26 | Aufprall.
NISAN
»Mein Name ist Maryam«, flüsterte Adnans Mutter ganz beiläufig, ehe sie mich auf einen freien Stuhl verfrachtete und voller Konzentration meine lädierten Gesichtszüge begutachtete. »Das sieht übel aus. Darf ich?«
Ich stimmte zu, ohne genau zu wissen, was sie vorhatte. Vorsichtig, aber dennoch bewusst fest übte Maryam immer wieder Druck auf die blauen Flecken in meinem Gesicht aus. Zum Abschluss griff sie zu einer kühlenden, süßlich riechenden Salbe, die sie gleichmäßig auf die betroffenen Stellen auftrug.
Ich atmete beruhigt und in sanften Zügen ein und aus. Spürte, wie sich der stechende Schmerz Stechen unter meiner Haut nach und nach löste. Die kühle Salbe war eine Wohltat.
»Alles in Ordnung?«, fragte Maryam mit sorgenvollem Unterton.
»Die Salbe ist der Wahnsinn«, sprach ich.
»Das hoffe ich doch.« Maryam lächelte zufrieden, ehe sie aufstand, um zur Kücheninsel zu gehen und im kochendem Wasser schwarzen Tee aufzubrühen.
»Meine Mutter war eine begabte Heilerin«, klärte sie mich mit einem angenehmen Lächeln auf. »Sie hat mir viel beigebracht. Unsere Kinder mussten nie zum Arzt, da man mit ein paar Hausmitteln wahre Wunder bewirken kann.«
Bevor ich auf Maryams Aussage näher eingehen konnte, betrat Adnan den Raum. Ich verstummte und musterte ihn. Seinen Jogginganzug hatte er inzwischen gegen einen Strickpullover und graue Jeans getauscht; das länger gewordene Haar adrett zurückgegelt, als hätte er irgendeinen wichtigen Termin.
»Hey, Nisan«, begrüßte er mich flüchtig. »Ich muss später doch arbeiten. Es wäre gut, wenn wir jetzt zum Arzt fahren und danach Strafanzeige erstatten. Nur, falls das für dich okay ist.«
Obwohl es in mir rumorte und ich bisweilen gehofft hatte, irgendwie um den Arztbesuch und die Anzeige herumzukommen, gab ich ein zustimmendes Summen von mir. »Aber jetzt macht deine Mutter gerade Tee«, merkte ich an. »Wie schade.«
Maryam gab sich weiterhin höflich und schien, meine Aussage überhört zu haben. Sie goss das heiße Wasser in einen Behälter und stellte diesen beiseite. »Nein, geht schon.« In ihren dunklen, großen Augen lag ein anmutender, stolzer Glanz. »Für Tee haben wir später genug Zeit. Tut, was ihr tun müsst. Aber passt bitte auf, ja? Versprichst du es mir, Adnan?«
»Was soll uns denn passieren?«, entgegnete Adnan, der aus der Waagschale, die sich auf einer weißen Kommode befand, seine Autoschlüssel zückte. Sein Tonfall wirkte beinahe schon ein wenig großspurig, aber ich war mir sicher, dass er recht behielt. Er hatte ja schon einmal recht gehabt.
• • •
In der Garderobe schlüpfte ich in beigefarbene Sportschuhe und zog mir eine dünne Jacke aus rauem Jeansmaterial über. Das flaue Gefühl im Magen, das ich schon seit meiner Ankunft hier verspürte, ebbte nicht wirklich ab. Es nahm zu. Mit jedem Schritt, den wir auf den Ausgang des Mehrfamilienhauses zutaten. Umso mehr, als wir uns auf die Sportsitze des BMW warfen.
»Schon 'ne Weile her, dass wir im selben Auto saßen. Weißt du noch? Ich habe dich nach Hause gefahren und mich erstmal mit Gönül gestritten. Da hat die ganze Scheiße angefangen.«
»Ja, du hast recht«, stimmte ich zu, als ich mich anschnallte und Adnan einen Moment lang musterte. Zunächst hatte ich angenommen, dass in Adnans Worten etwas Nachtragendes lag. Aber keine Spur davon. Er setzte selbstsicher das Fahrzeug in Gange und wir ließen die ruhige Wohngegend nahe der Innenstadt hinter uns.
»Mit der Frauenärztin bin ich gut befreundet«, bereitete Adnan mich auf das Wesentliche vor. »Sie wird dich auf Verletzungen überprüfen und Fotos machen, damit wir gegen Salman was in der Hand haben. Die nehmen wir mit zur Polizei. Der DNA-Test danach wird ein, zwei Tage auf sich warten lassen. Hast du Fragen?«
»Bist du Polizist, oder was?«, lachte ich und merkte, wie ich meine Haarsträhnen immer wieder verspielt verdrehte. Adnan bemerkte dies und lächelte sanft, während er versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren.
Er gab einen beleidigten Blick von sich, stimmte nachträglich aber ins Lachen ein. »Leider nicht. Ich arbeite bei denen nur im Büro. Wozu mein Leben riskieren, wenn ich den Papierkram machen kann und trotzdem gutes Geld verdiene?«
»Damals wolltest du unbedingt Polizist werden, um für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Du hast dein Ziel knapp verfehlt, aber du hilfst gerade einer Person, das ist genauso gut.«
»Ich bin ruhiger geworden«, verteidigte er sich. Aber ich merkte, dass er log, als er den Blick reumütig senkte. »Okay, nein ... willst du wissen, woran es lag? An den Zigaretten. Sie lindern den Stress, nehmen mir aber meine Ausdauer. Ich habe den Sporttest nicht bestanden.«
Geraucht hatte er immer viel. Und auch jetzt griff er regelmäßig zu den Kippen. Allerdings hatte ich den Eindruck, als hätte sich sein Zigarettenkonsum im Laufe der Zeit deutlich reduziert. Er wirkte entspannter, sein herber Geruch nach Aschenbecher hatte nachgelassen und die Innenseite seines Zeigefingers war nicht mehr nikotingelb gefärbt.
»Und ich hab dir damals immer gesagt, du sollst nicht so viel rauchen.« Auf meinen mahnenden Ton hin verdrehte er die Augen, wusste aber nicht, was er antworten sollte. »Rauchst du denn immer noch eine Schachtel am Tag?«
Kopfschütteln.
»Meine Schachtel ist fast leer und hat vier Tage gehalten«, schätzte er. »Das klingt immer noch viel, ist aber viel weniger. Können wir aufhören, über Zigaretten zu reden, als seien sie mein Grundnahrungsmittel?«
»Sind sie doch«, flüsterte ich, woraufhin wir wieder dem seichten Gelächter verfielen. So seicht, dass es schon guttat.
Wie schade, dass wir ein paar Momente später den Parkplatz der Arztpraxis erreichten. Am liebsten hätte ich weiter in alten Erinnerungen geschwelgt. Da es nun aber um wichtigere Dinge ging, wurde ich zunehmend unsicherer.
Auf zittrigen Beinen folgte ich Adnan, als er auf den einstöckigen Neubau zusteuerte. Er drehte sich zu mir und deutete mit einem Ruck auf die Eingangstür. »Angst vorm Frauenarzt, oder was?«
»Sei nicht so frech!«, forderte ich ihn auf. Meine Knie schlotterten, mein Puls raste. »Ich stehe vor dem krassesten Schritt in meinem Leben, das ist alles. Ich bin nervös. Tut mir leid.«
Ich versuchte, mich zu beherrschen und folgte ihm schließlich in den geräumigen und sterilen Eingangsbereich. Allein die Tatsache, dass Adnan in dieser Praxis herumspazierte, als sei sie sein Zuhause, ließ es schon fast so wirken, als sei er derjenige, der den Termin hatte. Noch nie war ich mir so unbeholfen vorgekommen.
»Ah, Adnan, da bist du ja«, tönte es aus der Richtung der Rezeption, an der eine junge Frau mit einer Akte in den Händen lehnte. Sie sah in meine Richtung, fixierte kurz die blauen Flecken in meinem Gesicht und wusste direkt Bescheid. »Und du bist Nisan, richtig? Komm doch direkt mit ins Behandlungszimmer.«
Die Ärztin war eine gutaussehende, junge Frau, die höchstens dreißig Jahre alt war. Sie musste ebenfalls Südländerin sein, was mir ihre braune Haut und das schwarze, zu einem schlichten Dutt zusammengebundene Haar verrieten.
Im Behandlungszimmer angekommen, streckte sie mir ihre Hand entgegen. Wir nahmen beide an einem gläsernen Schreibtisch Platz, dann stellte sich mir vor. »Ich bin Doktor Lopes, Fachärztin für Gynäkologie. Du kannst mich aber auch Melinda nennen«, meinte sie. »Erstmal will ich dir sagen, dass es sehr wichtig ist, dass du hier bist. Du bist eine mutige Frau und hast meinen vollsten Respekt.«
»Wenn Adnan mich nicht überzeugt hätte, säße ich jetzt wahrscheinlich nicht hier.«
»Ihm liegt viel an dir«, meinte sie, während sie in einer der Schubladen irgendwelche Dokumente raussuchte. »Erzähl mir doch bitte, was gestern vorgefallen ist. Erinnerst du dich?«
»Nur lose«, stammelte ich, während ich die Augen zusammenkniff, um mich zu konzentrieren. »Aber das ist auch eine längere Geschichte, die begann, als man mich an einen fremden Mann verheiratet hat.«
Ich offenbarte Melinda meine Lebensumstände. Dass ich einige Wochen bei Gönül gelebt hatte, nachdem ich Salman schon einmal zum Opfer gefallen war. Dass ich zu blöd ... nein, zu unvorsichtig gewesen war und wirklich geglaubt hatte, man würde mich bei Gönül nicht finden.
»Und er hat dich gefunden«, schlussfolgerte sie. »Die Blessuren in deinem Gesicht sehen nicht nach Schlägen aus, du musst auf einer Oberfläche aufgekommen sein. Erinnerst du dich, was es war?«
»Ein Couchtisch.« Ich erinnerte mich an den brennenden Schmerz in meinem Gesicht. »Ich hatte keine Chance. Er hat mich geschubst, woraufhin ich gestürzt bin. Da wurde ich ohnmächtig. Als ich zu mir kam, war er gerade an mir zu Gange ... meine Hose war runtergezogen. Er hat mich am Hals geküsst, mich festgehalten. Es war so grauenvoll ... es hat so wehgetan.«
Sie notierte sich das Gesagte und stand dann auf. Legte sich Mundschutz und Handschuhe zurecht und sprach: »Bevor wir zum unangenehmen Teil der Spurensicherung kommen ... möchtest du eine kurze Pause machen? Du machst das echt gut, du bist sehr, sehr tapfer, Nisan. Aber wenn es zu viel ist, können wir gerne kurz unterbrechen.«
Ich schüttelte den Kopf. Auch wenn mein Puls verrückt spielte, meine Hände schwitzten und mir der Schädel dröhnte, wollte ich die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. »Nein, keine Pause«, gab ich zurück, woraufhin Melinda ausgeglichen nickte und mich bat, ihr zu folgen.
Somit raffte ich mich auf und folgte Melinda in einen Bereich des Zimmers, der mithilfe eines Raumteilers abgegrenzt wurde. Melinda zog hinter uns einen dunklen Vorhang zu und bat mich darum, mich zu entkleiden.
Ich tat, wonach sie verlangte. Zog mein Oberteil und die Hose aus, wobei ihr bereits einige Sachen an meinem Körper auffielen, die sie auf einer Art Formular säuberlich dokumentierte und danach mit Fotos festhielt. Blessuren an meinen Armen und in der Hüftgegend – laut Melinda deutliche Spuren von Abwehrverletzungen.
»Du meinst, er hat dich am Hals geküsst?«, fragte sie nach einer kurzen Stille kritisch. »Der hat richtig zugebissen. Als wär er ein Vampir, oder so.«
Melinda rieb den Abdruck mit einem Wattestäbchen ab und gab dieses anschließend in ein verschließbares Röhrchen. »Je mehr DNA, umso besser. Ich nehme gleich noch Abstriche in deinem Intimbereich vor und schaue, ob ich weitere Verletzungen finde.«
»Woher kennst du eigentlich Adnan?«, fragte ich seelenruhig, um das Thema zu wechseln. Zugegeben: Mit einer Frauenärztin in einem derart intimen Moment über Männer zu reden, war irgendwie merkwürdig. Meine Neugier überwog aber auf eine Art und Weise, die ich mir nicht erklären konnte.
Melinda lachte. »Keine Angst, ich nehme ihn dir nicht weg«, meinte sie. »Wir haben eigentlich nur beruflich zu tun. Er hilft mir, ich helfe ihm.«
»Und wie genau helft ihr euch?«
»Willst du das wirklich wissen?«, fragte Melinda, während sie einen weiteren DNA-Test zückte. »Als ihr gerade auseinander wart, war Adnan ein ziemlich ekliger Typ. Er hat jedem noch so billigen Weib hinterher gesehen, geflirtet ohne Ende. Wir haben uns kennengelernt, er wollte mich flachlegen. Ich habe ihn aber abserviert, weil er mir ein paar Jahre zu jung war. Außerdem sind Araber nicht so mein Typ.«
»Wie schade, dass nicht jede Frau so tough ist wie du«, staunte ich, woraufhin wir beide in ganz seichtes Gelächter verfielen. »Es gäbe so viele gebrochene Herzen weniger.«
Melindas Lachen brachte ihre geraden, weißen Zähne zur Geltung. »Nicht wahr?«, gab sie selbstsicher von sich. »Ich wusste damals, dass ihm was auf dem Herzen liegt. Ich habe ihm nahegelegt, über seine Situation nachzudenken, über das, was er ist: ein Arschloch. Von da an hat er sich um 180 Grad geändert.«
»Er hat sich echt verändert«, stellte ich fest und richtete meinen gedankenverlorenen Blick auf den Boden. Ich merkte, wie sich meine Mundwinkel hoben, egal wie viel Widerstand ich auch leistete. Meine Wangen glühten.
Gemeinsam brachten wir auch den letzten Teil des Briefings hinter uns. Melinda nahm nun auch die letzten Abstriche vor und dokumentierte weitere Blessuren in der Innenseite meiner Oberschenkel mit Fotos.
»Wir sind fertig, du kannst dich wieder anziehen«, meinte Melinda. Sie ließ mich in der Kabine zurück, um alle Unterlagen, inklusive Beweisfotos, sortieren zu können.
Ich war noch nie derart eilig in meine Klamotten geschlüpft. Es war nicht die Scham vor meinem beschädigten und beschmutzten Körper – daran hatte ich mich ja bereits gewöhnt – sondern die Zuversicht, dass sich mein Leben genau heute zum Besseren wenden konnte.
Als ich mich am Schreibtisch eingefunden hatte, überreichte Melinda mir einen großen und prall gefüllten Briefumschlag, in dem sich alle wichtigen Dokumente befanden. »Das ist dein Krankenbericht«, beschrieb sie den Inhalt des Umschlages. »Ich arbeite eng mit der Polizei zusammen. Damit kann dir niemand was. Die Beweislage ist erdrückend, der Kerl wird im Knast landen.«
Melinda begleitete mich noch zu Adnan, der im Wartebereich saß und konzentriert auf seinem Handy herumtippte. Er bemerkte uns zunächst gar nicht, als er uns jedoch erblickte, sprang er auf und kam uns entgegen. »Wir sind fertig«, meinte ich und drehte mich zu Melinda, um ihr meinen Dank auszusprechen. »Ich danke dir so sehr. Im Moment tut mir jede Hilfe gut.«
»Das ist doch das Mindeste.« Sie rückte verlegen ihr Haar zurecht. »Was haltet ihr davon, wenn ich euch mal zum Essen einlade? Natürlich nur, wenn wieder ein wenig Ruhe eingekehrt ist.«
Ich schaute gehemmt zu Adnan, der zustimmend nickte. Er fixierte meinen Blick, zwinkerte mir sanft zu und sprach dann: »Die Einladung lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Oder, Nisan?«
»Ein wenig Ablenkung könnte mir spätestens nach dem Besuch bei der Polizei echt nicht schaden, schätze ich ... also ja, ich wäre dabei.«
• • •
Auf der Hälfte der Autofahrt wurde ich auf ganz eigenartige Art und Weise müde, lehnte mit dem Gesicht an der Fensterscheibe der Beifahrertür. Ab und zu genehmigte ich mir einen Blick in Adnans Richtung. Da er sich jedoch auf die Straße konzentrierte, schien er mich gar nicht wirklich wahrzunehmen.
Ich musste an das Gespräch mit Melinda denken, die mich über Adnans Wandel im Laufe der Jahre aufgeklärt hatte. Dass er sich verändert hatte, schien tatsächlich keine erfundene Geschichte, sondern wahr zu sein. Ein wenig, musste ich offen und ehrlich gestehen, schämte ich mich sogar dafür, ihn die vergangenen Wochen so falsch eingeschätzt zu haben.
Normalerweise hätte ich alles für mich behalten und kein Sterbenswörtchen über das Gespräch mit Melinda verloren. Da mich die Stille, die zwischen uns lag, jedoch quälte und ich kein anderes Gesprächsthema parat hatte, musste ich Adnan davon wissen lassen.
»Melinda und ich haben über dich geredet«, ließ ich es ihn wissen. Ich löste mein Gesicht vom Fenster und setzte mich ordentlich hin. Adnan hielt seinen Blick stets auf der Straße, seufzte dann aber unbeeindruckt.
»Okay«, murmelte er. »Ich hoffe, sie hat ein gutes Wort für mich eingelegt. Bei dir weiß ich nämlich nie, was du von mir denkst. Magst du mich wieder? Oder findest du mich immer noch eklig?«
»Nein, du bist okay«, beruhigte ich ihn. »Ich gebe zu, ich habe mich in dir getäuscht. Ich hätte gerechter mit dir umgehen müssen und weiß gar nicht, wie ich mich bei dir entschuldigen kann ...«
Als das Auto an einer Ampel zu Stehen kam, richtete Adnan seinen Blick in meine Richtung aus. Er hob eine Augenbraue. »Du musst dich nicht entschuldigen. Vergiss nicht, dass ich auch vieles falsch gemacht habe, ja? Wichtig ist, dass wir Einsicht zeigen. Und wenn ich das sagen darf: Es ist schön, dass du wieder bei mir bist. Einfach nur schön.«
Ich bin wieder bei ihm. Und das erste Mal fühlt es sich nicht komisch oder unangenehm an, sondern ... es fühlt sich gut an, zu wissen, dass man verstanden wird. Weil ich weiß, dass er sich geändert hat. Weil ich weiß, dass ich bei ihm gut aufgehoben bin.
»Ja ... es ist schön ...«, war das einzige, was ich rausbekam. Ansonsten blieb ich sprachlos. Ich spürte, wie sich meine Kinnlade in Richtung Boden richtete und ich ihn erstaunt beobachtete. Diesen ehrlichen, leicht ernsten Ausdruck in seinen dunklen Augen, unter denen sich ein Anflug von einem Lächeln durchrang.
Mir wurde warm. Anstatt Adnan anzustarren, ließ ich mich wieder tief in den Beifahrersitz fallen. Fächerte mir mit den Händen Luft zu, lachte verlegen. Fragte mich, ob ich es mir nur einbildete, oder ob es zwischen uns beiden gerade eben wirklich gefunkt hatte.
Es schien jedoch, als dachte sich Adnan nichts Weiteres dabei. Als die Ampel wieder auf Grün wechselte, setzte er das Auto in Bewegung und konzentrierte sich nur noch auf die Straße. Ich seufzte, als wir den modernen Neubau des Polizeipräsidiums in der Weststadt erreichten.
»Bleib cool, alles wird gut«, meinte Adnan, ehe er in einem Zug in einen Parkplatz einbog, der mit seinem Kennzeichen geschmückt war. Er zog die Handbremse des Wagens fest und richtete sich in meine Richtung. »Wenn du aussagst, bleib auf alle Fälle ruhig. Du bist das Opfer, das kannst du mit dem Krankenbericht belegen.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Briefumschlag in meinen Händen. »Im Zweifelsfall ist es besser, wenn du schweigst, als dass du viel erzählst. Lass die Bilder, die Dokumente sprechen.«
»Okay«, flüsterte ich. »Aber warum sollte ich schweigen? Ist es nicht besser, wenn ich denen alles erzähle, was ich weiß?«
Er hielt sich zurück, beobachtete einen Streifenwagen, der vom Parkplatz in Richtung Hauptstraße bog. »Die Ermittler können echte Arschlöcher sein, Nisan. Du musst schlauer sein, vorausschauender. Bist du bereit?«
»Bereit.«
Wir stiegen aus dem Auto und ich versuchte ruhig zu bleiben, wie Adnan es mir vorgegeben hatte. Dennoch war es schwieriger als gedacht. Mein Körper bebte, hüllte sich in eine herbe, hartnäckige Gänsehaut. Ein unangenehmes Gefühl, das sich intensivierte, als wir in das sterile Zentralenlicht des Präsidiums gehüllt wurden.
Da ich wusste, dass Adnan mich nun nicht mehr unterstützen konnte – da es schlichtweg nicht um ihn ging –, trat ich aus eigener Kraft an die Rezeption heran, an der mich eine Frau in Uniform erwartete, und begrüßte diese in aller Seelenruhe.
»Guten Tag. Kann ich Ihnen behilflich sein?«, erkundigte sich die Beamtin. Ich stammelte kurz, ging mir durchs Haar. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Irgendwas musste ich aber sagen. Irgendwas.
»Ich ... ich möchte Strafanzeige erstatten«, gab ich meine Absicht in ruhigem Wortklang wieder. Als Antwort auf den fragenden, bezeichnenden Blick der älteren Frau, der sich in erster Linie auf die Wunde in meinem Gesicht richtete, trat ein wenig näher heran. »Ich wurde geschlagen und vergewaltigt. Das war gestern. Mein Name lautet Nisan Albayrak ... ich meine Kaya ... und ich möchte bitte eine Anzeige machen.«
Von da an ging alles schnell auf schnell. Die Dame forderte meinen Personalausweis ein, den ich ihr ohne jegliches Zögern entgegen reichte. Sie tippte auf ihrem Computer herum und glich das, was auf meinem Personalausweis stand mit ein paar Daten auf dem Computer ab. In ihrem Blick zeichnete sich etwas Ernstes, Kritisches ab.
Sie musterte mich, mein Gesicht und dachte nach. Dann sprach sie: »Entschuldigen Sie mich, ich muss kurz telefonieren. Warten Sie bitte hier.« Daraufhin griff sie zum Hörer, wählte eine Nummer und entfernte sich ein wenig. Dennoch konnte ich ihrem Gespräch lauschen. »Streicht die Fahndung. Frau Kaya ist aufgetaucht und möchte eine Anzeige aufgeben. Soll ich sie zu euch hochschicken? ... Nein? ... Alles klar. Bis gleich.«
Als die Beamtin zur Rezeption zurückkam, schritt Adnan heran. Er schien mehr zu verstehen als ich, und irgendwas schien ihn zu beunruhigen. »Fahndung? Gibt es ein Problem?«, fragte er.
Doch statt Adnan zu antworten, richtete sich die Beamtin an mich. » Frau Kaya, Sie sind dringend tatverdächtig, werden der schweren Körperverletzung beschuldigt und waren bis dato flüchtig. Deswegen haben meine Kollegen ein paar Fragen an Sie.«
Ich fiel aus allen Wolken. Auch Adnan stutzte. Doch bevor ich mich erkundigen konnte, was es mit dieser merkwürdigen Annahme auf sich hatte, näherten sich mir zwei weitere Beamte, wahrscheinlich Ermittler. All die Sicherheit, die Adnan mir während der Autofahrt gegeben hatte, war weitestgehend dahingeschwunden.
Da Salman aus jetziger Sicht das Opfer darstellte, lag er mir wieder auf den Fersen. Selbst, nachdem ich ihm ein zweites Mal entkommen war, war er fest entschlossen, mich zu kriegen. Aber das durfte nicht passieren. Das durfte auf gar keinen Fall passieren. Deswegen zeigte ich mich den beiden Ermittlern zuversichtlich und versuchte, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren. Auch wenn mir danach war. Auch wenn mir nun schon wieder Steine im Weg lagen.
Denn die Welt wird nicht durch
diejenigen zerstört, die Böses tun,
sondern durch diejenigen, die
ihnen dabei zusehen und nichts tun.
Und ich konnte nicht schon
wieder zusehen und nichts tun.
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