24.12

Die Weihnachtsstimmung hatte Hogwarts erfasst, auch wenn die große Halle nicht so festlich geschmückt war wie in den vergangenen Jahren. Der Krieg lag wie ein schwerer Schatten über allem, und doch war der Weihnachtsbaum in der Mitte der Halle prachtvoll dekoriert, glitzernde Kugeln reflektierten das Licht der schwebenden Kerzen.

Harry stand am Fenster eines der leeren Klassenzimmer im dritten Stock und beobachtete, wie dicke Schneeflocken leise auf das Schloss herabfielen. Er hatte gehofft, in der Stille ein wenig Frieden zu finden, doch seine Gedanken waren so laut wie immer. Erinnerungen an den Krieg, an Verluste, an Entscheidungen, die ihn heute noch verfolgten.

„Wenn du noch länger da stehst, wirst du vielleicht selbst zu einem Teil der Dekoration," kam eine kühle Stimme von der Tür.

Harry drehte sich um und sah Draco Malfoy, der lässig im Türrahmen lehnte. Seine blonden Haare wirkten im trüben Licht fast silbern, und seine Haltung war so nonchalant wie immer. Doch in seinen Augen lag etwas, das Harry nicht deuten konnte – Müdigkeit, vielleicht, oder etwas Schwereres.

„Was willst du, Malfoy?" fragte Harry scharf, wünschte sich im selben Moment, dass seine Stimme weniger gereizt geklungen hätte.

Draco trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Entspannung, Potter. Es ist Weihnachten, oder so ähnlich. Sogar ich brauche eine Pause von ... allem."

„Und da dachtest du, der beste Ort dafür wäre genau hier?" Harry verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich glaube nicht, dass du zufällig hier bist."

„Du kennst mich doch," sagte Draco mit einem schwachen Lächeln. „Immer mit einer Agenda. Vielleicht wollte ich dich einfach nur nerven."

Harry schnaubte und wandte sich wieder dem Fenster zu. „Dann bist du hier genau richtig."

Für einen Moment sagte keiner von ihnen etwas. Der Raum war still, abgesehen vom leisen Knistern der Kälte draußen und dem gelegentlichen Klirren einer Weihnachtskugel, wenn ein besonders starker Windstoß den Baum in der Halle traf.

„Warum bist du eigentlich hier, Potter?" fragte Draco schließlich, seine Stimme weniger spöttisch als zuvor. „Du könntest unten mit deinen Freunden sitzen, Weihnachtskekse essen, dich an den Weasley-Pullovern erfreuen."

Harry zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wollte ich einfach nur allein sein."

„Und wie läuft das so?" fragte Draco trocken.

Ein leichtes Lächeln zuckte über Harrys Lippen, und zu seiner Überraschung hörte er ein leises Lachen von Draco. Es war ein ungewohntes Geräusch – nicht gehässig, sondern fast ehrlich. Harry drehte sich wieder zu ihm um und stellte fest, dass Draco näher gekommen war. Nicht bedrohlich, nur neugierig.

„Was ist mit dir?" fragte Harry schließlich. „Warum bist du nicht in der Halle?"

Draco hob eine Augenbraue. „Oh, ja, sicher. Malfoy, der das Weihnachtsfest mit dem Gryffindor-Trio feiert. Das klingt doch plausibel."

„Vielleicht wärst du willkommen gewesen," sagte Harry und war sich nicht sicher, warum er das überhaupt anbot. Draco schnaubte nur.

„Vielleicht wollte ich lieber allein sein," erwiderte Draco und gab Harry sein eigenes Argument zurück.

Sie schwiegen wieder, und Harry merkte, dass die Spannung im Raum anders war. Nicht unangenehm, aber geladen, wie die Luft vor einem Gewitter. Draco hatte die Arme locker vor der Brust verschränkt und sah Harry mit einem Ausdruck an, der mehr Fragen als Antworten enthielt.

„Weißt du," begann Draco schließlich, seine Stimme leise, „ich dachte, Weihnachten wäre eine Zeit der Versöhnung."

Harry runzelte die Stirn. „Versöhnung? Mit wem?"

Draco machte einen kleinen Schritt nach vorne, sein Blick blieb fest auf Harry gerichtet. „Vielleicht mit dir selbst."

Harry öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Draco kam ihm zuvor. „Und vielleicht mit mir."

„Mit dir?" wiederholte Harry skeptisch.

„Ja," sagte Draco ruhig. „Ich bin mir sicher, dass du noch genug Groll gegen mich hegst. Und, na ja, ich war nicht gerade ... charmant in der Vergangenheit."

Harry blinzelte. „Das ist eine Untertreibung."

Draco grinste schwach. „Ich gebe mir Mühe."

Harry wollte etwas sagen, irgendetwas, das den Moment durchbrach, aber er fand keine Worte. Stattdessen merkte er nur, dass Draco näher gekommen war, und als er sprechen wollte, war die Luft plötzlich viel dünner.

„Du bist merkwürdig, Malfoy," sagte Harry schließlich.

„Und du bist überraschend uninteressant," konterte Draco, aber da war kein Biss in seinen Worten, nur ein Hauch von etwas, das fast wie ... Nervosität klang?

„Wenn das dein Versuch ist, nett zu sein, solltest du es vielleicht noch mal überdenken," sagte Harry.

„Vielleicht versuche ich gar nicht, nett zu sein," sagte Draco, und bevor Harry etwas erwidern konnte, stand Draco direkt vor ihm.

Es war ein seltsamer Moment – nicht unangenehm, nur seltsam, wie wenn zwei entgegengesetzte Pole eines Magneten plötzlich aufeinander zugezogen werden. Harry wusste nicht, was ihn mehr überraschte: Dass Draco ihn ansah, als wollte er irgendetwas Unausgesprochenes sagen, oder dass Harry merkte, wie sehr er sich wünschte, dass Draco es tatsächlich tat.

„Was machst du?" fragte Harry schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

„Das wüsste ich auch gern," murmelte Draco, und dann überbrückte er die letzten Zentimeter zwischen ihnen.

Der Kuss war unerwartet, aber nicht unangenehm. Er war warm, zögerlich und ehrlich, und für einen Moment vergaß Harry, warum er überhaupt gezögert hatte. Als sie sich trennten, sah Draco ihn an, als wüsste er selbst nicht genau, wie das passiert war.

„Fröhliche Weihnachten, Potter," sagte Draco schließlich mit einem schiefen Lächeln, bevor er sich umdrehte und den Raum verließ.

Harry blieb zurück, sein Herz klopfte wild, und für den Bruchteil einer Sekunde dachte er, dass Weihnachten vielleicht doch ein paar Überraschungen bereithielt.

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