13

Olivia

Mein Mund formt sich zu einem großen O und auch meine Augen werden riesig. "Wo ist sie?", frage ich leicht atemlos. "Naja, sie hat eher uns gefunden.", gesteht Melli. "Was meinst du?", ich bin verwirrt, sie soll mir endlich sagen, was Sache ist. "Sie ist zu Matt und mir nach Hause gekommen. Du hättest sie sehen sollen. Sie war völlig aufgelöst, ich wusste nicht, wie ich sie beruhigen sollte." "Hat sie dir erzählt warum sie weg war?" "Ich sage es dir ungern am Telefon, aber ich habe wohl keine andere Wahl." Nachdenklich wendet sich mein Blick auf die andere Straßenseite, wo grade ein Pärchen zwei Kinderwagen vor sich her schiebt. "Liv, sie hat Krebs." Nein. Es ist, als würde dieser Satz grade nicht nur meine Welt durcheinanderwerfen, sondern auch zusammenstürzen lassen. "Nein!", stoße ich geschockt aus und schlage mir eine Hand vor den Mund. Das kann nicht sein. "Sie war in Seattle, bei ihren Eltern, um zu klären, was als nächstes passiert.", Melli fängt an zu schluchzen und auch mir steigen Tränen in die Augen. "Wie lange hat sie noch?", frage ich zitternd, nicht sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören möchte. "Die Ärzte geben ihr sechs Monate. Wenn überhaupt. Livy, sie wird sterben. Unsere beste Freundin. Ich kenne sie schon mein ganzes Leben und jetzt soll sie einfach gehen? Das ist so schrecklich unfair!", ihr Schluchzen ist so herzzerreißend. "Und es besteht keine Chance auf Heilung?" "Nein, der Krebs wurde zu spät entdeckt und befindet sich bereits im Endstadium. Es besteht keine Hoffnung mehr für sie." Die ersten Tränen verlassen meine Augen und ich beginne zu schluchzen. Mir ist bewusst, dass mich die Fußgänger komisch angucken, doch es ist mir egal. "Wir müssen diese sechs Monate zusammen verbringen. Melli, sie wird niemals mein Kind kennenlernen.", erschüttert schließe ich die Augen, als mich diese Erkenntnis trifft. "Ich weiß. Liv, was ist mit Noah? Es muss schrecklich für ihn sein." "Ich muss mit Jack sprechen, Noah ist sein bester Freund. Ich rufe dich heute Abend zurück." Nach einer kurzen Verabschiedung lege ich schließlich auf und starre noch eine Weile auf die gegenüberliegende Straßenseite. Eine meiner besten Freundinnen wird sterben. Melli hat Recht, es ist nicht fair.

"Molly, es tut mir leid, ich muss dringend nach Hause!", ich sehe die Brasilianerin schuldbewusst an. "Ist alles in Ordnung? Du siehst aufgelöst aus?", ihr Blick ist besorgt. Natürlich ich sehe wahrscheinlich wie ein Zombie aus und nebenbei ist mir auch noch unglaublich schlecht. "Wir reden morgen drüber.", mit diesen Worten umarme ich sie noch kurz, dann verlasse ich fluchtartig das Café und mache mich auf zur nächste Bushaltestelle.

Bereits als ich die Haustür aufschließe höre ich den Fernseher. Jack guckt anscheinend Fußball. "Jack?", rufe ich, während ich mir die Schuhe von den Füßen streife. High-Heels werden auch nicht mehr lange möglich sein, denn meine Füße schwellen immer mehr an. Doofe Schwamgerschaft. Ein Rumpeln ertönt, dann sehe ich Jack in den Flur stürzen. "Hey.", sein Gesicht ziert ein erleichtertes Lächeln, welches sofort erfriert, als er meinen Gesichtsausdruck und die Tränen sieht, die mir immer noch über die geröteten Wangen laufen. Ohne ein Wort zu sagen tritt er einen Schritt auf mich zu und nimmt mich ganz fest in den Arm. Gott, wie sehr ich das jetzt brauche. Und schon fange ich erneut an zu schluchzen. "Hey, was ist los?", flüstert er sanft in meinen Nacken, was eine prickelnde Gänsehaut bei mir auslöst. "Ich brauche deine Hilfe.", wimmere ich. "Bitte, bitte hilf mir."

Geschockt sieht Jack mich an, mit wahrscheinlich genau dem gleichen Gesichtsausdruck, den ich drauf hatte, als ich von Kathy's Krankheit erfahren habe. "Oh Gott.", haucht er, seine Hände fahren zitternd durch seine braunen Haare. "Wir sollten die nächsten sechs Monate zusammen verbringen. Wir alle. Du, Melli, Matt, Noah und ich. Wir sollten alle das mit ihr tun, was wir bald nicht mehr tun können. Und dabei brauche ich deine Hilfe.", meine Hand legt sich auf Jack's und sofort umschlingen seine Finger meine. "Ja, ja das sollten wir. Lass uns Noah anrufen." Es tutet nur dreimal, dann geht Noah auch schon ran. "Hey ihr beiden, Melli hat es euch wohl erzählt." Fast muss ich über Noah schmunzeln, da er sofort weiß, dass wir beide am Telefon sind und worum es geht. "Noah, gibt es etwas, was du tun willst, bevor es zu spät ist?", frage ich ihn und komme so sofort zum Punkt. "Ja, ich habe Jack schonmal davon erzählt. Ich will Kathy heiraten.", seine Stimme zittert und wirkt so gebrochen. Scheint so, als würden wir alle schon bald heiraten, wie schnell doch die Zeit vergeht. "In drei Wochen bin ich wieder da, dann werden wir die Hochzeit planen.", verspreche ich Noah und muss mich dabei wirklich zusammenreißen, nicht schon wieder los zu flennen. "Wir werden beide in drei Wochen zurück sein.", bestätigt Jack und erst sehe ich ihn verdattert an, beschließe jedoch, ihn nach dem Telefonat darauf anzusprechen. "Danke Leute. Ich weiß, wir gehe im Moment durch sehr schwierige Zeiten. Wir alle, doch das beweist, dass wir es zusammen schaffen können." Dann legt er auf und lässt mich mit Tränen der Rührung zurück. Sich räuspernd legt Jack das Telefon auf den Wohnzimmertisch, bevor er sich zu mir dreht und mir fest in die Augen guckt. "Es gibt da noch etwas, was ich dir sagen muss." Auf das schlimmste gefasst atme ich tief durch und schließe kurz die Augen. "Liv, ich will das hier nicht mehr." Immer noch mit geschlossenen Augen nicke ich langsam und presse die Lippen aufeinander, um nicht zu schluchzen. So sollte also alles ändern. "Deswegen habe ich einen Entschluss gefasst." Als ich meine Augen öffne ist meine Sicht verschwommen, doch ich sehe trotzdem Jack's erschrockenen Blick auf mir. "Was ist los?", fragt er besorgt. Ironisch lache ich einmal auf. "Was los ist? Du machst Schluss und erwartest von mir, dass ich alles einfach hin nehme. Nach all dem was wir zusammen durchgemacht haben, was ich durchmachen musste, als du weg warst, kann ich nicht anders reagieren.", schluchze ich. "Was? Ich will nicht Schluss machen!", fast schon entrüstet sieht er mich an. "Nicht?", frage ich weinerlich. "Nein, natürlich nicht! Ich komme zurück. Liv, ich breche mein Studium ab und ziehe um. Zurück nach New York, zu dir. Ich kann auch in New York Jura studieren." "Aber es war doch immer dein Traum in Los Angeles zu studieren." Ich bin so verwirrt, dass ich seine Aussage noch nicht ganz verstanden habe. "Nicht mehr. Du bist jetzt mein Traum." Mit einem herzerwärmenden Lächeln guckt er mich an und greift nach meiner Hand. Und ich weiß nicht zum wievielten Mal heute schon, schlage ich mir schon wieder die Hand vor den Mund. Er kommt tatsächlich zurück. Ich habe Jack komplett zurück. "Das ist das Schönste, was du je zu mir gesagt hast.", kichere ich unter Freudentränen und lasse mich in seine Arme fallen. "Ich liebe dich.", haucht er und drückt mir einen Kuss auf den Haaransatz. "Wir lieben dich auch.", flüstere ich. "Wir?", fragt er belustigt und verwirrt nach, doch ich drücke ihm nur einen Kuss als Antwort auf die Lippen. Ich kann es ihm einfach noch nicht sagen, nicht jetzt, das wäre woh, der unpassenste Moment aller Zeiten.

Als ich an diesem Abend im Bett liege, in Jack's Arme gekuschelt, lasse ich den gesamten Tag noch einmal durch meine Gedanken rasen. Kathy ist zurück, aber sie hat Krebs und sie wird sterben. Jack zieht zurück zu mir nach New York, aber wie soll ich die nächste Zeit genießen, wenn so viele Probleme auf meinen Schultern lasten? Die Schwangerschaft, Kathy's Krankheit und irgendwie lässt es mich auch nicht los, dass Jack lieber mit Lucy einen Kaffee getrunken hat, als mit mir essen zu gehen. Aber genau über diese Sache sollte ich mir keine Gedanken mehr machen, im Prinzip ist es doch unwichtig. Dann verstehen die beiden sich halt gut, na und? Ist mir egal. Das rede ich mir zumindest ein.

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