7. Die Erde
Die Frau bedachte sie noch kurz mit ihrem Blick, dann kehrte sie um. Gelassen machte sie sich auf den Rückweg, als wäre nie etwas geschehen. Sie lief von der Dunkelheit, die sie hier kurz vor dem Friedhof umfing, in das Licht, das man von hier hinter den Mauern noch knapp erkennen konnte.
„Sie haben sich wirklich mächtig ins Zeug gelegt!" Die Anerkennung, die in Isabells Stimme lag, war nicht zu überhören. „Das ist ja fast wie in einem Film."
Sie liefen weiter, wieder über den Friedhof. Eine Krähe saß auf einem der Steine und krächzte einmal, bevor sie wegflog. Ein Schauer überlief Louisa vom Kopf bis zu den Fußspitzen. Dieses Mal war etwas anders, aber bestimmt lag das nur daran, dass sie noch die vermeintliche Warnung der Frau im Hinterkopf behalten hatte. Zusammen mit dem Ort, dem Nebel und der Krähe sowie den Ereignissen hier sorgte es für eine wahrlich schaurige Atmosphäre.
Wieder ging es die Sprossen der Leiter hinab. Doch jetzt wirkten sie rostig, das Metall blätterte ab und blieb teilweise an den Händen haften.
„Wie kann das sein?" Leo rieb sich seine Hände an der Hose ab.
„Gute Spezialeffekte?" Maik klang von seiner Erklärung selbst nicht überzeugt. Sie alle schien die Wahrsagerin mehr erschreckt zu haben als sie zugeben wollten. Wieder bildeten sie eine Kette und wieder liefen sie Schritt für Schritt voran.
Es herrschte eine Stille, die sie so noch nie erlebt hatten. Als wären sie die einzigen Menschen hier unten. Auf einmal fühlte sich Leo eingeengt, wollte nichts sehnlicher, als wieder an das Licht. Oder zumindest an die Oberfläche. Obwohl sie natürlich nicht wirklich unter der Erde waren, machte es doch ganz den Anschein.
Diesmal schienen die Wände näher an sie heranzurücken und das Schild, das sie nach draußen führte, war verschwunden.
Nein, es lag zersplittert auf dem Boden.
„Seht ihr auch was ich sehe?" Cassy richtete ihren Blick genauer auf die Splitter. Dank des diffusen Lichtes, das hier noch immer herrschte, konnten sie die Schrift entziffern.
„Das ist wirklich gruselig", Leo musste die Worte zwischen seinen Lippen hervorzwängen. Und auch die anderen sahen nicht mehr ganz so euphorisch aus, wie noch in der ersten Runde.
Durch die Position, in der die Splitter auf dem Boden aufgekommen waren und wegen des Lichteinfalls, sah es so aus, als würde dort Willkommen in Hell stehen. Willkommen in der Hölle.
„Wie gesagt: Sehr gute Spezialeffekte." Maik zog die anderen weiter. Und erstmal geschah auch nichts ungewöhnliches mehr, bis sie in den Raum mit den Instrumenten kamen. Trotzdem war die unbeschwerte Stimmung einer Anspannung gewichen, die für unangenehme Gänsehaut sorgten, die Leo über den Rücken lief.
Das Klavier spielte von allein. Eine schräge Melodie, von tiefen Basstönen begleitet. Und sie hörten, wie hinter ihnen etwas zugeschlagen wurde. Es klang wie eine schwere Eisentür. Dabei war dort eben nur ein leichter Vorhang gewesen, der den Tunnel und diesen Raum voneinander trennte.
Ein hohes Kichern drang an Leos Ohren und er war sich sicher, den Schemen eines Lichts aus dem Augenwinkel hinter sich gesehen zu haben. Als er sich umwandte, war es verschwunden.
Leo hatte sich aus der Gruppe gelöst und ging auf den Vorhang zu. Doch als er ihn zur Seite schob, war dahinter nur eine Wand zu sehen. „Was ... Wie?", seine Stimme versagte, doch alle wussten, was er hatte sagen wollen. Er streckte seine Hand aus, doch sie griffen nur in feste Erde.
„Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich hab es die ganze Zeit, seit wir wieder hier sind, gespürt." Louisa machte einige Schritte nach vorne, in den Flur. Die Hände von Isabell und Maik ließ sie los.
„Was machst du da?", rief ihr ihr Mann hinterher, doch sie reagierte nicht. Es schien fast so, als wäre Louisa in einer Art Trance, die sie dazu zwang, in den Flur zu gehen. Deswegen folgten sie ihr. In dem Moment, in dem die anderen sich gerade noch so in dem Raum befanden, fing der Boden an zu beben. Erde rieselte von der Decke hinab, das Licht erlosch mit einem Schlag. Um sie herum war es stockfinster. Der Staub lag fühlbar in der Luft, drang in ihre Lungen.
Leo und die anderen bildeten einen Kreis, sodass sich nichts und niemand zwischen oder hinter sie drängen konnte.
„Hilfe!" Der Ruf von Louisa ertönte gedämpft hinter der Erde hervor, die sich in dem Durchgang aufgetürmt hatte.
Leos Blut rauschte ihm in den Ohren, als es erneut rumpelte. Doch das Zittern der Welt um sie herum und die Erde, die ihn nun begrub, nahm er nur noch am Rande wahr.
Alles wurde schwarz.
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