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Debbys Herz klopfte schneller, je näher ihr Zug dem Hauptbahnhof kam. Sie hockte auf der vorderen Kante ihres Sitzes, die Hände zwischen die Knie geklemmt, und schaute ungeduldig aus dem Fenster. Auf die vorbeifliegenden Häuser, in deren Scheiben sich die Nachmittagssonne spiegelte. Auf zugemüllte oder hübsch eingerichtete Balkone und in verborgene Hinterhöfe, die umrahmt von hohen Mauern etwas Abenteuerliches an sich hatten.

In den letzten sechzehn Stunden hatte sie viel Natur und viele Städte gesehen, und so schön manches davon auch gewesen war – nichts hatte sich so schön angefühlt, wie diese zugebaute Stadt voller bunter Menschen zu erblicken, der sie ein Jahr ferngeblieben war.

Debby entsperrte ihr Smartphone und senkte den Blick auf das Display. Sturm, der durch Erlen zieht von Pascow stand dort und sie tippte auf den Pause-Button, ehe sie sich die In-Ear-Kopfhörer aus den Ohren zog. Leise Unterhaltungen, das Rascheln der aufstehenden Menschen und das Rattern des ICEs übertönten das Geräusch, das ihr Fuß, den sie in regelmäßigen Abständen auf und ab wippen ließ, auf dem Boden verursachte.

Vor dem Fenster breitete das Steinbett sich aus und die Gleise vermehrten sich. Sträucher schossen in die Höhe und am Horizont kamen die Bahnsteige in Sicht. Debby zwang sich sitzenzubleiben, während die Menschen um sie herum in den Gang traten und ihr Gepäck aus der Ablage nahmen. Mit dem Blick suchte sie den Bahnsteig nach Farin ab, während der Zug immer langsamer wurde. Als er schon fast stillstand, schob Debby ihr Smartphone in die Tasche ihrer kurzen Hose und hievte den Wanderrucksack auf die Sitzfläche neben ihr. Ihn über Kopf in die Gepäckablage zu bugsieren, war eine Herausforderung, der sie sich nicht gestellt hatte. Umständlich schob sie ihre Arme durch die Träger und richtete sich auf, so gut das in dem kleinen Stück zwischen den Sitzen ging. Der Zug kam zum Stehen und sie reihte sich zwischen zwei anderen Reisenden ein. Hintereinander traten sie ins Freie. Debby reckte den Hals und ließ suchend ihren Blick schweifen, noch bevor ihr Fuß den heimatlichen Bahnsteig berührt hatte.

Ein Lächeln verzog ihre Lippen, als sie Farin endlich entdeckte. Zwischen all den unscheinbaren Menschen hindurch schob er sich auf sie zu. Er sah so vertraut und doch anders aus. Das schwarze Haar trug er kürzer als bei ihrem letzten Zusammentreffen, die Seiten waren ausrasiert. In der Mitte stand es unordentlich in die Höhe und weckte in Debby den Wunsch, hineinzufassen. War bestimmt weich wie Welpenfell. Eine dunkelblaue Strähne zog sich durch die Front.

„Hey", kam es ein wenig rau aus Debbys Kehle und sie streckte die Arme aus, während ihr Herz schneller klopfte.

Farins Lippen waren zu einem ebenso breiten Grinsen verzogen und er zog sie kräftig an sich. Die beiden Piercings in seiner Unterlippe hatten Gesellschaft von einem schwarzen Nasenring bekommen und er trug ein T-Shirt von Anti-Flag, auf dem ein Punk mit Iro eine Amerika-Flagge verbrannte. Vor seiner Brust baumelte der Anhänger, den sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Ein eingravierter Baum, den statt Blättern Namen schmückten.

Debby schlang ihre Arme um Farins warmen Körper und spürte den Schweiß an seinem Rücken, während er seine Arme zwischen ihr und ihrem Rucksack durchschob.

„Ich hab dich vermisst", murmelte er mit seiner rauen Stimme und ihr Lächeln vertiefte sich. Sie schloss die Augen und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab.

„Ich dich auch", erwiderte sie und drückte noch ein wenig fester zu. Schweiß trat ihr auf die Stirn, weil Farins Körperwärme sich mit ihrer eigenen und der erhitzten Luft vermischte.

Ein Jahr war vergangen, seit sie Farin das letzte Mal gegenübergestanden hatte. Seit sie einander das letzte Mal in die Arme geschlossen hatten. Ein Jahr, in dem sie so viel Neues gesehen, Farin aber nie vergessen hatte.

Er roch noch wie damals. Kalter Rauch hüllte ihn ein, nach Bier duftete er heute nicht. Jetzt zog er den Kopf zurück und Debby hob das Kinn, um ihm in die Augen zu sehen. Er wirkte ein wenig übernächtigt, unter seinen blauen Augen lagen dunkle Ringe, aber sie strahlten fröhlich und spiegelten sein Lächeln wider. Sie selbst sah wahrscheinlich auch nicht wacher aus. Jetzt schloss er die Augen und auch Debby schlug die Lider nieder, während sie atemlos darauf wartete, Farins weiche Lippen an ihren zu spüren. Das Metall seiner Piercings berührte ihre Haut und wurde von Farins Wärme überlagert. Irgendjemand rempelte gegen Debbys Rucksack und stieß sie gegen Farin.

Ein paar Atemzüge lang gab es nur sie, Farin und ihre Küsse. Ihr Herzschlag beruhigte sich. So lange hatte sie sich nach diesem Moment verzehrt, ein Jahr hatte sie auf diesen Augenblick gewartet. Immer wenn die Sehnsucht nach ihm zu groß geworden war, hatte sie versucht, die Sternbilder, die er ihr gezeigt hatte, am Himmel ausfindig zu machen. Sie hatte Cassiopeia gefunden. Den Drachen. Den Schwan. Nicht sofort, nicht in der ersten Nacht. Aber sie hatte sie gefunden und sich Farin damit ein Stück näher gefühlt, während sie allein an ihrem Fenster oder draußen in der abendlichen Puszta unterwegs gewesen war, in der die Sterne unendlich hell leuchteten. Er würde es dort lieben.

Farins Wangen waren ein wenig gerötet, als er sich von ihr löste. „Wollen wir irgendwohin, wo wir für uns sind?", fragte er mit einem Grinsen auf den Lippen.

„Sehr gerne", stimmte sie zu und ihre Wangen verspannten sich schon vom dauerhaften Grinsen.

Farin machte einen Schritt zurück und griff nach ihrer Hand, ehe er sich in Bewegung setzte. Debby schloss ihre Finger um seine und sie stiegen die Treppe hinab, die sie ins Innere des Bahnhofs führte. Kaum verständliche Lautsprecheransagen wurden vom Geräuschpegel in der Bahnhofshalle übertönt.

„Wie war deine Fahrt?", fragte Farin, während sie sich durch das alltägliche Chaos schlängelten. Vorbei an Menschen, die langsamer liefen, die ihre Fahrräder schoben, die sich suchend umschauten, Zeitungen an den Mann bringen oder sich beim Bäcker einen Imbiss holen wollten. Sie bogen nach links ab und nahmen die Stufen nach unten.

„Ganz gut. Zuerst war ich in einem Zug mit Schlafwagen und das war echt gemütlich. Später hatte ich dann einen Fensterplatz neben einer Frau, die irgendwas an ihrem Laptop gearbeitet hat, also konnte ich in Ruhe mein Hörbuch hören. Und das letzte Stück war der Zug recht leer, das war auch entspannt", erzählte sie, während sie auf die Glastüren zusteuerten, die sie in die Freiheit entlassen würden. Ein Jahr war sie nicht mehr hier gewesen und trotzdem fühlte sich alles so vertraut an, als wäre sie nie weg gewesen.

„Was sagen eigentlich deine Eltern dazu, dass du zuerst zu mir kommst?", fragte Farin grinsend und zog eine Zigarettenpackung aus der Jackentasche hervor, während sie auf den Bahnhofsvorplatz traten. Er ließ Debbys Hand los, um sich eine Zigarette zwischen die Lippen zu schieben.

„Begeistert waren sie nicht, aber ich glaube, ihnen ist inzwischen klar, dass es nichts bringt, wenn sie mich anstressen", lachte sie und blieb stehen, als Farin innehielt, um seine Kippe anzuzünden.

„Ich find's gut", grinste er, als er den Blick wieder hob und das Feuerzeug in seine Jackentaschen schob.

„Ebenso." Sie lachte und schloss ihre Finger wieder um seine. „Wie geht's dir denn?", fragte sie, während sie langsamen Schrittes auf eine rote Ampel zusteuerten.

Sie hatten manchmal ein paar Nachrichten geschrieben, ab und an telefoniert, aber das war nie so Farins Ding gewesen. Viel hatte er nicht erzählt. Er war fürs Studium angenommen worden und aus der Wohnung seiner Mutter in ein Zimmer im Studierendenwohnheim gezogen. Weil der Plattenladen zu wenig Umsatz abwarf, hatte Bene ihm kündigen müssen, stattdessen hatte er einen Job im Booze angenommen.

Ob das eine gute Idee sei, hatte Debby gefragt.

Das passt schon, hatte Farin gesagt.

„Gut", sagte er und wirkte auch so. Erleichterter als früher, befreiter. Es schien ihm gut zu tun, nicht mehr mit seiner Mutter zusammenzuleben, die keine Liebe für ihn übrighatte. Die ihn immer wieder daran erinnerte, wie beschissen alles gelaufen war. An Felix. An viel zu viele negative Gefühle, die Debby jetzt beiseiteschob.

„Das freut mich", lächelte sie und drückte seine Hand, während sie die Straße überquerten und den Alkoholiker-Stammplatz passierten, an dem ein paar ältere Menschen zusammen tranken.

„Du hast bestimmt wahnsinnig viel erlebt, oder?", fragte Farin und führte seine Zigarette an die Lippen. Von der Seite sah er Debby an, während sie quer über den freien Platz liefen und eine Seitenstraße ansteuerten, auf der sie den Ansturm in der Einkaufsstraße umgehen konnten.

„Es war immer noch Arbeit", lachte Debby. „Aber es war auch wahnsinnig spannend." Sie erzählte von den ungarischen Jugendlichen, mit denen sie gearbeitet hatte, während sie an Fast-Food-Ketten und Restaurants vorbeiliefen. Sie passierten den Bücherschrank vorm Theater, während sie von den schlechten Verhältnissen erzählte, in denen viele von ihnen lebten. „In Ungarn sind fast zwanzig Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. In Deutschland übrigens genauso viele." Sie erzählte von den anmutigen Städten und der weitläufigen Landschaft, der Puszta, in der die Przewalski-Wildpferde lebten. Von dem endlosen Sternenhimmel bei Nacht.

Sie ließen die Einkaufsmeile hinter sich und steuerten am Einkaufszentrum entlang eine breite Straße an, auf deren anderer Seite sie den Campus der Universität betraten. Vorbei an großen Gebäuden erreichten sie eine Häusergruppe, die ineinander verschachtelt errichtet worden war. Zwischen den vierstöckigen Plattenbauten befanden sich kleine Innenhöfe und bepflanzte Grünflächen, die von der Hektik der Innenstadt und dem Lärm der Hauptstraße abgeschirmt waren.

Debby ließ ihren Blick schweifen und betrachtete die einzelnen Fenster. Manche waren geöffnet, andere auf Kipp. Hinter einigen waren Vorhänge oder Jalousien zugezogen, in manchen hingen Pflanzen und wieder andere waren staubig und undurchsichtig.

„Hier wohnst du jetzt also?", fragte sie, während sie festgekettete Fahrräder passierten und auf eine Haustür zusteuerten. Die Gebäude waren in hellen Weiß- und Grautönen gehalten, die, vom Sonnenlicht beschienen, gar nicht mal so unfreundlich wirkten.

„Ganz genau", grinste Farin, der einen Schlüssel aus seiner Jackentasche zog und die Eingangstür aufsperrte. Sie traten in ein sauberes Treppenhaus, in dem sich links eine Vielzahl schmaler Briefkästen befand, während vor Kopf eine Treppe nach oben führte. Einzelne Türen gingen vom Flur ab, an denen bunte Buchstaben angebracht waren. Brücke 1, Brücke 2.

„Wie viele Leute wohnen in deiner WG?", fragte Debby, während sie neben Farin die mit grauem Linoleum überzogenen Stufen hinaufstieg.

„Wir sind sechs Leute, außer mir noch drei Frauen und zwei Typen."

„Ziemlich ausgewogen."

„Ja, da achten die hier drauf", lachte Farin. Sie bogen nach rechts ab und liefen an der Treppe entlang, ehe sie an einer Tür stehenblieben, die den Schriftzug Brücke 8 trug. Farin schloss auf. Sie traten in ein großzügiges Wohnzimmer mit offenem Küchenbereich auf der rechten Seite und einer großen Fensterfront mit anschließendem Balkon vor Kopf. Drei große Couches mit gemütlichen Decken und Kissen bestückt standen in der Mitte auf einem flauschigen Teppich. In ihrer Mitte befand sich ein großer Couchtisch, auf dem ein paar Chipstüten, Zeitschriften und Bücher herumlagen. Ein großer Fernseher mit einer angeschlossenen Konsole stand an der offenen Seite und an den Wänden hingen bunte, abstrakte Gemälde, die wahrscheinlich aus einem Möbelgeschäft stammten.

So wenig das Wohnzimmer der WG zu Farin passte, so sehr erkannte Debby sein Zimmer wieder. Hinter der letzten Tür auf der linken Seite Richtung Balkon verbargen sich sein altes Bett, das am Fenster stand, und in der Lücke zwischen Bett und Wand das Keyboard. Rechts von Debby stand sein alter Schreibtisch, auf dem sein Aschenbecher stand, links von ihr füllten ein Schrank und ein schmales Regal die Wand und daneben stand seine Gitarre. An seinen Wänden hingen noch dieselben Poster von Rise Against, Anti-Flag, Authority Zero und Against Me!.

„Willkommen", grinste Farin und breitete die Arme aus, während er sich vor Debby in seinem Zimmer umdrehte. Sie schloss die Tür hinter sich und wuchtete ihren schweren Rucksack neben seinen Schreibtisch. Einen Moment lang schauten die beiden einander in die Augen, dann grinste Debby, sprang auf Farin zu und riss ihn mit sich auf sein ungemachtes Bett. Weich schmiegte sich das Bettzeug an ihre Wange, während sie gleichzeitig versuchte zu lachen und Farin zu küssen. Das mit dem Lachen gab sie schnell auf und schloss die Augen, während ihre Lippen sich auf die seinen drückten.

Ihre Küsse wurden schnell intensiver. Farin ließ seine Hände über ihren Körper wandern, während Debby ihre in seinem Haar vergrub. Die Strähnen des Iros klebten zusammen und waren an einzelnen Stellen verhärtet. Kein Welpenfell, zumindest oberflächlich nicht. Die Stellen, die vom Haarspray verschont geblieben waren, erfüllten ihre Erwartungen.

Sie robbten weiter aufs Bett, ohne voneinander abzulassen. Debby ließ ihre Finger Farins Oberkörper hinabwandern und schob sie unter sein verschwitztes Shirt. Sie richtete sich auf, um es ihm auszuziehen, und er hob den Oberkörper, um es ihr zu erleichtern. Unter seinem linken Schlüsselbein erblickte sie ein neues Tattoo. Einen stilisierten Kompass ohne Nadel. Viel Zeit, um es zu betrachten, blieb ihr nicht, denn Farin zog ihr ebenfalls das Oberteil über den Kopf, ehe er sie wieder an sich zog. Sie schwang ihr Bein über seine Hüfte und nahm breitbeinig auf ihm Platz. Küsste ihn, während er seine Hand in ihren Nacken legte und mit der anderen den Verschluss ihres BHs öffnete.

Da waren keine Worte, nur Küsse. Nach und nach fielen die Kleidungsstücke zu Boden, dann öffnete Farin seine Nachttischschublade und zog ein Kondom daraus hervor, das er eilig öffnete. Er warf die Packung achtlos zur Seite, während Debby mit ihren Fingern über die Haut oberhalb seines erigierten Penis' strich. Ein leises Stöhnen entwich Farin, als er nach seinem Glied griff und das Kondom überzog, dann packte er an Debbys Hüften und sie hob ihren Po, um sich auf ihm niederzulassen. Mit der Hand führte sie sich seinen Penis ein und stöhnte leise, während er langsam in sie eindrang. Sie legte den Kopf in den Nacken und biss sich auf die Unterlippe, aber Farin zog sie zu sich runter, um sie küssen zu können. In einem gleichmäßigen Rhythmus bewegten sie sich, während der Schweiß auf ihre Körper trat und ihre Muskeln sich anspannten und wieder entspannten.

Zehn Minuten später lagen sie außer Atem nebeneinander auf der Matratze, der Schweiß klebte an ihren Körpern.

„Fuck", seufzte Farin langgezogen. „Sorry." Ein Grinsen tauchte auf seinen Lippen auf. „Aber du bist einfach zu heiß."

Debby lächelte ihn zufrieden an. „Hat gereicht", meinte sie und Farins Grinsen wurde noch ein wenig breiter.


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