Kapitel 6.1
In einem abgeschlossenen Trackt stieß Kaden die schweren hölzernen Doppeltüren zur Seite, da sie sich nur schieben ließen und deutete Lilitha einzutreten.
Der Raum war groß, hell beleuchtet von hohen Fenstern, und mit mehreren riesigen Spiegeln bedeckt. Der Ausblick bot eine wunderschöne Aussicht auf den kleinen Hinterhof, welcher eine windige Landschaft zeigte. Das grüne Gras reckte sich den warmen Sonnenstrahlen entgegen.
Lilitha trat sofort auf das Fenster zu und beobachtete die ersten Zweige, die langsam wieder grünten. Sie liebte den Frühling, wenn alles begann zu blühen. Am liebsten wäre sie hinausgegangen und hätte sich richtig umgesehen, doch sie war wegen Kleidung hier. Hoffentlich würde sie in den nächsten Tagen Zeit finden, nach draußen zu gehen.
»Was haben sie dir im Kerker angetan?«, fragte Kaden auf einmal vorsichtig und als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass er sie wohl die ganze Zeit beobachtet hatte.
»Ich möchte nicht darüber reden«, murmelte sie leise. Sie konnte kaum beschreiben, wie sehr ihr die Natur fehlte.
Besorgt trat Kaden zu ihr und blickte sie zwar ernst, aber mit einem zerbrechlichen Ausdruck in den Augen an. »Ich will dich doch nur beschützen«, flüsterte er fast schon frustriert und strich über ihre beiden Arme.
»Ja, aber daran kannst du nichts mehr ändern. Du weißt genau, wie es normalerweise läuft, wenn jemand schuldig gesprochen wird, aber nicht gesteht«, flüsterte sie.
Aufmunternd strich er Lilitha über die Wange, was sie dazu veranlasste zu ihm aufzublicken. »Niemand außer mir spricht ein Urteil. Und ich will diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die dir das angetan haben«, erklärte er beängstigend ernst.
Gerade als Lilitha Luft holen wollte, um etwas zu erwidern, wurde die Tür erneut geöffnet. Instinktiv trat die Rothaarige einige Schritte zurück, um sich von Kaden zu entfernen. Dann drehte sie den Blick und öffnete erstaunt den Mund. Das war die Schneiderin aus der Stadt! Die mit den weißen Haaren. Was machte die denn hier?
Auch wenn Lilitha sagen wollte, dass man ihr wohl, während Kadens Abwesenheit, gezielt ein Attentat anhängen wollte, um sie hinrichten zu lassen, ließ sie es bleiben. Im Moment sollten sie wohl sowieso nicht darüber sprechen, solange Außenstehende anwesend waren.
»Mylord. Mistress«, grüßte die Frau mit einem Strahlen und machte einen kaum erkennbaren Knicks, ehe das Dienstmädchen, welches sie hergebracht hatte, verschwand. Kaden lächelte und Lilitha wurde bei diesem Titel noch immer unwohl. Sie hatte sich einfach noch nicht daran gewöhnt, so angesprochen zu werden. Vor allem nicht von dieser Frau, die sie aus der Stadt kannte.
»Ich denke, die Höflichkeitsfloskeln werden nicht nötig sein«, lachte der Blonde leise, nachdem die Türen wieder geschlossen waren.
Mit einem euphorischen Hüpfen auf der Stelle, stellte die weißhaarige Frau ihre Tasche ab und sprintete kurz darauf auf den Highlord zu, um ihn zu umarmen. »Ich habe gehört, es gab Schwierigkeiten auf der Heimreise«, bemerkte sie, als würden sich die beiden schon ewig kennen. Auch ihr Verhalten ließ darauf schließen, dass sie alles andere, als ehrfürchtig gegenüber dem Highlord war, als angemessen.
Lilitha besah sich das Schauspiel neugierig. Es schien, als hätte Kaden doch so etwas wie Freunde. Das war ihr neu. Sie hatte davon nichts gewusst und irgendwie wurde sie ein klein wenig eifersüchtig. Wie gut die beiden sich verstanden! Selbst sie hatte noch einen langen Weg bis dahin.
Ein wenig beschämt löste sich Kaden von ihr und schielte kurz verlegen zu Lilitha, ehe er sich wieder der Frau zuwandte. »Nur ein paar Meinungsverschiedenheiten mit verfeindeten Truppen«, beschwichtigte er sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und holte tief Luft. »Meine Mätresse braucht eine komplett neue Garderobe.«
Das Wort Mätresse ließ Lilitha zusammenzucken, doch sie versteckte es gut. Die weißhaarige Frau richtete nun ihren Blick auf sie und musste grinsen. »Das trifft sich gut. Du bist eine wahrliche Inspirationsquelle. Ich habe so viele Ideen für dich«, erklärte sie gut gelaunt und hüpfte auf Lilitha zu. »Wir kennen uns ja bereits aus der Stadt, aber ich denke, ich sollte nochmal deine Maße nehmen. Deine Kurven sind inzwischen viel definierter und wir wollen ja, dass es perfekt sitzt«, zwinkerte die Frau ihr zu und drehte sich halbwegs zu Kaden um, der mit verschränkten Armen dastand und sie beide beobachtete. »Hast du gar kein Schamgefühl? Lass dem Mädchen ein wenig Privatsphäre«, zischte die Frau in einem ironischen Ton.
Kaden hob lediglich eine Augenbraue und setzte sich provokant auf einen der Sessel, der im Raum stand. »Nein, habe ich nicht«, lächelte er zuversichtlich.
Die Weißhaarige rollte die Augen, drehte sich zu Lilitha zurück und zupfte an Kadens Hemd, welches sie trug. »Ausziehen bitte.«
Die Schneiderin stemmte die Hände in die Hüften und blickte Kaden böse an, der nur lächelte. Lilitha hingegen zupfte an dem Oberteil und zog es schließlich kommentarlos aus.
Auch wenn sie sich noch immer so nackt unwohl fühlte, machte es ihr vor dieser Frau und auch vor Kaden nicht mehr allzu viel aus.
Die Schneiderin hatte sie schon einige Male nackt gesehen, ganz zu schweigen von Kaden. Doch bei dem Gedanken, was die Weißhaarige wohl über sie und Kaden dachte, wurde ihr ein wenig unbehaglich.
»Siehst du? Ist doch kein Problem«, meinte Kaden dann selbstgefällig und zwinkerte Lilitha zu. Diese wurde ein wenig rot und blickte zu Boden. Sie hoffte nur, dass die Weißhaarige nichts zu den Wunden auf ihrem Rücken sagen würde, die sie noch immer hatte.
Diese schnaubte. »Komm, widmen wir uns deinen Maßen«, damit holte sie ein Maßband hervor und wies Lilitha an, ihre Arme auszubreiten. »Seit wann bist du wieder da?«, fragte sie nun, während sie nebenbei Lilithas Maße nahm und sich diese notierte.
»Erst seit gestern«, antwortete Kaden, ohne den Blick von Lilitha zu nehmen, als wäre die andere Frau gar nicht anwesend.
Eine Weile war es still, als sich die Frau erneut Zahlen notierte und den Blick gesenkt hielt. »Ich habe das von deiner Mutter gehört«, murmelte sie leise und mitleidig. »Es tut mir wirklich leid«, fügte sie kleinlaut hinzu und wandte sich wieder der Vampirin zu, ohne Kaden anzusehen.
Diese zuckte zusammen, obwohl die Schneiderin ihr gar nicht wehgetan hatte. Nur mit ihren Worten. Und Kaden war wahrscheinlich auch davon getroffen. Lilitha schielte zu ihm und musterte seine Miene. Auch wenn sein Blick noch immer starr auf Lilithas Gesicht gerichtet war, so ging dieser doch ins Leere.
»Das muss es nicht. Sie war alt«, seufzte er und senkte nun doch den Blick. Lilitha biss sich auf die Lippen, um nicht zu widersprechen. So alt war sie überhaupt noch nicht gewesen. Selbst für eine Sirene.
Die Weißhaarige schwieg, bis sie zu den Stoffproben griff, die sie mitgebracht hatte. »Gefällt dir dieses Muster?«, wollte sie wissen und sprach dabei nicht nur Lilitha, sondern auch Kaden an.
»Als würde ich irgendein Stilempfinden besitzen«, lachte Kaden schwach und schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf. »Was denkst du?«, fragte er und blickte zu Lilitha, da der Stoff auf ihrer Schulter lag, um ihn im Vergleich zu ihrem Teint zu betrachten.
Lilitha wirkte verwirrt. »Ich weiß nicht. Ich lasse lieber die Expertin entscheiden«, erklärte sie und blickte zur Schneiderin. Diese rollte die Augen und nahm den Stoff wieder runter.
»Sehr konsequent«, scherzte sie und warf Kaden einen Blick über ihre Schulter zu. »Ich denke, dass grüne Töne deine Haare wunderbar zur Geltung bringen würden, aufgrund des Kontrasts. Bevorzugst du denn irgendwelche besonderen Schnitte?«, fragte sie nun und zog ein Stück Papier hervor, auf dem sie sich Notizen machte.
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