Story
A/N: Die Story, auf die du so lange gewartet hast... Hehe
Oh und TW wegen Gewalt und Blut. Geht einfach nicht ohne, lol
Müde schlug ich die Augen auf. Irgendwas hatte ich geträumt, irgendwas mit ihm. Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf seit gestern Nacht...
Es klopfte, doch mein müdes Hirn nahm das Geräusch nur am Rande meines Bewusstseins wahr. Viel mehr ärgerte ich mich, dass ich in dieser Hütte fast keine einzige Nacht durch- und ausgeschlafen hatte. Erstaunlicherweise hatte mich das Schnarchen meiner besten Freundin erst einmal aufgeweckt - und das, obwohl ihr Schnarchen echt unerträglich war. Auch jetzt gerade schnarchte sie leise vor sich hin. Liebte ich Jule nicht so, hätte ich sie schon das ein oder andere Mal mit einem Kissen im Schlaf erstickt.
Doch kaum hatte ich das gedacht, schämte ich mich. In dieser Hütte gab es einen Mörder und ich machte solche Scherze? Das war unsensibel.
Doch der Gedanke an den Mörder brachte auch die Erinnerung an ihn und gestern Nacht... Jetzt erst drang das leise Klopfen in mein Bewusstsein. Ich setzte mich auf und drehte den Kopf zu der Geräuschquelle. Tatsächlich sah ich durch den ins Fenster schimmernden Mondschein den dunklen Umriss einer Hand, die klopfte.
Ich konnte nicht anders als zu grinsen, als ich von der knarzenden Matratze sprang und mit möglichst leisen Schritten auf das Fenster zuraste. Hastig öffnete ich das Fenster. Die behandshuhte Hand wollte sich zurückziehen, aber ich war schneller. Am Handgelenk zog ich den Rest des Körpers entgegen der gewünschten Richtung. Angenehm überrascht stolperte Cay in mein Sichtfeld. Als er mein Gesicht sah, lächelte er.
„Hi.“ - „Hey.“
Leise neckte ich ihn: „Gestern Nacht hast du mich schon aus dem Schlaf geklopft. Wird das jetzt zur Gewohnheit?“ Cay schüttelte stumm schmunzelnd den Kopf. Er hob die behandschuhte Hand, die ich nicht gepackt hatte und lockte mich mit seinem Finger.
„Willst du dir wirklich jedes Mal den Arsch abfrieren, wenn wir privat miteinander reden?“, wisperte ich. Direkt schoss er zurück: „Willst du lieber, dass Moritz uns umlegt?“
Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter, nicht allein den Minustemperaturen geschuldet, die der Wind an meine entblößten Arme trug. Ich ließ mir nichts anmerken und nickte ihm zu. „Touché.“
Dann legte ich den Kopf schief. „Fünf Minuten sollten mir zum Umziehen reichen, denke ich. Hälst du das noch aus?“
Gespielt entsetzt packte er sich ans Herz. „Da sterbe ich ja vor Sehnsucht!“, behauptete Cay, ehe er mir zuzwinkerte. „Wir treffen uns hinter'm Haus.“ Kaum ließ ich sein Handgelenk los, verschwand er in die Nacht. Schnell schloss ich das Fenster. Ich fröstelte, doch schon durch den Gedanken an Cay wurde mir warm ums Herz. Ich seufzte. Es war nicht mehr zu leugnen, ich hatte mich verliebt.
...
Kaum vier Minuten später trat ich nach draußen in den knirschenden Schnee. Der Wind striff eiskalt mein Gesicht, doch es war nicht allzu unangenehm; ich war warm genug angezogen. Die Luft war klar, am Himmel gab es nur vereinzelte Wolken. Ich schloss ab und blieb erstmal stehen, überwältigt durch die Schönheit der Nacht. Der Schnee glitzerte sanft unter dem hell scheinenden Mond und der Wald lag still da. Cays vorsichtig gesetzte Fußstapfen waren im frischen Schnee gut zu sehen. Ich folgte ihnen.
Kaum bog ich um die Ecke, hob Cay den Kopf. Sein Blick traf meinen und einen Moment lang fehlte mir der Atem. Den ausbleibenden Atemwölkchen Cays nach zu schlussfolgern, ging es ihm genauso. Ich schritt auf ihn zu, der Moment schien unendlich. Als ich vor ihm stehen blieb, war nichts weiter zu vernehmen als das Pfeifen des Windes und das ferne Wispern des Tannenwaldes.
Cay nahm meine Hand in seine. Die Wärme spürte ich selbst durch meine Stoffhandschuhe und seine ledernen hindurch. Einige Wimpernschläge lang sahen wir uns noch an, ehe Cay seine Hand aus meiner löste und mich an sich drückte. „Ein ganzer Tag, an dem ich so tun musste, als wärst du mir egal“, flüsterte er in mein Ohr, „ich hab dich so vermisst.“ Ich lächelte selig an seiner Schulter und presste ihn fester an mich, sog seinen Duft ein.
„Ich will jeden verbleibenden Moment mit dir auskosten. Wenn du Moritz schon ausgeliefert bist, sollst du wenigstens mit einem Lächeln auf den Lippen sterben“, sagte ich, während er über meinen Rücken strich. Ich spürte es zwar kaum, aber die Geste an sich zählte. „Weißt du“, antwortete er, wobei ich das Lächeln in seiner Stimme hören konnte, „vielleicht habe ich eine Möglichkeit gefunden, wie uns doch noch Zeit bleibt.“
Verblüfft brachte ich ihn auf Abstand, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Ehrlich?“
Er nickte lächelnd, nahm meine Hand, sagte „Komm!“, und lief los. Neugierig stolperte ich hinter ihm her, als er mich ums Haus führte und an der Treppe zur Straße stehen blieb. Er wandte sich mir zu und warnte, die Treppe sei vereist. Dann stieg er die erste Stufe hinunter. „Wohin führst du mich?“, erkundigte ich mich, wohlwissend, dass ich ihm bis ans Ende der Welt folgen würde. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen antwortete er: „In ein neues, sichereres Leben.“
Unbeschadet unten am Berg angekommen, führte er mich zu einem blauen Wagen und blieb davor stehen. Er erklärte: „Moritz und Fiona sind nicht blöd - sie haben natürlich dafür gesorgt, dass wir nicht einfach abhauen. Die meisten Reifen sind zerstochen, Moritz hat seinen Tank geleert und behauptet, er sei ausgelaufen und an meinem Auto hat er sich auch irgendwie vergriffen, wie er mir berichtete.“
Ich nickte. „Logisch, so würde es vermutlich jeder machen“, antwortete ich, woraufhin ich einen suspekten Blick von Cay erntete. „Wäre ich nicht so vernarrt in dich, hätte ich vermutlich Angst“, kommentierte er. Ich rollte bloß schmunzelnd mit den Augen.
„Was hat er denn an deinem Auto gemacht?“, erkundigte ich mich. Statt zu antworten, verzog Cay sein Gesicht vorerst nur zu einer gequälten Grimasse. „Weiß ich, ehrlich gesagt, nicht“, gab er zu, „er hat es mir - auch auf Nachfrage - nicht gesagt und sicher konnte ich es nicht rausfinden. Die Flüssigkeiten sind's nicht, ebensowenig die Reifen. Ich hab die Bremsen im Verdacht, kann es aber bisher nicht sicher sagen, weil ich mich nicht traue, ihn zu fahren.“
Ich hob eine Augenbraue und fragte: „Du erwartest nicht, dass ich den Wagen fahre, oder?“ Die Frage war eher scherzhaft gemeint, jedoch kam das nicht ganz an, denn Cay versicherte mir eilig, das sei nicht der Plan gewesen. „Ich würde eher mein Leben für deins geben als umgekehrt!“, behauptete er und schloss mich erneut in meine Arme. An meine Haare hauchte er: „Du bedeutest mir die Welt...“
Einen Moment lang genossen wir bloß die friedliche Nähe des Anderen, bevor er sich von mir löste, mir ernst in die Augen sah und hinzufügte: „... und ich werde meine Welt beschützen, koste es was es wolle.“
Prompt biss sich die eisige Kälte mit meinen brennenden Wangen. „Ich liebe dich auch, Cay“, erwiderte ich, auch wenn es mir ziemlich schwach vorkam.
„Auf jeden Fall“, er räusperte sich und begann von vorne. „Auf jeden Fall dachte ich mir, dass wir deinen Wagen nehmen könnten. Klar, deine Reifen sind zerstochen, aber den vorderen linken Reifen haben sie vergessen. Wir alle müssten noch je einen Ersatzreifen im Kofferraum haben, also sind das nochmal drei, an die wir rankommen - deiner, meiner und Moritz'. Kommst du soweit mit?“
Ich nickte. „Also schlägst du vor, die drei Ersatzreifen einfach alle an ein Auto zu montieren und wegzufahren? Meinst du nicht, dass er sowas bedacht hat? Wie kommen wir da überhaupt dran?“, hakte ich nach. Cay neigte den Kopf abwechselnd nach links und rechts. „Naja... Moritz würde seinen eigenen Wagen nicht ernsthaft anrühren. Seine Reifen sind jedenfalls alle intakt, damit er zur Not fliehen könnte. Er bedenkt sowas immer... Somit wird seine Vorsicht zu unserer Chance“, merkte er an.
Ich biss mir auf die Lippe und gab zu bedenken: „Selbst wenn wir es schaffen, die Reifen zu wechseln und wegzufahren bevor der Tag anbricht, was ist mit Jule und dem Rest?“ Cay grinste.
„Das ist das Gute daran: wir müssen's nicht schaffen, bevor der Tag anbricht. Moritz hatte erwähnt, dass er mich am liebsten mit einem scharfen Gegenstand versehentlich verletzen würde. Wenn ich morgen beim Kochen nicht mithelfe und sage, ich hätte keinen Hunger, hat er keine Möglichkeit. So kann ich mir Zeit verschaffen, dann haben wir diese Nacht für ein bis zwei Reifen und morgen Nacht für den Rest. Mach dir deshalb keine Gedanken, das schaffen wir“, beschwichtigte er mich.
Ich verschränkte die Arme. Kritisch antwortete ich: „So schön das in der Theorie auch ist, du hast nur die Hälfte meiner Frage beantwortet. Was denkst du, was mit den Anderen passiert, wenn wir zwei verschwinden? Womöglich verdächtigen sie einen von uns, den Anderen entführt zu haben oder merken nichtmal, dass der Wagen fehlt und halten uns für tot. Dann wird es für Moritz und Fiona nur leichter, den Rest abzumurksen. Also ja, super Plan, echt!“ Zum Ende hin redete ich mich in Rage. Kopfschüttelnd ging ich alles im Kopf nochmal durch.
Cay hatte unterdessen seine Hand nachdenklich an den Mund gelegt und starrte zu Boden. Kurz hob er die Hand vom Mund fort und gab zu: „Hast recht, das hab ich irgendwie nicht so recht bedacht.“ Dann versank er weiter in Grübeleien.
„Wie hast du überhaupt gedacht, wie das funktioniert? Dachtest du ernsthaft, wir könnten abhauen, ohne dass jemand etwas merkt und mal eben nach Mexiko durchbrennen?“, schimpfte ich weiter. Cay hob den Kopf und witzelte: „Würdest du denn gerne mal nach Mexiko?“ Ein strenger Blick meinerseits ließ ihn verstummen.
„Hast ja recht, “, gab er nach einer Weile klein bei, „war eine blöde Idee.“
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich widersprach: „Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, wieso mir das nicht direkt eingefallen ist, aber wir könnten auch zur Polizei fahren, damit sie noch in derselben Nacht kommt, um Moritz und Fiona festzunehmen!“ Cay schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. „Natürlich!“ rief er aus.
Wir nickten einander zu, ehe wir lachen mussten. Irgendwie war das alles so surreal... „Dann mal los, vielleicht bekommen wir diese Nacht doch zwei Reifen fertig.“
...
Am nächsten Morgen wachte ich trotz meines leichten Schlafentzuges voller Elan auf. Beim Frühstück konnte ich nicht anders, als Cay den ein oder anderen verschwörerischen Blick zuzuwerfen. Er ignorierte mich natürlich gekonnt. Immerhin saß Moritz direkt neben ihm und beobachtete ihn genau. So wie er ihn direkt und indirekt anstarrte, kam er mir vor wie eine aggressive Taube; er schien an sich ungefährlich, würde einem aber gerne die Augen auskratzen - und dies auch tun, wenn sie die Gelegenheit böte.
Nicht nur einmal ertappte ich mich dabei, Löcher in die Luft zu starren, in Gedanken bereits mit Cay am Auto meiner Freundin Jule. Eben genannte wird vermutlich sehr sauer sein, wenn das Ganze vorbei ist, weil ich ihr nicht Bescheid gesagt habe - da bin ich mir sicher -, und das nicht nur, weil es ihr Wagen ist. Sie wird mir bis ans Ende meiner Tage Predigten halten, weil es gefährlich sei. Allerdings war es mir, ehrlich gesagt, lieber, mein Leben zu verlieren beim Versuch, es zu retten, als nur rumzusitzen.
Allerdings war mir ebenfalls klar, dass wir in der kommenden Nacht ranklotzen müssen. Da Reifenwechseln anstrengender ist als gedacht, haben wir die eine oder andere Pause eingelegt - zack - im handumdrehen war es vier Uhr morgens. So schafften wir wirklich nur einen Reifen.
Würden wir in dem Tempo weitermachen, bekäme Moritz von unserem Plan mit, ehe man „Reifendruckkontrollsystem“ sagen könnte. Ganz zu schweigen von unseren Gefühlen...
Allein schon Cays Sicherheit wegen, war es wichtig, uns in der kommenden Nacht zu beeilen. Ganz zu schweigen vom Rest natürlich - Yan und Colin waren ja noch nicht einmal volljährig.
Es hing einfach zu viel davon ab.
...
„Beeil dich, die Sonne geht bald auf!“, trieb mich Cay an. Ich ächzte. Ohne den Blick vom Reifen abzuwenden, widersprach ich: „Hier geht die Sonne spät auf und früh unter. Wenn du also mit ,bald' ,in fünf Stunden' meinst, dann ja, du hast recht, die Sonne geht bald auf.“ Hinter mir hörte ich meinen Partner von einem Fuß auf den anderen treten. „Stimmt schon“, räumte er ein, „aber wenn wir nicht bald reingehen, wird es auffällig. Dann müssen wir zumindest zu unterschiedlichen Zeiten reingehen. Zu zweit - keine Chance, da könnten wir auch gleich mit 150 Sachen in einen Baum fahren.“
Ich nickte. „Ich weiß.“ Dann zog ich die letzte Radmutter fest. Ich wandte mich um und blinzelte zu Cay hoch. Dieser hielt die Taschenlampe, weshalb ich überhaupt sehen konnte. Ich sah sein Seitenprofil, da er sich mal wieder umsah wie ein Reh, das beim kleinsten Knacken für zehn Minuten die Umgebung beobachtet. Seit Moritz angefangen hatte, ihn zu erpressen, war er regelrecht paranoid - er war fest davon überzeugt, Moritz würde alles manipulieren und ihn abhören. Jederzeit rechnete er damit, dass Moritz käme und uns ins Jenseits schicke. Konnte ich es ihm verübeln? Nein. Nervte es trotzdem? Ein bisschen.
Ich sagte: „Zeit für den letzten Reifen.“
Cay hinter mir schnaubte, schaltete die Taschenlampe aus und antwortete: „Den letzten Reifen? Hast du nicht realisiert, wie spät es schon ist? Ich hab's doch eben schon gesagt: wir fliegen auf, wenn wir heute noch den letzten Reifen wechseln. Wir müssen das auf morgen Nacht verschieben. Gehst du zuerst rein?“
Da stand ich auf. „Du machst wohl Witze.“ Cay ließ die Taschenlampe sinken und knipste sie aus. Ehe er antworten konnte, fuhr ich kopfschüttelnd fort: „Wir können nicht noch einen Tag warten. Mit jedem Tag und jeder Nacht steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir auffliegen oder Moritz dich umbringt. Das können wir nicht zulassen!“ Um meine Aussage zu unterstreichen, stampfte ich auf und stemmte die Hände in die Hüften.
Cay kniff die Lippen zusammen. Er vermied strikt den Augenkontakt, als er mit leiser Stimme sprach: „Wir müssen das Risiko in Kauf nehmen,“ - seine Stimme klang belegt - „denn wenn man etwas unbedingt haben möchte, muss man etwas Anderes“ - sein Blick flackerte zu mir hoch und meine Kehle schnürte sich zu - „vielleicht abgeben. Man kann nicht alles haben. Ich hatte in meinem Garten mal eine Rose, aber mein Hund wollte unbedingt im Garten spielen. Mir war klar, ich musste entweder die Rose ausbuddeln oder dürfte meinen Hund nicht in den Garten lassen - sonst hätte es womöglich beiden geschadet. Hier ist es genauso. Verstehst du?“
Mein Mund klappte auf, doch kein Ton kam heraus. Was versuchte er zu sagen? Alles was bei mir ankam war, dass er bereit war, etwas zu opfern - scheinbar für sich. Und dieses etwas schien ich zu sein... Wie genau er sich das vorstellte, verstand ich allerdings nicht.
Trotzdem brauste ich auf über so eine Aussage. Ich versuchte, ihm möglichst ruhig zu sagen, was ich davon hielt. Ich meinte, er sei ja nicht ganz dicht und er könne sowas nicht machen. Cay unterbrach mich immer wieder und versuchte, sich zu rechtfertigen.
„Es wäre einfach das kleinere Übel! Ich meine, Moritz macht's so oder so, wenn unser Plan scheitert. Das ist ja auch nur ein Plan B, verstehst du?“, argumentierte er.
Ich schnappte empört nach Luft. „Dass du dich überhaupt wagst, so etwas auszusprechen!“ - „Es ist immerhin besser, als dass Moritz mich in die Finger bekommt!“ - „Du bist so ein Egoist!“ - So ging das eine ganze Weile weiter. Doch irgendwann hatte ich genug. Ich sagte: „Mir reicht's, ich mach Schluss. Ich wusste ja nicht, dass du so drauf bist. Du bist genau wie Moritz und Fiona!“
Damit wandte ich mich zum Gehen, doch Cay packte mich am Arm. „Warte“, bettelte er, seine Stimme war nun flehend. Als ich ihm wütend in die Augen sah, gefror mein Blick fast augenblicklich, denn er hatte Tränen in den Augen. Er manipuliert dich bestimmt nur, meinte eine Stimme in meinem Hinterkopf, also versuchte ich, sauer zu bleiben, als er sprach.
„Verstehst du denn nicht“, appellierte er, „dass das womöglich die einzige Möglichkeit ist, dass wir nicht beide sterben? Verlass mich nicht. Ich liebe dich, Saphira.“
Bam. Diese Worte rissen mich entzwei. Einerseits sah ich die Angst in seinen Augen, sein Bedauern, während sein letzter Satz immer wieder in meinem Kopf widerhallte. Andererseits trieb mir der Zorn über seinen Egoismus die Röte ins Gesicht, besonders dadurch, dass er seine Absicht mir so lammfromm auftischte, als sei er wirklich nur das arme Schaf, das vom Wolf gejagt wurde.
Aber er war kein Lamm. Er war eine Spinne im Netz einer anderen, er klebte fest, Moritz die Spinne kam immer näher. Mit einem Ablenkungsmanöver könnte er sich noch befreien; eine fette Fliege könnte ins Netz fliegen, sodass die Spinne lieber die frisst, während er sich aus dem Staub macht.
„Such dir eine andere Fliege!“, zischte ich Cay zu und riss mich los. Endgültig stürzte ich durch die Nacht davon, den verwirrten Mann zurücklassend.
...
Am nächsten Tag stand ich mit dem falschen Fuß auf. „Hast du deine Tage?“, spottete Moritz grinsend, als ich mir schlurfend meinen Kaffee holte. „Hast du 'n Clown gefrühstückt?“, fauchte ich, „Kümmer dich um deinen eigenen Kram.“ Auch Noël konnte es nicht lassen, blöde Sprüche zu reißen. Erst bei Gewaltandrohung hörten sie auf.
Auch Jule nahm mich noch vor dem Essen zu Seite und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. „Jaja, alles okay“, tat ich es ab, sah ihr aber nicht in die Augen. Ich war nicht bereit, darüber zu reden - mal ganz abgesehen davon, dass Moritz natürlich nach wie vor nichts mitbekommen durfte. „Sicher?“, hakte Jule nach. Ich stieß genervt die Luft aus und brachte knirschend ein „sicher“ hervor. Jule verstand, sie ließ mich in Ruhe.
Und als wären die blöden Sprüche und Blicke der anderen noch nicht genug, sah mich Cay dauernd unauffällig entschuldigend an, wenn niemand anders hinsah. Einmal formte er sogar „Es tut mir leid“ lautlos mit den Lippen. Ich ignorierte ihn. Selbst wenn, er konnte mir gestohlen bleiben.
Nach dem Frühstück hatte ich schon genug, ich verzog mich bis zum Mittagessen auf mein Zimmer. Später teilte mir Jule dann mit, die Anderen hätten Bock, Ski fahren zu gehen und fragte, ob ich auch wollte. Widerwillig sagte ich zu, bat sie jedoch, in meiner Nähe zu bleiben. Momentan konnte ich niemanden ab, aber Jule war schon immer eine Ausnahme gewesen. Sie sagte zu.
Gesagt getan, ein Weile später befanden wir uns auf der Piste. Die frische Luft bescherte mir einen klaren Kopf und das Skifahren lenkte mich ab. Erst als Jule und Stacey irgendwann wieder anfingen, zu flirten, schwand meine gute Laune wieder; es erinnerte mich an vergangene Nacht.
„Fira, komm, wir fahren wieder hoch. Diesmal schaffe ich es bestimmt, zu bremsen“, trieb mich Jule an. Stacey umarmte sie von hinten, flüsterte meiner besten Freundin was ins Ohr und die beiden kicherten. Mir wurde schlecht. Warum konnte ich sowas nicht haben? Warum musste ich mich in ihn verlieben?
Ich versuchte mich an einem schiefen Lächeln. An Jules Augen sah ich, wie schlimm ich verkackte. „Ich will von hier unten sehen, wie du dich auf die Schnauze legst“, redete ich mich raus. „Bist du sicher?“ Ich stieß genervt die Luft aus, ehe ich irgendetwas sagte, damit sie ging. Und sie gingen. Allein blieb ich zurück, mit einer Stimmung wie ich sie sonst selten hatte.
Ein Blick die Piste hoch bewies mir, dass die Piste abgesehen von uns vollkommen leer war. Der Vermieter der Hütte hatte auch die Skipiste erwähnt, aber hier kamen ganz offensichtlich wenige Menschen her. Demzufolge musste der Lift ihm gehören. Dieser Typ musste echt viel Geld haben...
Als ich aus meinen Tagträumereien erwachte, sah ich, wie Cay oben am Berg losfuhr. Hoffentlich stürzt er. Er soll sich wehtun, dachte ich bitter. Plötzlich tat sich tatsächlich was: Cays Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse, zugleich krümmte er sich nach vorne. Es schien, als tue ihm der Bauch weh. Wenige Sekunden später fiel er hin, überschlug sich ein paar mal und versuchte krampfhaft, sich im Schnee festzukrallen. Kurz vor dem Ende der Piste gelang es ihm auch, zum Stillstand zu kommen, seine Beine ungesund verdreht. Instinktiv rannte ich los, um ihm zu helfen, vergaß allen Zorn.
„Cay!“, rief ich schon von Weitem, „Cay, geht es dir gut?“ Der Angesprochene schien mich nicht zu hören, er lag bloß da und regte sich nicht. Du bist so ein schlechter Mensch!, fuhr ich mich selbst an, man soll ja vorsichtig sein, was man sich wünscht. „CAY!“, rief ich weiter, mittlerweile war ich fast bei ihm, doch nach wie vor keine Reaktion. Das Herz sank mir in die Hose. Hatte ich ihn mit bloßer Willenskraft getötet?
Vor ihm bremste ich schneespritzend ab, fiel aber durch meinen Schwung trotzdem neben ihm auf die Knie. „Cay!“ wiederholte ich mich. Immernoch keine Reaktion. Hektisch überstreckte ich seinen Kopf, hob sein Kinn an und kontrollierte seinen Atem. Als sein warmer Atem meine Wange strich, atmete ich erleichtert auf - dabei hatte ich nicht bemerkt, den Atem gehalten zu haben.
Hilflos sah ich mich um. Ich konnte ihn nicht einfach hier liegen lassen, aber Jule und Stacey waren noch immer im Lift. Der Rest war noch oben auf der Piste, schien sich zu unterhalten und nichts mitzubekommen. Panik stieg in mir auf. Fieberhaft überlegte ich, ihn zu tragen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Mir war klar, ich war nicht stark genug und der Weg zu lang; das würde nicht funktionieren.
Da ich keine Ahnung hatte, was ich sonst tun sollte, legte ich ihn erstmal so gut wie möglich in die stabile Seitenlage. Sowie ich ihn stabil hingelegt hatte, zog ich blitzschnell meine Jacke aus. Lieber würde ich erfrieren als ihn sterben zu lassen. Blitzschnell sprang ich danach auf. Ich brauchte jetzt Hilfe. Also winkte ich so aufmerksamkeitsheischend wie ich konnte und schrie. „HILFE! HILFE, CAY IST VERLETZT!“, brüllte ich so laut ich konnte. Aber es kam niemand, ich sah niemanden. Mittlerweile mussten auch Jule und Stacey oben angekommen sein - offenbar hatten sie mich auch nicht gehört.
Ängstlich sah ich zu Cay herunter, schnappte mir die Mütze und den Schal vom Kopf und gab ihm auch noch beides. Ich fror mir zwar den Arsch ab, aber er war gerade einfach wichtiger. Lange würden wir zwei es so nicht aushalten.
Und wir starben.
(A/N: Nein, jk, Anny, ich will dir nur Angst machen lol)
Irgendwann war ich so verzweifelt, ich fiel auf die Knie und betete. Nur noch ein Wunder konnte uns helfen, dachte ich zähneklappernd. Und tatsächlich, kaum dass ich aufhörte, zu beten, hörte ich etwas. Mein Kopf ruckte hoch und ich sah Colin die Piste runterfahren, in einem Affenzahn. Hastig sprang ich auf und begann winkend zu schreien: „HIERHER! HILFE, COLIN, HIERHER!“
Colin, der offenbar ohnehin schon auf uns zugesteuert war, begann abzubremsen und blieb perfekt neben uns stehen. „Was ist passiert?“, fragte er, seine Augen ruhten auf Cay. Kopfschüttelnd und zähneklappernd antwortete ich: „K-k-keine Ah-nu-nung, er fiel ei-einffffach u-um. Hi-hilf m-mir, ihn weg-zzzzuschaf-fen!“ Colin nickte, zog sich die Jacke aus und legte sie mir um. Ich wollte protestieren, aber er schüttelte resolut den Kopf. Er deutete auf mich, dann auf Cays Füße. Colin selbst positionierte sich hinter Cays Kopf und griff unter seine Arme. Ich verstand. Gemeinsam schafften wir ihn zurück zur Hütte, niemand schien uns zu bemerken.
Irgendwie machte mich das sauer. Wir waren acht Leute, wie konnte es sein, dass niemand es bemerkte, wenn fast die Hälfte fehlte? Mir blieb allerdings nicht die Kraft, Colin zu fragen, ich war viel zu sehr damit beschäftigt, Cay nicht fallen zu lassen, was sich äußerst schwierig gestaltete, da meine Finger mittlerweile taub waren.
Ich ließ mich einfach von Colin führen und so bemerkte ich es nicht einmal, wohin wir gingen, bis wir die Treppe erreicht hatten. Verwundert sah ich zu Colin. „Wir müssen ihn in ein Krankenhaus bringen!“, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. „Wie?“, fragte ich, „Die Reiffen sssind do-doch ka-kaputt!“ - „Vertrau mir.“
Und das tat ich. Hatte ich eine andere Wahl, als dem Sechzehnjährigen vor mir zu trauen? Klar. Aber keine Wahl, bei der die Chance, dass wir alle überlebten, so groß war. Also nickte ich.
Vorsichtig schafften wir Cay runter zu den Autos. „H-hol die Schlüssel f-für den Wagen. U-und eine Deck- Decke!“, wies mich Colin an und pfriemelte die Haustürschlüssel heraus. So schnell es ging folgte ich seiner Anweisung. Als ich zurück war, machte sich Colin schon an Jules Auto zu schaffen. Er schien den letzten Reifen zu wechseln. „W-woher-“, begann ich. Woher wusste er, dass wir die anderen Reifen gewechselt hatten. Oder wusste er das überhaupt?
„Ö-öffne d-das Auto. Da is-ist es e-e-etwas wwärmer“, wies er mich bloß an. Er hatte recht. Es war keine Zeit. Für Erklärungen war später noch Zeit. Ich schloss das Auto auf, wir verfrachteten Cay auf die Rückbank und bedeckten ihn mit den Decken. Meine Jacke nahm ich zurück und gab sie Colin. Dankend nahm er sie an. Wir wechselten so schnell es ging den Reifen, wobei das einzige Geräusch dabei unser Zähneklappern, das Heulen des Windes und das Klappern des Werkzeugs war. Direkt als wir fertig waren, sprang Colin auf, ließ alles stehen und liegen und stieg ein.
Auch ich wollte einsteigen, bemerkte aber Colin auf dem Fahrersitz. „D-du bi-bi-bi-bist zzzu jjung“, protestierte ich. Colin schüttelte den Kopf. „J-ja, a-aber egal, dei-deine Fin-Finger sind kälter als mmeine. I-ich ka-kann fahren“, behauptete er. Ich hatte keine Kraft zu argumentieren, von Zeit ganz zu schweigen. Mittlerweile war es eigentlich auch egal - wenn wir alle an Erfrierungen starben, machte es eh keinen Unterschied mehr, wer am Steuer saß. Also setzte ich mich auf die Rückbank und kümmerte mich um Cay. Kaum schloss ich die Tür, fuhren wir los.
Colin fuhr schnell, aber unglaublich sicher. „Ha-hatte schon ein p-paar Fahr-stu-stunden“, erklärte er, meinem fragenden Blick im Rückspiegel begegnend. Ich nickte und wir fuhren schweigend weiter.
Irgendwann wachte Cay plötzlich auf. „Wo- wo bin ich?“, murmelte er. Ich erklärte ihm, wo er war und was passiert ist. „Zeit für Plan B“, unterbrach er mich, als ich von seinem Sturz berichtete, „dreh um, fahr zur Polizei. Lass mich sterben, damit ihr überlebt.“
Erst da verstand ich: ich war nicht die Rose, er war es. „Oh“, brachte ich bloß hervor. „Was ist?“, fragte Colin, „alles okay da hinten? Spricht er?“ Er nickte, außerstande, viel zu sagen. „Fahr zur Polizei“, krächzte Cay, „nicht zum Krankenhaus. Es ist wichtiger. Moritz ist der Mörder. Fiona ist seine Komplizin.“
Colin setzte zum Widersprechen an, stockte jedoch. „Wa- warte, was?“
Cay wiederholte sich. Colin bog auf den Krankenhausparkplatz ein, während er hin und wieder perplexte Blicke in den Rückspiegel warf. „Wie kommst du darauf?“, hakte Colin nach. An mich gewendet erkundigte er sich, ob Cay einen Schlag auf den Hinterkopf erlitten habe. Ich erklärte ihm, ich wisse es nicht. Cay sagte: „Er hat mich vergiftet. Oben bestand er darauf, ich solle ein Bonbon gegen den Husten nehmen. Ich hätte wissen müssen, dass er mich vergiftet... Deswegen bin ich auf der Piste gestürzt, der Aufprall nahm mir das Bewusstsein. Ihr müsst ihn verhaften lassen, sonst findet er euch!“
Colin und ich tauschten einen Blick. Während wir die Sanitäter ranwinkten, um von der Vergiftung und Unterkühlung zu erzählen (sowie Cays Proteste, lieber schnell zur Polizei zu fahren, ignorierten), erklärte ich Colin alles, was ich wusste.
Die Krankenschwestern nahmen uns die nassen Klamotten ab und gaben uns Decken sowie trockene Kleidung. Cay brachten sie direkt in ein Behandlungszimmer. „Geht so schnell wie möglich zu Polizei!“, rief er ein letztes Mal, bevor er ins Behandlungszimmer kam. Aber wir konnten nicht, der Schock saß noch zu tief, uns war zu kalt und ich wollte ihn nicht alleine lassen; also bleiben wir. Mal ganz abgesehen davon, dass die Krankenschwestern uns dauernd Kakao und ähnliche warme Getränke brachten. „Sowas hilft bei Hypothermie“, erklärte uns eine nette Krankenschwester.
Nach geschlagenen vier Stunden sagte ich, ich ginge zur Toilette. Colin nickte bloß müde. In Wirklichkeit wollte ich einen kurzen Spaziergang machen, um meine Gedanken zu sortieren - hier einfach rumzusitzen, machte mich noch irre. Außerdem war mir gar nicht mehr so kalt. So verließ ich das Krankenhausgelände und lehnte mich zwei Blocks weiter an eine Hauswand. Ich war nach wie vor schwach, deshalb musste ich eine Pause einlegen.
Mittlerweile war es recht spät. In dieser kleinen Stadt kam nur noch alle paar Minuten ein Mensch vorbei. Es war schon kurz vor Weihnachten., doch in der ganzen Aufregung hatte ich das ganz vergessen; erst die Dekorationen der Menschen hier erinnerten mich daran. Nach einer Weile fing es an, zu schneien, weshalb ich beschloss, zurück zu gehen. Doch kaum bog ich um eine Ecke, packte mich jemand, zog mich in eine Gasse und schleuderte mich gegen eine Wand.
Der Aufprall presste jegliche Luft aus meinen Lungen, ich sah Sternchen. Gerade als mein Blick hochflackerte, packte mich eine eiskalte Hand an der Kehle, presste mich gegen den Stein und hielt mich an Ort und Stelle. Reflexartig würgte ich und meine Hände schossen zu meiner Kehle, kratzen meinen Angreifer. „Du entkommst mir nicht“, knurrte Moritz' plötzlich bedrohlich tiefe Stimme. Ich riss die Augen auf und sah in sein hasserfülltes, irres Gesicht.
„Wären du, Schlampe, und dieses Kind nicht gewesen, wäre er jetzt tot. Er hätte es bereut, was er mir angetan hat!“ Ich wollte antworten, konnte aber nur röcheln. Atmen wurde immer schwerer, sein Griff lockerte sich sogar ein bisschen. Ob absichtlich oder nicht, konnte ich nicht sagen - ich wusste nur, dass ich seine Hände keinen Zentimetern bewegt bekam.
Er zischte: „Du. Bist. Schuld!“ Bei jedem Wort schlug er meinen Kopf gegen die Wand. Erneut tanzten Sternchen vor meinen Augen und meine Sicht verschwamm, meine Lungen fühlten sich merkwürdig gepresst an. Mein Sichtfeld schränkte sich ein und meine Befreiungsveruche wurden immer verzweifelter. Plötzlich ließ er mich zu Boden fallen. Ich japste sofort nach Luft, als hätte ich noch nie geatmet. Hustend blickte ich hoch.
„Heute Morgen sagtest du mir, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Aber tust du das denn? Nein! Du scheiß Hure!“, brauste er auf. Er trat mich, mitten in den Magen. Ich heulte auf. „Entschuldige dich!“, verlangte er. Krächzend brachte ich eine Entschuldigung hervor. Fies lächelnd ging er vor mir in die Hocke. Er lobte: „Gut gemacht.“ Dann brach er mir mit einem gezielten Schlag die Nase. Sofort floss Blut. Erneut schrie ich, diesmal leiser. Langsam ging mir die Kraft aus. Das zweite Mal an diesem Tag hoffte ich auf ein Wunder.
Moritz hielt meinen Kopf fest und schlug mir mit der anderen Hand auf die Fresse. Nun schmeckte ich das Blut auch. Ich war nur noch ein einziges Wrack, stöhnte und schrie. „So schnell kommst du mir nicht davon. Niemand kann dir helfen. Du bist jetzt mein, bis ich dich irgendwann erlöse.“ Ein weiterer Schlag, diesmal auf den Arm. Er lächelte irre und versprach: „Ich werde nicht gnädig sein.“ Weiter schlug er auf mich ein.
„HEY!“, hörte ich eine Ferne Stimme. Oder war es eine Einbildung? Mittlerweile verstand ich nichts mehr. Moritz hielt mich auf der Grenze zwischen Bewusstsein und Ohnmacht, ließ mich mich gerade soweit erholen, dass ich nicht starb.
Die blau blinkenden Flecken in meiner Sicht - waren die schon immer da? Der Metallgeschmack sammelte sich in meinem Mund, er hatte mir ein paar Zähne ausgeschlagen - von meiner Nase ganz zu schweigen. Ich musste das Blut in meinem Mund loswerden, also tat ich das Einzige, was ich noch konnte: ich spuckte es ihm ins Gesicht.
Moritz hielt plötzlich inne, sein irres Grinsen wurde erneut zu einer wutverzerrten Fratze. Du hast endgültig verkackt, dachte ich mir noch. Seine Faust raste auf mein Gesicht zu, ich schloss die Augen und verabschiedete mich gedanklich bei all meinen Liebsten.
Gerade als ich dachte, die Faust träfe mich - passierte nichts.
Einen Moment noch blieb ich wo ich war, hörte ferne Geräusche. Aber es klang nicht mehr nur nach Moritz...
War das etwa Fußgetrappel? Und da waren auch ferne Stimmen oder nicht? War ich gerettet? Gerade als ich die Augen aufschlug, zog mich Moritz von der Hauswand weg, holte etwas aus seiner Tasche und schlang seinen linken Arm um meinen Hals, wobei seine Ellenbeuge ungefähr unter meinem Kinn war. Erneut röchelte ich. „Stell dich nicht so an“, presste er hervor, stemmte sich gegen die Mauer und zog so uns beide hoch, wobei er darauf achtete, dass ich mich definitiv nicht befreien konnte.
Kaum lehnte ich mit zitternden Knien an der Mauer, schlang er den freien Arm um meine Taille, um mich zu stabilisieren und löste den linken von meinem Hals. Endlich konnte ich wieder frei atmen. Er nahm den Gegenstand von der rechten in die linke Hand. Was genau er machte, konnte ich nicht erkennen, weil er mein Kinn immer wieder hochdrückte, wenn ich es senkte.
„KEINEN SCHRITT WEITER, IHR DUMMKÖPFE!“, brüllte er neben meinem Ohr und drehte mich zum Gasseneingang. Damit bestätigte sich, dass wir nicht allein waren - dort waren eine handvoll Polizisten und ein Mann in Zivilkleidung. Sie alle gehorchten.
„Warum bleibt ihr stehen?“, krächzte ich die Polizisten an, realisierte es jedoch sofort. Durch das Sprechen ritzte das Werkzeug bereits meine strapazierte Haut an. Es war offensichtlich ein Messer. Ich schluckte. Oh.
„Nicht schießen“, befahl ein Mann den Polizisten. Es war der in Zivil. „Hatten wir auch nicht vor. Sie sollten aber wirklich gehen, das ist nur was für die Polizei“, erwiderte ein Polizist, der in der Nähe stand.
Moritz rief: „Er hat recht, das ist was für die Polizei allein. Genau deshalb gehen wir lieber!“ Damit zog er mich von der Mauer weg. Meine Beine sackten weg, das Messer schnitt mir leicht von unten in den Kiefer. „Bist schwächer als gedacht“, murmelte Moritz, „aber bemüh dich, sonst bring ich uns beide um.“
Er zog mich ächzend mit sich und versuchte mit dem rechten Arm, mich einigermaßen aufrecht gegen sich selbst zu stützen. „Du wärst leichter zu tragen, wenn du tot wärst,“, beschwerte er sich, „nur könnte ich dich dann nicht als Schutzschild nutzen.“
Ich wurde sauer, da ich einfach genug hatte. Moritz sollte nicht weiter Leute in Schach halten. „Schießt!“, verlangte ich. Mir war egal wie, hauptsache er wäre endlich schachmatt.
Niemand rührte sich, abgesehen von Moritz, der mich weiter zog, Zentimeter für Zentimeter. Die Polizisten sahen sich hilflos an, sie versuchten, sich zu erinnern, was sie in der Polizeischule gelernt hatten, doch es schien niemandem einzufallen.
Ich beschloss, etwas zu wagen, da den Polizisten offenbar die Hände gebunden waren - sonderlich viel hatte ich ja nicht zu verlieren. Ich trat und ruckte mit dem Kopf nach hinten. Ich traf. Der Schlag verletzte jedoch nicht nur Moritz, sondern er gab auch mir den Rest. Er ließ mich los, doch ich fiel zu Boden, Schüsse fielen und alles wurde schwarz.
...
Es brauchte viel Therapie und Krankenhausaufenthalte, um mich wieder gesund zu bekommen.
Mittlerweile war es schon Mai, doch noch immer schreckten Cay und ich manchmal aus dem Schlaf hoch, geplagt vom Geist unseres toten Nemesis. Vertauen konnten wir fast nur noch einander, unserer Familie (und ich Jule).
Aber wir waren am Leben.
Am Tag, als alles schiefging, hatte Moritz Cay vergiftet und die Anderen zu einer Pause in der Hütte oben überredet. Dort wärmten sich alle auf, Moritz meinte, Cay habe weiterfahren wollen, deshalb vermisste ihn niemand. Jules Aufmerksamkeit war vollkommen von Stacey beansprucht, sie hatte nicht einmal bemerkt, dass ich fehlte. Der Einzige, der mein Fehlen merkwürdig fand, war Colin. Gott sei Dank sah er nach uns, sonst wären wir wirklich gestorben.
Von unserem Plan mit dem Auto hatte er zufällig mitbekommen, als er eines Nachts nicht schlafen konnte. Im Wohnzimmer war noch Licht an - wir hatten es vergessen. Auch die Tür hatten wir offen gelassen. Deshalb schlich er uns hinterher und sah eine Weile zu. Da er noch nicht wusste, ob er uns trauen konnte, ging er lieber wieder rein, behielt die Info aber im Hinterkopf.
Später im Krankenhaus kam Cay, kurz nachdem ich wegging, zurück. Er herrschte Colin an, sofort zur Polizei zu fahren und möglichst mit mir zu gehen. Als er meinte, ich sei bereits seit zehn Minuten weg, bestand er - trotz seiner Kondition - darauf, mitzukommen. Er ahnte, Moritz habe mich gefunden. So fuhren sie zur Polizei. In der Nähe des Krankenhauses fand mich und Moritz ein Passant. Mein Schreien und Stöhnen hatte ihn stutzig gemacht, weshalb er seine Wohnung verließ.
Kaum hatte er uns gesehen, wollte er die Polizei rufen, doch in dem Moment fuhr die von Cay informierte Streife bei uns vorbei. Der Mann winkte sie heran und erzählte ihnen, was vor sich ging. Als die Polizisten näher kamen, erkannten sie mich von dem Bild, das Cay von mir gezeigt hatte - wenn auch in deutlich entstellter.
Nachdem ich ohnmächtig wurde, begannen die ungelernten Polizisten, wild auf Moritz zu schießen. Er verstarb direkt, als eine Kugel sich in sein Hirn bohrte. Seine Komplizin, Fiona, verschwand ohne eine Spur. Doch auch ich bekam einen Schuss ab, ins linke Bein. Im Krankenhaus musste ich vielseitig behandelt werden - Moritz hatte viel Schaden angerichtet. Ich hatte eine Schädelfraktur, zwei Zähne fehlten mir, ich leidete unter leichten inneren Blutungen, meine Nase war gebrochen und ich hatte etliche blaue Flecken.
„Ihr Überleben war ein Wunder!“, meinte Jule jedes Mal, wenn die Geschichte aufkam. Seit ich ihr alles erzählt hatte, berichtete sie dauernd davon. Ich konnte einfach nicht. Meist verließ ich sogar den Raum - ich konnte es nicht immer und immer wieder erleben.
Meist ging ich danach zu Cay. Er verstand auch ohne Worte, er hatte Ähnliches durchgemacht, nur waren seine Wunden mehr psychisch als physisch.
Auch jetzt gerade lag ich mit ihm im Bett und kuschelte. „Ich liebe dich, Francis“, murmelte ich an seine Brust. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: „Ich liebe dich mehr, Saphira.“
-6250 Wörter (so viel hab ich noch nie geschrieben, also nicht als EIN Kapitel. Im Adventskalender hätte ich es geteilt)
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