sie ihre Lage. Acromantulas aßen Menschenfleisch. Sie konnten bis zu einhundert Eier legen. Ihre Intelligenz reichte an die von Menschen heran. Ihr Gift war tödlich. 
Hunderte von tödlichen Riesenspinnen gegen drei zwölfjährige Schüler. Das klang sehr ausgeglichen.
Die Spinnen krabbelten mit ihnen auf eine Senke zu und die Finsternis um sie herum lichtete sich etwas. Der Nachthimmel schimmerte mit all seinen Sternen durch die Löcher im Blätterdickicht. Als Vica sich zu allen Seiten drehte, um nach den anderen zu sehen, konnte sie Rons Gesicht zuerst ausmachen. Er sah aus, als hätte man ihn in seinen schlimmsten Albtraum geworfen und Vica konnte es ihm nicht verübeln. Nur ein Dummkopf hätte in ihrer Lage keine Angst. Sie konnte Fang winseln hören.
Auf einmal stoppte die Spinne und ließ Vicas Bein los. Zu perplex um zu schreien, streckte sie intuitiv die Arme vor und landete hart auf Knien und Handballen. Einen kurzen, absolut absurden Moment lang huschten ihre Gedanken zu ihrem derzeitigen Anblick und dem Gesicht von Cammie Millstone, wenn sie Vica so sehen würde. Falls Cammie sie überhaupt wieder sehen würde, denn im Moment standen ihre Chancen zu überleben, rein statistisch, ziemlich schlecht.
Die Spinne, die Harry gepackt hatte, schien das Sagen zu haben, den die anderen wichen respektvoll vor ihr zurück als sie Harry fallen ließ und sich dem Eingang der Senke näherte. Auch Ron und Fang wurden abgeladen wie zwei leblose Säcke Mehl. Obwohl Vica selbst ein Zittern unterdrücken musste, kroch sie automatisch zu ihnen hin und streichelte Fang durchs Fell. Sie konnte sein pochendes Herz unter ihren Fingern fühlen und dachte sich, dass es ihre Schuld wäre, falls er starb. Hatte Hagrid das gewusst? Hätte er sie wirklich her geschickt, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass man ihnen nichts tut? Es war klar, dass die Spinnen sie in ihr Nest gebracht hatten. Ihre gesamte Umgebung war mit seidenen Fäden umspannt, die in der Dunkelheit immer noch viel zu klar zu erkennen waren. Kämen sie zu nahe an sie heran, würden sie daran kleben bleiben, wie Fliegen in der Falle. 
"Harry...", setzte Ron an, doch der Angesprochene befahl ihm leise zu sein. Jetzt hörte Vica es auch. Das Klickern der Greifzangen hatte sie schon die ganze Zeit über begleitet, doch es war viel mehr als das. Zwischen dem Klicken vernahm sie... Worte. 
"Aragog!", rief die Spinne über Harry. "Aragog!"
Vica dachte ihre Träger wären bereits ausgewachsene Exemplare gewesen, doch als sie die Spinne sah, die jetzt auf sie zukrabbelte, wurde sie eines besseren belehrt. Sie war größer als ein Elefant und eindeutig älter als die anderen. Ihre Behaarung war nicht durchgehend schwarz wie die der anderen sondern von silbergrauen Härchen durchzogen, wie bei älteren Menschen. Doch das merkwürdigste an ihrem Anblick waren die riesigen milchigweißen Augen, die nichts und niemanden mehr erkennen konnten. Mit einem eindeutig missmutigem Tonfall, der schon fast wieder menschlich war, fragte die Spinne, Aragog, wozu man sie weckte. 
Ihrer Unterhaltung zu folgen war nicht ganz einfach, die Greifzangen der anderen Spinnen im Hintergrund waren störend, doch es wurde bald klar, dass der einzige Mensch, den Aragog lebend in ihrer Senke duldete, Hagrid war. Harry handelte schnell.
"Wir sind Freunde von Hagrid. Er hat uns geschickt"
"Hagrid hat noch nie Menschen zu uns geschickt", widersprach Aragog träge, doch er wartete ab, statt erneut einen Tötungsbefehl zu erteilen. 
"Er würde selbst kommen, doch er steckt in Schwierigkeiten", fuhr Harry fort. Vica bewunderte ihn dafür. Obwohl sich seine Brust heftig beim Ein- und Ausatmen senkte, hörte man ihm keine Spur von Panik an. "In der Schule glauben sie, dass er ein..."
"Sag jetzt nicht das M-Wort", wisperte Vica kaum hörbar an seiner Seite. Es kam in ihrer jetzigen Lage sicher nicht gut an, diese Horde als Monster zu beschimpfen.
"Dass er- etwas auf die Schüler losgelassen haben soll. Viele wurden versteinert. Sie haben ihn nach Askaban gebracht"
In der Senke erhob sich große Unruhe. Aragog selbst wirkte aufgebracht, sofern man das bei einer Spinne erkennen konnte. 
"Du lügst", sagte er. "Das ist eine alte Geschichte. Ich selbst war dabei, als sie ihn vor vielen Jahren beschuldigten. Sie glaubten ich sei das Monster aus der Kammer" Er wurde immer lauter. "Sie glaubten, ich hätte die Schülerin ermordet, weil Hagrid die Kammer geöffnet und mich befreit hätte, als wäre ich das Untier, das darin haust!"
"Dann... Warst du es nicht?", fragte Harry, dem sichtlich der Schweiß ausbrach. 
"Nein!", Aragog klackerte zornig mit seinen Greifzangen, die gefährlich nahe an ihren Gesichtern war. "Ich wurde nicht im Schloss geboren, sondern in einem fernen Land. Man schenkte mich Hagrid, als ich noch ein kleines Ei war. Er selbst war noch ein Junge. Dennoch zog er mich auf und sorgte für mich. Er versteckte mich in einem Schrank hier im Schloss und fütterte mich mit Essen, dass er aus der großen Halle stahl. Sogar, als man mich entdeckte und mir die Schuld für den Tod des Mädchen gab, tat er alles, um mich zu beschützen. Er brachte mich hierher, er schenkte mir sogar eine Frau und besucht mich noch immer. Unsere zahlreiche Familie habe ich allein Hagrids Güte zu verdanken"
Oh ja, und wie zahlreich sie war. Hagrids Güte hätte ruhig etwas geringer ausfallen können, für Vicas Geschmack. 
"Also hast du niemals jemanden angegriffen? Nicht damals und auch nicht heute?", fragte Harry zögerlich nach. 
"Niemals", bestätigte Aragog krächzend. "Das Wesen das im Schloss lebt, ist eine uralte Kreatur, die unsere Art mehr als alles andere fürchtet. Als ich es vor 50 Jahren das erste Mal spürte, flehte ich Hagrid an mich gehen zu lassen. Das Biest ist mächtig und mehr als tödlich. Wenn es erneut im Schloss herumstreift, seit ihr Menschen genauso machtlos dagegen wie wir selbst"
Endlich fand auch Vica ihren Mut. Sie richtete sich auf und fragte: "Ist es ein Basilisk?"
Ihre Worte lösten ein wildes Scharren aus. Die Spinnen verhielten sich wie eine Schar aufgeschreckter Vögel. 
"Wir sprechen nicht davon!", sagte Aragog. "Wir nennen es nicht beim Namen. Ich habe ihn nicht einmal Hagrid je genannt, auch wenn er mich danach fragte"
"Doch es ist wahr, oder nicht?", bohrte Vica weiter. "Deshalb fürchtet ihr Spinnen es so sehr. Wenn ein Blick auf ihn genügt euch zu töten und Spinnen mit ihren vielen Augen ..."
"Genug!", herrschte die Spinne sie an. Dann verließ sie der Zorn und sie sackte ein wenig in sich zusammen. Aragog wandte sich träge von ihnen ab, er hatte genug. Doch das hieß nicht, dass die anderen Spinnen sich mit ihm verzogen. Stattdessen kamen diese ihnen immer näher!
Die drei sprangen zurück auf ihre Füße.
"Danke, dass du uns das erzählt hast", rief Harry Aragogs Rücken zu. "Wir gehen dann jetzt"
Aragog stoppte. "Gehen...? Ich glaube nicht"
"Aber... Du hast gesagt, du hast nie jemanden angegriffen"
"Niemanden im Schloss", korrigierte die Spinne langsam. "Aber meine Söhne und Töchter sind hungrig. Auf meinen Befehl hin greifen sie Hagrid nicht an. Doch wenn so frisches zartes Fleisch bereitwillig in unsere Mitte kommt... Wie könnte ich ihnen eine solche Mahlzeit verwehren? Adieu, Freunde von Hagrid"


***

So, meine Lieben!

Ich hoffe, euch geht es allen gut auch in dieser Krise.

Wir nähern uns dem Ende, bald wird es Zeit, in die Kammer hinab zu steigen. Freut ihr euch auch schon so sehr, wie ich? Wie findet ihr das neue Cover von __seraina?
Falls ihr Zeit habt, würde ich mich über einen Kommentar und natürlich ein Vote mega freuen. Es ist einfach ein tolles Gefühl zu sehen, dass die Arbeit, die man in die Kapitel steckt, irgendwie wertgeschätzt wird. 

Bleibt gesund oder werdet es schnell wieder!

Eure 𝓔𝓿𝔂𝓷𝓷𝓮

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