„Statt dummes Zeug über deinen Oheim zu reden und dich wie ein kleines Kind zu beschweren, solltest du dich lieber beeilen", mahnte Leopold. „Ich möchte hier nicht von der Dämmerung überrascht werden." Er beschleunigte seinen Schritt.
„Warte, bitte!" Amaury eilte hinter ihm her.
Der Nebel folgte ihm.
Amaury hatte so etwas noch nie gesehen. Natürlich kannte er Nebel, sogar so dichten, dass man keine zwei Meter weit sehen konnte. Aber wenn man in Nebel eindrang, kam man ihm niemals wirklich nahe. So weit man sich auch hineinwagte, die Sichtweite von zwei Metern blieb bestehen. Nebel konnte man nicht greifen und nicht vor Augen sehen.
Dieser Nebel hier war anders. Er war dicht wie Rauch, wenn der Diener versehentlich harziges Holz in den Kamin geschichtet hatte oder Oheim seine langstielige Pfeife anzündete. Doch es war Nebel, denn er blieb weiß und brachte Amaury nicht zum Husten.
In einer Spirale zog der Nebel um Amaury herum, der zögerte, weiter zu gehen. Er hatte den Eindruck, gegen eine feste Wand zu laufen, wenn er einen Schritt zuviel wagte.
„Amaury!", rief der Vater ärgerlich. „Komm endlich!" Seine Gestalt verschwand gerade hinter einem Gebüsch, als er um eine Wegbiegung ging.
„Ja", keuchte der Junge und rannte dem Vater hinterher. Der Nebel ließ ihn hindurch, blieb ihm aber auf den Fersen.
„Vater, der Nebel – er ist seltsam!"
„Du wirst dich doch nicht vor Nebel fürchten! Der kann dir nichts tun!"
Während Amaury sich bemühte, den voraneilenden Vater einzuholen, hatte er für einen Moment den Eindruck, im Nebel ein Gesicht zu sehen. Es war das Antlitz eines nicht mehr ganz jungen Mannes mit schönen, aber fremdartigen Zügen und traurigen Augen.
Amaury rannte noch schneller und erreichte den Vater beinahe. „Vater, der Nebel – darin ist jemand!"
Leopold blieb so plötzlich stehen, dass Amaury gegen ihn rannte. „Wie war das?"
Amaury klammerte sich an des Vaters Rock fest und äugte vorsichtig zum Nebel hinüber, der nun wie eine Rauchsäule dicht neben ihnen waberte. Wieder tauchte das merkwürdige Gesicht auf und Amaury bemerkte nun, dass der Mann eine Art Diadem aus geflochtener Weide und Erle trug.
„Vater – ich glaube, es ist der Erlenkönig!"
„Lass diesen Unsinn", schimpfte Leopold und streifte die Hände des Sohnes von dem kostbaren Stoff seines Obergewands. „ Den Erlenkönig gibt es nicht. Das hier ist nur ein Nebelstreif."
Zögernd folgte Amaury dem Vater. Aber er drehte sich noch einmal zu dem Nebel um. Und plötzlich war er sicher, dass die Gestalt darin dem Vater die Zunge herausstreckte.
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