mein Vater, jetzt fasst er mich an!
„Vater!" Amaurys Stimme schrillte durch den Erlengrund, schreckte Frösche und Bekassinen auf, ließ den Nebel erschrocken zurückweichen und erreichte schließlich den vorausgehenden Mann.
„Amaury?"
„Ich sehe dich nicht mehr!"
„Ich warte hier. Trödel nicht so!"
Erneut rannte Amaury los. Nach einigen Minuten schälte sich die Gestalt des Vaters aus den Nebeln. Etwas beruhigt warf sich Amaury Leopold entgegen und umklammerte seine Hand.
„Ich dachte, ich hätte dich verloren. Ich hatte solche Angst!"
„Du darfst dich hier im Erlengrund nicht ablenken lassen. Das Moor kann tückisch sein. Bleib immer auf dem Weg und verweile nirgends. Das habe ich dir doch vorher schon erklärt."
Amaury senkte den Kopf. „Das stimmt."
„Lass uns weitergehen, es wird spät. Und lass meine Hand los, du bist doch kein Kind mehr."
„Ich würde dich niemals loslassen, wenn du Angst hast", raunte der Nebel in Amaurys Ohr. Amaury zuckte zusammen. Er hatte geglaubt, in Gegenwart des Vaters würde der Mann im Nebel schweigen. Stattdessen war er nun fester geworden, greifbarer und seine Stimme erklang nicht mehr nur im Kopf des Jungen.
Leopold allerdings schien nichts gehört zu haben. Er ging gelassen weiter, dem Sohn vorweg auf dem schmalen Weg und sah sich nicht um.
„Vater!"
„Was ist denn nun wieder!" Leopold klang ungeduldig und er verhielt seinen Schritt nicht.
„Hörst du nicht den Erlenkönig? Er will mich mitnehmen."
„Erst sieht du ihn, dann hörst du ihn auch noch? Den Erlenkönig gibt es nicht, merk dir das endlich. Du hörst nur den Wind und das Wasser."
Vor dem Vater erschien der Nebelstreif wieder. In diesem stand der Mann mit der geflochtenen Krone und drohte Leopold mit der Faust, der ungerührt durch ihn hindurchging.
„Wer ein Kind hat, hat auch die Pflicht, es zu umsorgen und zu behüten."
Nur Amaury hörte diese Worte, die ihn irgendwie wohlig anrührten. Nicht einmal Flordalis hätte eine solche Ansicht vertreten.
Aber der Mann, der sie sprach, war nicht der Vater, sondern der Erlenkönig, der nur darauf aus war, die Menschen zu verführen und zu verderben. Konnte man ihm denn vertrauen?
„Vater, der Erlenkönig schweigt nicht stille!"
„Dann schweig wenigstens du!", herrschte Leopold den Sohn an.
Eingeschüchtert presste Amaury die Lippen aufeinander. Einige Minuten stapfte er stumm hinter dem Vater her, immer bemüht, nicht den Anschluss zu verlieren.
Auch die Nebel schwiegen eine Weile. Sie schwebten aber nach wie vor um die beiden Wanderer herum und immer deutlicher erkannte Amaury ätherische Gestalten darin. Nicht nur der Erlenkönig tauchte in den Nebeln auf, auch andere Elfen wurden sichtbar. Besonders deutlich erkannte Amaury ein Mädchen, etwas älter als er, welches ihn an die Elfe der Wanderschausteller erinnerte.
„Vater, siehst du dort des Erlkönigs Tochter tanzen?"
Verärgert fuhr Leopold zu ihm herum und verpasste Amaury eine weitere Maulschelle. „Ist jetzt bald Schluss mit diesem Unfug!"
„Aber – ich sehe sie ganz klar! Sie ist direkt neben dir. Siehst du sie nicht?"
Unwillkürlich blickte Leopold in die Richtung, in die Amaury zeigte und presste dann die Lippen aufeinander, über sich selbst verärgert. „Hör auf damit!" Er drehte sich um und marschierte weiter. „Komm jetzt endlich und hör auf, zu bummeln!"
„Man darf Kinder nicht schlagen!" Der Erlenkönig tauchte dicht vor Amaury auf, sein vorher so freundliches Gesicht hatte sich verfinstert und er streckte die Hand nach dem Jungen aus. „Komm mit mir, schönes Kind, hier wird dir kein Leid geschehen!"
Unwillkürlich reichte Amaury dem Nebelstreif die Hand, von diesem Versprechen bezaubert. Und diesmal war der Nebel fest und warm.
„Vater!", schrie Amaury erschrocken auf. „Er fasst mich an!"
Bestürzt drehte sich Leopold zu dem Sohn um, der doch nur wenige Meter hinter ihm gelaufen war.
Von Amaury war nichts mehr zu sehen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top