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Eiliges Hufgetrappel näherte sich dem Haus, doch Abbygail war jetzt schon alles egal. Sollten doch die Banditen kommen und sie ermorden. Sollten sie ihr doch auch noch den letzten Rest an Eigentum wegnehmen. Sie hatte nichts mehr zu verlieren.
Doch dann hörte sie die leise unsichere Stimme von Zacharias Smith, dem jüngsten Sohn von der zur rechten liegenden Nachbarfarm, gerade dreizehn Jahre alt. Sie putzte manchmal bei seiner Mutter, die ihr bei der Gelegenheit auch das anständige Kochen beigebracht hatte, wie auch das Nähen, Stopfen und Stricken.
„Hallo? ...Miss Warren, - Hallo?" Die junge, etwas heisere Stimme war kaum mehr als ein Flüstern im Dunkel. Abby hatte das Gefühl als wäre alles unwirklich. Ein Traum, nicht real. Sie konnte sich nicht rühren, sich nicht bewegen, nichts sagen. Ihre Kehle war furchtbar eng.
Eine kurze atemlose Pause entstand. Dann wurde die leise Stimme zögernder, unbehaglicher, fast schon panisch. „Miss Warren, sind sie noch da?"
Er klang so ängstlich. Natürlich, wo kam es auch schon vor, dass bei Dunkelheit keine Lampe angezündet wurde und dass das Haus für ein jeden, der zufällig vorbeikam, offen stand?
Der Junge musste denken, dass ihr etwas schlimmes zugestoßen war.
Seufzend stand Abbygail doch noch auf und trat an die Haustür.
„Ich bin hier Zach.", sagte sie mit schleppender Stimme. „Was machst du denn noch um diese Zeit hier draußen?"
Der Junge hatte blonde Haare die jetzt gerade im hellen Mondlicht schimmerten und auf der Nase eine Menge Sommersprossen. Er war immer lustig und mitteilsam und hatte es nicht verdient das sie ihre Nerven ihm gegenüber verlor, obwohl der hysterische, irrsinnige Schrei, den sie nur zu gerne losgeworden wäre, immer noch in ihrer Kehle festsaß.
Die ansonsten immer so lustig blitzenden grauen Augen, sahen sie besorgt an. Dann kam er langsam zu ihr herüber und zog dabei nervös seinen zerknautschten Hut vom Kopf. Er hielt außerdem noch irgendetwas anderes in der Hand. Doch was es war, konnte Abbygail nicht erkennen. Jetzt wo er vor ihr stand erkannte sie, dass er, obwohl ja eigentlich noch ein Kind, schon weitaus höher gewach-sen war als sie selbst, die nur ungefähr Einen Meter und fünfzig maß.
„Guten Abend, Miss Warren.", sagte der Junge nun doch sehr erleichtert und streckte zögernd eine zitternde Hand aus, die etwas eng zusammengerolltes hielt.
Eine Zeitung!?
Verwirrt nahm Abbygail sie entgegen und bedankte sich heiser bei ihm. Etwas lächerlich klang es schon doch sie hielt immer noch das Lachen zurück... dieses hysterische, irrsinnige Lachen das sie innerlich peinigte und unbedingt aus ihr herausplatzen wollte.
Er schien zu ahnen, dass sie nicht so recht wusste was sie mit der Zeitung anfangen sollte. Hastig erklärte ihr der Junge die Absicht die dahinter verborgen stand.
„Ma schickt mich mit der Zeitung von dieser Woche, Miss Warren. Sie hat das von ihr'm Bruder gehört und denkt sich nu, was sie vielleicht vorha'm, Miss. Sie sagt, da drin steht eine große Anzeige, die sie unbedingt seh'n müss'n. Vielleicht hilft's ihnen ja irgendwie. Und dann hat sie mir noch aufgetragen ihnen das hier zu geb'm..."
Er zog einen kleinen Lederbeutel heraus in dem einige wenige Münzen klimperten.
Abbygail kamen beinahe die Tränen, über die bewundernswerte Großherzigkeit der guten Mrs. Smith.
„Ich nehme die Zeitung gerne an.", erklärte sie brüchig.
„Doch gerade wo dieses Jahr so eine Dürre war und jeder eisern sparen muss, kann und will ich euch nicht euer weniges Geld wegnehmen, Zach. Sag deiner Ma aber trotzdem vielen Dank von mir. Und ich werde es schon irgendwie schaffen. Gott segne euch alle."
„Sie auch, Miss Warren.", sagte der Junge traurig und ging mit hängenden Schultern wieder hinüber zu seinem Ackergaul, mit dem er die drei Meilen herüber geritten war. Er schwang sich wortlos hinauf und ritt davon.
Abbygail sah ihm noch lange nach.
Schließlich ging sie wieder ins Haus hinein, setzte sich erneut auf den wackeligen alten Stuhl und legte die Zeitung auf den Tisch. Dann seufzte sie schwer und zog einen kleinen Kerzenstummel zu sich heran. Im Kohleherd war noch ein letzter Rest Glut. Sie entzündete einen kleinen Holzspann und machte Licht.
Irgendwie beruhigte sie die Aussicht etwas tun zu können. Das innerliche irre Lachen ebbte langsam wieder ab, sie fühlte sich zumindest ein klein Bisschen hoffnungsfroher. Was hatte die gute Mrs. Smith wohl gefunden, was für sie in ihrer momentanen Lage eine Hilfe sein könnte?
Langsam und bedächtig faltete sie die Zeitung auseinander.
Sie hatte seit Jahren schon keine mehr in den Händen gehalten, es sei denn um sie fortzuräumen. Doch gelesen hatte sie schon lange nichts mehr. Deshalb viel es ihr nun zu Anfang auch reichlich schwer die einzelnen Buchstaben zu entziffern und Worte daraus zu bilden. Doch nach einer Weile ging es dann doch recht gut und sie kam langsam voran.
Es war eine landwirtschaftliche Zeitung und da gab es Artikel über die Aussaat von neuen Feldfrüchten in Weizengebieten. Mais sollte angeblich profitabler sein und weit wiederstandsfähiger als Getreide – was immer das auch bedeuten mochte.
Experimentelle Versuche mit etwas das sich ein Telegramm... nein Telephon nannte und womit man sehr weit hören konnte, wenn das Kabel nur lange genug war. Neue Methoden der Ernte, eine neue Art Fuhrwerk und der weiteren Dinge für Farmbedarf wurden präsentiert und vorgestellt... eine Fachzeitschrift aber es waren auch anpreisende, wohlgestaltete Anzeigentexte darinnen.
Kleine Kästchen, wo Makler ganze Landstriche zum Verkauf anboten, Farmen, Waldstücke und Parzellen weiter im Westen. Texas, Arizona, Montana und Minnesota.
Eine Anzeige war seitlich daneben mit einem dicken kohleschwarzen Kreuz markiert worden und die las Abbygail jetzt langsam durch.
Schließlich las sie sie noch einmal, weil sie glaubte sich verguckt zu haben und dann schließlich, nur um ganz sicher zu sein, noch ein drittes Mal:
Heiratsinstitut Goldberg sucht für wohlhabende Farmer und Viehzüchter
im Westen passende, ehrenwehrte Ehefrauen.
Gebärfähigkeit, gute Gesundheit und ein gewisses Maß an kräftiger Konstitution wird verlangt.
durchschnittliche Schulkenntnisse sind erwünscht.
Nähere Informationen erteilt Mr. Lippton,
Mainstreet, Silver Springs.
Abbygail ließ die Zeitung sinken.
Das wäre vielleicht wirklich eine Lösung, überlegte sie
stirnrunzelnd. Sie war gesund und bestimmt gebärfähig, auch wenn sie mager war, konnte lesen und rechnen, ein wenig schreiben und arbeiten, auch wenn sie zur Zeit nicht so aussah. Außerdem war sie noch jung und auch ehrenwehrt. Noch immer Jungfrau. Sie schloss erbebend die Augen. Dies hier war doch fast so wie in ihrem Traum, oder?
Sie hatte sich einen guten Mann gewünscht, ein kleines Haus und eigene Kinder. Nun könnte sie all das haben, sofort und ohne jede Verzögerung.
Doch was, wenn sie wieder an einen solchen Trunkenbold wie ihren Bruder geriet? Was, wenn der Mann sie auch so schrecklich schlagen würde, wie Toby es getan hatte? Wenn er brutal war oder alt, hässlich und ekelig wie der Sheriff?
Sie könnte leicht den Teufel mit dem Belzebub austreiben, wenn sie es recht bedachte.
Abbygail schluckte den bitteren Klos hinunter, der in ihrer Kehle größer und größer geworden war und begann stark zu zittern. Doch dann riss sie sich gewaltsam zusammen und schimpfte sich selbst eine dumme, ängstliche Gans.
Sie hatte doch gar keine andere Wahl, als es einfach zu versuchen.
Dies war das beste und leider auch das einzige Angebot, dass sie in ihrer aussichtlosen Lage finden konnte.
Gleich morgen früh würde sie ihre bescheidene Habe nehmen und in die Stadt gehen. Sie würde sich ein neues Kleid kaufen müssen, um bei diesem Mr. Lippton einen guten Eindruck zu machen und vielleicht sollte sie heute Abend auch noch Baden und sich die strähnigen Haare waschen. Hoffnung stieg in ihr auf, klein und zart zwar, doch nichts desto Trotz Hoffnung. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden.
Müde stand sie auf, um den Waschzuber zu holen, den Herd anzuheizen und im Vorratsschrank nach dem kläglichen Rest von Tobys kostbarer Seife zu kramen.
Sie musste sich zumindest ein wenig präsentabel machen, für diesen Mr. Lippton. Alles weitere würde sich schon finden.
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