Kapitel 1 - Keine Überraschung

„Livy Liebes, du hast Besuch. Dieser Mann kommt von einem speziellen Internat. Er möchte dich gern kennen lernen und mit dir über eine Aufnahme dort sprechen.“, erklärte mir Miss Lawson, die Leiterin des Kinderheimes St. Mary’s, in dem ich lebte. Sie war sehr fürsorglich und wir Kinder hatten es dort gut.


Ihre braunen Locken, die schon mit weiß-gräulichen Strähnen versehen waren wippten, als sie zur Seite ging um den Mann der sie begleitete zu mir zu lassen.

Vorsichtig ging er vor mir auf die Knie, als würde er mit einem Kleinkind sprechen. Dabei war ich schon 11!

Miss Lawson verabschiedete sich von uns und ging aus dem Raum. Ich hörte ihre Schuhe noch den ganzen Flur entlang klappern, bevor es still wurde.

Der Mann sah mich mit seinen hellbraunen Augen sanft an. Er war ziemlich blass und sein Gesicht wirkte eingefallen. Auch seine kurzen braunen Haare durchzogen einige graue Strähnchen. Er trug alte, zerlumpte Kleidung und seine linke Gesichtshälfte war mit einer langen Narbe durchzogen.

„Sind Sie krank?“, fragte ich ihn, aufgrund seines Aussehens, ehrlich besorgt. Etwas irritiert von meiner Frage zögerte er mit seiner Antwort. „Nein Liv, ich bin nicht krank. Aber… es ist lieb von dir dass du fragst. Ich bin Mister Lupin.“ Er schüttelte meine Hand als er sich vorstellte.

„Ich bin heute hier um dir ein paar Sachen zu erklären und dich in unser Internat, also eine Schule einzuladen. Dieser Brief hier ist für dich.“ Lupin setzte sich aufs Bett und holte einen großen Umschlag aus der Innentasche seines Mantels. Der aus gelblichem Pergament bestehenden Umschlag war dick und schwer. Mit grüner Tinte stand in geschwungener Schrift

Mrs. Liv Phillips
St. Mary’s Waisenhaus
Magnolienring 28
Little Whinging
Surrey

auf dem dicken Papier.

Ungeduldig, ich war schon immer sehr neugierig, drehte ich den Brief um, durchtrennte das rote Wachssiegel, welches den Brief verschlossen hielt, ohne es genauer zu betrachten und dann hielt ich sie in Händen.
Meine Einladung nach Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei.

„Das ist jetzt sicher überraschend für dich.“, wollte mir Lupin irgendetwas erklären, aber ich schüttelte energisch den Kopf. „Ganz und gar nicht!“, grinste ich ihn zufrieden an. „Ich weiß schon lange, dass es Zauberer und Hexen geben muss. Und auch von Hogwarts wusste ich bereits. Und ich habe sehr gehofft, eines Tages, wenn ich groß bin, mehr darüber herausfinden zu können.“

„Du weißt schon lange davon? Woher denn, wenn ich fragen darf?“ Sein ungläubiger Blick wurde ernster. Doch ich lies mich nicht verunsichern.

„Okay, Mr. Lupin. Ich verrate Ihnen jetzt mein größtes Geheimnis. Gehen Sie bitte mal runter von meinem Bett.“ Der hagere Mann stand auf und sah mir neugierig zu, wie ich mein Bett um ein paar Zentimeter verrückte.

Ich vergewisserte mich noch einmal der verschlossenen Tür und der Abwesenheit meiner Zimmergenossin Lisa, bevor ich eines der Bodenbretter griff und und es nach oben klappte. Dort befand sich ein kleines Fach, indem ich meine Schätze versteckte.

Da ich alle meine Süßigkeiten schon aufgegessen hatte, befand sich derzeit nur noch ein einziger Gegenstand in der Kuhle. Eine alte Zeitung.

Lupin wurde noch blasser, als er nach der Zeitung griff. Der Tagesprophet war die beliebteste und bekannteste Zeitung der Zauberer-Welt. Anders als die gedruckten Bilder in den normalen Zeitungen bewegten sich die Bilder in dieser. Die Ausgabe war bereits drei Jahre alt.

„Woher hast du die?“, fragte Lupin, mittlerweile weiß wie die Wand. „Keine Sorge, die hat keiner außer mir gesehen.“, erwiderte ich auf den versteinerten Blick der mich durchbohrte. „Die anderen Kinder mögen mich und spielen gern mit mir. Ich glaube aber, wenn ich plötzlich von ‚Zauberei‘ sprechen würde, dann würde das nicht lange so bleiben. Die Leute mögen nichts Seltsames. Und die Erwachsenen glauben uns Kindern ja sowieso nie irgendwas.“

Erleichtert atmete Lupin aus, musterte mich aber immer noch misstrauisch. „Trotzdem hast du meine Frage nicht beantwortet.“ Er lächelte angestrengt. „Woher hast du die Zeitung denn überhaupt?“

Bedrückt blickte ich nach unten und knetete meine Hände. „Sie… dürfen mich aber nicht schimpfen. Und ich darf doch trotzdem nach Hogwarts oder? Das war nur ein Versehen.“ Lupin beruhigte mich und verprach, dass ich auf jeden Fall der Schule zugelassen werden würde. Ich atmete tief ein.

„Na gut. Vor ein paar Jahren spielte ich in der Morgendämmerung am Waldrand auf der großen Wiese. Eigentlich dürfen wir das nicht, aber ich konnte einfach nicht mehr einschlafen. Ich habe mich zwischen den Bäumen versteckt und Jäger gespielt. Und dann hab ich mit meiner Schleuder wirklich einen Vogel getroffen. Das wollte ich aber wirklich nicht. Ich dachte nicht dass ich treffe. Meine Zwille kann normal gar nicht so weit schießen, außerdem wars ja dunkel, da konnte ich nicht gut zielen.

Natürlich wollte ich dem Vogel helfen und ihn verarzten. Es war eine niedliche kleine Eule. Sie hatte ein kleines Beutelchen mit komischen Spielmünzen am Bein. Zum Glück war sie nicht schlimm verletzt. Ich glättete ihr die Federn, dann konnte sie wieder fliegen. Sie war sehr lieb und hat sich streicheln lassen.

Die Zeitung hatte die Leute beim Absturz verloren und ich hab sie mit nach Hause genommen. Die Zeitung war mein geheimer Schatz. Ich hab sie schon so oft gelesen. Und auch die Schule Hogwarts wird da erwähnt. Auf Seite 9!“, schloss ich meine Erzählung.

„Und du hast wirklich absolut niemandem von der Zeitung erzählt? Keiner besten Freundin, der Heimleiterin oder sonst wem? Und du bist dir zu 100 Prozent sicher, dass niemand deinen Schatz je gefunden und gesehen hat?“ „Glauben Sie mir, Mister Lupin. Wenn irgendjemand diese Zeitung gefunden hätte, dann wäre sie nicht mehr in meinem Versteck. Vertrauen Sie mir, ich bin doch nicht dumm. Nicht im Traum wäre mir eingefallen irgendjemandem davon zu erzählen.“, erklärte ich dem immer noch stutzigen Lupin.
Durchdringend sah er mir direkt in die Augen, bis er beschloss meinen Worten endlich Glauben zu schenken.

„Na gut. Du möchtest also nach Hogwarts, wenn ich das richtig verstanden habe?“ „JA AUF JEDEN FALL!“, schrie ich vor lauter Aufregung, was Lupin zum Schmunzeln brachte. „Okay. Dann bist du herzlich eingeladen am 1. September nach Hogwarts zu kommen. Die Sommerferien haben erst angefangen, deswegen hast du jetzt noch ein bisschen Zeit. Ich werde im Laufe des Monats noch einmal zu dir kommen und mit dir deine Schulsachen besorgen. Wie du dir denken kannst, kann man solche Sachen in dem London wie du es kennst nicht kaufen. Und dann kann es auch schon bald losgehen.“

„Warum machen sie das alles mit mir? Bezahlen Sie auch meine Schulsachen?“, fragte ich ihn mit einem Hauch schlechten Gewissens. „Nein, die werde ich nicht bezahlen. Aber ich-„ „Ja, das hätte mich auch gewundert, Sie sehen nicht gerade sehr reich aus.“, rutschte es mir raus. „Ups… Ähh, Entschuldigung, tut mir Leid!“

Lupin, unbeeindruckt von meinen Worten, fuhr fort. „Aber ich habe den Schlüssel für das Bankfach deines Vaters. Dort sollte genug Geld liegen um dich für die Schule einzukleiden und dich durch die nächsten Jahre zu bringen.“ „Sie kennen meinen Vater?!?“

Jahrelang wurde mir verschwiegen wer mein Vater war. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt an einem Infekt und die einzige Information die ich von meinem Vater hatte war, dass er in ein Gefängnis kam, als ich ein Jahr alt war. Die näheren Umstände wurden mir allerdings nie erläutert. Zu meinem Unmut würgte auch Lupin das Thema schnell ab und gab mir keinerlei weiteren Informationen über meine Familie.

Aber spätestens zum Einkauf würde ich ihn ja wieder sehen, und dann kommt er mir nicht so schnell davon! Deshalb gab ich für den Moment nach und löcherte nicht weiter.

Bevor Lupin ging, versteckte ich den Brief gemeinsam mit der Zeitung wieder in meinem Versteck und verabschiedete mich höflich von dem hageren Mann. Kurz ehe er das Zimmer verlies legte er mir nochmal Nahe, dass ich niemandem von meiner neuen Schule erzählen durfte. Oder überhaupt von Magie. Aber das hatte ich zuvor ja auch nicht getan, somit würde sich für mich also nicht viel ändern.

Unglaublich! In ein paar Wochen schon würde ich nach Hogwarts fahren!

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