Kapitel 4
„Wer bist du?“ Emily steht mit verschränkten Armen und zu feinen Schlitzen verengten Augen vor mir, während sie mich argwöhnisch mustert.
Da sie meine beste Chance ist, wieder nach Hause zu kommen, entscheide ich mich dafür, ihr die Wahrheit zu sagen. „Mein Name ist Elena Gilbert und ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber ich komme aus der Zukunft.“ Na, wenn das nicht unglaubwürdig klingt, denke ich, fahre jedoch fort: „Eine Nachfahrin von Ihnen hat mich durch einen Unfall hier her geschickt. Sie hat einen Zauber aus dem Grimoire verwendet. Bitte, Sie müssen mir helfen wieder zurück zu gelangen.“ Es liegt tiefe Verzweiflung in meiner Stimme und ich bete innerlich, dass sie mir glaubt.
Emily runzelt die Stirn. „Du siehst aus wie sie.“ Sie macht ein paar Schritte auf mich zu und nimmt eine Strähne meines langen braunen Haares zwischen ihre Finger, als könnte sie kaum glauben, dass ich tatsächlich vor ihr stehe. „Dein Name ist Gilbert, sagst du?“
Ich nicke und entspanne mich leicht, da sie mir zu glauben scheint. „Ich bin eine Nachfahrin der Petrova Blutlinie.“
Emily sieht mich jetzt mit einer Mischung aus Überraschung und Erkenntnis in den Augen an. „Katherines Kind…interessant.“ Sie überlegt kurz. „Und meine Nachfahrin, von der du gesprochen hast?“
„Ihr Name ist Bonnie Bennett. Sie ist meine Freundin und hat einen Zeitreisezauber bewirkt, um…mir mit etwas auszuhelfen.“ Ich entscheide mich dafür, ihr lieber nicht von meinem Verhältnis zu den Salvatores zu berichten. Schließlich weiß ich nicht, was sie bereits über Katherines Absichten weiß beziehungsweise, ob sie es gut heißen würde, dass ich meiner Doppelgängerin in Sachen Liebe gar nicht so unähnlich bin.
„Weißt du noch etwas über den Zauber?“, fragt Emily jetzt. Ich seufze, erleichtert drüber, dass sie mir wirklich helfen möchte. Ich denke hektisch nach und versuche verzweifelt mir meine Lateinkenntnisse ins Gedächtnis zu rufen.
„Hm…ich glaube er hatte irgendetwas mit dem Licht zu tun… und wir brauchten ein Pentagramm, um ihn wirken zu können“, biete ich ihr schließlich als Antwort an.
Eine Spur Fassungslosigkeit erscheint auf Emilys Gesicht. Sie nimmt sich das Grimoire, in dem sie noch vor wenigen Minuten gelesen hat, zur Hand. Sie blättert schnell durch die Seiten und hält mir das Buch schließlich vor die Nase. „Ist das der Spruch, den ihr benutzt habt?“ Ich erkenne den Spruch sofort wieder. Die Warnung darunter ist zwar noch nicht vorhanden - scheinbar wurde sie erst später hinzugefügt - aber das ist der Zauber, ohne Zweifel.
„Ja, genau das ist er“, antworte ich daher sofort. „Können Sie ihn noch einmal anwenden und mich zurückschicken?“ Einen Moment entdecke ich Licht am Ende des Tunnels, allerdings nur solange bis ich Emilys fassungsloses Gesicht sehe. „Dieser Zauber hätte nie verwendet werden dürfen. Das Zeitreisen ist überaus kompliziert“, meint sie und sieht mich ernst an. „Er entzieht sowohl der Hexe, die ihn anwendet, als auch demjenigen, der durch die Zeit reisen möchte, sehr viel Kraft. Außerdem ist es sehr riskant die Gefühle entscheiden zu lassen an welchen Ort und in welche Zeit der Zeitreisende gelangt. Du bist das beste Beispiel.“ Ich atme scharf ein, als mich die Erkenntnis wie ein Schlag trifft. Ich hätte an Stefan denken sollen. Aber ich habe es nicht getan, ich habe es nicht geschafft Damon und seine Worte für simple zwei Minuten aus meinem Kopf zu verbannen. Kein Wunder also, dass ich direkt in seiner Nähe auf dem Friedhof gelandet bin.
Plötzlich packt mich blanke Panik. „Sie haben mit solchen Zaubern doch genug Erfahrung, oder? Ich weiß, dass sie eine sehr starke Hexe sind. Sie können das!“
Emily schüttelt langsam den Kopf. „Nicht mit diesem Zauber. Es ist fast ein Wunder, dass du nicht in irgendeiner anderen Dimension gelandet bist. Dich auf diesem Weg zurückzuschicken, wäre viel zu gefährlich und deswegen werde ich es auch nicht tun.“
Ich lasse mich enttäuscht auf das schmale Bett sinken und begrabe meinen Kopf in meinen Händen. Emily setzt sich neben mich und sieht mich nun ermutigend an. „Es wird alles wieder gut. Ich ruhe nicht, bis ich einen Zauber gefunden habe, der dich zurück in die Zukunft schickt, Elena.“
Ich lächle leicht. Als ich Emily wirklich ansehe, bemerke ich jedoch, dass sie direkt an mir vorbei in den Flur starrt. Dort ist gerade keine andere als Katherine Pierce persönlich eingetroffen.
Sie trägt ein wunderschönes grünes Kleid und ist mit ihren langen braunen Locken eigentlich unübersehbar. Als sie mich sieht, erstarrt sie kurz, bevor sie schließlich ein verkniffenes Lächeln aufsetzt. Katherine dreht sich zu Damon um, der, ziemlich erfreut über ihre Anwesenheit, neben ihr steht.
„Damon, mein Lieber“, meint sie verführerisch, „Gib mir ein bisschen Zeit meine liebste Schwester zu begrüßen.“ Sie sagt den Satz, als sei es das Normalste auf der Welt für sie. Scheinbar hatte Damon ihr von meiner Lüge erzählt und sie schien darauf bedacht zu sein, sie aufrecht zu erhalten.
„Was immer du wünschst, Katherine.“ Damon nimmt ihre Hand und küsst leicht ihre Fingerknöchel, wie er es zuvor bei mir getan hat. Katherine lächelt verschmitzt. „Wir sehen uns heute Nacht“, meint sie und fährt mit ihrem Finger seinen Hals entlang, über sein Brustbein bis hin zu seiner Brust, wo sie provokativ innehält. Als Damon lächelt, spüre ich wie sich ein stechender Schmerz durch mein Herz bohrt, als hätte jemand einen Dolch hineingetrieben. Dieses verfluchte Miststück.
Katherine wendet sich schließlich von Damon ab, geht geradewegs auf mich zu und schließt die Tür des kleinen Zimmers hinter sich. Ihre Augen, die mich zu durchbohren scheinen, sind mit lodernder Wut gefüllt. „Also Schwester, wenn du diesen Raum mit einem Herz im Körper verlassen möchtest, solltest du dich lieber schnell erklären.“ Als mein Herzschlag schneller wird, lächelt sie hungrig.
Die nächste Stunde verbringe ich damit, mich vor meiner über alles gehassten Doppelgängerin zu rechtfertigen. Ich erzähle ihr die Wahrheit über das Zeitreisen und über die unübersehbare Verbindung zu ihr. Ich verschweige allerdings bewusst die Rolle der Salvatores in meinem späteren Leben, da ich schließlich ganz gerne noch den morgigen Tag erleben möchte.
Als ich fertig bin, schweigt Katherine einige qualvolle Momente, als würde sie darüber debattieren, ob sie meiner Geschichte Glauben schenken, oder mich lieber umbringen sollte. Schließlich erhebt sie sich von dem Holzstuhl, auf dem sie platzgenommen hatte.
„Emily, bring Elena ein paar angemessener Sachen zum anziehen. Da die Salvatores glauben, sie sei meine Schwester, wird sie sich auch so benehmen und natürlich ebenfalls hier wohnen müssen.“
Emily nickt sofort und Katherine fährt fort: „Schick sie so schnell wie möglich zurück in ihre Zeit, ansonsten könnte sie vielleicht doch noch vorzeitig ihr Ende finden.“ Sie sieht mich gehässig an und ich spüre, wie mich ein Schauder überläuft.
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Im Jahre 2011 ziehen sich die angedrohten fünf Minuten für Bonnie schließlich zu einer ganzen Stunde zusammen. Wo kann Damon bleiben? Jeremy und sie hatten inzwischen gefühlte hundert Grimoire durchgesehen, allerdings ohne jegliche Erkenntnisse.
Als Bonnie sich umdreht, schreckt sie abrupt zurück, als Damon plötzlich ohne Vorwarnung hinter ihr steht und sie finster anstarrt. „Was zum Teufel habt ihr getan?“, fordert er, während er Jeremys Anwesenheit vollkommen außer acht lässt.
„Damon, es tut mir leid.“ Normalerweise würde sie dem älteren der beiden Salvatorbrüder nie die Genugtuung geben, sich zu entschuldigen. Das hier ist allerdings eine völlig andere Situation. „Elena wollte so dringend alles verändern. Ich habe mich überreden lassen.“
Bonnie öffnet ihren Mund, um weiterzusprechen, doch Damon unterbricht sie. „Was dachtest du, was du da machst? Wieso habt ihr nicht vorher mit mir geredet?“
„Hättest du sie denn eine Zeitreise antreten lassen?“, faucht Bonnie sofort zurück. So ein elender Besserwisser.
„Natürlich nicht!“ Damon fährt sich mit einer Hand aufgebracht durch sein dichtes schwarzes Haar. Seine Augen funkeln vor Wut. Er hat scheinbar deutlich Mühe sich unter Kontrolle zu halten. Natürlich, kommt es Bonnie in den Sinn. Er hat schreckliche Angst. Angst um Elena. Und diese Angst kann sie vollkommen verstehen, denn ihr geht es nicht anders.
„Wenn du dir so viele Sorgen machst, wieso hast du dann so lange gebraucht, um hier her zu gelangen?“, schaltet sich Jeremy in das Gespräch ein.
„Weil er noch einmal bei seinem Vampirjägerkumpel vorbeigefahren ist und ihm von dem Elena-Problem erzählt hat“, erklingt plötzlich eine bekannte Stimme im Flur und ein paar Sekunden später steht Alaric im Türrahmen. „Allerdings.“ Er wirft Damon einen vielsagenden Blick zu. „Hatte er dann doch nicht die Zeit in Menschengeschwindigkeit hier her zu gelangen, so dass ich leider ein bisschen hinterherhinke.“
„Sorry, Kumpel“, meint Damon und verzieht den Mund zu einem schiefen Lächeln.
„Schon, OK. Das ist der Nachteil, wenn man mit einem Vampir zusammenarbeitet.“ Alaric schenkt Damon ebenfalls ein kurzes Lächeln, bevor er sich Bonnie zuwendet. „Und was machen wir jetzt?“
„Grimoire durchsehen“, sagt Jeremy und hält ein großes staubiges Buch demonstrativ in die Höhe.
"Genau." Bonnie nickt kurz.
„Und das war es?“ Damon hatte wieder zu seiner alten Wut zurückgefunden und packt Bonnie nun eisern am Handgelenk. „Wir sitzen hier und schauen staubige Bücher durch, während Elena in irgendeinem Jahrzehnt feststeckt und Gott weiß was durchmachen muss?“
„Mehr können wir im Moment nicht tun. Wir müssen zuerst herausfinden in welcher Zeit sich Elena befindet, bevor wir irgendetwas unternehmen können. Sie wollte ursprünglich nur ein Jahr in der Zeit zurückreisen, allerdings habe ich herausgefunden, dass sie wahrscheinlich in einem ganz anderen Jahrhundert gelandet ist. Und jetzt lass mich los.“ Bonnie befreit ihr Handgelenk und setzt sich schließlich mit einem Grimoire in den Händen neben Jeremy auf die Couch.
„Gut, dann fangen wir mal an.“ Alaric nimmt sich ebenfalls ein Grimoire und nimmt auf einem Stuhl am Esstisch Platz.
„Schön“, seufzt Damon. „Aber lass mich eine Sache klarstellen, kleine Hexe. Wenn Elena irgendetwas passieren sollte, werde ich dafür sorgen, dass es dir Leid tut.“ Er will ebenfalls nach einem der alten Bücher greifen, als er plötzlich innehält und gedankenverloren ins Leere starrt. Er schließt die Augen und runzelt die Stirn.
„Damon?“ Bonnie mustert ihn besorgt. Was ist jetzt wieder los? Auch Alaric und Jeremy schauen von ihren Büchern hoch. Als Damon seine Augen wieder öffnet, blickt er erst Alaric und dann Jeremy an, bis sein Blick wieder Bonnies findet.
„Elena. Ich weiß, wo sie ist“, flüstert er, fast zu leise für das menschliche Gehör.
„Was? Wo soll sie sein?“ Jeremy springt sofort vom Sofa auf, als erwarte er, Elena jeden Moment durch die Stubenzimmertür kommen zu sehen.
„Im Jahr 1864.“ Sobald Damon die Worte gesagt hat, lässt sich Jeremy wieder neben Bonnie auf die Couch sinken.
„Was meinst du damit, woher willst du das wissen?“
Damon spricht weiter, scheinbar immer noch tief in seinen Gedanken. „Sie ist in Mystik Falls. Ich habe sie auf dem Friedhof getroffen und sie hat sich vor mir als Katherines Schwester ausgegeben.“ Damon sagt die die Worte, als kann er sie selbst kaum glauben.
„Was redest du da?“ Alaric runzelt die Stirn und sieht seinen Freund nun ebenfalls besorgt an.
„Meine Erinnerungen habe sich verändert, Rick“, erklärt Damon knapp. „Ich habe Erinnerungen von Elena im Jahre 1864.“
„Ist sonst noch etwas passiert?“, schaltet sich Jeremy wieder ein. „Ich meine, was hast du dann gemacht?“
„Ich habe ihr angeboten bei meiner Familie zu bleiben und sie zu Emily gebracht.“
„Wenn sie bei Emily ist, ist das ein gutes Zeichen. Sie ist eine Hexe und kann Elena vielleicht helfen wieder zurückzukommen“, meint Bonnie jetzt. „Ist sonst noch etwas passiert?“
„Bis jetzt nicht. Meine anderen Erinnerungen sind im Moment noch gleich.“
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