track 4


Disc 5
Track 4 - Infinity
» eyes can't shine unless there's somethin' burnin' bright behind «
LIAM
im fünften Jahr nach der Trennung von One Direction

Gedankenversunken ließ ich meine Finger über das bereits leergetrunkene Glas vor mir gleiten. Ich strich über die Kanten, drehte es um und hob es anschließend wieder ein wenig an, um nachzusehen, ob sich am Boden vielleicht doch noch ein letzter Tropfen Wein zusammenfinden würde, nur um das Glas letztens Endes wieder über den Tresen zu schieben. Was für eine Nacht. Was für ein Silvesterabend.

Von draußen konnte ich bereits hören, wie die ersten Feuerwerkskörper abgefeuert worden. Wobei - eigentlich wollte ich es nicht hören, es war schlichtweg einfach nicht zu überhören. Daran konnten noch nicht einmal die schalldichten Fenster etwas ändern. Ich atmete tief durch und ließ mich ein wenig weiter über meinen Bartresen hängen und starrte geradewegs durch die Fensterscheibe. Irgendwie faszinierte es mich jedes Mal aufs Neue, wie jemand einerseits von so vielen Menschen gekannt werden und sich dennoch wie der einsamste Mensch auf dem Planeten fühlen konnte. Mir war mehr als bewusst, dass ich nicht sonderlich gut darin war, alleine zu sein. Und alle, die mich zumindest ein kleines wenig besser kannten, wussten das auch. Schließlich war ich schon immer so gewesen. Aber doch holte es mich besonders an Tagen wie diesen wieder und wieder ein.

Seitdem Niall nach Irland zurückgegangen war, nahm mich die Sache noch mehr mit als ohnehin. Schlussendlich war er über die letzten drei Jahre zu meinem besten Freund herangewachsen, und immer, wenn er einmal in England war, waren unsere beiden Zeitpläne so eng gestrickt, dass da gar kein bisschen Platz für uns beide war.

Es fühlte sich ein bisschen an wie Liebeskummer, nur schlimmer. Hier gab es keine gebrochenen Herzen, denn keiner von uns beiden hatte jemals etwas falsch gemacht. Da war niemand, dem man die Schuld zuschieben und sich selbst einreden konnte, dass der andere es nicht wert sei. Niall war lediglich seinem Herzen gefolgt, und das war genau das, was ich mir so unglaublich sehr für ihn gewünscht hatte.

Dabei sollte es mir doch eigentlich so gut gehen. Zumindest war es das, was alles sagten und vielleicht auch das, was ich mir dadurch mittlerweile von mir selbst erwartete. Schließlich schien in meiner Karriere nun endlich alles bergauf zu gehen und werde von der Öffentlichkeit geliebt und sollte dementsprechend - zumindest wie es die Presse so schön geschrieben hatte - auch keine anderen Sorgen haben.

Kopfschüttelnd fuhr ich mir mit den Fingerspitzen meine Schläfen entlang und fischte daraufhin mein Handy aus meiner Hosentasche, um mich irgendwie auf andere Gedanken zu bringen. Das Display war viel zu hell eingestellt und ich musste mit der Hand mein Gesicht abschirmen, um wenigstens irgendetwas von dem lesen zu können, was mir da angezeigt wurde. Meine Schwester hatte mir vor ein paar Minuten im Voraus ein frohes neues Jahr gewünscht, ein paar Freunde spammten in einer Gruppe lustige Gifs und sowohl Alanis als auch Louis hatten mich mit einer liebgemeinten Nachricht vertröstet.

Seufzend ließ ich mein Handy wieder sinken. Obwohl ich nirgends bewusst hinsah, hatte ich das Gefühl, meine ganze Wohnung und mich selbst mittendrin sehen zu können. Wie ich in meiner Küche rumhockte, einzig und alleine mit einer angebrochenen Flasche Rotwein, der mir Gesellschaft leistete. Mit einem Mal begannen mir nur noch mehr Gedanken durch den Kopf zu schießen. Ihn diesem Augenblick konnte mich nicht wiedererkennen. Als würde hier nur meine Hülle sitzen.

Mein Blick glitt zurück auf mein Handy, auf dem eine weitere Nachricht von meiner Schwester aufblinkte. Und feier schön :), stand da. Unbewusst zuckten meine Mundwinkel nach oben. Ich liebte es, wie ähnlich wir tickten, und auch wenn sie kaum etwas von dem wusste, was mit mir los war, war mir klar, dass sie recht hatte. Alles würde gut werden. In ein paar Wochen würde ich wahrscheinlich auf diesen Abend zurückblicken und mich fragen, warum ich aus allem so eine große Sache gemacht hatte.  Aber das würde erst dann so sein, sobald ich mich von diesem verdammten Barhocker hochgerappelt hatte.

Ich wollte mit den Menschen zusammen sein, die ich am meisten liebte, und mit denen ich die letzten Jahre über ohnehin viel zu wenig Zeit verbracht hatte.

Mit meiner Familie.

Kurzerhand ließ ich mein Handy wieder in meiner Hosentasche verschwinden, rutschte vom Barstuhl und joggte direkt zur Wohnungstür. Im Vorbeigehen schnappte ich mir meinen Mantel, der noch von gestern über der Couch hing, und danach meinen Schlüsselbund vom Regal. Einen Moment lang blieb ich stehen und drehte die Schlüssel zwischen meinen Fingern.

Mit dem Auto würde ich es unmöglich bis Mitternacht zu meiner Familie schaffen. Dafür war es mittlerweile schon viel zu spät und Wolverhampton zu weit entfernt. Mit ein wenig  Glück könnte ich den nächsten Zug erwischen und es gerade noch so rechtzeitig schaffen. Hin- und hergerissen schnappte ich zwischen den Zähnen nach Luft und warf einen letzten Blick auf meine Wohnung. Mein Herz schlug schneller, das kalte Metall der Schlüssel schnitt oberflächlich in meine Haut.

"Wird schon schiefgehen", flüsterte ich schließlich vor mich hin, griff nach der Türklinke und stürzte hinaus auf den Flur. Alles, was ich danach passierte, kam mir vor wie im Zeitraffer - anstatt den Aufzug zu nehmen, stolperte ich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, statt meinen Mantel sorgfältig Knopf für Knopf zu schließen, warf ich ihn mir unordentlich über die Schultern und anstatt die Eingangstür zu öffnen, wie es alle anderen taten, stieß ich sie einfach mit den Unterarmen auf.

Die kalte Nachtluft wirbelte mein Haar durcheinander und kleine, unzählige Schneeflocken rieselten aus den dicken Wolken auf meine Kleidung herab. Abgesehen davon wirkte die Stadt wie verlassen. Ab und zu fuhren ein Auto an mir vorbei, ein paar weitere Raketen feuerten grelle Farben in den Himmel. Es sah wunderschön aus. Ich blieb für einen kurzen Augenblick stehen, um das Ganze so intensiv wie möglich zu erleben.

Ein paar Minuten später bog ich von der Seitenstraße auf die Hauptstraße ein. Die hohen Türme und breiten Glasfronten des Bahnhofs zeichneten sich schon von Weitem aus der Dunkelheit ab. Ich ballte die Hände in den Manteltaschen, zog den Stoff zwischen den Fingern ein und aus und atmete noch ein letztes Mal den bittersüßen Duft von Schwefel und Glühwein ein, ehe ich vom Bordstein durch die Schiebetüren trat.

Die Lampen schienen aus allen Richtungen durch die Halle direkt in meine Augen. Ich kniff die Lider zusammen, lockerte meinen Schritt und blickte direkt auf die großen Bildschirme, die an der Wand gegenüber von mir montiert waren. Mein Blick glitt immer weiter über die leuchtend gelben Buchstaben, bis er letztendlich an dem Wort Wolverhampton hängen blieb. Daneben war die Abfahrt für 21:43 angeschrieben.

Ich schaute auf die Zeitanzeige und hielt unbewusst den Atem an. Mir blieben nicht einmal mehr fünf Minuten, um den Zug zu erwischen, und mit jeder Sekunde, die verging, spürte ich, wie mein Puls ein wenig schneller durch meine Adern schoss.

Also begann ich zu laufen. Ich folgte den Schildern, rannte vorbei an all den kleinen Läden, die Rolltreppe hinunter und entlang der Gleisaufgänge. Ich hatte Glück, dass die meisten Menschen an Silvester etwas Besseres zu tun hatten, als am Bahnhof herumzuirren, denn so konnte ich weder großartig aufgehalten werden, noch musste ich mich bei irgendwem entschuldigen, da ich mich durch keine Massen durchdrängeln musste. Alles, was es zwischen diesen steinernen Mauern gab, waren ich und die tickende Uhr in meinem Kopf. 

Schließlich bog ich auf den richtigen Aufgang ein und stieg zwei Stufen pro Schritt die Treppe zum Bahnsteig hinauf. Der Zug reichte so weit zurück, dass ich nicht einmal sehen konnte, wo er endete. Aber da ich noch nicht einmal eine Fahrkarte hatte, war es auch vollkommen irrelevant, in welches Abteil ich mich setzen würde. Ich würde einfach durch die erstbeste Tür gehen, egal ob es die erste Klasse war oder ich die nächsten zwei Stunden durchstehen müssen würde.

Mit jedem Schritt fixierte sich mein Blick mehr und mehr auf den Zug, auf den ich geradewegs zulief. An den eisernen Bänken waren allesamt unbesetzt, und die Türen der Waggons waren, soweit ich sehen konnte, alle geschlossen. Entweder fuhr heute Abend niemand mehr nach Wolverhampton, oder der Zug war bereits kurz für Abfahrt, aber das wollte ich mir nicht eingestehen.

Doch leider war London alles andere als eine Geisterstadt und so kam alles, wie es kommen musste. Ich rannte schneller und schneller, nur um letztendlich dabei zusehen zu müssen, wie der Zug sich in meine Gegenrichtung zu bewegen begann und kurz darauf an mir vorbeifuhr. "Nein", seufzte ich ungläubig, währenddessen ich langsamer wurde und dem Zug hinterher starrte, "nein, nein, nein." Hilflos musste ich mitansehen, wie er in der hinter all den Feuerwerken in der Nacht verschwand.

Die Situation hatte mich so paralysiert, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie mir der Schweiß von meiner kalten Haut tropfte. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und ging langsam auf eine dieser sperrigen Eisenbänke zu, um mich hinzusetzen und herunterzukommen. Meinen Kopf ließ ich dabei über die Lehne fallen und meine Augen blickten direkt in den Himmel. Mein Herzschlag verlangsamte sich und mein Atem  wärmte meine Wangen ein wenig auf und dennoch fühlte ich mich wie festgefroren. Es kam mir einfach so falsch vor, inmitten von London auf einer Bahnhofsbank, während meine Familie wahrscheinlich gerade gemeinsam das Käsefondue einschmolz oder sogar bereits die ersten Gläser Sekt anstieß.

Nächstes Jahr würde bestimmt schon alles besser werden.

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