5. Dunkelheit und Licht
Dunkelheit umfing sie. Auch wenn Louisa nicht klaustrophobisch veranlagt war, wurde es ihr langsam zu eng hier drin. An ihren Schultern spürte sie die Wände des Sarges deutlich und als sie den Kopf etwas anhob, stieß sie fast gegen den Deckel. Eine kleine Lücke am Fußende sorgte dafür, dass ein kleiner heller Rand entstand. Doch er war so weit weg.
„Okay, einfach atmen. Dir passiert nichts", raunte sie sich selbst zu. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, fand sie diese Situation hier weniger erschreckend als die im Verließ zuvor. Immerhin konnte hier niemand mehr dazu, es war viel zu eng.
Sie zuckte zusammen, als ein lautes Krachen ertönte. Die Vibration konnte sie in jedem einzelnen Knochen spüren und für sie stand fest, dass jemand auf den Sarg gesprungen war. Es klopfte.
Einmal.
Noch einmal.
Dann herrschte Stille. Sie hörte ihren Atem und spürte ihren Herzschlag.
„Nein, hier kann dir nichts passieren!" Doch es strömten Erinnerungen auf sie ein. Erinnerungen an eine Zeit, in der sie sich genau so gefühlt hatte. Begraben in einem Sarg, ohne einen Funken Licht. Und dann war Maik ein fester Bestandteil in ihrem Leben geworden, hatte sie förmlich aus dem Sarg in ein neues Leben geführt.
Passenderweise öffnete sich nun der Deckel einen Spaltbreit. Sie sah ein Augenpaar, das sie anblickte. Der Deckel wurde wieder zugestoßen.
Der harte Untergrund sorgte dafür, dass ihr Rücken langsam zu schmerzen begann. Wie lange lag sie nun schon hier? Doch sie würden sie hier nicht für immer drinbehalten. Louisa versuchte sich zu entspannen. Und erstaunlicherweise gelang es ihr. Das hier war nicht wirklich schlimm.
Es dauerte nicht lang und sie wurde wieder herausgelassen. Der Vampirmann, der Maik in den Sarg gesteckt hatte, half ihr sogar heraus. Er verneigte sich vor ihr und deutete einen Handkuss an. Ein wahrer Gentleman. Wenn er Maik nicht zuvor in die Kiste gesperrt hätte. Doch auch ihm wurde wieder herausgeholfen.
„Na, lebt ihr noch?", feixte Leo, als sie zurückkamen.
„Wer weiß? Vielleicht sind wir jetzt selbst zu Vampiren geworden." Maik lief weiter, nachdem sie wieder eine Kette gebildet hatten.
„Du hättest dir doch vor Angst in die Hosen gemacht!" Ein Glücksgefühl durchströmte sie und das Grinsen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, führte sie darauf zurück, dass sie die Gefahr unbeschadet überstanden hatte. Und genau darin bestand dieser Kick, der sie immer wieder hierherlockte, Jahr für Jahr.
Die Freunde ließen das Gemäuer hinter sich und kamen auf einen großen Platz. An der Mauer, die von dem Gewölbe abging, hingen Schwerter, Morgensterne, Sicheln, Dolche und einiges mehr. Auf dem Platz standen Gestalten, die aussahen wie Dämonen. Sie hatten verzerrte Gesichter, keine Augen oder Nase. Bei anderen fehlte der Mund. Es waren gruselige Masken.
Da stieß jemand von hinten ihre Kette auseinander. Es war noch einer dieser Kuttenträger. Er war zwischen Cassy und Isabell hindurchgelaufen, sodass Isabell nun allein dastand. Einer der Dämonen lief auf sie zu. Er hatte eine Handsichel in der Hand und trieb sie auf die Wand zu, sodass sie nicht entkommen konnte. Gemeinsam mit dem Kuttenträger kesselte er sie ein. Dann zog er die Sichel an ihrer Stirn entlang.
Natürlich passierte nichts, denn die Waffe war nicht scharf. Doch Louisa wusste, dass es ein unangenehmes Gefühl war, von einer Waffe bedroht zu werden. Ob scharf oder nicht.
In der Zwischenzeit kamen fünf weitere der gerüsteten Gestalten auf sie zu. Natürlich hatte sich die Menschenmasse verlaufen, sodass sie nun so ziemlich die einzigen hier waren. Die einzigen Opfer.
Leo war der nächste, der aus der Gruppe gezogen wurde. Er wurde mitgezerrt, seine Füße, die er in den Boden stemmte, wirbelten etwas Staub auf. Auch er wurde an die Wand gestellt, wo ihn drei der Dämonen umringten. Der Kreis zog sich enger und enger.
Louisa, Maik und Cassy hielten sich so fest, dass Louisas Finger knackten. Doch so fühlte sie sich sicher. Die vier Gestalten, die noch um sie herum standen, musterten sie. Einer von ihnen hatte zwei Dolche in der Hand, die er nun aneinanderwetzte, sodass ein metallisch schabendes Geräusch entstand. In der Zeit kamen die anderen näher.
„Ihr habt Spaß, nicht wahr?", fragte Cassy sie unbeschwert. Natürlich sagten sie nichts. Stattdessen war eine dieser Gestalten, die eine Rüstung trug und das Gesicht irgendeiner Horrorfilmgestalt hatte, von der Louisa gerade nicht wusste, aus welchem Film sie stammte, mit wenigen schnellen Schritten direkt vor ihr.
Ihre Freundin schaute nach oben, in die Augen.. Und er schaute sie an. Er hob die Hand und griff ihr mit einer schnellen Bewegung in den Nacken. Cassy duckte sich weg und ließ Louisas Hand los. Der Dämon ließ von ihr ab.
Und auch die anderen kamen wieder zurück. Als sie weiterliefen entging ihnen jedoch nicht, dass sie noch einige Meter verfolgt wurden.
Es kam ein kleines, künstlich erschaffenes Waldstück. Dort liefen wieder Werwölfe umher, die sie aber lediglich anschauten. Hier passierte nichts mehr.
„Der Trick ist, sie direkt anzusehen. Ohne Angst, denn das macht ihnen keinen Spaß." Leo hatte als erster den Ausgang erreicht, der durch ein altes großes Holztor führte.
Dahinter war es stärker beleuchtet und es gab viele Essensbuden. Es duftete nach Bratwurst und Pommes, Grill und Rauch. Die Atmosphäre war locker. Alles schrie nach Normalität. Selbst die Monster, die hier herumliefen, machten gerade Pause und drängten sich durch die Schlangen. Vielleicht wollten sie ihr Makeup richten.
Ein Zombie lief an ihnen vorbei durch das Tor. Louisa fand es merkwürdig, ihn nicht hinken zu sehen.
Etwas weiter hinten entdeckte sie eine Wahrsagerin, die ein Zelt aufgestellt hatte. „Lasst uns da später mal vorbeilaufen!"
„Das machen wir. Aber lasst uns doch erst noch eine Runde laufen und dann etwas Essen. Ich habe noch gar keinen Hunger. Ihr?" Isabell schaute zwischen ihnen hin und her. Alle verneinten.
„Aber jetzt erzählt mal, was passiert ist. Da vorne ist noch eine Bank frei." Bereits während sie das sagte, steuerte Cassy auf die Sitzgelegenheit zu.
Daneben gab es zwei Schilder. Das eine, das nach links deutete, zeigte: Ausgang. Das andere, das in die entgegengesetzte Richtung verweiste, enthielt die Aufschrift: Rundgang. Von dort würde man wieder an den Friedhof vom Anfang kommen und konnte dann so viele Runden drehen, wie man wollte.
Louisa empfand die helle Beleuchtung als großen Gegensatz zu dem Dämmerlicht, dem sie die ganze Zeit über ausgesetzt gewesen waren. Doch es half ihr dabei sich zu entspannen. Es war eine klare Abgrenzung zu der Welt, die hinter dieser Mauer wartete.
Nachdem sich alle in den Lichtkegel der Laterne mit elektrischen Licht gesetzt hatten, begann Maik mit der Erzählung.
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