❄️Türchen fünf❄️

Wir sind nicht auf der Welt,

um so zu sein,

wie andere uns haben wollen.


Obwohl die Strahlen der Sonne am heutigen Tage mal nicht von einer grauen Wolkendecke versteckt wurden, konnten sie die eisige Luft nicht erwärmen, jene er in seinem Gesicht spürte. Trotz Wollmütze und dickem Schal, die ihn vor der Kälte bewahren sollten, sorgte der frische Wind dafür, dass seine Haut, jene mit diesem in Berührung kam, sich anfühlte wie betäubt. Und so drückte er sein Gesicht nur noch intensiver in den weichen Stoff, bis nur noch die Augenpartie zu erkennen war.
Den Körper hatte er über das Geländer gebeugt, um sich so mit den Unterarmen daran abstützen zu können und obwohl sein Blick auf den bereits zugefrorenen See gerichtet war, über dessen Eisschicht eine leichte Schneedecke lag, und die Wege des Wassers eine Spur unter der Brücke hinterließ, auf jener er stand, vermochten seine Augen die augenscheinliche Schönheit der Umgebung nicht wahrnehmen; wirkte sein Verstand ferner, als jegliche Vorstellungskraft.

Es gab nur wenige Momente, in denen er mal abschalten und tief in sich hineingehen konnte; wo er fähig war, über sich selbst nachzudenken, ohne Störung. Dies war sein einziger Rückzugsort, der einzige Platz, seit er gedenken konnte, wo ihn niemand fand. Schon seit geraumer Zeit fühlte sich der junge Mann verloren, doch nie hatte ihn die Einsamkeit so sehr zwischen ihren Klauen festgehalten, wie jetzt. Niemand wollte ihn anhören, nicht einmal seine Freunde nahmen ihn ernst. Er fühlte sich dem Druck aller Erwartungen seiner Familie einfach nicht gewachsen; glaubte nicht daran, für diesen Weg geschaffen worden zu sein und doch, um sie nicht enttäuschen zu müssen, verbog er sich Tag für Tag.
Wie erleichternd es doch wäre, hätte er jetzt seinen besten Freund aus Kindertagen an seiner Seite. Alles nur Wunschdenken, war ihr tränenreicher Abschied voneinander doch bereits 10 Jahre her. Und dennoch: Seine Anwesenheit würde ihm so vieles erleichtern.

Hier hatten sie früher sehr viel Zeit miteinander verbracht, an diesem Ort. Ihr geheimer Platz. Immer, wenn der Winter das Land in Weiß einhüllte und sich das erste Eis auf dem See spiegelte, waren sie waghalsig hinaufgegangen und hatten auf der glatten Oberfläche herumgetobt; und das, obwohl ihnen jedes Mal gesagt wurde, es sei verboten, zu gefährlich. Doch ihre naive Abenteuerlust hatte sie nie davon abbringen können. Und in den warmen Sommermonaten nutzten sie die langen Abende, verweilten im Gras am Ufer und betrachteten den Sonnenuntergang, das Farbenspiel und wie es sich auf der Wasseroberfläche brach. Ein wahrer Farbentraum, kostbare, unvergessliche Momente, die er nur genießen konnte, so lange er dabei war. Er vermisste ihn.

Das Gefühl, von etwas an seinem Kopf getroffen worden zu sein, entriss ihn seiner Gedankenwelt. Verwirrt blinzelte er einige Male, runzelte die Stirn, brauchte einen ganzen Augenblick, um sich in der Realität wiederzufinden, eh er sich vom Geländer löste, aufrichtete und den Arm anhob, um mit der behandschuhten Hand die Stelle seines Kopfes abzutasten, wo er dieses Gefühl wahrgenommen hatte. Er tastete seine Mütze ab und im fiel auf, dass etwas davon seine Schulterseite hinabrieselte: Schnee.
Ob etwas von den kahlen Baumkronen hinabgefallen war? Nein, denn dann hätte es sein bedecktes Haupt direkt getroffen, statt die Seite.
Wieder forderte etwas seine Aufmerksamkeit, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung bemerkte; so drehte er sich leicht in diese Richtung. Und beim Anblick dessen vor ihm, keine zwei Meter entfernt, weiteten sich seine Augen deutlich erkennbar.

Ein junger Mann stand ihm unmittelbar gegenüber, die in Handschuhen versteckten Hände umschlossen einen Schneeball, den er gerade zur passenden Form gedrückt hatte, während sich in seinem Gesicht ein breites, gar freches Grinsen zeigte. Doch was an dem Fremden wirklich fesselnd war, blitzte unter der leicht verrutschten Mütze hervor; in Minze getränkte Haare.
„Dachte schon, du wärst eingefroren.“, vernahm er nun auch noch die tiefe, etwas kratzige Stimme des Mannes, der ihn offensichtlich mit einem Schneeball beworfen hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Was is‘? Hat’s dein Hirn einfrieren lassen, oder wieso starrst mich so an?“
Sich zwingend aus der Lethargie holend, machte der Abgeworfene ein paar Schritte auf den Minzhaarigen zu. „Was soll das? Wieso bewirfst du mich mit Schnee?“ Seine Brauen zogen sich etwas zusammen, spürte er einen leicht aufkommenden Zorn gegenüber den Fremden, dass dieser ihn in an seinem Rückzugsort gestört hatte.

Doch er zuckte nur mit den Schultern und wog stattdessen den Schneeklumpen in seiner Hand. „Hatte Lust dazu.“, war alles, was er entgegnete, eh er mit seinem Arm ausholte und den Ball in seiner Hand ein weiteres Mal auf sein Gegenüber warf. Dieser konnte gerade noch ausweichen, eh er zu ihm aufschloss und ihn an seinen Handgelenken packte und zurückdrängte. „Hör auf damit!“, zischte er und starrte den Minzhaarigen böse an. „Und jetzt verpiss dich! Ich will allein sein.“
Katzenförmige, dunkle Augen begegnetem seinem zornigen Blick und dieser Ausdruck seiner Augen weckte in ihm eine Erinnerung wach, die dazu führte, dass er den Griff um dessen Gelenke losließ und den Fremden stattdessen einfach nur anstarrte.
„Wer… wer bist du?“ Er erkannte seine eigene, zittrige Stimme nicht wieder, weshalb er sich zwei Schritte von ihm entfernte, weil ihm sein Gegenüber nicht wohlgesonnen erschien.

Der Kopf des Mannes mit der beeindruckenden Haarfarbe neigte sich zur Seite, während er ein Zungenschnalzen hören ließ. „Sag mir lieber, wer du bist.“ „P-Park Jimin.“, stellte er sich vor und biss sich auf die Unterlippe. „So? Nun, ich kannte mal ‘nen Park Jimin, aber von dem scheint nich‘ viel übrig geblieben zu sein. Biste dir sicher, er zu sein?“ Misstrauisch hob der Minzschopf eine Augenbraue an, betrachtete den jungen Mann vor sich argwöhnisch. „Der Park Jimin, den ich nämlich kannte, hätte sich ‘ne Schneeballschlacht nie entgehen lassen.“

Wie vor den Kopf getreten starrte Park Jimin den, ihm vermeintlich Fremden an, mit dem aufkeimenden Gefühl, einen Geist seiner Vergangenheit vor sich zu haben. Er wurde den Gedanken nicht los, dass der Minzhaarige ihm gar nicht so unbekannt war, wie er doch eigentlich annahm und dennoch konnte er dem Ganzen keinen Glauben schenken. Zu viel Zeit war vergangen, ganze 10 Jahre lagen zwischen ihnen und doch musste Jimin sich eingestehen, dass er eine gewisse Zuneigung für sein Gegenüber empfand; eine alte Vertrautheit.
„Ich bin ja auch kein Kind mehr.“, war alles, was er mehr nebensächlich mit leiser Stimme konterte und sein Blick fiel zu Boden. „Was hat’n das damit zu tun?“, schoss ihm der tiefe Ton des jungen Mannes entgegen, dessen Katzenaugen auf Jimin ruhten.
Schweigen war Park’s Antwort und die Distanz zwischen ihnen hüllte sich in erdrückende Stille. Wohlmöglich war es einfach zu lange her, seitdem sie die Anwesenheit des Anderen genossen hatten und vielleicht hatten sie auch ein zu unterschiedliches Leben geführt; doch schien noch etwas ganz anderes zwischen ihnen in der kühlen Winterluft zu hängen.

„Wo is‘ mein lebenslustiger Jiminnie mit der großen Klappe geblieben?“ „Der existiert nicht mehr.“
Der Minzschopf räusperte sich lautstark und als Jimin zu ihm aufsah, begegnete er dessen ernsten Blick und das, obwohl er schwören könnte in seiner Stimme einen Hauch von Sorge vernommen zu haben. Wieder biss er sich auf die Unterlippe, rang mit sich selbst. Es musste ein Traum sein, eine Illusion; vielleicht war er ja eingeschlafen. Es erschien ihm unmöglich, dass sein bester Freund aus Kindertagen wieder hier war, vor ihm – und das zu einem Zeitpunkt, wo er ihn am meisten brauchte, so als hätte er es spüren können.
„Das ist doch alles Kinderkram! Dafür habe ich einfach keine Zeit mehr. Ich bin jetzt erwachsen. Ich fange bald eine Ausbildung in der Firma meines Vaters an, ich werde eines Tages seinen Platz einnehmen. Und außerdem soll ich doch demnächst verl-“ „-Is‘ es das, was du willst?“, schnitt die tiefe Stimme seinen kleinen Redeschwall durch, den Jimin mehr heruntergerattert hatte, als wirklich überzeugend zu klingen. Überrascht sah dieser zu dem Minzhaarigen, die Augen wieder etwas geweitet. „Na, is‘ es das, was du willst, oder kommt’s von deinen Eltern?“

Die Strahlen der Sonne blitzten zwischen den Baumstämmen hervor, während sich um sie herum langsam die Dunkelheit der Wintertage auszubreiten schien. So lange hatte Park Jimin gebraucht, um vom Elend seines Lebens und der damit verbundenen Ausweglosigkeit zu reden, nachdem er sich seinem Gegenüber nicht länger verbiegen konnte. Dafür war er schließlich zu ihrem geheimen Platz gegangen, um endlich mal wieder diese Maske aus Lug und Trug ablegen zu können.
Der Minzhaarige hatte sich mit dem Rücken gegen das Geländer gelehnt, während seine angewinkelten Ellenbogen ihn stützten und er richtete seinen Blick nach vorne, wo in geringer Entfernung sich der, in weiß umgebene See befand, dessen kleine Mündung unter der Brücke hindurchführte.
„So’n konservatives Pack.“, schnaubte er verächtlich. „Sollst also der Familientradition alle Ehre bringen, hm?“ Sein Blick huschte kurz zu dem jungen Park, eh er die Augen schloss und sich vom Geländer abseilte. Doch Jimin, der hatte überhaupt keine Möglichkeit noch darauf zu reagieren, denn eh er überhaupt verstanden hatte, was gerade geschah, packte der Minzkopf bereits sein Handgelenk und zerrte ihn mit sich, von der Brücke; zog ihn direkt zum Ufer hinab, mit der Absicht, den gefrorenen See zu betreten.

Auf der Eisoberfläche herumtobend, wie damals, als sie noch Kinder gewesen waren, gelang es dem Minzhaarigen tatsächlich Jimin aus seinem versteiften Trott und der Unsicherheit herauszuholen und entlockte ihm den kleinen Jungen von damals, der wie er geahnt hatte noch immer in ihm geruht hatte. Wild lachend, sich der Freiheit hingebend schlitterten sie über das Eis und nicht einmal, als sie hin und wieder zu Boden gingen und die Platte unter ihnen knisterte, machten sie Halt.
Erst, als sie vollkommen atemlos und erschöpft sich einen Platz am Ufer suchten, wo sie nebeneinander, im Schnee und auf dem Rücken liegend einander ansahen, wurde es wieder still um sie herum. Park Jimin hatte das Gefühl, das erste Mal nach sehr vielen Jahren endlich wieder glücklich zu sein, weshalb er das fröhliche Lächeln gar nicht mehr aus seinem Gesicht bekam. Und er wollte es auch gar nicht, in ihm erwachte das Verlangen, für immer so glückselig sein zu dürfen.

Der Minzhaarige beugte sich über ihn, hatte den Handschuh seiner linken Hand abgezogen und legte diese nun an Jimin’s Wange, während er ihn verträumt musterte.
„Jiminnie“, hörte er dessen tiefe Stimme, die leise seinen süßen Spitznamen wisperte. „Wir sind doch nich‘ auf dieser Welt, um so zu sein, wie andere uns haben woll’n. Wir leben, damit wir sein könn‘, wer wir sind.“ Die beiden jungen Männer sahen einander tief in die Augen und für einen langen Moment schien die Zeit still zu stehen, bis Jimin aus dem Augenwinkel heraus etwas erkannte, was ihn in eine weitere Faszination zog, die er unbedingt mit seinem Nächsten teilen wollte, weshalb er den Blickkontakt brach.
„Yoongi, sieh nur, der Sonnenuntergang!“, stieß Jimin euphorisch hervor, aber der Genannte sah nicht vor, seinen Blick abzuwenden. Stattdessen beugte er sich weiter zu seinem Jiminnie hinab und legte seine Lippen auf dessen, verband sie beider zu einem Kuss.

written by MochisKuma

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