Wolfstar: Hör mich an
Remus betrachtete die frische, tiefe Wunde, die sich über seine Wange zog, bedächtlich in dem kleinen Spiegel vor den Badezimmerfliesen. Sie hob sich leuchtend rot von seiner blassen, dünnen Haut ab und war noch geschwollen an den Rändern. Eine weitere Narbe, die ihn, genauso wie alle anderen, für immer daran erinnern würde, wer er war.
Mit einem tiefen Seufzer wandte sich der Werwolf von seinem Spiegelbild ab und verließ das kleine Badezimmer.
Ohne zu wissen warum, begann er in der engen Wohnung hin- und herzulaufen, sich unruhig die strohigen Strähnen aus der Stirn streichend und den wenigen Möbeln ausweichend.
Tief in Remus' Inneren, wusste er dass etwas nicht richtig war. Etwas war anders. Er verspürte diese allgegenwärtige Unbehaglichkeit, das unangehme Kribbeln im ganzen Körper und das ängstliche Ziehen im Bauch. Es erinnerte ihn an die Zeit kurz nach seinem Schulabschluss, als Sirius eine Zeit lang bei ihm gewohnt hatte und sie regelmäßig Filmabende mit diversen Horrorfilmen veranstaltet hatten. Remus hatte schon immer die Momente geliebt, als es ganz still im Film wurde und der Zuschauer genau wusste, dass jeden Moment jemand hervorspringen und alle zu Tode erschrecken würde. Diese kurzen Momente in denen man den Atem anhält und das Herz aufgeregt pocht und man sich hinter seinem Freund versteckt, um zwischen seinen Fingern hindurch auf den Bildschirm zu lugen.
Kurz darauf hatten zwei laute Schreie ertönt, der eine aus dem kleinen Fernseher vor ihnen und der andere aus Sirius' Mund. Er war vor Schreck von der Couch gefallen und hatte das Popcorn mit sich gerissen. Remus hatte ihn gemustert und sich vor Lachen auf die Knie geschlagen.
Nun saß der ehemalige Gryffindor kraftlos in seinem knarzenden Lesesessel und musste bei der lebhaften Erinnerung der vergangenen Zeit leicht schmunzeln. Doch seine Mundwinkel fielen schnell wieder herab und seine braunen Augen verloren den nostalgischen Glanz, der sie für ein paar Momente umgeben hatte, wieder, als er an sein jetziges Leben dachte. An die Geschehnisse zwischen dieser glücklichen Erinnerung, voll warmer Farben und heimeligen Gefühlen, und dem trüben, farblosen Leben voll Kälte und Leere, das er nun führte.
Das Gefühl, das er verspürte, war dasselbe wie damals, als er sich an Sirius' Seite gekuschelt und gebannt auf den Bildschirm gestarrt hatte. Mit einem entscheidenen Unterschied. Damals wusste Remus, dass alles gut war. Dass der Schrecken nur auf dem Bildschirm stattfand und er direkt neben Sirius saß, er hatte seinen Duft riechen können, hatte sich an Sirius' Shirt und die weichen Kissen schmiegen können.
Doch jetzt war Remus sich sicher, dass er nicht sicher war. Es fühlte sich alles überwältigend real an und er saß alleine im Wohnzimmer, ohne Fernseher, ohne Kissen, ohne Popcorn. Ohne Sirius. Nun spürte er, dass etwas geschehen würde, etwas horrorartiges. Jedoch in der Realität.
Es klopfte.
Jemand klopfte an der Tür.
Es war ein leises, fast schon unsicheres Klopfen.
Trotzdem schnellte Remus augenblicklich aus dem Sessel hoch. Für ein paar Sekunden blieb er regungslos stehen, dann lief er durch den Flur zur Vordertür. Das unruhige Gefühlt in ihm stieg nur noch mehr an und schien ihm die Kehle zuzuschüren, während er mit der einen Hand seinen Zauberstab und mit der anderen die Türklinke umfasste.
Einmal atmete Remus noch tief durch, dann öffnete er die Tür.
Remus kannte diesen Mann nicht.
Das war der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, als er sah wer vor der Tür stand. Er wusste dass es nicht wahr war, aber dieser Mann war ihm so fremd, dass sein Kopf sich praktisch weigerte ihn zu kennen.
Er kannte diesen Mann nicht.
Remus Lupin und Sirius Black standen sich gegenüber und sahen sich an. Keiner sagte ein Wort, keiner rührte auch nur einen Muskel. Die beiden Männer sahen sich einfach nur an. Denn es wahr wohl war. Sie kannten sich nicht. Nicht als Männer, als Jungen.
Auch Sirius kam der unsinnige Gedanke, er hätte sich in der Tür vertan. Obwohl er wusste, das vor ihm war Remus Lupin.
Er war dünner geworden, noch dünner als er eh schon gewesen war. Er hatte Bartstoppeln. Ein paar graue Strähnen in seinen sandfarbenen Haaren. Und er hatte eine neue Narbe. Sie war groß und rot. Sie war Sirius sofort aufgefallen.
Aber vor allem sah er müde aus. Unfassbar erschöpft. Eine ganz andere Art von erschöpft als der junge Remus, der ein paar Nächte durchgemacht hatte und beinahe im Unterricht einschlief.
Sirius musste sich daran erinnern, dass Remus kein alter Mann war. Dreizehn Jahre hatte er ihn nicht gesehen. Doch jetzt, als er tatsächlich vor ihm stand, fühlte es sich so an als hätten sie ihr gesamtes Leben getrennt verbracht. Er kannte diesen Mann nicht.
Sirius kam Remus nicht nur fremd vor, er sah auch fremd aus. Abgemagert, blass, leblos. Er konnnte sich nicht vorstellen, was Sirius alles durchlebt hatte.
Schnell riss Remus sich zusammen. Er durfte kein Mitleid mit ihm haben. Das war der Mann, der Lily und James verraten hatte. Der Peter umgebracht hatte. Sirius hatte sein Leben ruiniert. Er hatte all seine Freunde, sein ganzes Leben, durch diesen Mann verloren.
Blanke Wut breitet sich in Remus' Innerem aus wie lodernes Feuer. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung trat er einen Schritt zurück, hob seinen Zauberstab und richtete ihn auf Sirius' Brust.
Sirius wusste, dass er nicht überrascht sein sollte. Er wusste, dass es genau so ablaufen würde. Dennoch verkrampfte sich sein Herz schmerzhaft, als er in Remus' hasserfüllte Augen blickte.
"Remus... bitte"
Seine Stimme klang rau und gebrechlich. Als Sirius seinen Namen aussprach, sah er Remus' Ausdruck kurz flackern. Für einen Moment dachte er, er würde den Zauberstab sinken lassen. Doch im nächsten Moment verhärtete sich der Blick diesen vertrauten, und doch irgendwie fremden, gold-braunen Augen. Sirius sah, wie sehr Remus' Kiefer sich anspannte und er die Zähne zusammenbiss, er hielt den Zauberstab so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervorstanden. Und dennoch übersah Sirius das schwache Zittern seiner Finger nicht, während sein Gegenüber die Waffe auf ihn gerichtet hielt.
Remus riss den Blick von Sirius' Augen los, als er ihren Anblick nicht mehr ertragen konnte. Diese sturmgrauen Augen, hinter denen stets ein Wirrwarr an Gefühlen versteckt lag, sahen auf einmal leer aus, und eintönig.
"Wie kannst du es nur wagen."
Endlich sprach Remus. Seine Stimme war verzerrt und voller Gift, als er die Worte ausspuckte.
"Hierher zu kommen, nach all den Jahren, nachdem du-"
Sirius wartete, starrte in Remus' angespanntes Gesicht. Sein Gegenüber brachte nichts mehr über die Lippen, also holte er tief Luft und öffnete den Mund.
"Ich weiß, was du denkst. Und ich weiß, es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld, dass sie gestorben sind. Ich war aber nicht derjenige, der sie verraten hat."
"Ich will es nicht hören, Sirius!"
Sirius zuckte zusammen, als Remus' Stimme sich überschlug.
Remus schluckte. Er hatte seinen Namen ausgesprochen. Er fühlte sich vertraut auf seinen Lippen an, leider. Auf einmal fragte er sich, warum er überhaupt noch hier stand.
"Ich will es nicht hören. Was willst du von mir?"
Auf einen Schlag war die gesamte Energie aus seiner Stimme gewichen. Er war erschöpft, unendlich müde. Kurz dachte er, er würde einfach umfallen. Wie einfach es doch gerade wäre, das Bewusstsein zu verlieren. Zu einfach.
Sirius sah, wie Remus' Gesicht in sich zusammenfiel und wie er plötzlich die eine Hand an die Tür legte. Er wollte die Arme um ihn legen, ihn stützen, ihm sagen, alles würde gut werden, obwohl es eine Lüge wäre. Es schmerzte ihn noch genau so wie damals, Remus so zu sehen. Wenigstens eine Sache, die sich nicht verändert hatte.
Stattdessen ballte Sirius beide Hämde zu Fäusten und sagte leise: "Ich weiß auch, dass ich kein Recht habe, hier herzukommen. Aber... ich kann dir die Wahrheit sagen, bitte Remus, hör mich an."
Remus wollte nichts anderes, als die Tür zuzuschlagen, zu flüchten, alles zu vergessen. Doch irgendetwas an Sirius' Gesichtsausdruck, seiner Haltung, der Art, wie er die Worte aussprach, hielt ihn zurück. In diesem Moment realisierte der Werwolf, wie gut er Sirius immer noch kannte. Egal, wie sehr er es verabscheute und wie sehr er sich dagegen wehren wollte, es hatte keinen Sinn. Sirius war fremd und unheimlich und doch kannte Remus ihn in- und auswendig. Vielleicht blieb er deswegen stehen und hörte ihn an.
***
Ich bin nach einer Ewigkeit tatsächlich wieder zurück und kann euch leider nur diesen unvollständigen Oneshot bieten, mit dem ich gar nicht zufrieden bin :(( i'm sorryy
Ich schreibe an diesem OS schon eine Ewigkeit und ich habe ehrlich gesagt nicht mehr die Motivation, ihn richtig zu beenden.
Naja, ich hoffe ihr habt vielleicht wenigstens irgendetwas davon und nochmal: vielen, vielen Dank für euren support🖤
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