09 | Notwendigkeit.
SALMAN KAYA
Nisan's Ehemann
Warmes Blut. Ein schmerzhaftes Stöhnen, dann der Fall. Ich sehe dein Blut noch immer an den Händen und Ärmeln kleben. Sehe, wie sich die dünne Flüssigkeit in einer Lache auf dem kalten Asphalt verteilt. Ich werde nie vergessen, was ich dir antun musste. Meine Tat wird auf ewig bestehen bleiben. Ich muss dich wieder haben. Dein Vater hat dich mir auserkoren. Du bist meine Frau, du gehörst nur mir und wirst zu mir zurückkehren. Früher oder später - alles nur eine Frage der Zeit.
Ich werde nicht zulassen, dass du ohne mich in diese freie Welt gehst und dein Leben lebst. Um das zuzulassen, geschah viel zu viel zwischen uns. Es ist nicht möglich, ohne dich zu deinem Vater zurückzukehren und zu sagen, dass eine seiner beiden Töchter verloren gegangen ist. Er gab mir das Messer, ich stach. Ich war die Marionette und dein Vater der Spieler. Was sollte ich sonst tun?
Auch ich habe etwas zu verlieren. Meinen Ruf, mein Gesicht, mein Leben. Ich werde mit aller Kraft verhindern, dass du dich aus den Staub machst und der Grund für meinen Untergang bist.
• • •
Ich saß auf der Bettkante und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Es war früh am Morgen. Gerade mal fünf Uhr und noch dunkel, doch ich war hellwach und konnte nicht mehr einschlafen. Das Bett in der neuen Wohnung war ungewohnt hart und jagte abscheuliche Schmerzen in meine Rückenwirbel. Das war einer der Gründe für mein frühes Erwachen. Andererseits plagte mich das Gewissen, dass sich eine weitere Person in meinem Bett räkelte. Eine fremde Frau; eine Hure, die ich nachts auf der Straße aufgegabelt hatte. Immerhin war ich ein Mann und hatte auch meine Bedürfnisse. Und wenn ich schon nicht auf meine Ehefrau zurückgreifen konnte, musste ich mir anderweitig aushelfen. Wenn ihr versteht, was ich meine.
»Komm doch ins Bett, Süßer«, läuteten die hohen Töne der mir nicht weiter bekannten Frau. Ihre Stimme war kratzig und nervtötend wie die einer Krähe. Mein Körper versteifte, als ihre kalten Arme sich um meine Brust wickelten. Ich drehte mich zu ihr um. »Nur weil wir eine Nacht miteinander verbracht haben, bedeutet das nicht, dass du dich an mich kuscheln sollst. Verstanden? Ich zahle und dann verpisst du dich.«
Binnen weniger Sekunden war der Körperkontakt gewichen, der von der Hure ausging. Sie stand auf, griff sich eines meiner Hemden und striff sich dieses über die künstlich gebräunte Haut. Das geflochtene, rote Haar ließ sie sanft über den Rücken fallen. Dann setzte sie sich zu mir und starrte mich mit ihren tiefgrauen Augen gnadenlos an.
Ich nickte ihr zu. »Was kostet mich die letzte Nacht?« Doch das war nicht das, worum es ihr letztendlich ging. Die Hure schüttelte gutmütig den Kopf, sprach: »Weil du es bist, kostet das erste Mal nichts. Haste Streit mit der Frau? Normalerweise legen Herren wie du ihre Ringe ab. Und was am merkwürdigsten ist: Sie laden mich nie in die Wohnung ein. Du liebst Nervenkitzel, hm?«
Ich lächelte bedächtig. Dass sie keine Ahnung davon hatte, was los war, verübelte ihr nicht. Aber über die Geschichte mit Nisan wollte ich gar nicht allzu viel verraten. Konnte ich nicht. Bevor Nisan nicht zurück war, durfte niemand wissen, dass sie überhaupt weg war. Und gerade deswegen musste ich gut aufpassen, was ich wem erzählte.
»Ehestress, du hast recht. Aber das betrifft dich nicht, und deswegen«, ich unterbrach mein Wort, um im Aschenbecher die Zigarette zu versenken, »sei nicht so neugierig, ja? Du bist hier, um einem Mann die Langeweile zu vertreiben. Nicht, um Seelsorgerin zu spielen.« Nun atmete sie ein bisschen entnervt aus, bat mich nach einer Zigarette. Während sie sich diese anzündete, meinte sie: »Du denkst, ich sei dumm. Ich bin ja nur eine Nutte. Aber glaub mir, ich hatte schon Kunden mit richtigen Problemen bei mir liegen. Bankräuber, Mörder. Mit einem verzweifelten Ehemann wie dir bin ich unterfordert. Also, erzähl schon.«
Ich zog eine meiner Augenbrauen hoch und sah in ihre Richtung. Sie hatte absolut keine Ahnung, aber mir gefiel, wie mutig und intelligent sie doch wirkte. Ich würde sie nicht körperlich verletzen, das war gewiss. Die Gewalt lag, außerhalb der Notwendigkeit, gar nicht in meiner Natur. Obwohl es ein familiäres Geheimnis sein und bleiben sollte, entschied ich mich dazu, ihr das Vergehen an Nisan zu offenbaren.
»Sieben Stiche in den Rücken«, ließ ich es still verlauten. »Einen Tag nach der Hochzeit habe ich sie erstochen. Angestochen oder erstochen, was auch immer. Ich floh, sie verschwand, nun fehlt jede Spur von ihr. Ich weiß nicht, ob sie noch lebt, aber muss sie finden, sonst bringt ihr Vater mich um.«
»Oh, tatsächlich?«, kicherte sie.
»Warum erzähle ich dir das überhaupt?«, rief ich, als ich nachdenklich wurde. »Ich werde dich eventuell nie wiedersehen, weiß nicht mal deinen Namen, und erzähle dir davon.«
Sie erhob sich aus dem Bett und warf mir einen auffordernden Blick zu. »Samira.« Ein tiefer Zug an der halb abgeglommenen Zigarette folgte.
»Ja, und?«, fragte ich, da ich kein Wort verstand. Die Rothaarige lachte, warf die Zigarette aus dem Fenster und streckte mir die Hand entgegen, um mich aus dem Bett zu ziehen. Dann kam sie mir ganz nahe, sodass sich unsere Nasenspitzen berührten.
»Jetzt kennst du meinen Namen. Und ich schlage dir vor, dass wir nun frühstücken gehen, um zu besprechen, wie ich dir helfen kann.«
• • •
Dass Samira über ein fundiertes Können in der Küche verfügte, hätte ich nicht gedacht, als ich sie in der Nacht fragte, ob sie mit mir hierher kommen wolle. Zwar war sie allem Anschein nach eine deutsche Frau, nutzte Safran, Barach und Sumak jedoch, als habe sie schon immer mit orientalischen Gewürzen hantiert. Der erste Biss in das Omelett, welche sie neben frisch gepresstem Orangensaft zubereitet hatte, war für mich das Zeichen ihres kulinarischen Talentes.
»Um zurück aufs Thema zu kommen... wie willst du mir helfen, wenn du weder meine Frau, noch ihre sozialen Kreise kennst?« Samira forderte mich mit einer kuschenden Handbewegung dazu auf, weiter zu essen und währenddessen nicht zu sprechen. Dann aber offenbarte sie mir den Grund für ihren Hilfswillen. »In fünf Jahren Prostitution habe ich die Stadt kennengelernt, kenne jedes Hotspot innerhalb des Gebietes. Viele Leute kennen mich, helfen mir, wenn ich Hilfe brauche. Da sollte es eine Leichtigkeit sein, eine stinknormale Frau aufzuspüren.«
Ich verdrehte die Augen genervt. »Das dachte ich auch. Ich habe jedes Krankenhaus im Umkreis abgesucht. Sie ist nirgends zu finden. Entweder ist sie tot, oder aber untergetaucht.« Samira dementierte den ersten Punkt, als wüsste sie genauer Bescheid. »Wenn die Frau tot wäre, hätte man sich doch schon mit euch in Verbindung gesetzt. Ich tippe darauf, dass sie sich zurückgezogen hat.« Sie summte erfreut, als sie bemerkte, dass ich meinen Teller leergegessen hatte. »Warum kam es überhaupt zu deiner Tat?«
»Zwangsheirat«, verriet ich. »Sie rannte weg, als ich sie küssen wollte. Da brannten mir die Sicherungen durch. Ihr Vater gab mir das Messer. Er sagte, wenn sie nicht gefügig ist, solle ich es tun.«
»Sie erstechen?«, führte Samira meine Worte mit vollem Mund weiter aus. Nicken meinerseits, daraufhin mitleidvolles Seufzen. »Ein Mann wie Behçet Albayrak blöfft nicht, wenn er jemanden mit dem Tod bedroht. Ich muss sie also finden.«
Das Handy vibrierte überplötzlich. Wenn man vom Teufel spricht, dachte ich. Aus Reflex erhob ich mich eilig vom Stuhl, um beim Telefonat nicht gestört zu werden. Doch da ich ihr alles, was es zu erzählen gab, schon erzählt hatte, besaß dies keine Nötigkeit mehr. Ich schritt zurück an meinen Platz und ging ans Handy.
›Salman, hast du schon Neuigkeiten?‹
›Nach wie vor nicht. Kein Lebenszeichen. Nicht mal Gönül konnte verlässliche Informationen liefern.‹
›Achte mal auf Gönül. Ich vertraue der Frau kein Bisschen. Beschatte sie. Orte ihr Handy, damit du weißt, wohin sie geht. Höre ihre Gespräche ab. Ich wette mit dir, dass sie mehr weiß als wir.‹
›In Ordnung. Ich werde mein Bestes geben.‹
›Du musst! Du hast keine andere Wahl, als sie zu holen, wo auch immer sie ist. Wie du das realisierst, liegt bei dir.‹
Aufgelegt. Behçet begrüßte die Leute weder, noch verabschiedete er sie. Wenn er wirklich etwas wollte, waren ihm sämtliche Formen des höflichen Umganges egal. Vor allem dann, wenn er den Leuten die Pistole auf die Brust setzen konnte. Samira zuckte mit den Schultern und stellte mir dann eine Frage. »Wieso folgst du seinen Befehlen? Du wirkst, als seist du ein ganz kluger Mann. Seit wann greifen kluge Männer zu Gewalt?«
»Weil sie mir gehört«, versuchte ich, es ihr begreiflicher zu machen. Sie hingegen versuchte, zu verstehen. Ich nahm einen Schluck vom Saft und fuhr fort. »Sie wollten uns nicht erst seit gestern verheiraten. Als Kinder waren wir ganz gut befreundet gewesen, dann haben wir uns aus den Augen verloren. Ich wollte nie heiraten, aber als ich erfuhr, dass man uns verheiraten will, hat es sich richtig angefühlt.«
Sie nickte. »Also wolltest du es so, aber sie war gegen eine Ehe?« Ich stimmte Samira restlos zu und ergänzte, dass es sich bei Nisan um eine der hübschesten und smartesten Frauen handelte, die es in der Stadt gab. »Sie wird jetzt sowieso nicht mehr freiwillig zu mir kommen. Jetzt muss es, wohl oder übel gegen ihren Willen geschehen.«
»Ich habe nur eine klitzekleine Bitte an dich... bitte tu ihr nichts. Du kannst sie entführen, sie festhalten, was auch immer. Aber sie soll nicht leiden. Ich bitte dich, wirklich.«
»Ihr Übermut hat das alles nötig gemacht, wann verstehst du das?«, packte ich aus. Ganz im Klartext. Ich griff nach einer neuen Zigarette, schritt ans Fenster, zählte sporadisch die weit entfernten Baumkuppen. »Wenn sie sich gefügt hätte, wäre das nicht passiert. Ich werde sie mir holen, ganz egal, wie weh ich ihr tue.«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top