Kleine Aster

Die Fliesen waren dunkel und das Ausziehen der Kleidung war so grausam wie das Ertrinken zuvor. Der Stoff klebte in den vertrockneten Wunden und riss sie vereinzelt wieder auf, als der Psychologe sie teilweise aufschnitt, um uns aus diesen befreien zu können. Das warme Wasser brannte auf meiner Haut und der raue Lappen mit dem er mich wusch und der neue, mit dem ich mich später trocknete, taten so weh, dass ich nicht ganz sicher war, ob ich bei der gesamten Prozedur überhaupt wach blieb.
Nur in einer Boxershorts bekleidet und mit einem Handtuch um meine Schultern fand ich mich mit dem nächsten Blinzeln in einem Sessel wieder. Das Feuer prasselte im Hintergrund und als Hannibal vor mir auftauchte, war es, als blickte ich durch einen sich nicht lichtenden Schleier.
»Du siehst furchtbar aus«, stellte er nüchtern fest, während er die Wunde an meiner Schulter und Wange begutachtete, in denen wenige Stunden zuvor das Messer von Francis Dolarhyde gesteckt hatte. Er tastete meinen Brustkorb ab und stoppte, als ich keuchend zusammenzuckte, ehe er an jenen Stellen genaueren Druck ausübte. »Verdammt, das tut weh«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versuchte mich seinen Händen zu entziehen. »Zwei deiner Rippenpaare sind angebrochen«, stellte er objektiv fest und umfasste mein Gesicht. Ich spürte, wie er mir über die Narbe an meiner Stirn strich und dann in mein Auge sah, was das erneute Leid in diesem belebte. Ich stöhnte weinerlich auf und zuckte zurück, als er mit den Daumen meine Lieder öffnete. Der Schmerz fuhr schwallartig über mein Gesicht hinweg und als ich immer noch nichts Deutlicheres auf dem linken Auge erkennen konnte, entfernten mich seine Worte völlig aus der Realität.
»Das werde ich entfernen müssen.«
Meine Hände schossen an seine Handgelenke und umklammerten diese, sodass ich die wulstigen Narben unter meinen Fingern spüren konnte. »Was meinst du damit?« Er betrachtete meine Hände eine Weile und beschäftigte sich dann erneut mit seinem Zielobjekt, als er sprach: »Ich muss dein Auge entfernen. Die Linse wurde durch irgendeinen Fremdkörper gequetscht und ist wahrscheinlich genauso hinüber wie der innere Glaskörper.« Er zuckte leicht mit den Schultern und umfasste wieder mein Gesicht, als ich seine Hände losließ. »Du hast noch ein Zweites. Allzu groß wird die Umstellung nicht sein.«
»Kann man denn da wirklich überhaupt nichts mehr machen?!«, rief ich etwas hysterisch über seine Stimme hinweg und tastete selbst nach meiner Augenpartie. Sie war heiß, geschwollen und brannte wie ein Fegefeuer.
»Ein Augenchirurg wahrscheinlich schon«, murmelte er überlegend und öffnete erneut meine Lieder um ins Innere sehen zu können, »vielleicht könnte man den Nerv retten aber das überschreitet meine nette Einrichtung hier.«
»Dann bring mich ins Krankenhaus.«
»Damit sie dich finden und du abermals deine Zeit in einer Zelle absitzen kannst? Deine Unterkunft wird weitaus bescheidener ausfallen als die meine; insbesondere, da du Crawford's Spannung nun endgültig zum reißen gebracht haben wirst.«
Er hatte recht, ich konnte in kein Krankenhaus. Nicht so. Ich könnte zurück in mein altes Leben stolpern, sagen, dass ich von Dolarhydes abgerutschten Plänen nichts wusste und Hannibal fliehen konnte. Ich könnte lügen und das Unschuldslamm spielen, während all die Beweise auf der Klippe lagen. Vielleicht würde ich Jack überreden und manipulieren können. Aber... wollte ich das? Konnte ich ohne ihn leben?
Ich sah auf und musterte den Psychologen. Jenen Serienmörder, nach dem in der gleichen Sekunde das halbe Land fahndete. Er betrachtete mich aus dunklen Augen und inspizierte mein Gesicht, als sehe er in all dem Chaos und Schmerz den kleinen Funken, dem ich ihm vor unserem Fall offenbart hatte. Jenen, der vor meinem versuchten Selbstmord aus mir gesprochen hatte.
Meine Atmung verlangsamte sich und meine Stimme begann an Festigkeit zu gewinnen, als ich sagte: »Nimm es raus. Entferne es.«
Er hielt noch eine Weile Blickkontakt, bevor er sich schlussendlich einatmend erhob und aus dem Zimmer verschwand. Als der Mann zurück kam achtete ich gar nicht auf die Materialien und Instrumente die er bei sich trug. Noch weniger dachte ich darüber nach wieso und woher er sie geholt hatte. Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust und der Schweiß lief mir heiß den Nacken hinab, als Hannibal die Sessellehne zurückstellte und mit einem Stuhl neben mir Platz nahm. Er strich mir die noch klammen Haare aus der Stirn, zog sich Handschuhe über und desinfizierte meine Schläfe, während er meinen Blick erwiderte. »Ich werde einen Nerven betäuben, der dir kurzweilig das Gespür deiner linken Gesichtshälfte nimmt und damit auch den gröbsten Schmerz. Danach werde ich zunächst die Bindehaut vom Augapfel trennen und im Anschluss Sehnerv und Muskeln durchschn-«
»Bitte fang einfach an«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und schloss mein linkes Auge, als der Mann lächelnd eine Spritze hervorholte und meine Schläfe abtastete. »Beweg dich möglichst nicht« war das letzte was er sagte, bevor er die Kanüle einstach. Und auch wenn ich keine medizinischen Kenntnisse besaß wusste ich, dass Hannibal sofort getroffen hatte. Ein stechendes Ziehen durchflutete mein Gesicht und breitete sich wellenartig aus. Ich spürte, wie das Lokalanästhetikum kribbelnd durch die kleinen Verästelungen strömte und verlor das Gefühl in der Region, die Hannibal zuvor noch beschrieben hatte. Mein linker Mundwinkel erschlaffte und all die Anspannung schien von meinem Gesicht zu fallen. »Ich fang an. Nicht bewegen.« Mir war es kaum möglich einen Laut von mir zu geben und so blieb ich ruhig und lauschte dem lauten Pochen in meinen Ohren; das Strömen meines Blutes in meinen Adern und Hannibals rauen Atemzügen, als er mein Auge desinfizierend abwusch und anfing zu schneiden. Ich sah das Messer nicht - ich wagte nicht mein verbliebenes Auge zu öffnen, aus Angst, in blanke Panik zu verfallen - aber trotz der Betäubung nahm ich tieferligend den dumpfen Druck war, mit dem begleitet der Kannibale mein Auge herausschnitt. Was für eine sarkastische Situation, dachte ich stumpf während ich merkte, wie mir die Tränen ins Auge stiegen und Wärme meinen Nacken hinablief sowie über meine linke Gesichtshälfte. Warmes Blut.
Der Psychologe nahm unfassbar viel Zeit in Anspruch, atmete, schnitt, atmete und schnitt erneut wobei mir nur zittrig die Luft entwich. Er hielt meinen Kopf, fasste in die Wunde und wenige Sekunden später hörte ich, wie er etwas in eine Nierenschale fallen ließ. Meine linke Gesichtshälfte brannte und kribbelte unter der Hitze und ich riss das verbliebene Auge auf, als ich das Klicken eines Feuerzeuges vernahm. Er bemerkte meinen Blick. »Ich stille nur noch die Blutung.«
»Ist es... draußen..?«, fragte ich nuschelnd und unfassbar undeutlich wegen der Betäubung, aber er verstand mich. Nickte und hielt eine Pinzette in die Flamme, ehe das glühende Metall zischend meine Adern verödete. Ich spannte den rechten Kiefer an und versuchte nicht zu atmen, als der Gestank meines eigenen verbrannten Fleisches in der Luft lag. »Ich habe auch das Loch in deiner Wange vernäht.« Seine Stimme drang wie aus Watte zu mir hindurch doch mein Sichtfeld klärte sich allmählich und ich drehte leicht den Kopf um ihn ansehen zu können. Auch seine Haare hingen ihm klamm in der Stirn, als er mein Auge verband und danach die Stichwunde an meiner Wange verklebte. Seine Hände waren voller Blut und er wischte sie an dem weißen Handtuch ab, ehe er die Stelle an meiner Schulter mit Desinfektionsmittel übergoss und ausspülte. Es brannte höllisch und ich riss stöhnend den Kopf zurück, als der Alkohol in die Wunde drang und sich anfühlte, als würde er mir die gesamte Schulter verätzen. Mein unverbundenes Auge huschte durch den Raum und als es abermals auf den Psychologen fiel, musterte er mich mit einem derartigen Feuer, dass er glatt dem Mittel Konkurrenz machte. Sein Blick verdunkelte sich, als ich mich keuchend aufrichtete und beabsichtigt dem blutigen Stück Fleisch in der Schale keine Aufmerksamkeit schenkte, das einst meinem Auge geglichen hatte. Auch Hannibal trug eine Boxershorts und ein - nicht mehr ganz so weißes - Shirt und als er schließlich den Blick von mir nahm, widmete er sich erstmals seinen eigenen Verletzungen.
»Ist es sehr schlimm?«
Er musterte seinen Unterbauch und schob ein Stück den blutverklebten Bund seiner Shorts hinunter, ehe er rau antwortete: »Francis wollte meinen Tod nicht beschleunigen. Er sah mich als ein Idol, eine Art Verbündeten in seiner Transformation und glaubte, dass durch meinen Einfluss seine innere Bestie erwachen würde. Mein Tod sollte ein ritueller, auf Band aufgezeichneter Akt sein, um sich selbst zu erlösen und seinen eigenen Drachen zu manifestieren. Es ist nur ein tief gehender Streifschuss. Francis wollte mich nicht auf diese Weise sterben sehen.« Er spülte seine Schusswunde ebenfalls aus, verzog dabei jedoch keine Miene. Viel eher war es sein erschöpfter rauer Atem, der den Raum durchwanderte. Mein schmerzender Körper lehnte sich wie von selbst wieder zurück in den Sessel und ich war dankbar für die einseitige Gesichtslähmung, sodass ich den größten Schmerz erst gar nicht wahrnahm. Ich beobachtete Hannibal noch eine Weile und sah zum ersten Mal die Jahre, die auf seinem Rücken lagen. In jenem Moment sah er so viel älter aus, dass ich mir selbst wie ein kleiner Junge vorkam, obwohl uns nur zehn Jahre trennten. Und für all das was hinter uns lag, sah er dennoch viel zu unbeschadet aus während ich einem Wrack glich.

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