Kapitel 20

In der Stille der Nacht, als der Mond hoch am Himmel stand und nur das leise Rascheln der Blätter zu hören war, fasste ich meinen Entschluss. Ich konnte nicht länger zulassen, dass Nico wegen mir in Gefahr geriet. Nicht, nachdem er schon so viel durchgemacht hatte. Ich war schwach, und diese Schwäche würde ihn irgendwann das Leben kosten. Das konnte ich nicht zulassen.

Langsam stand ich aus dem Bett auf, immer darauf bedacht, Nico nicht zu wecken. Er schlief tief und fest, sein Atem ruhig, aber ich wusste, dass er sofort aufwachen würde, wenn er auch nur den Hauch einer Gefahr witterte. Ich zog mir schnell meine Sachen an und schlich zur Tür. Mit einem letzten Blick auf Nico, der sich im Schlaf leicht bewegte, öffnete ich die Tür und schloss sie leise hinter mir.

Als ich draußen war, rannte ich los. Meine Füße trugen mich durch den dichten Wald, während mein Herz wild in meiner Brust hämmerte. Jeder Schritt entfernte mich weiter von Nico, aber gleichzeitig spürte ich den Schmerz in meiner Brust, der mir sagte, dass ich das Richtige tat. Es war die einzige Möglichkeit, ihn zu beschützen.

„Es ist besser so," flüsterte ich mir zu, während ich durch den Wald hastete, der Mond schien auf mich herab und warf lange Schatten über den Weg.

Doch mit jedem Schritt wurde die Last schwerer. Die Gedanken an Nico, seine kalte Haut, sein Lächeln, wie er meine Ohren immer wieder berührt hatte – all das kam mir in den Sinn. Aber ich durfte nicht schwach werden. Nico würde ohne mich sicherer sein. Fenris und die anderen würden mich vielleicht jagen, aber er würde sich aus dem Ganzen raushalten können, wenn ich weg war.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter mir. Ein leises Rascheln, kaum wahrnehmbar, aber dennoch da. Ich drehte mich hastig um und sah – nichts. Der Wald war still, doch mein Instinkt sagte mir, dass ich nicht allein war. Panik stieg in mir auf, und ich lief schneller.

Doch da hörte ich es erneut, näher, lauter. Schritte. Es waren nicht meine.

„Dylan..."

Ich blieb abrupt stehen, als ich Nicos Stimme hörte. Sie war ruhig, fast ein Flüstern, und dennoch konnte ich das Ringen in seinem Tonfall erkennen. Ich wollte nicht zurückblicken, aber ich konnte nicht anders. Langsam drehte ich mich um und sah ihn. Er stand nur ein paar Meter hinter mir, in der Dunkelheit, sein blasses Gesicht wurde vom Mondlicht erhellt.

„Wieso rennst du weg?" fragte er, seine Stimme voller Schmerz und Enttäuschung.

„Ich..." Meine Stimme brach, und ich spürte, wie sich mein Hals zuschnürte. „Ich kann das nicht mehr, Nico. Du wirst wegen mir getötet werden. Sie alle wollen mich, und du gerätst immer wieder in Gefahr!"

Er trat einen Schritt näher, aber ich hob die Hände, um ihn aufzuhalten. „Bleib weg!"

„Dylan..." sagte er erneut, doch dieses Mal war seine Stimme rauer, fast drohend. „Glaubst du wirklich, dass ich dich gehen lassen werde? Dass ich dich einfach so aufgeben werde?"

Ich schluckte hart und spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. „Du musst es. Du hast kein Leben, wenn ich bei dir bleibe. Sie werden dich immer jagen, Nico, und irgendwann... irgendwann wirst du nicht mehr da sein."

Er stand nun direkt vor mir, seine roten Augen fixierten mich, und ich sah den Schmerz in ihnen, den er versuchte zu verbergen. „Glaubst du wirklich, dass ich ohne dich besser dran wäre? Dylan, du verstehst es nicht." Er legte eine Hand auf meine Schulter, und ich spürte die kalte Berührung seiner Finger. „Ich habe dich gewählt. Ich werde dich nicht aufgeben, egal, was passiert."

„Aber wieso?" rief ich verzweifelt. „Warum riskierst du dein Leben für mich? Ich bin nichts Besonderes, Nico!"

Sein Griff verstärkte sich, und ich sah, wie sich seine Augen verdunkelten. „Du bist alles für mich." Er sprach die Worte ruhig, aber sie trafen mich wie ein Schlag. „Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mich nach dir sehne, Dylan. Du bist mehr als nur ein einfacher Werwolf. Du bist mein... Schicksal."

Ich zitterte unter seiner Berührung, und die Worte trafen mich tief. „Schicksal?" flüsterte ich, und mein Herz schlug schneller.

„Ja," sagte er und beugte sich zu mir hinunter, sein Atem streifte mein Gesicht. „Du kannst nicht einfach wegrennen. Es gibt kein Zurück. Du gehörst zu mir, und ich werde dich immer beschützen."

„Nico..." flüsterte ich, und in diesem Moment wusste ich, dass es keinen Ausweg gab. Er würde mich nie loslassen, und ich konnte ihm nicht entkommen – nicht, wenn ich selbst tief in mir spürte, dass ich ihn brauchte.

„Komm zurück," sagte er sanft, fast flehend, während er mir ins Gesicht sah. „Lauf nicht weg. Ich werde dich niemals aufgeben."

Ich ließ meinen Kopf hängen und nickte schwach. „Okay," flüsterte ich, meine Stimme zitterte. „Ich werde nicht mehr weglaufen."

Nico zog mich fest an sich, und ich vergrub mein Gesicht in seinem Oberkörper. Sein Griff war stark, aber nicht schmerzhaft. Er hielt mich, als wäre ich das Wichtigste in seiner Welt, und ich spürte, dass ich für ihn genau das war.

Es gab keinen Ort, an den ich fliehen konnte. Nico war meine Zuflucht – und mein Käfig.

Die Tränen liefen mir unaufhaltsam über die Wangen, während ich meinen Kopf gegen Nicos Brust drückte. Sein vertrauter Duft umgab mich – kühl, leicht metallisch, aber auf eine Weise, die mich beruhigte. Es war der Duft, der mich immer beschützt hatte, auch wenn ich es lange nicht hatte zugeben wollen.

Ich konnte es nicht mehr leugnen. „Ich liebe dich", flüsterte ich kaum hörbar, meine Stimme gebrochen von den Schluchzern. „Verdammt, Nico... ich liebe dich."

Seine Arme um mich wurden fester, und für einen Moment blieb alles still. Ich hielt die Luft an, unsicher, wie er reagieren würde. Es fühlte sich an, als ob mein Herz stehengeblieben wäre, als ich auf seine Antwort wartete.

Dann spürte ich, wie seine Lippen sanft auf meinem Haar ruhten. „Dylan," flüsterte er, seine Stimme so weich wie die Nachtluft um uns. „Ich weiß."

Ich hob meinen Kopf und sah ihn an, meine Augen verschwommen von den Tränen. „Du... du weißt es?"

Er lächelte schwach, und zum ersten Mal schien er... verletzlich. „Natürlich weiß ich es. Ich habe es schon lange gespürt, auch wenn du es nicht zugeben wolltest."

Ich schniefte und wischte mir hastig die Tränen von den Wangen. „Warum hast du dann nie..." Meine Stimme versagte, und ich wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte. Warum hat er nie etwas gesagt? Warum hat er mich in dem Glauben gelassen, dass er mich nur besaß, mich nur für sich beanspruchte, weil ich irgendein wertvolles Spielzeug war?

Nico zog mich sanft zu sich hinunter und setzte sich mit mir im Arm auf den weichen Waldboden. „Weil ich wusste, dass du Zeit brauchst, um es selbst zu erkennen. Ich konnte dich nicht zwingen, Dylan. Ich wollte, dass du es von selbst spürst."

Ich sah auf die dunkle Erde unter uns, unsicher, was ich jetzt sagen sollte. Seine Worte klangen so echt, so aufrichtig, und doch... hatte ich so lange dagegen angekämpft. „Aber... ich habe so viel versucht, um dich zu hassen", flüsterte ich schließlich. „Ich wollte nicht, dass es so endet."

Er hob mein Kinn mit seiner kühlen Hand und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. Diese blutroten Augen, die mich immer in den Wahnsinn getrieben hatten, schienen jetzt fast weich zu sein, voller Zuneigung, die ich nicht erwartet hatte. „Du kannst es nicht ändern", sagte er ruhig. „Du hast gekämpft, und ich habe gewartet. Jetzt sind wir hier, und ich werde dich nie wieder loslassen."

„Ich wollte dich nicht lieben", gestand ich leise, meine Worte kaum mehr als ein Flüstern. „Ich wollte nicht schwach sein... wollte nicht abhängig von dir sein."

Er lachte leise, ein sanftes, fast trauriges Lachen. „Liebe macht uns alle schwach, Dylan. Aber das bedeutet nicht, dass du weniger wert bist. Es macht dich stärker, weil du dich dem gestellt hast."

Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Brust, erschöpft von dem Sturm der Gefühle, der durch meinen Körper zog. „Und was jetzt?" fragte ich leise.

„Jetzt", antwortete Nico, während er sanft über mein Haar strich und meine flauschigen Werwolfsohren leicht berührte, „gehörst du mir, und ich gehöre dir. Es gibt kein Entkommen mehr. Aber weißt du was? Das muss es auch nicht."

Ich zitterte unter seiner Berührung, spürte, wie seine Hand sanft meinen Nacken streichelte, und trotz allem, trotz der Angst, trotz des Schmerzes... fühlte ich mich sicher. Sicher bei ihm. Bei demjenigen, der mich immer beschützt hatte, auch wenn ich es lange nicht hatte erkennen wollen.

„Dylan", sagte Nico plötzlich, seine Stimme leiser, fast sanft wie ein Versprechen. „Ich werde dich nie im Stich lassen. Nicht heute, nicht morgen, nicht jemals. Solange ich lebe, wirst du sicher sein."

„Aber..." flüsterte ich, „ich habe Angst, dass... dass ich dir nicht gut genug bin."

Er zog mich dichter an sich, als ob er meine Zweifel spüren konnte. „Du bist alles, was ich brauche", sagte er und seine Lippen berührten leicht meine Stirn. „Das habe ich dir doch schon gesagt, oder nicht?"

Ich nickte schwach, konnte aber nicht verhindern, dass erneut Tränen in meine Augen stiegen. „Es ist nur... schwer. Alles fühlt sich so schwer an."

Nico legte seinen Kopf leicht schief und sah mich aufmerksam an. „Wir werden das zusammen schaffen", versprach er. „Ich werde immer da sein, um dich daran zu erinnern, dass du nicht allein bist."

Ich atmete tief durch, meine Brust hob und senkte sich schwer, doch langsam beruhigte sich mein Herz. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich... irgendwie vollständig. Als ob ich endlich dort war, wo ich hingehörte.

„Ich liebe dich, Nico", wiederholte ich, dieses Mal etwas fester, etwas entschlossener.

Er sah mich an, ein Lächeln auf seinen Lippen, und zog mich in einen sanften Kuss. „Und ich liebe dich, Dylan. Mehr, als du dir jemals vorstellen kannst."

In diesem Moment wusste ich, dass es kein Zurück mehr gab.

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