Kapitel 26
Es blieb diese Nacht nicht bei einem Mal und es war weit nach Mitternacht, als sie noch immer, Arm in Arm, auf den Mänteln lagen und die Stadt betrachteten.
Lilitha träge vor Lust und fest an Kaden geschmiegt. »Wie ist es im Harem?«, fragte Kaden, mit geschlossenen Augen und rauer Stimme, während er schwach Lilithas nackten Rücken streichelte.
Diese erzitterte, aber aus zweierlei Gründen. Zum einen, weil Kadens Streicheln ihr so gut gefiel, aber auch, weil er nach dem Harem gefragt hatte.
»Es geht«, erwiderte sie vage und wich seiner Frage aus. Die Frauen waren ihr nicht gerade wohlgesonnen.
Langsam öffnete Kaden die schweren Augenlider und drehte den Kopf zur Seite, um Lilitha ansehen zu können. »Was heißt das?«, fragte er zwar müde, aber dennoch alarmiert.
Lilitha zuckte die Schultern. »Ich bin nicht unbedingt beliebt unter den Frauen«, erklärte sie. »Viele warten nur darauf, dass ich etwas mache, was sie gegen mich verwenden können.«
Nachdenklich kaute Kaden auf seiner Unterlippe und musterte die Vampirin weiterhin. »Wurdest du belästigt?«, fragte er besorgt und schien ein wenig nervös. Was, wenn es doch eine der Frauen gewesen war, die Lilitha vergiftet hatte?
»Nicht unbedingt. Aber sie bedrängen mich manchmal schon, gerade wenn ich im Hamam bin. Heute wollte ich mich nach der Stadt mit Laura zurückziehen und ein wenig entspannen. Und plötzlich füllte sich der Raum mit ganz vielen Frauen, die alles, was ich gesagt habe, mit Argwohn aufgenommen haben«, berichtete sie und überlegte, ob sie Kaden vielleicht vorwarnen sollte. Aber möglicherweise machte sie dann aus einer Mücke einen Elefanten.
Sie konnte spürten, wie er sich plötzlich bewegte, bis er sich erhob und neben ihr zum Sitzen kam, um sie ernst anzublicken. »Sie bedrängen dich?«, fragte er unschlüssig.
Sie tat es ihm gleich, damit sie mit ihm auf Augenhöhe sein konnte. »Ja. Wenn ich irgendwo bin, wo sie auch hin können, sind sie sofort da. Ob sie mich nun ausfragen oder mir einfach nur seltsame Blicke zuwerfen. Ich weiß nicht, was ich für sie bin. Ich fühle mich wie eine Skulptur, die man unverhohlen begaffen kann.«
Mit einem schweren Seufzen senkte Kaden den Blick, um diesen abzuwenden. »Ich hatte schon befürchtet, dass etwas in die Richtung der Fall sein würde«, murmelte er unwillig und griff nach seinem Hemd, das er zuvor als minimalistisches Kopfkissen benutzt hatte. »Aber du kannst den Harem nicht verlassen. Das rückt deine Präsenz nur noch mehr in den Mittelpunkt.«
»Ja, das weiß ich«, seufzte sie. »Aber ich habe Angst, dass eine dieser Frauen ...« Hier brach sie ihren Satz ab und wandte ebenfalls den Kopf ab, um ihre Kleider zu suchen. Womöglich war es keine gute Idee, Kaden auf den Vorfall hinzuweisen, der dafür gesorgt hatte, dass sie im Kerker gelandet war. Und sie selbst wollte auch nicht daran denken. »Ich habe Angst, allein zu schlafen«, gestand sie und wollte den Grund nicht aussprechen. Kaden konnte ihn sich sicher denken.
Er hielt kurz in seiner Bewegung inne, nachdem er das Stück Stoff angezogen hatte und blickte Lilitha besorgt an.
»Du fühlst dich unsicher?«, fragte er nur und nahm somit die Vorlage an, die Lilitha ihm geboten hatte. Er hatte es ohnehin eigenartig gefunden, dass sie nicht wirklich auf das Attentat eingegangen war, doch dass sie es ihm verschwieg, hatte er nicht erwartet.
»Als ich noch bei dir war, habe ich mich wohl und geborgen gefühlt. Aber seitdem ich wieder im Harem bin, schlafe ich kaum, wache ständig auf und traue mich nicht, allein mit anderen Frauen in einem Raum zu sein, in dem es keine Pflanzen gibt«, erklärte sie und wirkte das erste Mal tatsächlich gehetzt und unruhig. Selbst in seiner Gegenwart. Ihre ganze Ausstrahlung wirkte ausweichend. »Wenn ich mit Fey und Sin unterwegs bin, ist es in Ordnung. Aber sobald ich allein bin ...« Eine Ausnahme bildete Lauras Gegenwart, doch sie war auch eher selten da. Es gab zu oft Momente, in denen sie mit den Haremsdamen allein war.
»Lilitha«, murmelte er leise und wusste nicht so recht, was er ihr sagen sollte. »Du fehlst mir und wenn du das wirklich möchtest, komme ich nachts zu dir. Allerdings weiß noch niemand etwas Genaueres wegen ... der Sache«, erklärte er zögerlich, ohne jede Regung. »Ich will dich beschützen, aber gleichzeitig will ich mich um dich kümmern. Nur kann ich nicht beides gleichzeitig.«
Unerwartet sanft schmiegte sie sich an ihn und rieb ihre Wange an seiner Brust. »Ich weiß. Ich wäre nur gern in der Nacht wieder bei dir«, gestand sie. Den Tag würde sie schon im Harem überleben. Wenn es hell war und viele Leute um sie herum waren, dann konnte sie vergessen, was vorgefallen war. Doch wenn das Licht sich verabschiedete und alles leise wurde, kamen die Erinnerungen. Unfähig, sich dagegen zu wehren.
Kaden blinzelte und legte vorsichtig, doch instinktiv den Arm um Lilitha, um diese zu halten. »Du kannst immer zu mir kommen, egal wann«, flüsterte er beruhigend und strich mit den Fingern über Lilithas Hals und über das darauf liegende, schwarze Halsband. »Aber bring dich nicht unnötig in Gefahr, solltest du jetzt auf Ideen kommen, nachts allein durch den Harem zu streifen. Ich kann dich auch besuchen kommen«, erklärte er mit einem aufmunternden Schmunzeln und küsste ihre Stirn.
»Ich bin nur einmal nachts raus ins Gewächshaus geschlichen«, erklärte sie und verzog unwillig den Mund. »Ich habe darauf geachtet, immer in Sichtweite der Wachen zu bleiben«, fügte sie hinzu, um ihn zu beruhigen. »Aber ich glaube, es belastet mich mehr, als ich angenommen habe. Der Trubel der letzten Tage hat mich zwar abgelenkt, aber jedes Mal, wenn ich unter den Haremsfrauen bin, habe ich ein schlechtes Gefühl. Fast jeder hält mich für schuldig und ich kann ihren Blicken ansehen, dass sie sich fragen, wie ich es geschafft habe, dir so den Kopf zu verdrehen, dass du mich trotzdem noch willst.« Eine der Frauen hatte im Hamam einmal eine solche Bemerkung gemacht, doch Lilitha hatte sie, wie vieles andere, erfolgreich ignoriert und schließlich verdrängt.
Langsam holte Kaden tief Luft und versuchte die richtigen Worte zu finden. Es war nicht das erste Mal, dass er eine solche Bemerkung hörte. Selbst Sergej hatte sich dahingehend geäußert. Doch er hatte trotz allem gehofft, dass Lilitha es nicht selbst erleben musste. Scheinbar hatte er sich dabei zu sicher gefühlt.
»Willst du aus dem Harem raus?«, fragte er plötzlich, obwohl es seinen vorigen Worten widersprach. Er schien ernst und besorgt zugleich, mit einer gewissen Entschlossenheit in der Stimme, die Lilitha deutlich erkennen konnte.
Auf einmal wirkte sie unschlüssig. »Ich möchte dir wirklich keinen Ärger machen«, sagte sie, weil sie wusste, dass es selbst für Kaden schwer war, die Regeln umzuwerfen und sie aus dem Harem herauszuholen. Das würde eine Menge Fragen aufwerfen. Auch, wenn sie bald seine Frau sein würde. Ein Gedanke, der ihr ein warmes Gefühl bescherte.
Es war zwar keinesfalls verboten, sich eine Sklavin zur Frau zu nehmen, wenn auch nicht sehr angesehen vom Adel und dem Volk, doch als erste Frau war es geradezu skandalös. Bisher war es jedoch recht ruhig verlaufen, wenn auch nur in der Stadt, denn innerhalb des Palasts, schienen alle gegen diese Ehe zu sein.
»Und ich möchte nicht, dass der Harem dich zerstört. Ich mache mir Sorgen«, gestand er, wobei es schon beinahe anklagend klang, als würde Lilitha die Sache nicht ernst genug nehmen.
»Ich weiß«, flüsterte sie und schmiegte sich dichter an ihn. »Aber ich kann mich nicht vor allen verstecken. Ich werde versuchen, zu lernen, wie ich mich durchsetzen kann. Aber ich möchte bei dir schlafen«, fügte sie mit ruhiger Stimme hinzu und hoffte, dass Kaden zustimmen würde. Sie wollte ihm wirklich keinen Ärger machen, aber sie vermisste ihn so sehr.
Eine Weile blickte er sie nur ernst an, oder viel mehr ihren Scheitel, so wie sie ihr Gesicht in seine Brust grub. »Versprich mir, dass du dein Zimmer nachts nicht verlässt«, bat er ruhig und schien zu einem Kompromiss bereit.
Dass er sie in ihrem und nicht in seinem Zimmer wissen wollte, ließ sie ein wenig bedrückt zurück. »Ich verspreche es«, murmelte sie, weil sie ihm eine solche Bitte schwer abschlagen konnte.
Vorsichtig legte er den anderen Arm zusätzlich um sie.
»Es ist besser für dich. Immerhin kann es jeder gewesen sein. Egal ob Wache, Eunuch oder Haremsdame. Aber ich werde den Schuldigen finden, mach dir keine Sorgen«, murmelte er beruhigend und strich Lilitha sanft über den Rücken.
Er vermisste seine Mutter und hatte getrauert, auch wenn er es noch nicht ganz verarbeitet hatte. Doch Lilitha hatte noch nicht darüber gesprochen. Oder stand sie seiner Mutter doch nicht so nahe? Er konnte es ihr schwer verübeln, so distanziert, wie diese immer gewesen war.
Lilitha genoss seine Nähe, doch sie konnte nicht verhindern, dass sich Sorge in ihr breit machte. »Du musst auch vorsichtig sein. Der Angriff war gegen dich gerichtet. Wir waren nur gerade da«, erklärte sie mit rauer Stimme.
Er schluckte unruhig, erwiderte jedoch nichts. Natürlich wusste er, dass es seine Schuld war, dass Lilitha angegriffen worden und seine Mutter nun tot war. Darum war es auch seine Aufgabe, Lilitha zu schützen und in Sicherheit zu wissen. Was sollte er auch anderes tun? Selbst wenn er sie von sich stieß, konnte er das weder lange aushalten, noch wäre sie somit sicher. Er wollte sie bei sich haben. Wollte sie heiraten und ewig an seiner Seite wissen, doch so wie er sich das vorstellte, würde es wohl nie sein.
»Willst du noch immer die Reise durch die Reiche machen? Sie würde bald anstehen und ich dachte, es wäre eine gute Auszeit für uns nach der Hochzeit.«
Bei seinen Worten blickte Lilitha auf und ihre goldenen Augen wurden groß. »Oh ja, sehr gern«, stimmte sie mit Freude in der Stimme zu. Auf dieser Reise würde sie Kaden hoffentlich länger für sich haben und auch nicht so viel Angst haben müssen. »Können wir auch in Kobu Naoru Halt machen?«, fragte sie. Den Namen ihrer ehemaligen Heimat auszusprechen war seltsam und doch weckte es eine gewisse Sehnsucht in ihr. Sie wusste, dass man die Stadt zum Großteil wieder aufgebaut hatte und sie brannte darauf zu sehen, was daraus geworden war.
»Ja, dort geht es auch hin«, lachte er als Antwort leise und genoss Lilithas strahlenden Anblick, den er so lange nicht mehr gesehen hatte.
»Ich bin dort geboren«, erklärte sie leise und ihre Stimme hatte etwas Sanftes, als würde sie in Erinnerungen schwelgen. »Nicht ganz in Kobu Naoru, sondern in einem kleinen Haus abseits der Stadt.«
Kaden schwieg und widerstand dem Drang, Lilitha anzusehen. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihm sowas anvertrauen würde, da sie auch sonst nie über ihr Leben vor dem Harem sprach. Deswegen hatte er auch nie gefragt. Viele Haremsdamen hatten entsetzliche Gräuel erleben müssen, bevor sie hierherkamen. Lilitha war da sicherlich keine Ausnahme. Er hatte angenommen, dass sie womöglich einfach vergessen und nach vorne blicken wollte.
»Es hat sich dort vieles verändert«, gab er leise zu bedenken und wusste nicht so recht, was er sagen sollte.
»Ich weiß. Als ich von dort fortging, bestand die Stadt größtenteils aus Trümmern«, erklärte sie leise und hatte Sehnsucht in der Stimme. Sie hatte ihre Heimat geliebt.
»Wenn du dorthin willst, werden wir gehen. Aber wenn nicht, ist das auch in Ordnung«, erklärte er vorsichtig. Er fühlte sich, als würde er auf Scherben laufen und lief Gefahr sich Schnitte zuzuziehen.
»Ich würde schon ganz gern sehen, was aus der Stadt geworden ist«, gestand sie.
Er wollte Lilitha nicht melancholisch stimmen. Doch sie hatte ein Recht darauf, zu sehen, was aus ihrer Heimat geworden war.
Wenn sie jetzt daran zurückdachte, kam ihr alles noch immer so surreal vor. Der Krieg hatte ihre Weltanschauung und das, was sie glaubte, als richtig zu erachten, ganz schön durcheinandergebracht.
Gedankenversunken blickte sie auf die Stadt. Sie wurde Highlady. Das würde in der Stadt, die sie als Verräterin betrachtete, sicherlich nicht gut ankommen. Aber sie war nicht gewillt, dem Weg ihrer Eltern zu folgen.
Ein kurzes Schielen zu Kaden ließ sie sich fragen, ob es gut war, wenn sie in ihrer Heimat vorbeischauten. Vielleicht hätte sie lieber dafür sorgen sollen, dass er nicht erfuhr, woher sie kam, aber sie hatte versprochen, dass sie ihm nach der Hochzeit alles erzählen würde. Warum dann nicht in der Stadt, wo alles angefangen hatte?
Kaden beobachtete sie eine Weile und schien in ihrem Gesicht etwas zu suchen, was er nicht zu finden vermochte. Langsam, jedoch wie selbstverständlich, hob er die Hand und strich mit dieser durch Lilithas Haar, um es aus ihrem Gesicht zu schieben. »Dir wird nichts geschehen, solange wir dort sind«, versprach er und wusste, dass er alles dafür tun würde, dass Lilitha sich in ihrer alten Heimat eines Tages wieder wohlfühlen würde.
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