11.2

Das erste, was ich hörte, als ich aufwachte, waren Schluchzer. Jemand hielt meine Hand.

Dann ein leises Knallen. Kurz danach Stimmen.

"Sie ist rund um die Beine vernarbt, den Göttern sei Dank haben sich alle Wunden schnell geschlossen. Aufgewacht ist sie aber immer noch nicht. Sie ist-" Ein heiseres Husten. "Im Koma."

"Percy.", sagte eine Frauenstimme mitfühlend. "Wie lange schon?"

"Zwei Wochen." Der Griff um meine Hand festigte sich. Ich wollte sie auch drücken, den Besitzer beruhigen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Schlaff lag ich auf dem Bett.

"Sag mal, gehst du eigentlich auch mal raus?", fragte die Frauenstimme.

Wieder ein Husten. War das ein Lachen?

"Piper. Bitte."

"Ich bitte dich auch!", sagte Piper nun etwas lauter. "Du gehst nicht zum Training, besuchst deine Mom nicht, wir machen uns Sorgen um dich!"

"Und um sie? Was ist mit ihr? Was ist mit Annabeth?", fragte Percy gereizt. Der Name durchfuhr mich wie ein Elektroschock. Annabeth! Das war mein Name! Und der Junge neben mir ...

"Percy.", krächzte ich leise. Sofort ließ er von Piper ab und beugte sich über mich. Auch Piper flitzte heran.

"Annabeth?"

Ich öffnete die Augen und blickte in seine. Sie waren mit Tränen gefüllt. Schwach hob ich meine Hand und wischte sie fort. "Was ist passiert?"

Er sah mich nachdenklich an. "Das weiß ich nicht so genau. Deine Mutter und du, ihr hattet einen Streit und dann bist du weggerannt, direkt vor ein Auto."

Ich schloss die Augen. "Scheiße."

Piper lachte auf, man konnte sehen, wie sie versuchte ihre Tränen zurückzuhalten. "Ja, dass kann man wohl sagen.", schniefte sie. "Deine Mom ist total panisch, macht sich dauernd Selbstvorwürfe, will aber nicht sagen, warum ihr euch gestritten habt."

Ich drehte den Kopf zu Percy und blickte ihn schweigend an. Er verstand sofort. Erschrocken quetschte er meine Hand und ich zischte auf.

"Tut mir leid, tut mir leid." Er war völlig aufgelöst, schwankte zwischen Wut und Schrecken.

Piper fasste ihn an den Schultern und drückte ihn zurück auf den Stuhl. "Okay. Was ist hier los?"

"Mom hat gedroht, dass wir wegziehen, wenn ich Percy nicht verlasse.", gestand ich leise.

Piper blinzelte. Dann noch einmal. "Moment mal. Ihr seid zusammen?", fragte sie verdutzt. Ich nickte und biss mir auf die Lippe. "Und wegen so 'ner blöden Aktion von Percys Dad hasst sie ihn und Percy regelrecht."

"Das ist ... scheiße, gelinde gesagt.", murmelte Piper. "Aber ich freu mich so!"

"Warum?"

"Ihr seid endlich zusammen! Und ich habe mit Nico gewettet, er meinte, ihr würdet länger brauchen.", lächelte sie.

Ich lächelte kurz und krümmte mich dann zusammen. "Ah!" Irgendwo in meiner Beingegend zog es gewaltig. Der Schmerz wurde immer heftiger. Percy klingelte Sturm nach der Schwester, als er sah, wie ich da vor mich hin zischte.

Die Schwester nickte Percy und Piper kurz zu, bevor sie mich ansah. "Sie sind wach. Das ist gut, ich werde die Kollegen gleich informieren. Mr. Jackson, neben Ihnen liegt Schmerzmittel. Mischen Sie das in Ihren Tee und geben Sie es Miss Chase zu trinken. Dass sollte den Schmerz lindern."

Percy tat, was die Schwester gesagt hatte, aber seine Hände zitterten so stark, dass er das Schmerzmittel beinahe verschüttet hatte.

"Hier." Er hielt mir das Getränk an die Lippen. "Orange-Zimt. Ich steh auf solche Weihnachtstees."

"Lecker.", sagte ich gepresst und trank das Getränk in einem Zug aus. Sofort ließen die Schmerzen nach. Allerdings wurde ich auch müder. Ich gähnte. "Piper ... kannst du Mom holen?", bat ich nuschelnd, bevor sich meine Augen schlossen. Ihre Antwort bekam ich nicht mehr mit.

"Annabeth, meine Annabeth. Was machst du denn für Sachen?" Die Stimme, die ich hörte, war eindeutig männlich, während die Hand, die mich an der Wange hielt, weiblich war.

"Frederik, mach ihr doch keine Vorwürfe.", sagte die Frau ihrerseits vorwurfsvoll. Mom. Ich presste die Augen zusammen, bevor ich sie öffnete. "Hey Mom, hey, Dad.", sagte ich lächelnd.

Dad sprang auf und fiel mir um den Hals. Normalerweise standen wir beide nicht so auf Körperkontakt, aber normalerweise lag ich auch nicht mit - wahrscheinlich - gebrochenen Beinen im Krankenhaus.

"Meine Annabeth.", wiederholte er. "Bei allem was heilig ist, warum hast du dich denn vor ein Auto geworfen?" Es sollte witzig klingen, aber ich hörte seine Sorge.

Mom presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.

"Dad?", fragte ich müde.

"Ja, Schatz?"

"Kannst du kurz rausgehen? Mom und ich, wir wollten uns noch etwas sagen."

Er warf mir einen verständnisvollen Blick zu. "Verstehe. Dazu braucht man wohl die weiblichen Gene. Nur 'ne kurze Frage, wie ist sein Name?"

"Dad!", rief ich empört. Eine leichte Röte zog über meinen Hals.

Er lachte leise und verschwand.

Ich atmete tief durch und blickte Mom dann tief in die Augen. "Ich werde Percy nicht verlassen."

Mom sah weg. "Ich ... es tut mir leid."

Meine Augen weiteten sich überrascht. Mom entschuldigte sich so gut wie nie.

"Ich habe vergessen, dass sich die Menschen einzigartig entwickeln. Wer weiß, vielleicht ist Jackson - Percy", korrigierte sie sich. "Ja ein guter Mensch?", sie lächelte nervös.

Ich hustete. Eindeutig nicht der passende Moment, aber mein Hals kratzte. "'Tschuldigung.", sagte ich heiser. "War der Hals. Danke, Mom."

"Ja ... gerne." Sie umarmte mich. Ich schlang meinerseits die Arme um sie und ließ zum ersten Mal den ganzen Schock an die Oberfläche kommen. Ich wäre beinahe gestorben!

"Bitte?! Ich bin Annabeth' Freund!", hörte ich es empört von draußen.

"Na klar.", antworteten die Zwillinge gleichzeitig. "Das wüssten wir aber."

Mom machte die Tür auf und ließ Dads Kinder aus zweiter Ehe eintreten.

Percy stand schockiert in der Tür und blickte Matthew und Bobby nach. Dann kratzte er sich unwohl am Nacken. "Ja ... das war nicht zu überhören, oder?"

"Nein." Mom trat beiseite. "Also geh schon rein. Familie darf."

Percy blickte verwirrt von ihr zu mir. "Sie sind nicht sauer? Weil ich Annabeth geküsst habe?"

"Oh, ich brodle.", versprach Mom. "Aber ich habe Annabeth versprochen, dir eine zweite Chance zu geben. Und ich bin dir auch dankbar, weil du meine Tochter gerettet hast."

Ich runzelte die Stirn.

"Du weißt es noch gar nicht?" Dad trat wieder ein. "Percy hat dich wiederbelebt. Du warst kurzzeitig tot."

"Was?!" Ich verharrte in Schockstarre.

"Sind Sie komplett bescheuert?" Eine Schwester trat ein, ihr folgte die ganze Tanzgruppe. "So etwas sagt man feinfühlig!" Sie trat an mich heran, fummelte an den Elektroden herum und überprüfte die Werte. "So. Sie haben eine gute Selbstheilung. Bis auf den Schmerz bei Bewegungen ist alles wieder normal. Sie müssten noch ziemlich lange auf Krücken laufen, aber die Vitalwerte sehen gut aus."

"Und die Narben?", fragte ich leise. Die Schwester erstarrte. Dann seufzte sie. Sie schlug die Decke weg. Ich hörte kollektives Luftholen. Mein braungebranntes rechtes Bein war von hellen Narben überzogen, die sich bis zum Brustkorb hinaufzogen. Das linke hatte weniger, dafür aber war es vollständig geschient.

"Da." Die Schwester sah mich traurig an. "Wir haben unser möglichstes versucht, aber die Narben bleiben. Für immer."

Ich nickte und zog das Hosenbein wieder runter. "Dann kann ich ja jetzt die Böse in den Stücken übernehmen.", scherzte ich halbherzig.

Hazel entwischte ein Geräusch, dass halb schluchzen, halb lachen war. "Vergiss es. Du wirst die Verliebte spielen. Ihr beide habt das so gut gemacht, da wollten welche Autogramme."

Percy lächelte mich an. "Wir hatten es ja auch einfach."

"Warum?"

"Wir sind zusammen.", erklärte ich.

"Mensch!" Nico zog mürisch einen Fünfer hervor und reichte ihn Piper, die diabolisch grinste.

Hazel kiekste. Frank lächelte liebevoll und zog sie zu sich heran. Jason hingegen stand der Mund offen. "Also sind wir jetzt fast alle Paare.", stellte er fest. "Silena und Charles, Nico und Will, Hazel und Frank, du und Percy, Calypso und Leo und Piper und ich."

"Charlena, Solangelo, Frazel, Percabeth, Caleo und Jiper.", erwiderte Piper. "Meine Güte, Mom hat schon alle Namen parat gehabt."

"Die Liebesgöttin schlägt zu.", scherzte Jason. Er küsste Piper auf ihr glänzendes Haar. "Zum Glück hat sie dir deine Schönheit geschenkt."

"Macho.", brummte Piper, lächelte aber. Ihr hatte das Kompliment gefallen.

Leo zog eine verwirrte Grimasse. "Solangelo? Sonnenengel? Nico ist durchgehend schwarz angezogen, mal abgesehen von den Verkleidungen." Er bekam sofort wieder einen kleinen Rempler von Calypso, die die Augen verdrehte.

"Solace und Di Angelo.", erklärte Piper.

"Ja, ich lass euch dann mal alleine." Die Schwester zwinkerte mir zu und verscchwand.

Percy hingegen kam am mein Bett heran und setzte sich. "Meine Güte, du weißt gar nicht, wie viel Angst du mir gema-"

Der Rest seines Satzes ging in dem Kuss unter, den ich ihm schenkte. "Ich liebe dich, Algenhirn."

"Ich dich auch, Neunmalklug. Ich dich auch."

So, als Entschädigung für die lange Wartezeit mit fiesem Cliffhänger ist der Teil extralang. Ich hoffe, er gefällt euch.
LG, Mariah

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