Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.
Hastig schob Amaury das Französischbuch über sein Bild, als die Tür aufgerissen wurde. Aber Eike hatte es schon gesehen.
„Zeig mal her!" Heftig riss er dem Jungen das Buch fort und sah verächtlich auf die Zeichnung, die zum Vorschein kam. „So also lernst du für deine Prüfung? Und verschwendest noch wertvolles Papier und teure Tinte!"
„Ich – aber ich habe gelernt", stammelte Amaury und zuckte zusammen, als der Oheim das Papier in zwei Teile zerriss. Die fein gezeichnete Elfe verlor dadurch Kopf und Flügel.
„Wohl nicht genug, wenn du noch Zeit für solchen Unsinn hast! Was soll ich deinem Vater sagen, wenn er dich abholen kommt? Dass du Elfen zeichnen und Blumen binden kannst? Er will hören, dass du deine Französisch- und Mathematik-Kenntnisse verbessert hast und bald an der Schule aufgenommen werden kannst!"
Angesichts der zerstörten Zeichnung stiegen Amaury die Tränen in die Augen. „Das habe ich doch. Ich habe alle Aufgaben erledigt, die Sie mir gegeben haben, Oheim."
„Ach? Wenn du schon mit allem fertig bist, habe ich dir wohl nicht genug zu tun gegeben." Eike blätterte im Französischbuch. „Hier. Nimm dir ein neues Blatt und übersetze dieses Kapitel. Und zeig mir deine Arbeiten."
Amaury seufzte. Er hatte sich heute besonders beeilt, um noch ein Bild für Vater malen zu können, der von seiner wochenlangen Reise zurückkam. Die Elfe hatte er gewählt, weil er nicht wusste, wie er dem Vater das Theaterstück beschreiben sollte. Wie Oheim Eike nahm der Vater nur wahr, was sich greifen, handeln und in bare Münze umsetzen ließ. Aber ein Bild würde selbst der Vater verstehen.
Während Amaury den Text übersetzte, überprüfte Eike Amaurys bisherige Anstrengungen. Von Zeit zu Zeit runzelte er die Stirn und entnahm der Schale auf dem Tisch ein weiteres Utensil. Jedes Mal zuckte Amaury zusammen; er wusste bereits, was das bedeutete.
Am Ende lagen vier Federn, drei Federmesser, ein Lineal und eine Schere auf dem Tisch. Eike zählte nach: „Vier, sieben, acht, neun. Neun ganze Fehler hast du dir geleistet!"
Amaury begann zu zittern. „Es tut mir leid ..."
„Das sollte dir auch leidtun! Wie willst du jemals an einer Schule angenommen werden und etwas Ordentliches leisten können? Du bist doch kein Kind mehr, das nur Spielen und Vergnügen im Sinn hat!"
Die Schule, von der Eike sprach, nahm Schüler erst ab zwölf Jahren auf und Amaury bewältigte bereits die Aufgaben für die Aufnahmeprüfung. Wenn auch nicht ganz fehlerfrei. Aber Oheim und Vater genügte das nicht.
Der Junge wusste auch genau, was von ihm verlangt wurde und bemühte sich nach Kräften, den Forderungen an ihn gerecht zu werden. Aber je mehr seine kärgliche Freizeit beschnitten wurde, je weniger Gelegenheit Amaury hatte, sich seinen Träumen hinzugeben, umso mehr Fehler unterliefen ihm. Amaury konnte es selbst nicht verstehen und hasste seine eigene Unfähigkeit.
Eike stand auf. „Zieh die Hose aus!"
Amaury nickte nur und gehorchte. Er kannte die Prozedur. Und hatte vergeblich gehofft, dass er ihr heute entkommen würde, da doch der Vater ihn endlich abholen würde. Nicht dass Vater Fehlern gegenüber nachsichtiger wäre. Aber die Strafen, die ihm der Vater auferlegte, waren Amaury immer noch lieber als die Art seines Oheims.
Als Eike seinen Gürtel öffnete, schloss Amaury die Augen und versuchte, sich in einen versteckten Winkel seines Geistes zurückziehen.
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