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Abbygail ahnte nichts von den misstrauischen Gedankengängen der älteren Frau und eilte beschwingt aus dem Laden hinaus und in die Mainstreet hinüber. Das Haus war tatsächlich nicht weit vom Laden entfernt und Abbygail atmete tief ein, bevor sie all ihren Mut zusammennahm und die kleine Türglocke anschlug.
Ein ernst blickender Mann im vornehmen braunen Anzug und blank polierten Lederstiefeln öffnete ihr die Tür und musterte sie kurz wie eine Ware von oben bis unten. Seine Haare waren sorgfältig gescheitelt und mit Wasser und Pomade eng an den Kopf gekämmt. Sein gepflegter Schnauzer zwirbelte sich leicht nach oben und eine goldene Taschenuhr lugte aus seiner seidenen Westentasche heraus.
„Sie wünschen, Madame?", fragte er von oben herab und Abbygail wurde augenblicklich nervös.
„Sind sie Mr. Lippton, vom Heiratsinstitut Goldberg, das in der Zeitung inseriert hat, Sir?", fragte sie scheu und der Mann nickte knapp.
„Mein Name ist Miss Warren. Miss Abbygail Warren. Ich habe ihre Anzeige gelesen und wollte fragen..."
Augenblicklich war das vornehme Getue dieses Mannes vorbei und er öffnete ihr mit einem überaus schmierigen Lächeln die Tür, um sie einzulassen.
„Sie suchen also einen guten Mann, meine verehrte Miss Warren?", schnurrte er sie rüde unterbrechend an „...Da sind sie bei mir genau richtig." Sein Blick wanderte dabei abschätzend über ihre zierliche Gestalt und das teure Modelkleid. Ganz eindeutig keine arme Miss, befand er für sich und gedachte daraus sofort seinen Nutzen zu ziehen. Dann führte er sie rasch durch die dunkle, mit schweren und teuren Möbeln ausgestattete Wohnung, direkt in sein Arbeitszimmer und bot ihr einen äußerst unbequem aussehenden aber auf Hochglanz polierten Stuhl an.
„Nun denn, ...mein Klientel ist weit draußen im Westen verstreut. Es gibt dort oft nur wenige Frauen, deshalb holen die wohlhabenderen Männer von Welt sich die ihren durch solche Institute wie meines. Natürlich sind wir angesehen und haben einen gewissen Ruf zu wahren, wie sie sicherlich verstehen werden..."
Unbewegt aber mit heftig klopfendem Herzen sah Abbygail ihn an. Langsam bekam sie es doch irgendwie mit der Angst zu tun. Der Kerl war ihr entschieden zu schmierig. Hoffentlich war er wenigstens seriös und wollte sie nicht an irgendeinen versoffenen Eremieten mit Flöhen und einer Bruchbude, die er als Palast verschrie verscherbeln.
Er räusperte sich vernehmlich und setzte ein Monokel auf, bevor er einige Unterlagen durchsah und endlich laut daraus vorlas.
„Alle Auslagen werden von den zukünftigen Ehemännern getragen, so auch ihre gesamten Reisekosten, sowie die Kosten für Pensionen, Kutschstationen und Hotels, in die sie unterwegs einkehren werden. Wir haben alle nötigen Dokumente für eine Ferntrauung, die vom örtlichen Richter geschlossen wird und selbstverständlich rechtsgültig ist. Von ihnen wird erwartet, dass sie körperlich gesund, gebährfähig und gegebenenfalls auch arbeitswillig sind."
Bei diesen Worten sah er sie scharf an. „Verzeihen sie mir, wenn ich das so sage, Miss Warren, doch sie sehen mir... nun, ein wenig bleich und kränklich aus.", meinte er nun wieder von oben herab.
Sein ablehnender Tonfall trieb Abbygail die Tränen in die Augen und sie wurde noch ein wenig blasser. Ihr Herz fing an hart gegen ihre Rippen zu schlagen und sie glaubte schon alles sei verloren. Doch dann riss sie sich erneut zusammen und atmete, das Kinn um einige Zentimeter anhebend, tief durch.
„Mein Bruder starb erst kürzlich durch eine verirrte Kugel, Sir. Ich stehe nun ganz alleine in der Welt und kann meine Farm nicht halten. Sie verstehen sicherlich dass mir dieses traurige Ereignis sehr nahe ging, nicht wahr Mr. Lippton?", sagte sie mit soviel eisiger Verachtung in der Stimme, wie sie nur irgend aufbringen konnte.
Der Mann nickte ganz langsam und errötete verlegen.
Abbygail sah das als gutes Zeichen an um fortzufahren. Vielleicht ließ er sich ja doch noch überreden, hoffte sie. „Ich brauche nun einen zuverlässigen, starken Ehemann, Mr. Lippton. Ich bin harte Arbeit gewöhnt. Wie ich schon sagte hatten wir eine Farm. Ich kann gut kochen, nähen, waschen und auch putzen und bin jung genug, um einige Kinder zur Welt zu bringen. So wie es in ihrer Anzeige gefordert wird."
Mr. Lippton sah sie erneut scharf an und fragte sich anscheinend, ob er ihr Glauben schenken konnte. Wieder schweifte sein Blick über ihr Kleid und schließlich zuckte er die Schultern.
„Den zukünftigen Ehemännern ist es recht egal wie sie im genauen aussehen. Doch hier, Mr. Rave Bainbright aus Colorado, Hot Fields, will eine Frau die Lesen und schreiben kann, die gesunde Zähne hat und an harte, schmutzige Arbeit gewöhnt ist. Er gibt an, ein erfolgreicher, wohlhabender Pferde- und Schweinezüchter zu sein, eine eigene Ranch, keine Familie, keine Kinder aus einer ersten Ehe. Zudem ist er auch noch nicht alt, fünfundzwanzig, wie er angegeben hat."
Abbygails Herz klopfte zum zerspringen, und ihre Finger wurden eisig kalt. Ein Pferde- und Schweinezüchter und wohlhabend auch noch.
Aber es war im Grunde egal, auch wenn er nicht viel Geld haben würde. Sie würde durch die Heirat eine ehrbare Frau sein.
„Ich habe gute Zähne, wie sie sehen können und kann auch lesen Mr. Lippton, sonst wäre ich ja wohl nicht hier!", sagte sie nervös die Hände knetend. Sie wagte nicht ihm offen ins Gesicht zu sehen, denn mit dem Schreiben hatte sie so einige Schwierigkeiten. Sie konnte zwar einen Brief verfassen, doch wahrscheinlich würde dieser voller Fehler sein, da sie ja die Schule nie richtig abgeschlossen und wegen der vielen Arbeit auch nur unregelmäßig besucht hatte. Trotzdem würde sie gerne Mrs. Rave Bainbright werden, wenn Mr. Lippton ihr dies gestattete.
Dieser sah Abbygail nach wie vor misstrauisch an und zuckte schließlich nur noch einmal mit den Schultern.
„Dann denke ich, sie sollten hier unterschreiben und dann mit mir hinüber zu unserem ortsansässigen Richter gehen, damit dieser die Ferntrauung durchnimmt. Morgen können sie bereits mit der ersten Postkutsche nach Hot Fields aufbrechen, so sie dazu bereit und in der Lage sind. Wohnen sie weit außerhalb?"
„Ich habe die Farm bereits verkauft, Mr. Lippton.", schwindelte Abbygail hastig und bat den lieben Gott insgeheim um Verzeihung für ihre Notlüge.
„Ich besitze nicht mehr viel und bin jederzeit bereit zu reisen."
„Wunderbar!", lächelte der Heiratsvermittler und reichte ihr seinen Federhalter, damit sie den Vertrag unterschrieb.
Abbygail legte den wertvollen Federhalter jedoch erst einmal beiseite und las gründlich durch, was sie da unterschreiben sollte.
Das hatte Mr. Smiths' Beispiel sie vor einigen Jahren gelehrt, nachdem er einen Vertrag unterschrieben hatte, ohne das Kleingedruckte zu lesen. Er war damit böse auf die Nase gefallen, und die Familie war daran beinahe bankrott gegangen, weil sie viel Geld bei der Sache verloren hatten.
Und tatsächlich fand Abbygail auch hier einen riesigen Haken.
Da stand, es würde von ihr eine Heirats-Abschlussgebühr von fünf Dollar erhoben.
Entsetzt schüttelte Abbygail den Kopf und legte den Vertrag sofort nieder.
„Dies kann ich nicht unterschreiben, Mr. Lippton!", erklärte sie hart, wodurch das schmierige Grinsen des Heiratsvermittlers einen herben Dämpfer bekam. Und er augenblicklich ernst wurde.
Abbygail tippte wütend auf den Vertrag. „Sie behaupteten eben gerade noch alle Ausgaben und Unkosten würden von den zukünftigen Ehemännern übernommen werden. Warum also auch noch eine Gebühr von mir einstreichen? Sie sind es doch, der Bräute für die ehrenwerten und reichen Ehemänner sucht, oder? Ich weigere mich auch nur eine Dollar auszugeben, da ich ohnehin nur durch meine Zustimmung ihre Börse mit reichlich Geld fülle. Und da die Frauen offenbar nicht gerade Schlange bei ihnen stehen, denke ich, sie sollten sich diese zweite Gebühr in ihrem Vertrag noch einmal gründlich überlegen, Sir."
Abbygail zitterte beinahe vor Angst über ihre eigene Kühnheit.
Sie sah bereits all ihre Felle davonschwimmen, sich selbst auf der Straße und ohne jede Zukunftsaussicht. Da seufzte Mr. Lippton kurz ärgerlich auf, nahm den Vertrag mit betont finsterem Blick wieder zurück und strich die entsprechende Passage mit seinem eleganten goldgeprägten Federhalter einfach durch.
„Weil sie es sind, wehrte Miss Warren, will ich einmal eine Ausnahme machen.", knurrte er düster vor sich hin. Doch insgeheim war er erleichtert. Die Frau hatte keine weiteren Fragen über ihren zukünftigen Gatten gestellt sondern war bereit das zu tun was er ihr sagte. Der Mann, um den es hier ging hatte ihm in der Tat schon vor Monaten eine stattliche Summe Geld gezahlt. Doch einen Schweinezüchter, auch wenn er wohlhabend war, wollte niemand haben, deshalb hatte er das mit den Pferden noch dazugedichtet. Wenn kümmerte es noch, wenn die Frau erst angekommen und verheiratet war? Dann gab es sowieso kein Zurück mehr. Beflissen lächelnd reichte er ihr den Vertrag wieder über den Tisch zurück.
Sorgfältig las sie sich auch noch den Rest durch, Mr. Lippton geriet schon in Schweiß, solange dauerte es. Hatte sie etwa noch mehr daran zu bemängeln? Musste sie denn alles gleich dreimal lesen, verdammt? Schließlich nickte Abbygail hoheitsvoll, straffte die Schultern und unterschrieb den Vertrag.
Sie würde nun gleich Mrs. Rave Bainbright werden!
Was für ein schöner kraftvoller Name. Ein Schweine- und Pferdezüchter.
In der Tat ein sehr wohlhabender Mann, wenn er sich ihre Reisegebühren, Hotel und Poststationsunterbringungen leisten konnte, wie auch die horrenden Abschlussgebühren von Mr. Lippton, welche auch in dem Vertrag erwähnt worden waren.
Vor lauter Aufregung geriet ihre Unterschrift ein wenig zu schwungvoll, doch Mr. Lippton bemerkte es gar nicht.
Er legte das Papier nur eilig zurück in die Mappe und erhob sich dann breit lächelnd.
„Wenn sie mir nun bitte zum Richter folgen würden, liebe Miss Warren...", sagte er überaus höflich zu ihr.
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