Kapitel 2

Sein erster Gedanke war es, einen Arzt zu kontaktieren, doch war diese Idee gut? Und wieso konnte sie ihn nicht sehen? Der Anblick, wie sie sich auf dem Bett zusammenrollte, als würde sie sich vor allem verstecken wollen, war geradezu grausam.

»Wer hat dich da runtergebracht?«, fragte er leise und strich Lilitha vorsichtig über die blasse Wange. Sie wirkte so zerbrechlich, dass er befürchtete, sie wäre aus Glas und würde jeden Moment zerspringen.

»Ich weiß nicht«, erklang ihre raue Stimme schwach. »Das Gift ...«, flüsterte sie erschöpft. »Ich habe nur Stimmen gehört«, bemühte sie sich keuchend hervorzubringen, bevor sie sich vor Schmerzen krümmte. »Eine Männliche und viele Weibliche.« Ihr Atem ging rasselnd und sie hatte Mühe überhaupt zu sprechen. Noch immer war das Gift in ihrem Körper und forderte seinen Tribut.

Ein wenig zittrig sog Kaden die Luft ein und strich über das spröde, rote Haar an Lilithas Kopf. »Ruh dich aus. Ich ... was kann ich tun?« Ihm war deutlich anzusehen und anzuhören, wie überfordert er mit der aktuellen Situation war. Er war kein Arzt und wusste nicht einmal, wo er anfangen sollte, um ihr zu helfen. Hoffentlich wusste Lilitha, was man machen konnte. Immerhin hatte sie Erfahrung in Kräuterkunde und sollte sich mit Giften auskennen. Kadens Hoffnung war, dass es ein Kraut gab, das ihr helfen konnte. Er müsste es vermutlich mischen oder was auch immer man damit tat, doch um ihr zu helfen, würde er es versuchen.

»Es gibt Pflanzen ..., die das Gift aus dem Körper ziehen können«, erklärte sie mühsam und müde, während ihre Stimme immer wieder wegbrach. »Sie hat dunkelrote Blätter.« Ihr Atem ging rasselnd, während sie etwas flüsterte, was wie: »Scharlachlilie«, klang. »Sie stand in dem Zimmer, in dem ich zusammengebrochen bin«, fügte sie keuchend hinzu.

Kaden nickte steif und hörte aufmerksam zu, während er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Eine Pflanze mit dunkelroten Blättern ... Eine Scharlachlilie. Irgendjemand würde schon wissen, was für eine Pflanze gemeint war. Sie zu finden, konnte nicht so schwer sein. Am besten, er sah in der Stadt nach. Nachdem der Wintergarten von Lilitha ausgedörrt war, würde er dort wohl nicht mehr allzu viel finden und er konnte auch nicht darauf hoffen, dass die Pflanze in dem Zimmer, in dem Lilitha zusammengebrochen war, noch stand. »Kannst du mir erzählen, was genau passiert ist?«, fragte er und strich beruhigend durch ihre Haare.

»Ich ... weiß selbst nicht ... was ich glauben soll«, gab sie murmelnd von sich und drückte sich an seine Hand. Sie hatte ihn so vermisst, doch er war am Leben. Das war im Moment alles, was für sie zählte. Am liebsten hätte sie ihm dieselbe Frage gestellt. Denn auch in ihrem Kopf tummelten sich haufenweise Fragen, auf die sie eine Antwort suchte.

Als sie im Kerker gesessen hatte, so vollkommen ohne Licht und Natur, hatte sie geglaubt, ewig dort unten verrotten zu müssen. Womöglich hätte er sie auch für schuldig befunden und sie hinrichten lassen. Doch er war hier und hatte sie aus der Dunkelheit ins Licht gezogen. Sie hatte seinen Geruch wahrgenommen, doch gedacht, es wäre bloß eine Einbildung. Ihr Verstand hatte ihr in den letzten Tagen oft Streiche gespielt. Böse Streiche, die man ausgenutzt hatte. Folter war ihr angedroht worden, wenn sie nicht gestand und ihr gleichzeitig weitere versprochen, wenn sie log.

Man hatte ihr erzählt, wie das Attentat vermutlich abgelaufen sei und manchmal war sie so weit, dass sie sich ebenfalls die Schuld gegeben hatte. Dass sie glaubte, Kadens Mutter sei ihretwegen gestorben, doch sie wusste, dass sie kein Gift ins Essen gemischt hatte.

Womöglich war es auch eine neue Fähigkeit, die sie entwickelt hatte ... es war pflanzliches Gift gewesen, allerdings musste das noch nichts heißen. Sie wäre doch nicht selbst infiziert worden, wenn sie der Auslöser wäre.

»Ich werde dir etwas holen lassen«, flüsterte Kaden, ohne die Hand von ihrem Gesicht zu nehmen und hauchte ihr einen Kuss an die Schläfe. Er würde sie auf keinen Fall allein lassen, egal für wie lange oder wofür. Eher würde er sie mitnehmen, als dass er zuließ, dass ihr nochmal etwas Derartiges zustieß.

Lilitha genoss diese Art der Zuneigung zwar, hatte aber gleichzeitig Angst, dass sie vielleicht doch eine neue Gabe besaß und sie das Gift so an Kaden weitergab. Sie wollte ihm nicht wehtun. Regen konnte sie sich aber trotzdem keinen Zentimeter. Dafür war sie noch immer viel zu schwach.

Langsam stand er auf und bewegte sich widerwillig zur Tür, um einen der Eunuchen zu sich zu rufen und ihm besagte Pflanze bringen zu lassen. Vorzugsweise jede, die sie finden konnten, falls es doch die Falsche war.

Mit einem Seufzen drehte er sich zurück zu Lilitha und musterte sie eingehend. »Wann hast du zuletzt getrunken?«, fragte er besorgt und nahm ihre Augen genauer ins Visier. Sie waren von einem weißen Schleier bedeckt, der wohl mit dem Gift zusammenhing. Zumindest war ihm nicht bekannt, dass mangelnde Ernährung so etwas bei Vampiren auslöste.

»Ist noch Anfang Frühling?«, war die verstörende Antwort, die Kaden erhielt, nachdem Lilitha lange darüber nachgedacht hatte.

Ohne großartig zu zögern, stieß er sich von der Tür ab, um ihr eine kleine Flasche rauszusuchen. Vorsichtig half er ihr, sich aufzusetzen und legte die Flasche an ihre Lippen. »Trink. Ich werde dir etwas zu essen bringen lassen.«

Sie gehorchte ohne Murren und leerte die gesamte Flasche, was zeigte, wie viel Durst sie hatte. Normalerweise begnügte sie sich mit recht wenig. Und es half ein bisschen. Zumindest wirkte ihre Haut nicht mehr wie durchsichtiges Papier.

Etwas erleichterter schloss Kaden die Augen und lächelte schwach. »Tut mir leid, dass ich so lange weg war«, begann er leise, während er die Flasche in seiner Hand drehte und musterte. »Ich hätte hierbleiben sollen.«

»Du hattest Verpflichtungen. Niemand hat erwartet, dass so etwas passieren würde«, murmelte Lilitha leise und tastete mit der Hand, bis sie Kadens Wärme fand. Als würde sie sich vergewissern wollen, dass er wirklich da war.

»Das entschuldigt nicht, dass du jetzt verletzt bist«, presste er schuldbewusst hervor, jedoch eher aus Wut auf sich selbst, als auf Lilitha. An seine Mutter wollte er erstmal lieber nicht denken. Er war noch nicht bereit, sich dieser Tatsache zu stellen und akzeptieren konnte er sie erst recht nicht.

»Ich glaube, es war die Suppe«, brachte Lilitha mühsam hervor. Es fiel ihr etwas leichter zu reden, doch angenehm war es noch lange nicht. Aber Kadens Gegenwart stärkte sie.

»Du wirst schon wieder. Keine Sorge, ich werde dich nicht so einfach gehen lassen«, flüsterte er ihr möglichst beruhigend zu und streichelte ihr wieder über das Haar. Er hatte sie so vermisst und kaum eine Minute gehabt, in der er nicht an sie denken musste. In den letzten Kilometern war es ihre Brosche und die Euphorie, die ihn angetrieben hatte, schneller zu reiten. Doch als er sie dann im Kerker gesehen hatte ... das hatte er nicht erwartet.

Ein leises, fast zögerliches Klopfen riss Kadens Aufmerksamkeit auf sich und er erhob sich, um zur Tür zu gehen. Solange Lilitha so angeschlagen war, würde er niemanden einlassen.

Vor ihm stand einer der Eunuchen, in den Händen eine Pflanze mit gekringelten, roten Blättern. »Diese stand bei Mylady, als man sie fand. Ich hatte Angst, Sergej würde sie verschwinden lassen«, erklärte der Diener, der seinen Blick gesenkt hielt.

Resigniert zuckten Kadens Finger, als er nach der Pflanze griff. Mit einem Nicken nahm er sie stumm entgegen. »Bringt das heutige Abendmahl in meine Gemächer«, befahl er. Der Mann nickte und Kaden schloss die Tür. Hoffentlich war das die richtige Blume. Er kannte sich mit Pflanzen nicht gut genug aus, um ein Urteil darüber zu fällen, ob es sich um eine Scharlachlilie handelte.

Mit der Pflanze in der Hand trat er auf Lilitha zu und hob sanft ihre Finger, um sie zur Blume zu führen. »Hier«, murmelte er. Die Pflanze schlängelte sich um ihre Hand herum und Blätter wuchsen aus dem Strang. Nach und nach verwelkten die blutroten Blüten, bis sie tot und braun von dem satten Grün hinabsegelten. Lilitha seufzte und entspannte sich etwas. Erleichtert schloss sie die Augen und ließ sich in die Kissen sinken, während Kaden sie fasziniert beobachtete. Diese Frau war wirklich einzigartig. Das Gift musste sich in den Strang gesaugt haben und verließ so ihren Körper, damit sie sich regenerieren konnte.

Blinzelnd schlug sie die Augen wieder auf und blickte an die Decke. Kaden konnte tatsächlich wieder den goldenen Schimmer in ihren Iriden erkennen, jedoch nicht mit einem so intensiven Leuchten, wie er es von ihr inzwischen gewohnt war. Ihr Blick richtete sich auf Kaden und musterte diesen, ehe sie lächelte. Ja, richtig strahlte. »Du bist wirklich wieder da und unverletzt.«

Mit einem erleichterten Keuchen lächelte er ungläubig und lehnte sich ein Stück weiter zu ihr runter, um sie in eine feste Umarmung zu ziehen, als könnte sie ihm jede Sekunde wieder entrissen werden.

Lilitha schmiegte sich an ihn und schluchzte leise. »Als es hieß, du bist verschwunden, habe ich das Gefühl gehabt, mein Herz bricht«, flüsterte sie heiser.

»Es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast«, flüsterte er zurück und streichelte ihr mit regelmäßigen Berührungen sanft über den Rücken. »Ich werde nicht zulassen, dass dir nochmal etwas passiert.«

Lilitha nickte schwach. »Glaubst du, wir finden heraus, wer das war?«, fragte sie mit müder Stimme. Sie wollte unbedingt wissen, wer schuld an dem Tod ihrer einzigen Freundin hier war.

Kaden schloss ergeben die Augen, als ihm erneut die Gedanken über seine Mutter in den Kopf schossen. Er fühlte sich sogar schuldig dafür, dass er zuerst zu Lilitha wollte, anstatt zu seiner Mutter. Die Frau, die ihm das Leben geschenkt und ihm all das hier in gewisser Weise vermacht hatte.

Nein. Jetzt war nicht die richtige Zeit, um sich in Melancholie zu suhlen. Lilitha brauchte ihn und er musste für sie da sein.

»Das werde ich, keine Angst. Doch du solltest dich erstmal ausruhen, du brauchst viel Erholung. Ich werde dich aufwecken, sobald das Essen da ist«, erklärte er sanft, aber bestimmt und zwang sich, die Umarmung ein wenig zu lockern und ihr Gesicht in seine Hände zu nehmen.

Zärtlich strich er mit dem Daumen über ihre weiche Wange und legte seine Stirn an ihre, um sanft ihre Nasenspitze mit seiner anzustupsen.

Es verging nicht viel Zeit, als Lilitha auch schon seiner Bitte nachkam und sich dem Schlaf hingab. Sie war so unendlich müde, doch ihr Körper sehnte sich unnatürlich stark nach Kadens Anwesenheit. Sie war froh, dass er keine Sekunde von ihrer Seite wich. Auch wenn sie sich Schuldgefühle machte, dass er ihretwegen seine Pflichten vernachlässigte.

Es war zwar egoistisch, doch sie genoss einfach die Nähe, die er ihr bot.

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