track 14
Disc 1
Track 14 - Stand Up
» I would swim all the oceans just to see you smile «
NIALL
im ersten Jahr nach der Trennung von One Direction
Meine Hand zitterte ein wenig, als ich die Nadelspitze auf meiner Haut ansetzte. Ich sog tief Luft ein und hielt den Atem so lange an, bis der Druck in der Spritze langsam nachließ. Unbeholfen tastete ich nach dem Desinfektionsmittel am anderen Ende des Tisches und verteilte ein bisschen davon um meine Einstichwunde. Es brannte, doch genauso schnell wie sich der Schmerz in mir ausgebreitet hatte, war er auch wieder verflogen.
Ich krempelte den halblangen Ärmel meines Hemdes herab und warf die kleine Plastikspritze rücksichtslos in den Mülleimer unter meinen Füßen. Gleich würde ich mich mit Emma treffen. Sie hatte seit Wochen darauf bestanden, dass wir zusammen ein Eis gehen sollten. So wie damals in den langen Schulpausen.
Es war nach wie vor ein ungewohntes Gefühl, meine Wohnung zu verlassen, ohne dabei von einer Flut an Selbstzweifel erschlagen zu werden. Ich lief die Treppen hinab und zog die Haustür hinter mir zu. Allmählich legte sich ein Weichzeichner über die Landschaft und das Einzige, das herausstach, waren Emmas bunte Haarspangen.
Emma sah mich bereits von Weitem und winkte mir zu. „Na du", begrüßte ich sie, als ich neben ihr direkt vor der Auslage der Eisdiele zum Stehen kam. „Soll ich Zitrone oder Himbeere nehmen?", fragte sie mich, währenddessen sie ihre Handflächen an die Glasscheibe presste. „Warum nimmst du nicht einfach beides?" Grinsend sah sie zu mir auf. „Was würde ich nur ohne dich machen?", lachte sie und schubste mich danach freundschaftlich in den Laden.
Wenig später schaufelte ich gedankenverloren in meinem Eis herum. Am Boden des Bechers hatte sich bereits eine Lache gebildet, die tristen Straßen von Mullingar verschwammen zu einer Küste. Am Horizont flog ein Schwarm Möwen über das Gewässer, währenddessen die Sonne auf mein Hemd schien. Vermutlich würde ich mit einem komplett geröteten Rücken aufwachen. Ich atmete die Meeresluft ein und ließ den ersten Löffel Eis auf meiner Zunge zerschmelzen.
„Pass auf!"
Abrupt wachte ich aus meinen Tagträumen auf, als eine Hand an meinem Ärmel zerrte. Ich stolperte einige Meter beiseite. Der Fahrer auf dem Motorrad drehte seinen Kopf kurz in meine Richtung und tippte mit dem Zeigefinger mehrfach auf seinen Helm, ehe er fest ins Gaspedal trat und die Luft um sich herum versorgte. Unbeeindruckt verdrehte ich die Augen. „Ist alles okay? Du wirkst heute so abwesend", fragte mich Emma besorgt, woraufhin ich über die Schulter zu ihr zurückblickte. „Alles bestens." Ich lächelte sie an und sie mich auch. Die Einstichwunde an meinem Unterarm hatte in der Rauchschwade des Motorrads zu jucken begonnen.
„Was ist das eigentlich? Ich hab' gar nicht zugehört", fragte mich Emma. Wir schritten von der Eisdiele die Meile entlang, wobei ich ausdruckslos in die Ferne starrte. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, „was hast du gesagt?" Beiläufig deutete sie auf den Becher in meiner Hand. „Dein Eis. Was hast du?" „Oh", ich lachte verlegen auf, „Vollmilch, Zartbitter und weiße Schokolade. Quasi das ganze Programm." „Du hast dich auch wirklich kein bisschen verändert", meinte Emma und lehnte den Kopf an meine Schulter. Ich antwortete nichts.
Wir ließen uns nebeneinander auf einer Parkbank am Straßenrand nieder. Das Eis hatten wir beide auf der morschen Sitzfläche abgestellt. Emma fuhr mit den Fingernägeln unter eine ihrer Spangen und löste diese geduldig aus ihrem Haar. „Ich muss dir etwas sagen, Em." Sie wandte sich mit funkelnden Augen zu mir. Es war offensichtlich, dass sie sich etwas anderes erwartete als ich ihr tatsächlich zu erzählen hatte. „Hast den Entwurf für das Album fertig?" Für einen Moment schweifte ich erneut ab. Es gab vieles, was ich Emma sagen wollte - von den Balkongesprächen mit Noah bis hin zu all den verworfenen Liebesliedern und den Möwen in meinem Kopf.
Emma sprühte nur so vor Neugier. „Na, jetzt mach's doch nicht so spannend", lachte sie und stupste gegen meine Schulter. Seufzend ließ ich meinen Blick zu Boden gleiten. „Ich werde wieder zurück nach London ziehen." „Was?", sie zog irritiert die Augenbrauen zusammen, „du bist doch gerade erst wiedergekommen."
„Manchmal muss man sich damit abfinden, dass einen das, was man am meisten will, auf Dauer schlicht und ergreifend kaputtmacht", murmelte ich. Unser Gespräch entwickelte sich viel schneller in diese melodramatische Richtung als ich es beabsichtigt hatte. Zerknirscht kratzte Emma den letzten Rest Eis aus ihrem Becher und ich fragte mich, ob ihre Lippen mehr nach Himbeere oder Zitrone schmeckten.
Sie legte ihre Finger an mein Handgelenk, ließ jedoch wieder schlagartig von mir ab, als ihr Blick an meiner Ellenbeuge hängen blieb. „Verdammt Niall, was soll das?" Ich zog meinen Arm etwas näher an meinen Oberkörper. „Jetzt gerade ist alles okay", meinte ich. Ich verstand nicht, warum sie so emotional reagierte, denn mittlerweile mussten Noahs Unterarme von den unzähligen Nadelstichen betäubt und seine Leber von den bunten Tabletten komplett durchweicht sein.
„Ich verstehe das nicht. Du warst doch immer derjenige von uns vier, der als Einziger nie bei dieser Scheiße mitgemacht hat." Emma warf den Eisbecher in den Mülleimer neben ihr. „Mach dir keine Sorgen", wiederholte ich nur, aber sie schüttelte abermals den Kopf. „Das wievielte Mal ist es, dass du dir dieses Zeug gespritzt hast?" „Erst das dritte", entgegnete ich.
„Erst das dritte? Du bist auf dem besten Weg, heroinabhängig zu werden. Das geht viel schneller als man denkt. Oh mein Gott ... ", sie vergrub den Kopf in ihren Händen, woraufhin ihre Haare ihr Gesicht verdeckten. „Es tut mir so unfassbar leid, Em", sagte ich, empfand dabei aber keinerlei Schuldgefühle.
„Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin", seufzte sie schließlich. Ich nickte und Emma drehte ihren Kopf etwas in meine Richtung. „Warum bist du dann nicht zu mir gekommen? Was habe ich falsch gemacht, dass du dir lieber irgendwelche Drogen spritzt anstatt mit mir zu reden?" Obwohl die Situation auf meinen Verstand derart irrelevant wirkte, begannen meine Augen zu tränen. Mehrfach blinzelte ich vor mich hin. „Es liegt nicht an dir", war alles, was mir dazu einfiel.
„Weißt du, ich habe dich immer unglaublich bewundert. Während wir uns Tag für Tag unsere Zukunft verbaut haben, hast du dich zurückgehalten und darauf geschaut, dass niemandem etwas passiert. Und das hast du so lange gemacht, bis du dich dafür eingesetzt hast, deine Träume zu verwirklichen, wenn schon keiner von uns drei an sich geglaubt hat. Warum also fängst du jetzt damit an? Warum hast du überhaupt erst damit angefangen?", fragte sie mich. Ich musste mich konzentrieren, um Emmas Worte in zusammenhängenden Sätzen zu verstehen.
Es war warm, doch meine Hände waren kalt. „Ich habe einfach gedacht, es wäre für mich das Beste, nach Irland zurückzugehen und mein altes Leben weiterzuleben. Aber inzwischen habe ich schon bemerkt, dass davon nicht wirklich etwas übrig geblieben ist." Emma seufzte. „Es ist noch genug von deinem alten Leben übrig, Nialler. Du siehst es nur nicht", sagte sie und ich vergrub meine Hände in meinen Hosentaschen.
„Du kannst unmöglich von heute auf morgen auf ein anderes Land ziehen, nicht in diesem Zustand." Mit dem Ärmel wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und atmete daraufhin tief durch. Ihre Nase war rot angelaufen. „Ich war überall glücklicher als ich es hier bin, Em", meinte ich, aber sie wollte es noch immer nicht wahrhaben. „Nialler, ich kann dich nicht gehen lassen, wenn ich ständig Angst um dich haben muss. Was auch immer gerade in dir vorgeht, es gibt einen anderen Weg als diesen. Du kannst es besser machen als ich, Noah und Flynn und ich denke, du weißt, wie sehr ich an dich glaube."
Mein Blick glitt beiseite, mir fiel mein Eis auf, das noch immer neben mir auf der Parkbank stand. In der Zwischenzeit war es jedoch zur Gänze geschmolzen. „Ich weiß, Em. Vielleicht liebe ich dich ja genau deswegen so sehr", meinte ich und schaute zurück zu Emma, die unbeholfen an mir vorbeistarrte. „Niall, bitte ... ", hob sie an, doch sie brachte ihren Satz nie zu Ende.
„Es ist schon okay. Ich wollte nur, dass du es weißt. Dass ich wieder und immer noch verliebt in dich bin." Eigentlich hatte ich mir diesen Moment mit Herzklopfen und verschwitzten Händen vorgestellt. Stattdessen saß ich einfach nur da und war viel zu entspannt. „Also bin ich der Grund, warum es dir so schlecht geht?", fragte sie, woraufhin ich meine Hände aus den Hosentaschen und Emma in eine feste Umarmung zog. „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir das zwischen Noah und dir egal ist oder nicht nahe gehen würde ... aber am Ende des Tages will ich nur, dass es dir gut geht." Nickend grub sie ihre Nase in mein Hemd.
„Könnte ich dich um einen Gefallen bitten?", murmelte sie in den Stoff. „Ist das eine ernst gemeinte Frage?", lachte ich und ließ von ihr ab, wobei Emma verlegen ihre Haare hinter die Ohren strich. „Ich möchte, dass es dir auch gut geht. Dass du das ganze Chaos in deinem Kopf hinter dir lässt. Meinetwegen können wir uns jeden Tag zum Eis essen verabreden, wenn es dir hilft, aber ich kann dich beim besten Willen nicht gehen lassen, wenn ich weiß, dass in deinem Leben bei Weitem nicht alles in Ordnung ist", meinte sie. Ich nickte schwach. „Damit habe ich zwar gerade nicht gerechnet, aber ich kann es auf jeden Fall versuchen." Emma überkreuzte ihren Zeige- und Mittelfinger und ich machte es ihr nach.
„Versprochen?"
„Versprochen."
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