III

Die Polizisten sind mittlerweile wieder aus meiner Wohnung verschwunden und sofort husche ich zu dem Gegenstand, der mich schon vor ein paar Stunden irritiert hatte. Dabei machte ich einen Bogen um den roten Fleck im Holzboden, den die Leiche hinterlassen hatte. Oder der zumindest so aussehen soll.

Dann streichen meine Hände über das Glas vor dem Bild. Das schwarze Felltier hatte mich sofort an Pennywise erinnert. Der störrische Blick, die intelligenten Augen. Ich hob den Bilderrahmen auf und öffnete ihn. Die kleinen Metallklammern, welche die Rückwand an ihrem Platz gehalten haben, schneiden ein wenig in meine Finger. Ich versuche, den Schmerz nicht zu sehr zu genießen.

Endlich bekomme ich das Foto in die Hand. Mittlerweile bin ich mir ganz sicher, dass es sich um meine kleine Katze handelt. Ich schaue mir das Foto an und drehe es dann um. Auf der Rückseite steht etwas in krakeliger Schrift geschrieben.

»Willst du sie wiederhaben? Dann triff mich hier: Pennylane 66«

Gemeinheit.

Ich hätte es sofort erkennen müssen. Die Musik, die Leiche, die Präzision. Jetzt erinnere ich mich auch wieder daran, wie ich die rote Farbe kaufen wollte. Eine Gestalt in Schwarz hatte mir eine neue Farbe empfohlen. Elegante Finger hatten mir die Dose in die Hand gedrückt. Hinter dem Schatten der Kapuze hatte ich nichts als Dunkelheit erkannt und jetzt weiß ich auch wieso.

Das feuchte Blut um den Leichnam. Die Aussage vom Polizisten, dass der Typ schon mehrere Wochen lang tot ist. Es war nicht sein Blut. Jemand hat ihn dorthin drapiert. Und jetzt weiß ich auch, wer.

Mit der Genugtuung, dass die Polizisten doch keine richtigen Beweise gegen mich in der Hand haben und vermutlich auf den gleichen Schluss kommen werden wie ich, und zwar, dass sich jemand einen blöden Scherz mit mir erlaubt hat, verlasse ich die Wohnung durch die Eingangstür und laufe die Treppen nach oben, um über die Häuser der Stadt zu dem verabredeten Punkt zu gehen. Ab und zu weiche ich Rußmonstern aus, die sich in der Dunkelheit um die Schornsteine versammelt haben. Ihre hässlichen Fratzen schauen mir hinterlistig hinterher, aber als ich sie anfauche, verstummt ihr Gelächter. Ängstlich verkriechen sie sich hinter den Backsteinen. Die kleinen Sterne, welche den Himmel wie Sommersprossen überziehen, lächeln mich an und scheinen mir ein Lied zuzuflüstern. Ich springe über die kleine Lücke zwischen zwei Häusern und führe den Weg zur Pennylane fort.

Er sang sobald ich schlief,
Und kam mir nach
Mir schien, dass er mich rief
Und mit mir sprach

Als ich in die Gasse einbiege, frisst sich weißer Neben in meine Kleidung. Die kühle Nässe scheint bis zu meinen Knochen durchzudringen. Sanfte Klaviertöne begleiten den Nebel. Umwaberen mich. Erinnerungen erwachen mit jedem weiteren Schritt und erwecken ein schlechtes Gewissen. Ich hätte meinen Kumpel auch früher besuchen können. Aber manchmal brauche ich eben meine Ruhe. Das Kunststudium ist für mich das Wichtigste gewesen.

Sanft trete ich gegen die hölzerne Tür, welche schief in den Angeln hängt. Es knarzt, als sie aufschwingt. Ein warmes Licht schlägt mir entgegen und mein Blick wandert zu dem glitzernden Kronenleuchter, welche von der Decke des Schuppens hängt. Und in der Ecke an dem schwarzen Flügel sitzt es. Spielt sanft und herzzerreißende Töne. Jetzt dringt auch seine schiefe Stimme zu mir durch.

»Pennywise soll wieder sein dein?
Fühlst du dich jetzt mega allein?
Mich hast du allein gelassen,
Oh, du nicht mehr hast im Schrank alle Tassen!«

»Bin ich froh, dass du deine Karriere als Sänger aufgegeben hast«, begrüße ich meinen kleinen Freund. Mitten in die schönen Mollklänge haut dieser einen Tritunus, welcher vermutlich seine Antwort darauf ist. Ohne mich abgesehen davon zu beachten spielt Tom das Phantom weiter.

»Hallo?«, rufe ich jetzt und stapfe in den Raum. »Ich hab auch nicht den ganzen Tag Zeit. Wo ist Pennywise?«

Die Töne werden immer schneller und virtuoser, eine lange Chromatische Leiter gefolgt von schnellen Mollakkorden.

»Du bist beleidigt? Dein Ernst?«

»Natürlich bin ich beleidigt!«, antwortet das Phantom. Langsam dreht es sich um und die schwarzen Schatten umwabern es langsam. Die Klaviertöne verklingen allerdings nicht, von unsichtbarer Hand werden die Tasten weiter nach unten gedrückt.

»Anstatt mich einfach mal zu besuchen, muss ich erst deine Katze entführen, um dich wieder zu sehen.«

Ich lasse mich in den weichen Ohrensessel fallen, welchen ich dem Phantom vor ein paar Jahren geschenkt habe. Tom setzt sich mir gegenüber. Dafür braucht er keinen Stuhl.

»Welches Tier hat diesmal leiden müssen für das Blut, was du mir untergejubelt hast?«, frage ich gerade heraus.

»Ich hab doch kein Tier umgebracht«, beschwert sich Tom. »Das war meine Zahnärztin. Sie wollte, dass ich meinen Mund noch weiter aufmache, dabei hatte ich schon extra die Schrei-Maske auf, die du mir gebastelt hast.«

»Verständlich, da hätte ich auch die Nerven verloren. Und wer war mein Nachbar?«

»Ach das«, jetzt kichert das Phantom. »Das war ein Bankräuber. Der war so ungeschickt, dass ich ihn beiseite räumen musste. Er wäre eine Schande für die Verbrecherwelt geworden.«

Ich nicke. So weit, so logisch. »Und du hast das alles nur gemacht, damit du mich von meiner Katze für ein paar Minuten trennen konntest? Um sie zu entführen? Um mit mir zu sprechen?«

Zwar kann das Phantom schlecht seine Gefühle zeigen, da es kein Gesicht hat, doch seine eingefallenen Schultern verraten mir seine Trauer. Bei diesem Anblick wird mein Herz ganz schwer. Ich hätte wirklich daran denken müssen, ihn mal zu besuchen. Dabei hatte er mich so oft gefragt, wann ich Zeit habe. Einmal hat er mir sogar ein Brot zugeschickt mit einem eingebackenen Zettel. Doch ich bin so auf das Studium fokussiert gewesen, dass ich ihn ganz unten auf meine To-Do-Liste getan hatte.

»Hat ja geklappt. Du bist hier. Nach einem Jahr endlich mal wieder. Außerdem liebst du Rätsel. Und ich habe dir extra eins gestellt.«

Bei dem Gedanken an den Nachbarn musste ich widerwillig lächeln. Tom hat Recht. Ich liebe Rätsel. Und nachdem ich verstanden habe, dass er meine Katze entführt hat, bin ich ziemlich erleichtert gewesen. Denn Tom ist strikter Vegetarier, der Grund, warum er Pennywise nichts angetan haben kann.

»Aber dass meine Lieblingsmusik nicht sofort erkannt hast, hat mich ein bisschen gekränkt«, fährt das Phantom fort. »Wir haben das Lied so oft zusammen gehört.«

»Ja ... unfreiwillig. Und besonders die Klavierversion von Phantom der Oper gefällt mir gar nicht«, meckere ich und verschränke die Arme. »Und wann bekomme ich Pennywise wieder?«

»Ganz einfach«, antwortet Tom. Wenn er ein Gesicht gehabt hätte, hätte er jetzt bestimmt gegrinst. »Du hilfst mir bei einer Kleinigkeit.«

»Und danach bekomm ich sie wieder?«

»Wenn's sein muss«, gibt Tom nach.

»Dann bin ich dabei.«

Das Phantom lehnt sich erleichtert zurück. »Puh, zum Glück. Ich hatte nämlich schon Angst, dass ich den Kindern allein einen Schreck einjagen muss, wenn sie morgen an den Türen klingeln und Süßes oder Saures wollen.«

»... WAS?« Ich starre ihn perplex an. »Ich hasse Kinder.«

»Und trotzdem magst du mich.«

»Ich korrigiere mich: Ich hasse Kinder, egal ob sie ein Phantom sind oder nicht.«

»Gemein.«

»Ich weiß. So bin ich eben«, ich zwinkere ihm zu und stelle mich auf einen anstrengenden morgigen Tag ein.

»Eine Bedingung«, sage ich schnell, bevor ich es vergesse. »Ich bestimme über die Musik.«

(2671 Wörter)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top