06

Am nächsten Morgen sitze ich allein mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch und kraule Quentin, der es sich auf meinem Schoß bequem gemacht hat und nun genüsslich vor sich hin schnurrt.

Glücklicherweise konnte ich Niall gestern schnell von Zayn loseisen und ihn bitten, mich heimzufahren. Sobald wir in seinem Auto saßen, habe ich ihm verraten, dass Louis DER Louis war, was ihn dümmlich grinsen ließ.

"Er mag dich, das hat man in seinen Augen gesehen", ist sein süffisanter Kommentar gewesen und obwohl ich angemerkt habe, dass das gar nicht sein kann, weil wir uns gerade mal einmal zuvor gesehen haben, ist er von seiner Meinung nicht mehr abgewichen.

Gedankenverloren spiele ich mit dem Handy in meiner Hand rum und suche schließlich Louis' Nummer in meinen Kontakten. Das grüne Whatsapp-Symbol blinkt auf und als ich es anklicke, werde ich automatisch zu seinem Profil weitergeleitet.

Auf seinem Profilbild strahlt er in die Kamera und hält einen Dalmatinerwelpen auf dem Arm, der ihm in Sachen intensive Augenfarbe beinahe Konkurrenz macht und absolut niedlich aussieht . Dennoch legt sich meine Aufmerksamkeit auf Louis und erneut fallen mir seine Lachfältchen auf, die seine zarten Gesichtszüge wirklich gut betonen. Ich bemerke durch sein breites Lachen sogar, dass er einen Zungenpiercing hat und ohne dass ich es kontrollieren kann, wandert mein linker Zeigefinger zu meinen Lippen.

Sofort zucke ich erschrocken zusammen, woraufhin Quentin empört maunzt und von meinen Beinen springt.

Ich nutze die Gelegenheit und stelle meine inzwischen leere Tasse in den Geschirrspüler, während ich krampfhaft versuche, Louis' Foto aus meinem Gedächtnis zu verbannen - vergeblich.

Schlagartig durchfährt ein warmer Schauer meinen Körper und ich erinnere mich an seinen Geruch, der mich gestern bei der Umarmung umgeben hat. Ich finde Louis wohl oder übel gar nicht mal so übel, was mir ein so fremdes Gefühl ist, dass ich mich einmal kräftig schütteln muss.

Plötzlich reißt mich das Klingeln meines Handys aus meiner Trance und erfreut nehme ich den Anruf meiner Mutter entgegen. So habe ich zumindest direkt Ablenkung.

Allerdings bringt mich die Info, die sie mir mit einer zuckersüßen, vor Aufregung beinahe quietschenden Stimme übermittelt, komplett aus dem Konzept: Adam Lancaster ist zurück nach London gezogen, wieder in die Nachbarschaft meiner Mutter. 

Ich schlucke, spüre, wie Übelkeit durch meinen Magen wandert und ich mich auf den Boden setzen muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und vom Stuhl zu kippen.

"Er ist gestern vorbeigekommen, um Hallo zu sagen und ich habe ihn spontan zum Grillen eingeladen. Wie wär's, wenn du nachher auch kommst? Er wird sich garantiert freuen, dich nach so langer Zeit wiederzusehen", schlägt sie vor, weshalb ich instinktiv die Luft anhalte und versuche, nach einer passenden Ausrede zu suchen. Denn eins steht fest: Ich darf Adam auf keinen Fall wieder begegnen!

"Ich muss einen wichtigen Artikel bis heute Abend fertigschreiben und habe bis jetzt nur die Einleitung. Ich hab keine Zeit", nuschle ich, ehe ich auflege und das Handy schwer atmend aus der Hand gleiten lasse.

Das mit dem Artikel ist nicht mal gelogen, aber statt mich hinter den Laptop zu klemmen, schlüpfe ich in meine ausgelatschten Sneaker, verstecke meinen Oberkörper in einem alten Hoodie und mache einen Spaziergang.

Die warme Frühlingssonne scheint fröhlich vom Himmel und verleitet mich dazu, im nah gelegenen Waldstück Schatten zu finden.

Einzelne Äste knacken unter meinen Schuhen, der Duft von frischem Moos umgibt meine Nase und im Schutz der Bäume spüre ich, wie mein Pulsschlag sich nach und nach normalisiert.

Nach einer ganzen Weile erreiche eine kleine Lichtung, hinter der sich ein Tümpel erstreckt, an dessen Ufer ich mich niederlasse und frustriert seufze.

Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Denn eigentlich habe ich mir damals geschworen, Adam für immer aus meinem Leben zu streichen. Als er damals weggezogen ist, war ich heilfroh und habe mit viel Mühe versucht, alle schrecklichen Erinnerungen an ihn irgendwo in den Untiefen meiner Seele zu vergraben. Und nun scheint es, als käme er ganz langsam und bedrohlich wieder zurück gekrochen.

Bilder der Vergangenheit schieben sich in meine Erinnerung und lassen mich erschaudern, wodurch mein Magen sich abermals zusammenkrampft und ich mir Mühe gebe, die Galle zurückzuhalten.

Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, dann krame ich mit zitternden Händen nach meinem Handy. Ich tue es echt selten, doch jetzt habe ich das Gefühl, durchzudrehen, wenn ich nicht meine Therapeutin anrufe.

Gott sei Dank geht sie direkt ran und bietet mir sogar an, vorbeizukommen, sodass ich wenig später ihr gegenüber sitze und einen Igelball gegen meine Handflächen presse, um mich zu beruhigen.

"Adam ist wieder da", murmle ich in die Stille hinein, woraufhin Judy eine Augenbraue hebt.

"Heißt, er ist wieder nach London gezogen?", schlussfolgert sie, was ich mit einem Nicken und einer bitteren Miene bestätige.

"Und meine Mutter ist davon sehr begeistert", füge ich mit noch bitterer Stimme hinzu, bevor ich den Igelball zu Boden fallen lasse und mich stattdessen in dem Sessel zurücklehne, die Hände vors Gesicht gehalten.

"Ich werde ihm garantiert über den Weg laufen, er ist ja immerhin ihr Nachbar. Und ich hab absolut keine Ahnung, wie ich reagieren soll." Ich richte mich wieder auf und stöhne gequält auf.

"Sie könnten erstmal Abstand halten, um sich auf ein mögliches Wiedersehen vorzubereiten", sagt sie, während sie etwas in ihr kleines Notizbuch schreibt, den Kopf gesenkt und nur ein halbes Auge auf mich geworfen.

Nachdenklich nestle ich an den Ärmeln meines Hoodies und kaue unschlüssig auf meiner Unterlippe.

"Ich will mich gar nicht darauf vorbereiten", gebe ich schließlich zu und gebe ein resigniertes Seufzen von mir. "Ich hasse ihn und will ihn nie wieder sehen. Am liebsten würde ich Mum anflehen, umzuziehen."

Judy lächelt mich mitfühlend an. "Das kann ich verstehen. Deshalb wäre es gut, würden Sie erst einmal Abstand nehmen und überlegen, wie Sie mit der Situation umgehen beziehungsweise mit Ihrer Mutter sprechen."

"Mum weiß nicht, was damals passiert ist", gebe ich nach ein paar Sekunden zu bedenken, weswegen Sie den Kopf schief legt und mich eindringlich mustert.

"Sie müssen ihr keinen genauen Grund nennen. Haben Sie Angst vor ihrer Reaktion?", erkundigt sie sich.

"Jein. Ich will sie einfach nicht belasten. Da habe ich schon mit Louis drüber gesprochen. Ich.. ich schäme mich irgendwie."

Kaum dass mir Louis' Name über die Lippen kommt, kriecht das Kribbeln zurück und mir wird unwillkürlich heiß.

Judy scheint das zu bemerken, da ein heimliches Schmunzeln in ihrem Gesicht aufblitzt.

"War die erste Stunde gut?"

"Sie war merkwürdig. Aber gut...", antworte ich und erinnere mich, wie ich fluchtartig seine Wohnung verlassen habe - wirklich sehr merkwürdig.

"Würden Sie sich trauen, Louis zu erzählen, was damals geschehen ist?", fragt sie weiter und ich lege die Stirn in Falten.

Ich habe Louis unglaublich viel anvertraut, ohne dass ich es wirklich mitbekommen habe, und war am Ende überfordert. Wenn ich Adam erwähnen würde, würden wahrscheinlich noch mehr Tränen fließen. Außerdem habe ich selbst Judy nur ungern von Adam erzählt, da will ich das eigentlich nicht bei Louis fortführen.

Doch Judy taxiert mich mit solch einem strengen Blick, dass ich schließlich einfach nur mit den Schultern zucke und ein gebrummtes „Vielleicht" von mir gebe.

„Ich möchte Sie zu nichts drängen, aber vielleicht wäre es sinnvoll, wenn Sie noch einen Verbündeten auf Ihrer Seite haben. Dann haben Sie ein Hilfsnetzwerk, welches Sie unterstützt, einen guten Umgang mit Adams Umzug zu finden."

Ich seufze, denn ich weiß, dass sie Recht hat. Ich weiß, dass es mir helfen würde, mich Louis zu öffnen, zumal er in meinem Alter ist und mir eine neue Perspektive auf die Dinge geben könnte. Und ich weiß, dass Judy sich insgeheim erhofft, dass ich es mit Louis' und Ihrer Hilfe schaffe, Mum zu erzählen, was passiert ist. Sie konnte zwar nicht ahnen, dass Adam wieder auftaucht, doch sie wird sich trotzdem etwas dabei gedacht haben, mich zu ihm zu schicken.

Aber schon alleine bei der Vorstellung möchte ich mich spontan übergeben.

Nachdem sie noch ein paar letzte aufmunternde Worte gefunden hat, verlasse ich wieder die Praxis und beschließe, mir beim nächsten Starbucks einen Kaffee zu holen.

Die Schlange ist Gott sei Dank nicht lang, wodurch ich relativ schnell dran komme und mir einen Latte Machiatto mit extra viel Karamellsoße und Sahne hohle - so können mich immerhin ein paar extra Kalorien trösten.

Mit dem Strohhalm zwischen den Zähnen mache ich mich auf den Heimweg und denke über Louis nach.

Sollte ich es wirklich wagen, wo ich doch all die Jahre akribisch darauf geachtet habe, niemanden in dieses Geheimnis einzuweihen?

Auf der einen Seite kommt es mir unglaublich falsch vor, einem praktisch Fremden von dem Ereignis zu berichten, das damals meine komplette Welt auf den Kopf gestellt hat, und auf der anderen Seite könnte es sein, dass Louis wirklich gut damit umgehen kann. Eventuell kann er meine Situation sogar nachvollziehen?

Ich bleibe abrupt stehen und blinzle verdutzt, dann schüttle ich den Kopf und laufe wieder weiter.

Nein. Louis ist so fröhlich und scheint solch ein erfülltes Leben voller Achtsamkeit und Abenteuer zu haben, da kann er so etwas nicht erlebt haben.

Inzwischen habe ich meine Wohnung erreicht, weshalb ich mit einem Schnauben beschließe, diese Überlegungen auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben, und krame in meiner Hosentasche nach meinem Schlüssel, als mich eine Stimme aufschreckt.

„Hallo Harry."

na, wer wartet da auf harry? meinungen? alles liebe x

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