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Rave Bainbright stand im Schatten des Saloons, als die Postkutsche aus Sleepy Eye in der Stadt ankam.
Ein Telegram, das Harald Thomas, der Sohn des hiesigen Poststellenleiters, ihm heute morgen in aller Frühe wiederwillig überbracht hatte, hatte ihn gerade noch rechtzeitig erreicht, damit er hier sein und die Postkutsche ankommen sehen konnte.
Seine frisch angetraute Braut sollte darin sitzen. Endlich. Rave ballte wütend die Hände zu Fäusten.
Fünf Monate hatte er auf irgendein Lebenszeichen dieses verfluchten, betrügerischen Heiratsinstituts gewartet. Fünf staubige, miese Monate.
Seinen Wechsel, den der armselige Hund eines Heiratsvermittlers vorab von ihm verlangt hatte, war unterdessen schon nach nur einer Woche eingelöst worden.
Wenn er ehrlich war, hatte er nach so langer Zeit gar nicht mehr mit einer Antwort oder gar einer Frau gerechnet. Es war einfach schon zu lange her.
Er hatte geflucht, um das viele Geld, das dieser sinnlose Versuch eine Frau zu bekommen, die kräftig mit anpackte, kochte, wusch und ihm nachts sein Bett wärmte, ihn gekostet hatte.
Denn hier in der Gegend gab es keine einzige Frau, die erstens heiratsfähig, zweitens gesund und drittens willens war ausgerechnet ihn zu nehmen.

Die Postkutsche hielt in einer Staubwolke vor dem Kontor und Harvey Smitthesson, der Bewacher der Kutsche, der immer mit schussbereiter Flinte auf dem Bock neben dem Kutscher saß, sprang rasch vom Sitz, um den Postsack am Telegrafenamt abzugeben.
Gleichzeitig öffnete sich der Wagenschlag und einige der Fahrgäste stiegen mit zum Teil leicht grünlich-bleichen Gesichtern aus, um sich eine Weile zu verschnaufen und die Füße zu vertreten, solange die Pferde gewechselt würden.

Ein altes Ehepaar, das ängstlich die Tür zum Saloon im Auge behielt und eine ziemlich kleine, noch sehr jung aussehende Frau im eleganten Kleid und reizendem Hütchen auf ziemlich dickem, dunklen Haar das sie elegant aufgesteckt trug, und die sich sofort unsicher an ihre Tasche klammerte, die der Kutscher ihr von oben hinabreichte.
Sie sah sich besorgt nach allen Seiten um und runzelte schließlich die Stirn.
Rave spuckte den Zahnstocher aus, auf dem er nun schon seit zwei Stunden herumkaute und schob seinen Stetson in den Nacken zurück, um sie besser ansehen zu können.

War dies etwa die kräftige, gesunde, arbeitswillige Braut, die er von dem Heiratsvermittler verlangt hatte? ...Dieses schmächtige, blasse Mädchen, im städtischen Kleid?
Die Menschen im Osten mussten sich etwas völlig anderes unter gesund und kräftig vorstellen, als die im Westen, dachte er missgelaunt.
Empört betrachtete er die kaum wahrnehmbaren Rundungen. Er hatte eigentlich an etwas weitaus dralleres gedacht. Sie war einfach nur mager. Ja genau, ...das und noch dazu schwächlich, bleichgesichtig und fast noch ein Kind.
Nicht einen Winter würde die Kleine hier überleben. Ja, vielleicht nicht einmal eine Woche, nachdem sie sein Haus und all die Arbeit gesehen hatte, die dort auf sie wartete. Wahrscheinlich würde sie letztendlich nur einen Blick ins Hausinnere werfen und sogleich laut aufkreischend auf und davon laufen.

Mit finsterer Miene stieß er sich von der Wand ab und ging auf die so hilflos dastehende und umhersehende junge Frau zu, die bestimmt noch nicht einmal eine einzige Nacht im Leben unter freiem Himmel verbracht hatte.

„Ma'm!", brummte er düster und die Frau zuckte zusammen und wandte sich ihm erschrocken zu.
„Ja, Mister?", fragte sie mit heller, vor Aufregung leicht rauer Stimme.
Es schien ihm, als währe eine unsichtbare Faust in seiner Magengrube gelandet, denn die großen, wasserblauen, eindringlichen Augen der Frau, bewiesen das sie tatsächlich doch ein wenig älter war als ihr Aussehen von weitem vermuten ließ. Doch der Blick ihrer klaren hellen Augen, die wie Edelsteine funkelten, rissen ihn beinahe von den Beinen.

Er atmete tief durch und versuchte sein aufgewühltes Blut sofort wieder zu beruhigen.
Sie war nur ein Weib, verdammt. Sie bedeutete nichts. ...Obwohl sie doch irgendwie recht hübsch aussah. War sie das vergeudete Geld am Ende doch wert? Über sich selbst verärgert runzelte er die Stirn.

„Verzeihung Mister.", sagte sie nun deutlich zurückhaltender. „Ich warte hier... auf Mr. Rave Bainbright. Er sollte mich von der Kutsche abholen. Haben sie ihn vielleicht zufälligerweise gesehen?"

Ihre Stimme war kaum mehr als ein höfliches Flüstern, doch es bestätigte Rave, dass es sich hierbei wirklich um seine Braut, jene Abbygail Warren-Bainbright handelte, die vor fast einer Woche aus einem Ort namens Silver Springs, irgendwo sehr viel weiter östlich im Land, losgefahren war, wie der Postjunge ihm in den Morgenstunden mit roten Ohren laut vorgelesen hatte.
Seine Frau. Himmel und Hölle...!

Verlangen stieg in ihm auf, als er ihr nochmals tief in die Augen sah, die wie ein kleines Stück vom Himmel wirkten und ihn ruhig aber verwirrt betrachteten.
Nun, dachte er bei sich, wenigstens zeigt sie keine Angst vor meinem Aussehen.
Wortlos griff er nach ihrem Arm und zog sie mit sich mit zu seinem wartenden Pferd.

„Verzeihung ...Mister!", rief sie atemlos und nun auch ein bisschen verärgert, als sie schon fast vor dem großen roten
Pferd standen, das sie abwartend betrachtete. „Ich muss hier auf meinen Ehemann warten, Sir!", stieß sie atemlos hervor. „Sie können mich doch nicht einfach so... - Lassen sie mich auf der Stelle los, sie ungehobelter Kerl, sie...!"

Das ältere Ehepaar aus der Kutsche sah schockiert zu, wie der riesige dunkelhaarige Mann, die kleine zarte Frau von dannen zerrte, die sich so nett mit ihnen unterhalten hatte. Abbygail warf ihnen kurz einen hilfesuchenden Blick zu. Doch die beiden Alten hatten zu große Angst vor dem fremd aussehenden, düsteren Cowboy. Die würden sich garantiert nicht in seine Angelegenheiten einmischen, nur um in Gefahr zu kommen, Ärger zu erhalten.

„Wagen sie es ja nicht mich von dannen zu schleppen, Mister! Sonst schreie ich ganz Hot Fields zusammen!", drohte Abbygail schrill und zerrte erneut an ihrem Arm. „Ich warne sie, Sir! Ich kann wirklich sehr laut schreien, wenn es die Umstände erfordern...!", fügte sie noch die Absätze ihrer neuen Schuhe in den Boden stemmend hinzu, als er sie auch schon packte und mit der anderen Hand die Zügel von der Stange löste.

„Mein Name ist Rave Bainbright..", wies er sie derweil äußerst brummig zurecht.
Abbygail sah geschockt zu dem großen finsteren Mann auf der so raue, harte Hände hatte und stark wie ein Ochse schien, obwohl er doch im ganzen eher schlank und drahtig aussah.
„Hör also endlich auf dich anzustellen, Weib.", grummelte er ärgerlich, als sie sich nun noch zusätzlich versteifte und beinahe an Ort und Stelle stehen geblieben wäre. Rücksichtslos zerrte er sie um sein Reittier herum auf dessen linke Seite.
Ihr schien es nun endgültig die Sprache verschlagen zu haben, was Rave im Moment aber nur recht sein konnte.

Sie wehrte sich auch nicht mehr gegen seinen festen Griff, sondern ließ sich von ihm auf sein Pferd heben, bevor er sich leicht hinter ihr in den Sattel schwang. Er hob sie an und setzte sie dann unsanft auf seinen kräftigen Schenkeln ab.
An ihren vorhin noch so bleichen Wangen konnte er nun ihre tiefe Verlegenheit ablesen. Sie waren hochrot angelaufen. Doch hielt sie den Kopf weiterhin oben und reckte ihr kleines energisches Kinn sogar noch ein wenig vor.
Das gefiel ihm irgendwie. Sie war wohl doch nicht so zart besaitet, dass bereits jede noch so winzige Kleinigkeit sie zum Weinen und Jammern bringen würde.

Wäre es so gewesen hätte er sie vermutlich gleich wieder

vom Pferd gestoßen und dort gelassen, wo sie gerade war.

Doch so bestand wenigstens ein winziges Bisschen Hoffnung, dass das Leben mit ihr nicht allzu schlimm werden würde.

Mit den Beinen lenkte er den jungen Hengst auf den staubigen Weg, aus der Stadt heraus und binnen weniger Minuten lag der Ort weit hinter ihnen. Abbygail biss sich auf die Lippe, um nicht laut aufzustöhnen.

Die Leute auf der Straße hatten sie ganz seltsam angestarrt, als sie vorübergaloppierten. So fassungslos und entsetzt.

Auch Rave hatte es natürlich bemerkt und stellte sich vor, was die vornehmen Leute der Stadt nun tuscheln oder denken mochten.

Rave Bainbright hatte eine Frau auf seinem Pferd mit sich genommen.

Ob sie wohl ein liederliches Flittchen war, dem seine Abstammung nichts ausmachte oder einfach nur dumm, würden sie Lästern, sobald sie erfuhren dass sie seine Frau war.

Niemand, der bei klarem Verstand in diesem Ort oder anderswo lebte, wollte etwas mit einem Halbblut zu tun haben. Keine anständige Frau würde auch nur im entferntesten daran denken sich auf solch einen Wilden einzulassen, wie sie ihn schimpften.
Pech für dich, Abbygail Warren, dachte er mit grimmiger Genugtuung.
Sie war eine weiße und überaus anständige Frau, wenn man dem Heiratsvermittler im Osten glauben konnte.

Wahrscheinlich sogar noch unschuldig, wenn er ihr erröten richtig deutete.

Das gefiel ihm ebenfalls.

Das gefiel ihm sogar viel zu gut.

Sie fühlte sich zart und weich an, weiblich und roch zudem sehr sauber und frisch, ganz wie eine Blumenwiese.

Blieb nur noch zu hoffen, dass sie nicht vor Schreck ohnmächtig werden würde, wenn sie erst ihr neues Heim erblickte, ...oder sogar auf der Stelle tot umfiel.

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