18 | Die vermisste Ehefrau.

ADNAN

Im Halbschlaf kauerte ich auf dem Schreibtisch, der aus massivem Eichenholz bestand und schon länger Zeit nicht aufgeräumt worden war. Es war elf Uhr und ich war todmüde. Überall lagen Bällchen aus Notizzetteln herum. Ebenso verstreut waren ein Dutzend Textmarker und Kugelschreiber, die eigentlich in eine dafür vorgesehene Dose gehörten.

Das war mein Arbeitsplatz: Erfüllte seinen Zweck, auch wenn mir die chronischer Unordnung ständig Stress mit dem Chef einbrachte. Ich arbeitete bei der Polizei, da müsste ich Rücksicht darauf nehmen, dass ich Tag ein, Tag aus mit Menschen zu tun hatte. Aber bisher war mir das scheiß egal gewesen. Ich war kein Polizist, sondern einfach nur ein Verwaltungsangestellter, der seine Arbeit sonst gut in den Griff bekam. War doch alles gut?

Mein Blick ging dauernd auf die Uhr. Es gab nicht viel zu tun, in zehn Minuten stand die Mittagspause an. Ich sah mich im McDonald's stehen, wie ich irgendein ungesundes Menü verdrückte.

Ich setzte mich aufrecht hin, als meine Kollegin Sandra aus dem benachbarten Büro im Eingang stand. Das weißblonde Haar fiel in Strähnen über ihre zierlichen Schultern. Ihr Kleid, ein grauer Einteiler, saß hauteng an ihren breit gewordenen Hüften. Sie hatte ein wenig zugenommen, sodass ich mir ab und zu die Frage stellte, ob sie spontan schwanger geworden war. Da ich freundlich sein wollte, sprach ich meine Vermutung allerdings nicht laut aus.

»Du, Adnan?«, rief sie in hoher Lautstärke.
»Wir sind alleine. Ich höre dich«, meinte ich.
Sie nickte anerkennend und nahm auf dem Stuhl vor mir Platz und spielte mit einem roten Fineliner herum. »Machst du Pause? Ich muss zum Arzt und hab noch zwei Leute draußen sitzen.«
Ich seufzte, sah auf die Uhr. Genau jetzt begann meine eigentliche Mittagspause. »Hat denn von den Polizisten keiner Zeit? Meine Pause brauche ich echt, sonst bin ich echt schlecht gelaunt.«

In die zartroten Wangen zwangen sich tiefe Grübchen, die von tiefer Konsequenz begleitet wurden. »Wovon brauchst du denn Pause? Du hast fast geschlafen, als ich reingekommen bin. Außerdem sortierst du den lieben langen Tag nur Akten und schreibst Mails.«
»Hat denn von den Polizisten keiner Zeit?«, beharrte ich stur auf meiner Frage. Ich begann damit, die ganze Unordnung auf meinem Schreibtisch zu entsorgen.

Groteskes Kopfschütteln ihrerseits. »Nein«, meinte sie. »Es gab Unruhen bei einer Demo, da ist direkt der ganze Trupp los. Denkst du, ich würde damit sonst zu dir kommen? Erweise dich mal als engagiert und du kannst die Höhle hier irgendwann gegen ein schönes, helles Büro eintauschen. Ist ja echt die reinste Tristesse bei dir.«

»Wie du willst«, meinte ich und erhob mich aus dem Schreibtischstuhl. Einverstanden nickte ich ihr zu und warf einen Haufen Notizzettel, den ich zu einem Ball geformt hatte, in den Abfall. Auf ihren dankenden Blick hin konnte ich nicht anders. Ich betrachtete ihre Hüften und das kleine Bäuchlein, bis sich unsere Blicke wieder trafen. »Sag mal ... ich möchte nicht unhöflich klingen, aber erwartest du Nachwuchs, oder so?«

Sandra lachte verlegen, ihr Gesicht färbte sich herzhaft rot. Entweder war ihr die Zunahme an Gewicht also unangenehm, oder sie fühlte sich von mir ertappt. »Erwischt. Ich bin im vierten Monat schwanger und habe gleich einen Ultraschalltermin.«

Wurde ja auch mal Zeit, dass Sandra schwanger wurde. Keine Frage, sie sah gut aus und war eine nette Kollegin, doch sie war auch schon mindestens 30 und kinderlos. Bereits einmal unglücklich verheiratet gewesen und nun ... schwanger. Ich freute mich für sie, auch wenn ich das nicht mit vollster Euphorie zur Geltung brachte.

»Herzlichen Glückwunsch«, rief ich und zwang mich zu einem breiten Grinsen durch. »Heißt das also, dass ich demnächst unter Umständen deine Arbeit ausführe? Zeugenaussagen, Straf- und Vermisstenanzeigen entgegennehmen?«
Sie nickte. »Kann sein. Aber da musst du schon was an deiner Arbeitsmoral ändern, Cowboy. Alles klar. Dann viel Spaß!«

Mit einem Winken verabschiedete sie sich und verschwand. Es konnte sein, dass ich bald befördert wurde und dann mehr tat, als nur Aktenordner und Server zu sortieren und den Schreibtischstuhl warm zu halten. Ich schritt hastig aus dem kleinen Büro heraus und bat die erste Person hinein, die ich im Wartebereich sitzen sah.

»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, flüsterte ich, ehe ich die Milchglastür anlehnte und mich auf meinen Stuhl zurückwarf. »So, dann sagen Sie mal. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Mir nicht, aber ich habe vorhin ein Portmonee gefunden und konnte das Fundbüro in Köln-Deutz nicht erreichen. Vielleicht ist das bei Ihnen ja besser aufgehoben.«

Ich nickte. Die Dame in den Vierzigern, dessen Haar schon graue Akzente beinhaltete, reichte mir das besitzerlose Portmonee. Ich warf einen kurzen Blick hinein. Im Portmonee selbst befanden sich keinerlei Karten oder Hinweise, anhand deren ich den oder die Eigentümerin ausmachen konnte, im Geldfach lagen jedoch einige lila Geldscheine. So verlockend das auch war, ließ ich Neutralität walten, klappte das Portmonee wieder zu und legte es beiseite.

»Ich reiche das gleich zu den Fundsachen weiter und gebe eine Anzeige heraus. Können Sie mir sagen, wo sie das Portmonee gefunden haben?«

Ohne großartig zu überlegen, sprach sie: »Am Bahnhof in Köln-Deutz, heute Morgen um zehn Uhr etwa. Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit weiterhelfen.«

»Ja ja, auf jeden Fall.« Ich schrieb die Details auf ein loses Blatt Papier, das ich zusammen mit dem Portmonee in einen großen Briefumschlag und anschließend in ein Fach. Dann faltete ich brav meine Hände über dem Tisch und lächelte der Frau entgegen. »Zivilcourage ist leider nichts Selbstverständliches mehr. Dabei können wir auf der Welt jeden guten Menschen gebrauchen.« Wir reichten uns die Hand, woraufhin die Dame das Büro wieder verließ.

Ich genehmigte mir einen Schluck Kaffee, ehe ich Person Nummer zwei zu mir rief. Ein großer, aber dünner Mann betrat das Zimmer, schloss die Glastür vollständig. Er machte auf mich einen düsteren, allenfalls mysteriösen Eindruck und musterte mich selbstgefällig, ehe er sich wieder vom Fleck rührte. Seine Kleidung war hochwertig. Er trug ein dunkelgraues Sakko, eine passende Anzugshose und einen feingestrickten Rollkragenpullover. Obwohl der Große recht selbstsicher wirkte, fragte er: »Sie sind kein Polizist, richtig?«

Ich wartete. Versuchte, in seinem konsequenten Blick den Grund für die Frage auszumachen. Zog meine Augenbrauen zusammen, lächelte dann aber gewohnt freundlich und deutete mit einer einladenden Geste auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. »Nein, Polizist nicht. Aber für Ihr Anliegen sicherlich genauso gut. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Meine Ehefrau ist verschwunden.«
Sonst Stille. Seine Aussage quittierte ich mit einem interessierten Summen. Mich ärgerte, dass er nicht sofort mit der Sprache herausrückte. Als ich mich räusperte, ertönte seine raue und akkurate Stimme selbstständig. »Wir haben gerade geheiratet, das ist etwa drei Wochen her. Ihr Handy ist aus, sie ist nicht mehr auffindbar. Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben.«

»Dazu müsste ich bitte einmal Ihre Personalien aufnehmen.« Der Fremde erkannte meine ruhige Aufforderung, mir seinen Ausweis zu reichen. Er wanderte in die Innentasche seines ordentlich gebügelten Sakkos und zückte den Perso. »Hier.«

Ich glich das Bild mit dem Mann ab, der vor mir saß. Es passte. Las mir seinen Namen durch und sah ein zweites Mal auf. Biss mir kurzweilig und unterschwellig auf die Unterlippe, um ihm kurz darauf seinen Perso zurückzuschieben. Hierbei spürte ich, wie verschwitzt meine Handflächen waren.

Salman Kaya.
Tatsächlich hatte ich einen kleinen Augenblick gebraucht, um zu registrieren, wer da vor mir saß und mit wem ich es zu tun hatte. Salman Kaya, der vor ungefähr drei Wochen Nisan Albayrak geheiratet hatte. Der sie mit einem Messer lebensgefährlich verletzt und in einer Gasse hatte liegen lassen. Der nun seine Ehefrau suchte und ausgerechnet vor mir saß; ihrem Ex. Der Mann, der die verletzte Nisan durch Zufall entdeckt und ins Krankenhaus zu Huzur gebracht hatte. Mir fehlten die Worte.

»Stimmt denn was nich'?«, wurde ich von seiner Stimme aufgeweckt. Ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken. Es war kein Schauer der Angst, sondern mehr der Gedanke, einem Mann gegenüber zu sitzen, der Frauen abstach. Als ich wieder bei Sinnen war, schüttelte ich meinen Kopf. »Nein, tut mir leid, alles gut. Sie suchen nach Ihrer Ehefrau, hm? Haben Sie ein Foto für mich?«

Wieder wanderte Salman in seine Innentasche, um mir ein Foto zu reichen. Natürlich. Wenn er seine Ehefrau suchte, würde er alles Nötige zurechtlegen, sodass er im Recht stand und zuschlagen konnte, wenn es Neuigkeiten gab. Er würde sich nichts anmerken lassen, sondern den besorgten Ehemann spielen und mir ein falsches, erlogenes Märchen auftischen. Bis jetzt schlug er sich ziemlich gut, auch wenn wir noch nicht besonders viele Worte über Nisan gewechselt hatten.

»Das ist meine Ehefrau, Nisan.« Auf den Tisch purzelte ein Hochzeitsfoto, das wenige Stunden vor der skrupellosen Bluttat entstanden sein musste. Es war ein kalter Samstag gewesen. Das Foto zeigte Nisan und Salman, wie sie Arm in Arm in Richtung Fotograf grinsten. Nisan trug ihre Haarpracht schlicht zusammengesteckt und sah aus wie eine Prinzessin, während Salman ... na ja, während er so unspektakulär wie auch jetzt aussah. Sie passten nicht zusammen. Ihre Emotionen waren geschauspielert, das sah ich. Das spürte ich. Nisans Augen wirkten leer und karg, einfach ohne Ausdruck. Zwei schwarze Löcher, in denen man sich verlor und einen kurzen, aber schmerzvollen Blick in ihr tief verletztes Herz ergatterte. Es schien, als hätte sie vor der Hochzeit tagelang kein Auge zugetan. Mein Herz schmerzte.

»War es Liebe?«, dachte ich laut. Zu laut. Er wich defensiv zurück und musterte mich aus seinem Abstand heraus. Ich fuhr dennoch fort. »Warum haut eine Verheiratete kurz nach der Hochzeit einfach ab? Gehen Sie mal in sich. Es wird schon seine Gründe gehabt haben.«
Salman seufzte und ging sich durch die schwarze Haarmähne, in der er auf Widerstand stieß. Kein Wunder, wenn darin eine Tonnen Haarspray klebte. »Unsere Eltern wollten, dass wir heiraten. Ich vermute, das ist ihr im Nachhinein zu viel geworden. Trotzdem habe ich großes Interesse darin, sie wiederzufinden.«

Natürlich hatte er das. Ich kannte Nisans Familie nicht, aber wenn sie schon so herzlos waren und ihre Tochter einfach an einen gewaltvollen Mann verheirateten, würden sie selbst vor ihm nicht Halt machen. Sie würden es ihn teuer zu stehen kommen lassen, wenn er Nisan nicht zurück nach Hause brachte. Und ich war seine einzige Chance, etwas zu bewegen.

»Eine Vermisstenanzeige gestaltet sich insofern schwierig, als dass Ihre Frau erwachsen ist und über ihren Aufenthaltsort frei entscheiden kann. Mir sind die Hände gebunden.«

»Sie verstehen mich einfach nicht«, wetterte Salman eifrig und zog das Hochzeitsfoto wieder zurück. »Ist Ihnen nicht klar, was die Leute denken, wenn die Ehefrau verschwindet? Man redet so schon genug. Und mein Schwiegervater dreht mir den Hals um, wenn ich seine Tochter nicht finde.«
»Und deswegen ist es nicht gut, wenn uns die Eltern vorschreiben, wen wir heiraten sollen.«

Wie geplättet saß Salman vor mir. Hätte ich nicht gewusst, wer er war und was er getan hatte, hätte ich ja schon fast Mitleid empfunden. Wenigstens sah er selbst ein, dass Nisan das alles zu viel geworden war. Sie hatte versucht, zu fliehen und wurde von Salman überwältigt. Er hatte Angst vor Nisans Familie und griff aus purerbVerzweiflung zur Waffe, mit der er sie schwer verletzte. Nun, ganz zum Widerspruch, suchten sie alle vergeblich nach Nisan, während sie in der Nähe bei ihrer besten Freundin saß, Tee trank und sich ausruhte.

Ein Briefumschlag landete auf dem Tisch, genau vor meiner Nase. Meine Gedanken nahmen ein abruptes Ende. Der Briefumschlag war nicht beschriftet und nie wirklich versiegelt worden. Allerdings war der Brief dick, als befände sich etwa ein Stapel Fotos darin. Ich musterte den Brief, zeigte mich aber höflich unbeeindruckt.
»Schauen Sie mal rein«, meinte Salman.
»Und dann?«, fragte ich.
»Sehen Sie es als einen Extralohn.«

Ich legte meine Hand auf den Briefumschlag und zog diesen langsam zu mir. Salman beobachtete mich erwartungsvoll, tat aber so, als sähe er sich bloß im Büro um. Also warf ich einen Blick in den Umschlag und stieß auf eine Menge Geld. Grüne, gelbe und lila Scheine, die fein säuberlich gestapelt waren und mich von innen anlächelten. Geld, das ich nicht mal eben auf einen Blick zählen konnte. Fast schon bestätigend nickte ich und legte den Briefumschlag zurück auf Salmans Seite des Schreibtisches.

»Nein, das gehört Ihnen«, verwies er. Salman legte seine Hand auf meine und schob diese gemeinsam mit den Brief zurück. »Hören Sie, ich kann mir vorstellen, dass Sie hier nicht die Welt verdienen. Sie hoffen, dass Sie befördert werden, aber da können Sie sicher lange drauf warten. So ist das in Behörden und in der Verwaltung leider. Vor allem, wenn man Südländer ist.« Nun verwies er noch einmal auf die Geldsumme im kleinen Briefumschlag. »Das hier sind zehntausend Euro. Ich helfe Ihnen. Machen Sie mit dem Geld, was Sie wollen. Fliegen Sie nach Dubai oder legen Sie es in Aktien an. Und Sie helfen mir. Klingt nach einem fairen Deal, oder?«

Er wirkte aufdringlich und bestand darauf, dass ich das Geld an mich nahm. Aber so einer war ich nicht, und bestechlich schon mal gar nicht. Salman zeigte sich verwundert, als ich den Kopf schüttelte und zufrieden lächelte. Ich lehnte die Geldsumme dankend ab.

»Mir mangelt es an nichts«, meinte ich. »Und ich bin kein Fan von Korruption. Behalten Sie ihr Geld und akzeptieren Sie die Tatsache, dass ich Ihnen an diesem Punkt nicht helfen kann. Ihre Ehefrau hat sich abgesetzt, da nützt eine Vermisstenanzeige nur wenig.«

»Eine Vermisstenanzeige würde meine Frau und mich wieder zusammenbringen.« Er stammelte, schwitzte und schob den Briefumschlag noch ein Stück weiter in meine Richtung. Irgendwie passte seine Nervosität nicht zu dem Mann, der einen Mordversuch hinter sich gelassen hatte. »Ich biete Ihnen hier was Einmaliges an. Wer kann denn schon von sich behaupten, in zehn Minuten zehntausend Euro verdient zu haben?«

Für mich war das Gespräch hier beendet. Ich konnte ihm nicht helfen und bestechen ließ ich mich schon mal gar nicht. Das musste Salman akzeptieren. Deswegen sprang ich mitten in seinem Satz auf und wanderte zur Glastür, an der ich meinen dünnen Mantel aufgehangen hatte. Diesen zog ich von der Tür ab, schritt aber zuletzt nochmal einen Schritt an Salman heran.

»Ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Kaya.
Aber sollten Sie noch einmal hierher kommen und versuchen, mich zu bestechen, sitzen Sie drüben bei den Kollegen in Blau oder auf dem Weg ins nächste Amtsgericht. Und das sind dann Polizisten und Beamte. Ich bitte Sie, zu gehen. Schönen Tag noch.«

Ich wartete noch, bis Salman den Raum verließ. Die restliche halbe Stunde, die mir an Pause noch geblieben war, musste ich mir einfach noch genehmigen. Und da konnte ich einfach keine Leute gebrauchen, die andere bestachen. Beim Rausgehen musterten mich Salmans müden und mit tiefdunklen Ringen unterlaufenen Augen. In seinem Blick lag etwas Verachtendes, so als hätte ich ihm Unrecht getan. In seinem Blickwinkel hatte ich das auch sicherlich. Ich hatte ihm nicht weitergeholfen.

»Was gucken Sie denn so böse, Herr Kaya? Denken Sie, eine Vermisstenanzeige würde Ihre Frau zurückbringen?«, fragte ich. Seine Mimik änderte sich nicht großartig. »Wir sind hier in Deutschland. Wer untertauchen will, darf das und macht damit auch nichts Verbotenes. Sie wird sich schon melden.« Würde sie nicht.

Nun wollte ich aber wirklich los und klopfte ihm zweimal auf die Schulter, ehe ich die Schlüssel zu meinem Wagen zückte und das Präsidium zügig verließ. Ich hastete zügig in Richtung Parkplatz, auf dem ich mein Auto abgestellt hatte. Vor dem Auto gönnte ich mir eine Zigarette und lehnte an der Motorhaube des BMW.

Ich hoffte wirklich, dass Salman nicht bemerkte, dass Nisan sich die ganze Zeit über bei Gönül aufhielt. Ebenso hoffte ich, dass ich ihn vorhin nicht auf diese Fährte geführt hatte. Aber, na ja ... wenn er überhaupt schon einmal auf der Suche nach Nisan gewesen war, dann musste Gönül doch ganz bestimmt Salmans erste Adresse gewesen sein.

So wenig ich es auch wollte, ich musste Gönül warnen und dazu aufrufen, noch mehr auf Nisan aufzupassen. Sie davor warnen, dass Salman nun in der Öffentlichkeit nach Nisan suchte und nicht mal davor zurückschreckte, zur Polizei zu gehen, obwohl er sie beinahe hingerichtet hätte. Nisan musste wissen, dass Salman ihr nichts anhaben konnte, wenn sie kooperierte und der Polizei von den grausamen Dingen erzählte, die ihr Ehemann ihr angetan hatte. Ich musste direkt nach der Arbeit zu Gönül fahren.

• • •

Ich war zurück.
Zurück in der unliebsamen Gegend, in der vor kurzer Zeit erst gewesen war. In der südlichen Neustadt von Köln in irgendeinem türkisch und russisch geprägten Viertel. Einfamilienhäuser, Stadtvillen und Eigentumswohnungen so weit das Auge reichte. Alles war ganz familiengerecht angelegt, übersät mit großflächigen Spielplätzen und Treffpunkten für Jugendlichen. Aber auch hier in der direkten Nachbarschaft: Spielhallen, Diskotheken und Orte der Schande. Wie zum Beispiel Gönüls Haus.

Eigentlich weigerte ich mich, diesem Miststück unter die Augen zu treten. Gönül hatte mich bei Nisan wieder auf Null geworfen, obwohl unser erstes, richtiges Treffen doch ganz gut lief. Sie würde immer wieder versuchen, mich vor ihrer besten Freundin fernzuhalten. Und das, obwohl sie selbst kein Unschuldslamm, kein Engel war. Touché.

Ich parkte etwas weiter entfernt am Straßenrand, um nicht direkt gesehen zu werden. Es konnte ja sein, dass ich es mir nochmal anders überlegte und ihnen keinen Besuch abstatte. Dann musste ich von der unliebsamen Persönlichkeit nicht erwischt werden. Doch ausgerechnet in dem Augenblick, in dem ich aus dem Auto stieg und auf Gönüls Haus zupeilte, machte ich einen Satz zurück und suchte mir eine Hecke als Versteck.

Auf der Veranda vor der Haus befand sich Gönül, die mit einem aufgebrachten Mann diskutierte, der mir verdächtig nach Salman aussah. Neben ihr stand noch ein zweiter Typ, der ebenfalls mit Salman redete, allerdings deutlich ruhiger und respektvoller. Leider konnte ich das Gespräch akkustisch nicht mitverfolgen. Im Momemt hoffte ich eigentlich nur, dass Gönül und der andere Typ Salman in die Flucht schlugen.

Das Gespräch dauerte noch etwa eine Viertelstunde an. Ich hockte im Gras hinter der Hecke und gähnte. Langsam schmerzten meine Gelenke, ich bekam Hunger und wollte einfach nur weg von hier. Hatte vor zehn Minuten noch die gleißende Sonne geschienen, so zog sich der Himmel nun gänzlich zusammen. Als wäre das nicht genug gewesen, ergoss sich der Himmel über dem Land und nässte mein Haar. Ich hatte keine Karpuze.

»Verschwinde endlich«, knurrte ich leise. Die drei standen bloß herum und sahen sich an. Keinerlei Aktivität, weder von der einen, noch von der anderen Seite. Es dauerte weitere fünf Minuten und kostete mich einiges an Kraft, bis Salman sich endlich vom Haus entfernte und in seinen roten Sportwagen stieg. Wurde ja auch langsam mal Zeit.

Als sein Auto in der Ferne verschwunden war, näherte ich mich dem Haus. Der Veranda, auf der Gönül und ich nachts eine ziemlich armselige Auseinandersetzung gehabt hatten. Es war so falsch, hier zu sein, das wusste ich. Aber es musste sein. Ich klingelte und unterbrach das wilde Getuschel dreier Leute, die sich zunächst anscheinend weigerten, die Haustür zu öffnen.

Dann tat sich etwas und ein Typ in meinem Alter öffnete mir die Tür. Ich fühlte mich unwohl und schämte mich, klitschnass vor der Tür zu stehen und in dieser Aufmachung Nisan sprechen zu wollen. »Hallo, wer sind Sie? Kennen wir uns?«
»Wer ist das, Onur?«, hallte ihre Stimme im Flur des geräumigen Hauses. Mir fiel insgeheim ein Stein vom Herzen, den Klang ihrer zarten Stimme zu hören. Ich lächelte nur. Der Mann, genannt Onur, drehte sich um und sprach: »Keine Ahnung, irgend so ein Fremder«, ehe er sich wieder mir zuwand. »Es ist kalt. Was ist denn los?«
Ich atmete tief aus, dann sprach ich: »Ich muss mit Nisan reden. Mein Name ist Adnan und es ist echt dringend. Es geht um ihren Mann, der eben hier war.«

Onur verschränkte die Arme vor der Brust. Wer er war, wusste ich immer noch nicht. Aber er war durchaus auf Protest aus. »Nein, sie kommt nicht mit euch mit. Und Salman kannst du ausrichten, dass Nisan nicht hier ist. Sie ist ohne euch besser dran, und ...« Doch er wurde unterbrochen. »Onur, es ist okay. Er hat nichts mit Salman am Hut. Ich möchte hören, was er mir zu sagen hat.« Onur seufzte und musterte mich von oben bis unten, ehe er nachgab und sich umdrehte.

Da stand sie. Ihr Blick neutral, aber ein wenig abgeneigt von mir. Dennoch wollte sie wissen, was Sache war, und deswegen betrat ich das Haus. Die restlos durchnässten Schuhe ließ ich auf der Veranda stehen und betrat das warme Haus. Nisan kam auf die Tür zugelaufen und schloss diese. Ihre Präsenz war ruhig und schien ausgeglichen.

»Also, was ist los?«, fragte sie und verschränkte sanft die Arme vor der Brust.
»Salman war bei mir. Er wollte dich vermisst melden, aber ich habe ihn abgelehnt. Ich bitte dich, wenn du dich selbst schützen möchtest, stell eine Strafanzeige gegen ihn.«

Nisan ging sich durchs Haar, fixierte den Boden. Etwas schien sie ganz gewaltig zu belasten, denn sie stützte sich am Treppengeländer ab und nahm daraufhin auf einer Sitzbank Platz, die direkt daneben stand. Reflexartig ging ich mit, starrte sie an.

»Wir schaffen das, Nisan.« Ich nahm mir alle Geduld und versuchte, ruhig auf sie einzureden. Doch Nisan war wie versteinert und äußerte sich nicht zu meinen Worten. Am liebsten wollte ich sie umarmen, doch meine nasse Kleidung hinderte mich zunächst daran. Außerdem wusste ich nicht, ob sie dies überhaupt zulassen würde. Wenige Augenblicken später hatte sich ihre Versteinerung endlich gelöst und sie sah zu mir auf.

»Wir werden gar nichts schaffen. Die sind alle hinter mir her, Adnan. Früher oder später finden sie mich und holen mich zurück. Was soll ich denn machen? Und warum bist du da? Warum willst du mir so dringend helfen, Adnan? Warum zum Teufel stresst du mich so?!«

»Weil ich dich nie vergessen habe!«, schrie ich. Mein Schrei hallte im Flur nach. Ich zog sie zu mir und legte meine Arme um sie. Drückte ihren wunderschönen Körper an mich. Ich musste wie ein Verrückter wirken. Flüsterte in ihr Haar: »Weil ich nicht will, dass dir was passiert. Weil ich nicht will, dass dieser Mann dich in seine Finger kriegt. Ich werde dir helfen, Nisan. Verlass dich auf mich. Ich hole dich aus diesem Schlamassel raus.«

Schließlich ließ ich von ihr ab. Erhob mich und musterte sie. Nisan hatte die Hände ins Gesicht gelegt und schluchzte. Als sie aufsah, blickte ich in gerötete Auge und in verschmierte Schminke. Und es zerbrach mich.

»Bitte geh, Adnan«, schluchzte Nisan. »Du tust meiner Psyche nicht gut, Adnan. Bitte lass mich in Ruhe und verschwinde aus meinem Leben!«

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