Kapitel 4

Nico stand reglos vor mir, die Arme verschränkt, seine roten Augen funkelten im schummrigen Licht des Zimmers. Ich versuchte, ihm nicht in die Augen zu sehen, doch seine durchdringende Präsenz machte das fast unmöglich.

„Erzähl mir von deiner Familie, Dylan," befahl er mit einer Ruhe, die mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.

Ich schüttelte den Kopf, fest entschlossen, nicht nachzugeben. „Nein. Ich schulde dir nichts weiter."

„Ach, wirklich?" Nico trat näher, sein Blick wurde intensiver. „Du hast noch nicht verstanden, wie das hier läuft."

Bevor ich protestieren konnte, streckte er die Hand aus und fasste meine flauschigen, empfindlichen Werwolfsohren. Sofort schoss ein seltsames Gefühl durch meinen Körper, eine Mischung aus Hilflosigkeit und... Verlegenheit. Mein Herz begann schneller zu schlagen, und zu meinem Entsetzen spürte ich, wie die Worte unkontrolliert aus meinem Mund strömten.

„Meine Mutter..." begann ich widerwillig, während Nico meine Ohren weiterhin streichelte, als wären sie sein persönliches Spielzeug. „Meine Mutter war eine Werwölfin. Sie war stark, stolz und hat immer versucht, mich zu beschützen, obwohl ich nie so stark war wie die anderen. Sie war die Einzige, die mich nicht verachtet hat."

Nico grinste zufrieden, als hätte er genau das gewollt. „Und weiter? Du hast doch sicher noch mehr zu erzählen."

„Mein großer Bruder, Ragnar," sagte ich gezwungen, unfähig, den Fluss meiner Worte zu stoppen. „Er war das genaue Gegenteil von mir. Ein reiner Werwolf, stark, mächtig, und bei allen im Rudel beliebt. Jeder sah zu ihm auf... er war der perfekte Sohn."

„Und du?" Nico neigte den Kopf leicht zur Seite, während seine Finger weiterhin sanft über meine Ohren glitten. „Warst du nicht auch der perfekte Sohn, Dylan?"

„Ich war..." Meine Stimme brach ab, und ich versuchte, mich zu wehren, doch die Berührung an meinen Ohren machte mich schwach, wie ein Marionette, die er nach Belieben lenken konnte. „Ich war nie gut genug. Ragnar hat mich immer beschützt, aber ich konnte ihm nie das Wasser reichen. Ich war immer der Schwächste, der Außenseiter, der Halbe."

„Der Halbe?" Nico schien dieses Wort zu genießen, als hätte es eine besondere Bedeutung für ihn. „Ein Halbwerwolf, ein Halbvampir. In beiden Welten gefangen, aber nirgendwo wirklich zu Hause. Ist das nicht richtig?"

„Ja," murmelte ich, während der Schmerz in meiner Brust wuchs. „Ich gehörte nirgendwohin. Nicht wirklich."

„Interessant." Nico trat noch näher, bis er so dicht vor mir stand, dass ich den schwachen Duft seines Parfüms wahrnehmen konnte. „Und deine Mutter? Was ist mit ihr passiert?"

„Sie hat mich immer beschützt," antwortete ich leise, mein Blick starrte ins Leere, während die Erinnerung an meine Mutter in meinem Kopf aufstieg. „Bis Fenris kam. Er wurde der neue Anführer des Rudels, und alles veränderte sich. Meine Mutter... sie konnte mich nicht mehr schützen."

„Fenris, der große Werwolf, der dich jagen will," murmelte Nico, und seine Augen funkelten amüsiert. „Er scheint ein ziemliches Problem zu sein."

„Er hasst mich," sagte ich, und die Bitterkeit in meiner Stimme war unüberhörbar. „Weil ich nicht wie die anderen bin. Weil ich schwach bin. Er wollte mich loswerden, und als meine Mutter sich mit ihm einließ, wurde alles nur noch schlimmer."

Nico ließ meine Ohren schließlich los, und ich spürte eine Welle der Erleichterung – doch nur für einen kurzen Moment. Er griff nach meinem Arm und zog mich abrupt zu sich heran, seine kalten Hände an meinem Gesicht. „Weißt du, Dylan," flüsterte er, während sein Blick auf meinen zitternden Lippen ruhte, „du bist viel interessanter, als du denkst."

„Lass mich los," murmelte ich schwach, unfähig, mich aus seinem Griff zu befreien.

Doch statt mich freizulassen, zog er mich noch näher, bis unsere Gesichter sich beinahe berührten. Seine Augen wanderten zu meinen Ohren, und ein breites, fast teuflisches Grinsen zog sich über sein Gesicht.

„Mit diesen flauschigen Werwolfsohren siehst du noch süßer aus, als du ohnehin schon bist," sagte er leise, und ich spürte, wie die Hitze in meinem Gesicht aufstieg.

„Hör auf," brachte ich mühsam heraus, meine Stimme zitterte vor unterdrücktem Zorn und... Scham? „Ich bin kein Spielzeug."

„Oh, aber das bist du," erwiderte Nico amüsiert, während er sanft meine Ohren erneut berührte. „Ein sehr süßes Spielzeug, das ich mir so lange ansehen kann, wie ich möchte."

Mein ganzer Körper verkrampfte sich, doch ich wusste, dass ich keine Chance hatte, mich ihm zu entziehen. Nicht jetzt, wo er mich vollständig unter Kontrolle hatte. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als stillzuhalten, während Nico sich weiterhin an meiner Hilflosigkeit ergötzte.

„Du wirst mir noch viel mehr erzählen," flüsterte er, als er mich schließlich losließ und einen Schritt zurücktrat. „Aber für heute reicht es. Wir haben Zeit, Dylan. Viel Zeit."

Nico stand in der Küche, mit einem seltsam zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht, während er sich daran machte, mir etwas zu essen zuzubereiten. Die Pfannen klapperten, und ich beobachtete ihn skeptisch von der Ecke des Raumes aus, wo ich mich hin zurückgezogen hatte. Irgendetwas an dieser Situation war einfach falsch. Ein Vampir, der für mich kochte? Es fühlte sich wie ein schlechter Witz an.

„Setz dich, Dylan," sagte Nico über die Schulter, ohne mich anzusehen. „Das wird dir schmecken."

Ich setzte mich widerwillig an den Tisch, doch in meinem Magen breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Meine Werwolfinstinkte sagten mir, dass etwas nicht stimmte. Als Nico mir schließlich einen Teller hinstellte, stieg mir sofort der beißende Geruch von Verbranntem in die Nase. Das Essen sah aus, als wäre es mehrere Minuten zu lange auf dem Herd gewesen – die Ränder waren schwarz, und der Geruch ließ meinen Magen sofort revoltieren.

„Iss," befahl Nico, und seine roten Augen funkelten erwartungsvoll.

Ich nahm widerwillig eine Gabel und stocherte in dem verbrannten Essen herum. Ein Bissen würde nicht schaden, oder? Mit zusammengebissenen Zähnen führte ich die Gabel zum Mund, doch kaum hatte ich das Essen gekostet, drehte sich mein Magen um.

Ich schluckte schwer, versuchte es zu unterdrücken, aber es war unmöglich. Ich spuckte das Essen aus und stürzte mich hastig vom Tisch weg, um nicht auf dem Tisch zu erbrechen. Mein Magen rebellierte, und ehe ich mich versah, erbrach ich das wenig, was ich heruntergeschluckt hatte.

Nico zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. „War es so schlimm?"

„Schlimm?" Ich wischte mir den Mund ab und funkelte ihn wütend an. „Das war das Schlimmste, was ich jemals gegessen habe! Es war total verbrannt!"

Er zuckte nur mit den Schultern, als wäre es ihm völlig gleichgültig. „Es ist nicht meine Spezialität, ich gebe es zu."

Ich schnappte tief nach Luft, um mich zu beruhigen, und ging schließlich selbst in die Küche. „Lass mich das machen. Ich bin sowieso nicht in der Stimmung, heute noch einmal zu kotzen."

Während ich anfing, etwas Essbares zu kochen, bemerkte ich, dass Nico nicht von meiner Seite wich. Er blieb direkt hinter mir, beobachtete mich mit seinen durchdringenden, roten Augen. Und dann... dann schnupperte er an mir. Ganz leise und subtil, aber ich konnte es spüren.

„Was machst du da?" fragte ich schließlich und warf ihm einen misstrauischen Blick über die Schulter zu. „Schnupperst du an mir?"

Nico grinste nur und legte seinen Kopf leicht schief. „Vielleicht."

Ich drehte mich vollständig zu ihm um, hielt den Kochlöffel noch in der Hand. „Warum schnupperst du an mir, als wäre ich ein verdammtes Steak?"

„Weil du es bist," sagte Nico und trat einen Schritt näher, seine Augen glitzerten amüsiert. „Du riechst köstlich, weißt du das? Wie eine feine, delikate Mahlzeit, die nur darauf wartet, verzehrt zu werden."

Mein Herz setzte einen Schlag aus, und ich wich unwillkürlich zurück. „Ich bin kein Essen, Nico. Ich bin ein Lebewesen, verdammt noch mal!"

„Das weiß ich," sagte er leise, und seine Stimme war so samtig, dass sie mich fast in Trance versetzte. „Aber das ändert nichts daran, dass dein Geruch unwiderstehlich ist. Halb-Werwolf, halb-Vampir... so eine Kombination ist selten. Eine Seltenheit, die man genießen muss."

Ich drehte mich wieder zum Herd und versuchte, mich auf das Kochen zu konzentrieren, obwohl meine Hände vor Nervosität zitterten. „Kannst du bitte aufhören, mich wie ein Stück Fleisch zu behandeln?"

„Ich mache dir nichts, Dylan," erwiderte Nico in seiner typischen, selbstgefälligen Art. „Noch nicht."

Seine Worte ließen mich innehalten. „Was meinst du mit 'noch nicht'?" Ich wirbelte herum, den Kochlöffel immer noch in der Hand. „Was genau hast du mit mir vor?"

Nico lachte leise, ein tiefes, kehliges Lachen, das mich frösteln ließ. „Das wirst du schon noch herausfinden. Aber keine Sorge, ich werde dich nicht einfach so verschlingen. Du bist viel zu wertvoll, um einfach verzehrt zu werden."

„Wertvoll?" Ich starrte ihn an, mein Kopf schwirrte vor Verwirrung. „Inwiefern bin ich wertvoll?"

„Du bist ein seltenes Exemplar," erklärte er mit einem Lächeln, das sowohl charmant als auch bedrohlich wirkte. „Und jemand wie du könnte mir von großem Nutzen sein. Aber zuerst... muss ich herausfinden, wie nützlich du wirklich bist."

Ich spürte, wie mir die Gänsehaut den Rücken hinaufkroch, und wandte mich wieder dem Herd zu, um weiter zu kochen. Die Spannung in der Luft war kaum zu ertragen, und Nicos ständiges Schnuppern an mir machte es nicht leichter. Es war, als wäre ich in seiner Gegenwart immer auf der Hut, als ob er mich jederzeit angreifen könnte.

Schließlich war das Essen fertig, und ich stellte es auf den Tisch. Nico setzte sich mir gegenüber und betrachtete mich mit einem unergründlichen Blick, während ich mich wortlos bediente.

„Du wirst mir weiterhin treu dienen, Dylan," sagte er plötzlich, während er mir in die Augen sah. „Und mit der Zeit wirst du verstehen, dass es zu deinem Besten ist."

Ich erwiderte seinen Blick, mein Herz pochte laut in meiner Brust. „Und was, wenn ich es nicht tue? Was, wenn ich gehe?"

Nico lächelte nur und beugte sich leicht vor. „Du wirst nicht gehen. Du gehörst jetzt mir."

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