Kapitel II

Durch das laute und bunte Treiben drängte Lily sich in Richtung der scharlachroten Lok, die erneut ein hohes Pfeifen ausstieß. In fünf Minuten würde sie abfahren und in siebeneinhalb Stunden würde sie in Hogwarts sein, Britanniens Zauberschule. Die junge Hexe verspürte einen leichten Stich in der Brust, als sie sah, wie sich eine Mutter zu einem kleinen, braunhaarigen Jungen herabbeugte und ihm Mut zusprach, sagte, er brauche keine Angst vor der Auswahl in die vier Häuser haben und ihn umarmte. Schade das Madlene nicht bei Lily war. Aber so schnell, wie sie den Gedanken gedacht hatte, verbannte Lily ihn schon aus ihrem Kopf. Sie ging nach Hogwarts, ihre Mutter hatte sich von ihr verabschiedet. Das war nichts anderes als die Szene vor ihr. Nur war ihr Abschied etwas länger her.

Sie las ihre Karte am Schalter ein und schob ihren Koffer weiter auf die Lok zu. Vor ihr hatte ein winziges Mädchen, zwei Köpfe kleiner als die auch nicht sehr große Lily, Probleme, ihren Koffer in den Zug zu heben. Bevor Lily ihre Hilfe anbieten konnte, zogen zwei andere Schüler, offenbar im selben Alter wie das Mädchen, aber deutlich größer und kräftiger, den Koffer herein. Als sie einsteigen wollte, drängte sich ein Junge an ihr vorbei und schubste sie beinahe um. Das letzte, was sie sah, bevor er rennend im Gang verschwand, waren lange, schwarze Haare.

Lily richtete ihren Zauberstab auf den Koffer und murmelte unhörbar zwei Worte und der Koffer erhob sich einige Zentimeter über den Boden und schwebte neben ihr in den Zug. Nur eine oder zwei Minuten, nachdem sie die Lok betreten hatte, pfeifte diese wieder, diesmal lauter und durchdringender als zuvor, und die Türe schlossen sich. Mit leisen, rhythmischen Geräuschen setzte der Zug sich in Bewegung.

Sie sah nicht nach, ob es noch freie Plätze in irgendeinem Abteil gab, sondern ließ sich auf dem, nun wieder auf dem Boden stehenden, Koffer nieder und öffnete Pheens Käfig. Die Eule hüpfte sanft auf dem ihr dargebotenen Arm und streckte ihre Flügel. Der vorwurfsvolle Ausdruck in den runden, gelben Augen verschwand erst nach zwei Keksen für Eulen.

Die ersten Stunden der Zugfahrt verbrachte Lily tief in ihren Gedanken versunken, niemand ging die Gänge entlang, abgesehen von den Vertrauensschülern, die aber allesamt so gehetzt wirkten, dass sie keine Notiz von dem Mädchen nahmen. Anscheinend hatten gewisse Weasleys im hinteren Teil des Zuges alle Abteile so verhext, dass sie nicht mehr geöffnet werden konnten.

„Was machst du hier? Ich habe dich hier noch nie gesehen", sagte eine Stimme vor Lily. Sie hatte den blassen Jungen mit den weißen Haaren und seine beiden stämmigen, breiten Begleiter kommen gesehen, aber gehofft, sie würden sie nicht beachten. Gerade war er aus einem Abteil wenige Meter weiter links von ihr gekommen und sah aus, als hätte etwas ihn gewaltig geärgert. Ohne ihn genau zu mustern, wusste sie, dass sie ihn nicht mochte.

„Ich fahre nach Hogwarts", antwortete sie ihm ruhig. Sie wusste, dass es ihre Mutter furchtbar gestört hatte, wenn sie in diesem ruhigen Ton sprach, wenn sie gerade stritten.

„Das meine ich nicht", blaffte der Junge, „Wieso warst du bist jetzt noch nicht hier? Und wer bist du überhaupt?"

Die Abneigung gegen ihn wuchs. Aus irgendeinem Grund war ihr klar, dass er ein Reinblut war. Es gab wenige, die so hochmütig waren wie eingebildete Reinblüter. Und von sich selbst wusste sie, dass das stimmte, auch wenn sie keine Abneigungen gegen Muggel besaß. Trotzdem besaß auch sie eine gewisse Arroganz, die sie gegenüber Menschen an den Tag legte, die sie nicht mochte. Zuerst war es der Mann im Dorf gewesen, der sie Spinner genannt hatte, danach die Lehrerin, mit der sie eine Woche Unterricht gehabt hatte.

„Ich bin Lily Middletal. Und ich wurde bis jetzt bei mir zuhause unterrichtet, auch wenn ich nicht wüsste, was es dich angehen sollte."

Der blasse Junge wirkte überrascht: „Middletal? Eine Nachfahrin von Johann Middletal?"

Er kannte den Namen also. Die Middletals waren eine alte Familie.

Sie nickte: „Genau von dem. Und wer bist du?"

„Draco. Draco Malfoy", stellte er sich würdevoll vor. Rassistische Schweine. So hatte Lilys Mutter die Malfoys einmal genannt, als sie sich über einen Artikel im Tagespropheten aufgeregt hatte.

Er wirkte, als wollte er noch etwas sagen, aber ein schlaksiger, rothaariger Junge mit Hornbrille und peinlich genau ausgerichteter, ordentlicher Kleidung tauchte auf. An seiner Brust hing, so befestigt, dass es jeder sehen konnte, ein Abzeichen, auf dem 'Schulsprecher' stand.

„Was macht ihr auf den Gängen? Ich dachte, es wäre dort hinten deutlich genug gesagt worden, Malfoy, Crabbe, Goyle. Husch, in die Abteile. Und du hast es jetzt auch geh...", er hielt inne, als er merkte, dass er das Gesicht des Mädchens noch nie gesehen hatte, „Wer bist du?"

„Lily Middletal. Ich bin neu hier", sagte Lily, diesmal aber in ihrer normalen Stimmlage.

„Gut Lily. Wir haben gerade vom Lokführer Anweisung erhalten, dass alle Schüler sich in die Abteile begeben sollen. Da, ein paar Türen weiter ist noch ein Platz frei. Ich bin übrigens Percy Weasley", erklärte der Junge wichtigtuerisch und gab Lily die Hand. Sie nickte, stand von ihrem Koffer auf und ließ ihn wieder schweben. Pheen hatte sich zum ersten Mal in ihrem Leben freiwillig in den Käfig begeben.

Die Türe, auf die Percy gedeutet hatte, war genau die, aus der Malfoy mit seinem Gefolge vor wenigen Minuten herausgestürmt war. Sie klopfte einmal kurz gegen das Holz, und die Gespräche dahinter verstummten.

„Ja?", sagte eine weibliche Stimme.

Lily öffnete die Türe: „Hallo. Ist hier noch ein Platz frei?" In dem Abteil saßen vier Personen, ein Mädchen mit buschigen, braunen Haaren, die einen gewaltigen, roten Kater auf dem Schoß hielt, der aussah, als wäre er mit der falschen Pfote aufgestanden und mit hungrigen Augen auf die leicht ausgebeulte Tasche eines rothaarigen, schlaksigen Jungen mit langer Nase starrte. Die dritte Person war relativ klein für sein Alter, dreizehn Jahre, und Lily sah auf den ersten Blick, wer es war. Harry Potter. Der Vierte im Abteil war ein erwachsener Mann, in einen geflickten Umhang gehüllt und scheinbar schlafend. Das Gesicht war größtenteils unter dem Umhang verborgen.

Das Mädchen nickte, so dass ihre Haare auf und ab wippten und lächelte: „Ja klar, willst du dich zu uns setzen?"

Lily lächelte zustimmend. Auch die beiden Jungen grinsten jetzt, auch wenn das Lachen den wütenden Gesichtsausdruck der beiden nicht überspielte. Sie wirkten genauso verärgert wie Malfoy. Wenn sie sich mit ihm gestritten hatten, waren sie sicher sympathischer als er.

Lily ließ sich auf einem freien Platz nieder und versank in dem weichen Polster, was ihr irgendwie unangenehm war, weswegen sie sich wieder aufrichtete.

„Wie heißt du?", fragte das Mädchen. Sie schien am ehesten auf eine Unterhaltung erpicht.

„Lily Middletal. Bevor ihr fragt, ich wurde bis jetzt zu Hause unterrichtet", nahm sie die Frage vornweg, „Und ihr seid...?"

„Ich bin Hermine Granger und jetzt im dritten Jahr. Gryffindor", stellte sich die Braunhaarige vor.

„Ron Weasley, Gryffindor", murmelte der mit den roten Haaren, der jetzt argwöhnisch auf den Kater starrte, der sich gerade bewegt hatte, „Hermine, ich warne dich. Wenn dein behaartes Schwein..."

„Nenne ihn nicht so, Ron!"

„Ich..."

„Mein Name ist Harry Potter", fuhr Harry dazwischen, um den Streit zwischen seinen Freunden zu beenden. Es erschien ihm unhöflich, vorauszusetzen, dass sie ihn kannte, auch wenn es wahrscheinlich war, weil sie, wenn sie bei sich zu Hause unterrichtet wurde, mindestens ein magisches Elternteil hatte. Wenigstens hatte sie mindestens ein Elternteil.

„Wieso ist Draco Malfoy hier eigentlich gerade wutentbrannt rausgestampft?", fragte Lily niemand bestimmten.

Harry war glücklich, dass sie ihn genauso behandelte wie Ron und Hermine und nicht wie besessen auf seine Narbe starrte, auch wenn ihr Name ihm jedes Mal einen kalten Schauer über den Rücken jagte, weil er ihn an einen anderen erinnerte, Lily Potter.

„Dachte, er könne frech werden, der Drecksack, hat meine Familie beleidigt", grollte Ron. Harry brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, was für ein Ausdruck auf dem Gesicht seines besten Freundes lag.

„Idiot", murmelte Lily.

Ron sah sie verdattert an: „Du kennst ihn?"

„Ich habe ihn gerade auf dem Flur getroffen. Außerdem hat meine Mutter von seiner Familie geredet", meinte Lily nur, „Bist du mit Percy Weasley verwandt? Und mit den Weasleys, die hinten im Zug alle Türen versperrt haben?" Rons Miene wurde noch ungläubiger: „Woher weißt du denn das jetzt? Fred und George haben echt den gesamten, hinteren Teil abgeschlossen? Cool."

Lily lachte leise: „Ich habe gehört, wie die Vertrauensschüler darüber geredet haben. Und dann ist mir ein Percy Weasley über den Weg gelaufen. Und du heißt auch Weasley mit Nachnamen."

Ron verzog das Gesicht: „Richtig geraten."

„Ich hätte auch gerne drei Geschwister", bemerkte Lily, als sie Rons säuerliche Miene bemerkte.

Er schnaubte: „Drei? Schön wärs. Du hast Ginny vergessen, die sitzt ein paar Türen weiter, und Charlie und Bill. Die haben Hogwarts schon abgeschlossen."


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