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»Du bist müde und unkonzentriert« stellte Àrchontas Galanis fest. Sam schnaubte und wischte sich über die verschwitzte Stirn. Sie konnte heute Nacht kaum schlafen. Alles hatte sich gedreht und da war so ein Stimmgewirr aus Vorwürfen und Erinnerungen in ihrem Kopf gewesen. Kaum war die Sonne aufgegangen, war sie auch schon aus dem Bett und am Meer gewesen. »Ich kann einfach nicht« stellte Sam leise fest. Der Tod der ihrer Eltern schwebte über ihr wie ein Damokles Schwert und sie wusste nie, wann es auf sie niedersauste. »Du musst, Sam. Alles hinzuwerfen bringt sie dir auf keinen Fall wieder« hielt er dagegen und Sam blies langsam Luft aus. Als wüsste sie das nicht selbst. Àrchontas Galanis streckte ihr die Hand entgegen. Zögerlich ergriff Sam sie. Vielleicht war das ein Friedensangebot. Als sie seine Handfläche berührte, drückte er ihr allerdings eine kleine Packung in die Hand. Sofort schob Sam sie in ihre Westentasche und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Das bringt dich runter« darauf drehte er sich um und verschwand durch die Stallgasse. Sam befühlte die papierene Verpackung in ihren Fingern und schüttelte über sich selbst den Kopf. Gestern noch hatte sie Ines für ihre Schwäche verurteilt. Da würde sie heute nicht denselben Fehler machen.
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Es war ein steriles, kleines Krankenhaus. Die Sicherheitsmänner kontrollierten beim Eintreten Sams Fingerabdruck. Ines war hier sicher. Eine Schwester zeigte ihr sofort und zum Glück ohne weiteres Nachfragen den Weg zu Ines Zimmer. Sie lag inmitten des großen, weißen Bettes zu einer Kugel zusammengerollt. Aber sie bewegte sich. Vorsichtig trat Sam einige Schritte auf sie zu. Einen Moment lang erstarrte Ines, bevor ihre Schultern zu beben begannen. Sam schluckte ihre eigenen Tränen hinunter. Sie hatte Ines mit ihrem Schmerz alleine gelassen, wurde ihr plötzlich klar. Anstelle dass sie das arme Ding in die Arme genommen hätte, flüchtete sie sich einfach in die Einsamkeit ihres Zimmers. Sie hatte nicht gewusst was sie sagen, denken oder tun sollte. Deshalb war sie einfach nur im Bett gelegen und hatte an die Decke gestarrt. Bis sie Helen aus ihrem Delirium geholt und ihr etwas zu tun gegeben hatte. Immer kleine Dinge, die sie aber ständig ablenkten. Soweit, dass sie vergessen hat, dass es Ines um keine Spur besser zu gehen schien als ihr selbst. Verlegen versenkte Sam ihre Hände in der Weste und ertaste die Papierpackung. Sie trat einige Schritte zurück und zog das Päckchen heraus. Der Titel und die gesamte Beschreibung war in Griechisch, deshalb verstand sie kein Wort, aber die Baldrianpflanze, die quer über die Verpackung gedruckt war, erkannte sie. Sie suchte nach der Erklärung in Englisch und eindeckte noch das Wort Lavendel und Passionsblume. Damit konnte sie schlecht Schaden anrichten. Vorsichtig riskierte sie noch einen Blick auf ihre Cousine. Sie lag immer noch mit dem Rücken zu ihr, deshalb zog sie eine Kapsel heraus und schluckte sie hinunter. Rutschte überraschend gut. Sam atmete tief durch und zählte langsam von zehn herunter. Sie würde sich noch nicht geschlagen geben. »Hast du Schmerzen?«»Du hättest mich so nicht sehen dürfen«»Ich hätte es gar nicht erst so weit kommen lassen dürfen«Ines lachte heiser auf und rollte sich auf den Rücken. Sie hatte tiefe Augenringe und in dem großen Bett kam ihr Ines winzig vor. »Ich hab'schon gekokst, da war sie noch am Leben, Sam. Ich ... komme zurecht« Sam verzog das Gesicht und legte sich zu Ines ins Bett. Ihr Herzschlag hatte sie normalisiert und sie fühlte sich seltsam leicht. Sie spürte ihren Muskelkater kaum noch. Zufrieden seufzend kuschelte sie sich an Ines. »Du darfst mich nicht auch noch alleine lassen« brachte sie hervor, worauf Ines langsam nickte. »Ich wünschte nur, ich könnte dir helfen, Sam« - »Mach einfach nicht mehr so viel Ärger« Jetzt lachte Ines wirklich und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sam hatte sich anscheinend geirrt. Ines schien sich sonst irgendwo hineingeritten zu haben. Hoffentlich erfuhr Tante Helen rechtzeitig davon, damit sie Ines da herausziehen konnte. »Möchtest du, dass ich dir beim Haarewaschen helfe?«
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Sam wartete ungeduldig auf Angelos, der aber erst in einer halben Stunde kommen sollte. Rastlos wanderte sie durchs Haus und überlegte bereits, was sie kochen könnte, sollte Angelos Essen wie üblich der Reinfall sein. Wobei ... ein, zwei Mal hatte er damit schon richtig gelegen und es war wirklich gut. Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt. »Sam« sie wirbelte herum und lief sofort zurück ins Wohnzimmer. Angelos Wangen waren gerötet und er stellte die Pappschachtel auf den Trensen. Sam sprang ihm entgegen und Angelos wirbelte sie herum. »Ich habe österreichisches Essen mitgebracht«Sam zog die Augenbrauen nach oben und er schwang sich auf einen Barhocker, während Sam zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank holte. Wenn es österreichisch sein sollte, dann brauchte es auch Bier. Angelos betrachtete die Flasche misstrauisch. Besonders der Verschluss macht ihm zu schaffen. Einen Moment lang beobachtete Sam grinsend, wie er den Deckel herunterzudrehen und zu ziehen versuchte. »Versuchs mit dem« stoppte sie ihn und gab ihm den Flaschenöffner hinüber. Angelos lachte trocken auf. »Also, was gib es?«»Gulat«»Gulat?«»Gulat«Angelos lächelte zufrieden und hob die beiden Boxen aus seinem Turnbeutel. Sam lachte auf, als ihr der bekannte Geruch in die Nase stieg. »Das, mein Lieber« sie beugte sich über den Tisch und drückte ihm einen Kuss auf die Nase, »ist GulaSCH« Angelos zuckte nur beleidigt die Schultern und stach mit der Gabel in seine Box. Sam probierte genauso vorsichtig davon, aber dieses Mal war es wirklich in Ordnung. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Küchenthresen. Angelos probierte selbst nochmal und verzog angewidert das Gesicht. Sofort nahm er einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche. Sam prustete, als sie sein gequältes Gesicht sah. »Das nennt ihr Essen?«»Um genau zu sein, nennen es die Ungarn Essen, aber ja«»Das Fleisch ist ja schon fast Brei«Sam lachte auf und schüttelte den Kopf. Er ist eindeutig verwöhnt. »Das esse ich nicht« weigerte er sich, worauf Sam belustigt die Augenbrauen hochzog. Er schüttelte energisch den Kopf, worauf Sam lachend nachgab. »Wir kochen Palatschinken, in Ordnung? Das ist dann wirklich österreichisch«Angelos strahlte sie mit vollen Backen an und Sam schüttelte den Kopf über ihn. Das Bier mussten sie wegleeren, da Angelos das auf keinen Fall trinken wollte und er tauschte es gegen Champagner. Sam sollte es recht sein. Vanille Sauce und Palatschinken, das hatte Sam manchmal für ihre Freundinnen nach der Schule gekocht, wenn es gerade nicht zu viel zu lernen gab. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht.»Ich hoffte, du freust dich über die Erinnerung«»Eine liebe Idee«Ja, sie hatte unzählige, schöne Momente mit ihren Freundinnen gehabt. Aber das war alles schon lange vorbei. Im letzten Jahr hatte Sam nur gerade so die Schule abschließen können. Ihre Abwesenheit hielt sie mit der Anwesenheit im Unterricht die Waage. Langsam aber stetig verlor sie den Anschluss. Nicht, dass ihre Freundinnen sie ausgegrenzt oder verstoßen hätten ... aber mit der Zeit verstand sie Insider-Witze nicht mehr oder kannte den aktuellen Schwarm nicht mehr. Sie verloren sich. »Lass uns ins Bett gehen« schlug Angelos vor und Sam nickte langsam.
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Was ist für euch typisch österreichisches Essen?
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