15.12
Die Uhr in der großen Halle schlug zehn, und die meisten Schüler hatten sich längst in ihre Gemeinschaftsräume zurückgezogen. Hermine Granger saß dennoch in der Bibliothek, allein an einem der hinteren Tische, den Kopf tief über ein Buch gebeugt. Es war eine Gewohnheit, die sie auch nach fünf Jahren in Hogwarts nicht abgelegt hatte: zu lange wach bleiben, zu viel lernen.
Doch dieses Mal war sie nicht allein.
„Du wirst dich irgendwann noch selbst zu Tode lernen, weißt du das?" Harry Potter trat aus dem Schatten eines Bücherregals hervor, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen.
„Was machst du hier?" fragte Hermine, die nicht einmal hochsah.
„Das Gleiche könnte ich dich fragen," entgegnete er und ließ sich auf den Stuhl gegenüber von ihr fallen.
„Ich arbeite an meinem Aufsatz für Zaubertränke. Ich nehme an, du hast deinen noch nicht angefangen?"
„Natürlich nicht," sagte Harry und grinste. „Ich dachte, ich warte, bis du mit deinem fertig bist. Dann kann ich ihn abschreiben."
Hermine sah endlich auf, die Augenbrauen erhoben. „Das wagst du nicht."
„Vielleicht nicht. Aber du würdest es mir trotzdem geben, oder?"
„Vielleicht. Aber nur, weil ich sicherstellen will, dass du Snape nicht noch mehr Gründe gibst, dich zu hassen."
„Du bist zu gut zu mir."
„Das ist mir durchaus bewusst."
Ein Moment der Stille verging, während Hermine ihre Augen wieder auf den Text richtete. Doch Harry beobachtete sie weiter, die Art, wie ihr Haar sich um ihr Gesicht legte, die leichte Falte auf ihrer Stirn, wenn sie über etwas nachdachte.
„Hermine?"
„Hm?"
„Warum machst du das alles? Ich meine... du bist die klügste Hexe, die ich kenne. Du könntest auch einfach mal nichts tun und trotzdem die Beste sein."
Sie seufzte, klappte ihr Buch zu und lehnte sich zurück. „Weil es nicht nur darum geht, gut zu sein, Harry. Es geht darum, vorbereitet zu sein. Die Dinge werden nicht leichter werden..." Sie sah ihn an, ihre Stimme wurde leiser. „...besonders nicht für dich."
„Hermine, ich kann mich verteidigen. Du musst nicht immer alles für mich tun."
„Ich weiß," sagte sie sanft. „Aber ich will es."
Harry sah sie lange an, die Worte auf der Zunge, die er nicht aussprechen konnte. Stattdessen schüttelte er den Kopf und stand auf.
„Komm mit."
„Wohin?" fragte sie misstrauisch.
„Nur komm."
Zögernd folgte sie ihm, ihre Schritte hallten leise durch die leeren Korridore. Schließlich führte er sie in einen kleinen Innenhof, wo die Nachtluft kühl und frisch war.
„Harry, was soll das?"
„Du brauchst eine Pause." Er lehnte sich gegen die steinerne Brüstung und sah zu ihr auf. „Und ich auch."
„Das ist unvernünftig."
„Manchmal ist unvernünftig genau das Richtige."
Hermine schüttelte den Kopf, aber ein kleines Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.
„Weißt du, Hermine," begann er nach einer Weile, „manchmal denke ich, du bist die einzige Person, die mich wirklich versteht. Selbst Ron... er ist mein bester Freund, aber du..."
„Ich was?" fragte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Du bist... du bist immer da."
Hermine trat näher, und ihre Augen suchten die seinen. „Und ich werde immer da sein."
Harry wusste nicht, wer sich zuerst bewegte. Vielleicht war es Hermine, vielleicht war er es. Aber plötzlich waren sie einander ganz nah, und er konnte den warmen Duft von Tinte und Pergament riechen.
„Das ist verrückt," murmelte sie.
„Das ist Hogwarts," erwiderte er.
Und dann küsste er sie, leise, unsicher, wie ein Geheimnis, das sie nie jemandem verraten durften.
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