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Am nächsten Morgen stand Thomas vor Debbys Haustür, als sie sich auf den Weg zur Schule machte.

„Wir müssen reden", sagte er und sie verdrehte die Augen, während sie die Tür hinter sich ins Schloss zog. Am Vorabend hatte er drei Mal versucht sie anzurufen, aber sie hatte nicht abgehoben.

„Müssen wir?", fragte sie und ging an ihm vorbei.

„Ja!", sagte er und setzte sich an ihre Seite.

„Dann rede", erwiderte sie ohne ihn anzusehen und steuerte die Bushaltestelle an.

„Es läuft im Moment richtig scheiße zwischen uns!"

Ist dir das auch schon aufgefallen?, dachte sie, sagte aber: „Und an wem liegt das?"

Sarkasmus schien nicht seine Stärke zu sein.

„An dir!", erwiderte er ohne zu zögern. „Tut mir leid, wenn ich das jetzt so direkt sagen muss, aber du benimmst dich in letzter Zeit echt daneben. Du behandelst nicht nur mich wie den letzten Dreck, sondern auch deine besten Freundinnen. Was soll das?"

Jetzt sah sie ihn doch an und durchbohrte ihn mit ihrem Blick.

„Was? An mir? Ich benehme mich scheiße? Bist du wirklich hergekommen, um mir die Schuld in die Schuhe zu schieben?", fragte sie. Wieso konnte er nicht ein klein wenig erwachsener sein? Ein klein wenig mehr wie Farin?

„Nein, ich bin hergekommen, um unsere Beziehung zu retten. Weil mir was daran liegt. Und dir?"

Sie erreichten die Bushaltestelle. Ein Schild mit einem grünen H auf gelbem Grund und einem Fahrtzeitplan.

Debby wäre am liebsten einfach weitergelaufen, blieb aber stehen. Mit geschlossenem Mund zog sie die sommerliche Luft durch die Nase in ihre Lungen. Sie schmeckte noch immer nach Gräsern und Blumen und duftete nach den Abgasen der vorbeifahrenden Autos.

„Natürlich liegt mir was daran. Ich liebe dich doch. Aber ich will nicht nachgeben wenn ich überhaupt nichts falsch gemacht habe. Ich verstehe nicht mal was euer Problem ist. Warum stört es euch so sehr, dass ich Kontakt zu Farin habe?" Sie suchte Thomas' Blick und bemühte sich Ruhe und Verständnis in ihre Stimme zu legen.

Der Bus hielt am Straßenrand und öffnete direkt neben Debby seine Vordertüren. Sie schaute ihren Freund noch einen Augenblick lang an, dann holte sie ihren Rucksack nach vorne und kramte ihr Ticket raus. Sie zeigte es dem Busfahrer, als sie als erste einstieg. Thomas folgte ihr.

„Typen wie er sind kein guter Umgang für dich. Der zieht dich nur in seinen Scheiß mit rein. Immer nur saufen, rauchen, wahrscheinlich Drogen nehmen. Ich will dich nicht an so einen kaputten Typen verlieren", sagte er, während sie den Bus durchquerten. Da war kein Vorwurf in seiner Stimme, sondern Sorge. Vielleicht konnte dieses Gespräch wirklich funktionieren.

Debby rutschte auf den Fensterplatz eines Zweiersitzes und nahm ihren dunkelblauen Rucksack auf den Schoß.

„Du kennst ihn nicht, woher willst du wissen, dass er kaputt ist?", sagte sie ruhig. Aufregen wäre der falsche Weg.

Thomas setzte sich neben sie, auch er nahm seinen Rucksack auf den Schoß. Das dunkelblonde Haar der jungen Frau, dir vor ihnen saß, hing über die Lehne.

„Ich hab diese Punks schon öfter gesehen wenn ich mit meinen Jungs unterwegs war. Die sind echt asozial, glaub mir. Die sitzen im Park oder am Bahnhof und besaufen sich. Guck doch mal wie die schon rumlaufen. Damit zeigen die doch schon, dass die nicht dazu gehören wollen, dass die sich von uns abgrenzen wollen."

„Ist ja wohl jedem selbst überlassen wie er rumläuft", sagte sie und starrte geradeaus an die graue Busverkleidung. War sein Horizont wirklich so beschränkt, dass er Leute in alternativer Kleidung und mit einem Bier in der Hand als gefährliche Außenseiter abstempelte?

„Ich will mich nicht streiten, nicht schon wieder. Können wir uns nicht einfach vertragen?", fragte Thomas plötzlich kleinlaut.

Sie drehte ihm den Kopf zu und sah endlich wieder diesen Blick in seinen Augen, den sie die letzten Tage so vermisst hatte. An dessen Stelle die Eifersucht getreten war.

„Ja, können wir", lächelte sie, wurde dann aber wieder ernst. „Unter der Bedingung, dass du nicht mehr versuchst mir irgendwas vorzuschreiben."

Er schluckte, dann nickte er. Sie sah, dass es ihm widerstrebte, aber eine andere Möglichkeit hatte er nicht. Sie lächelte wieder und gab ihm einen Kuss.

„Ich bin froh, dass wir uns vertragen haben", murmelte sie und legte ihre Arme um ihn. Atmete seinen Duft nach Deo und einem Tick zu viel Aftershave ein. Sie hielten sich einen Augenblick im Arm, dann verkündete die Computerstimme ihre Haltestelle. Thomas löste sich und schob sich zwischen den übrigen Schülern aus dem Bus auf die Straße, Debby folgte ihm. Er griff nach ihrer Hand und sie liefen nebeneinander ins Schulgebäude, wo sie die Treppen nach oben zu den Kunsträumen nahmen, die sich drei Stockwerke höher unter dem Dach befanden.

Auf dem Absatz im ersten Stock begegneten sie Hadrian und Farin. Sie lehnten dort an der Wand und unterhielten sich, ihre Worte gingen im Lärm der Schüler unter. Als sie die beiden passierten, nickte Farin Debby zu und sie erwiderte die Geste mit einem Lächeln, das sie auch Hadrian schenkte. Er verzog seine Lippen ebenfalls ein wenig, dann wandte sie den Blick wieder ab. Sie wollte den neu gewonnen Frieden nicht direkt wieder zerstören.


Nach der Doppelstunde Kunst nahm Thomas Bella und Clari auf dem Schulhof beiseite. Debby konnte nicht hören worüber sie redeten, aber als die drei sich einige Minuten später zu ihr gesellten, war auf einmal alles wieder gut.

„Wir sind doch beste Freundinnen", sagte Bella und zog Debby in eine Umarmung. Clari trat an sie heran und legte ihre Arme um die beiden.

„Uns bringt so schnell keiner auseinander", stimmte sie zu.

Lächelnd legte Debby einen Arm um Clari und einen um Bella. Zwischen den Gesichtern der beiden erblickte sie Thomas und lächelte noch ein bisschen breiter. Sie formte ein stummes danke mit ihren Lippen und drückte sich dann noch ein bisschen tiefer in die Umarmung. Eine Last fiel von ihrem Brustkorb, eine Last, die sie nicht mal bemerkt hatte.

Clari löste sich als erstes wieder, dann trat auch Bella einen Schritt zurück.

„Ich bin dafür, dass wir heute Nachmittag zusammen shoppen gehen", grinste sie. „Ich brauch dringend noch was zum Anziehen für die Vorabi-Party!"

Thomas trat an Debby heran, legte ihr eine Hand in den Rücken und gab ihr einen Kuss.

„Bis später", lächelte er.

Sie drückte ihn an sich und schaute ihm in die Augen, während sie sein Lächeln erwiderte. Sie hatte gewusst, dass er kein schlechter Mensch war und dass es nicht sein Ziel gewesen war, sie schlecht zu behandeln. Jeder machte Fehler, er genau wie ihre Freundinnen und sie selbst.

„Bis später. Danke", flüsterte sie und gab ihm noch einen Kuss, ehe sie sich voneinander lösten und er zur Tischtennisplatte rüberging, wo seine Kumpels rumstanden.

„Bist du dabei?", fragte Bella und Debby wandte ihr den Blick zu.

„Klingt gut", sagte sie und Bella lächelte.

„Also, ich dachte an so ein trägerloses Oberteil, aber nicht so basic. Irgendwie besonders", erklärte die.

„Vielleicht mit Glitzer. Pailletten oder so", überlegte Clari, die ihre Fingernägel gestern Abend neu lackiert zu haben schien. Ein metallisches Silber glitzerte Debby entgegen, als sie sich das Haar hinters Ohr strich.

„Glitzer macht nicht alles besser", sagte Bella.

„Würde ich so nicht sagen", meinte Clari und wandte sich Debby zu. „Weißt du schon was du anziehst?"

„Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht", gab sie zu. In den letzten Tagen hatte die Party am Freitag keinen Platz in ihrem Kopf gehabt.

„Wir finden was für dich", sagte Bella.


Auf dem Weg zur Bahnhaltestelle rief Debby ihre Mutter an und sagte ihr Bescheid, dass sie später nach Hause kommen würde. Gemeinsam fuhren die Mädchen zum Hauptbahnhof.

„Ich brauch noch einen trägerlosen BH, wenn ich das Oberteil hab. Und neue High Heels, wir müssen später auf jeden Fall noch im Schuhladen vorbei", sagte Bella.

„Oh ja. In diesem einen unten beim Café hab ich letztens voll schöne gesehen", stimmte Clari zu. Sie saß gegenüber von Bella und Debby entgegen der Fahrtrichtung.

„Glitzern sie?", fragte Debby und Bella lachte.

„Und wenn?", erwiderte sie grinsend.

„Sie glitzern", lachte Debby und Clari verschränkte die Arme.

„Lass mich doch. Glitzer macht alles besser, ihr habt keine Ahnung", grinste sie und überschlug ihr Bein.

„Okay, Glitzer ist zumindest besser als die farblose Schlichtheit, in die Debby sich stets hüllt", sagte Bella und zupfte an Debbys dunkelgrauem T-Shirt.

„Für die Party holst du dir aber mal irgendwas schönes, oder? Wenigstens Heels!", stimmte Clari zu.

„Ich kann nicht mal laufen in den Dingern, wozu?"

„Die lassen deinen Arsch richtig geil aussehen. Komm schon, Thomas würde sich bestimmt auch freuen", sagte Bella und zuckte grinsend mit den Augenbrauen.

„Kauf dir mal was, das richtig sexy ist für ihn", sagte Clari.

Debby stützte sich auf die Armlehne am Fenster.

„Nee, das ist einfach nicht mein Stil."

Sie stiegen aus und bogen von der Fußgängerzone ins erste Bekleidungsgeschäft ihrer Wahl ab. Im Eingangsbereich hingen neben fröhlichen Sommerkleidern und dünnen Tops bereits die ersten Pullover und Übergangsjacken in herbstlichen Farben.

Clari lief voraus und führte sie gezielt an den Tischen mit den langen Jeans vorbei in die hintere linke Ecke des Ladens nahe den Umkleidekabinen. Hier hingen Hotpants und noch vereinzelte Bikinis neben knappen Oberteilen in schrillen Farben.

„Sag mal, haben Thomas und du eigentlich schon?", fragte Bella lautstark, während Debby eine schwarze Hose genauer betrachtete. Sie hob den Blick und schaute sich schnell um, aber außer der Verkäuferin hinter der Kasse, die gelangweilt auf ihrem Handy herumtippte, und einer Frau vorne beim Schaufenster war niemand im Laden.

„Nein", zischte sie und hielt den Stoff fest in ihren Fingern.

„Ihr seid doch schon eine ganze Weile zusammen, oder? Schon über ein halbes Jahr, oder nicht?", fragte Bella weiter. Ihr Blick lag auf einem eleganten Oberteil, das sie in die Luft hob. Die Röte, die Debby in die Wangen stieg, bemerkte sie nicht.

„Ja und? Das hat ja wohl noch Zeit."

Sie warf die Hose wieder hin und lief zu einem Kleiderständer auf der anderen Seite, wo hauptsächlich Pullover hingen.

Clari folgte ihr mit einem Paillettentop über dem Arm. Sie trat an einen Ständer mit Jeans in Debbys Nähe.

„So langsam könntet ihr schon, findest du nicht? Thomas ist bestimmt auch schon ganz scharf drauf. Weißt du, ob er schon mal hatte?", fragte sie, während sie die Kleidungsstücke durchforstete.

„Nein, weiß ich nicht und will ich auch nicht wissen!", gab Debby heftig zurück.

Bella und Clari hoben sofort die Köpfe.

„Ist ja gut, man wird ja wohl mal fragen dürfen", sagte Bella überrascht. Sie zog die Augenbrauen zusammen und ließ das Oberteil sinken, das sie von einer Kleiderstange genommen hatte.

Auch Clari schaute erschrocken drein.

„Tut mir leid. Können wir bitte einfach das Thema wechseln?", fragte Debby zerknirscht. Sie strich über den Ärmel eines Wollpullovers. Ihre Reaktion war ihr unangenehm, aber mussten die beiden so ein sensibles Thema im Klamottenladen breit treten?

„Klar", sagte Clari ein wenig skeptisch. Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann meldete Bella sich zu Wort.

„Okay, wie findet ihr das hier?" Sie kam zu den beiden und präsentierte ihnen ein graues, schulterfreies Oberteil mit einer eleganten Raffung am Dekolleté.

„Das ist hübsch", sagte Clari. Sie selbst hängte eine Hotpants zu dem Top über ihren Arm. „Lass uns zu den Umkleiden gehen."

Debby folgte den beiden mit leeren Händen. Sie ließ sich auf einer der Bänke vor den Kabinen nieder und schwieg, während Clari und Bella sich über die Kabinenwände hinweg darüber unterhielten, welche heißen Kerle sie sich auf der Party erhofften.


Clari trug eine und Bella gleich drei große Plastiktüten bei sich, als die drei Mädchen sich gute zwei Stunden später in ein Café setzten. Neben Oberteil und BH hatte Bella sich zwei neue Paar High Heels zugelegt, obwohl sie bestimmt schon sieben Paar besaß. Sie hatte einen eigenen Schrank für sie in ihrem Zimmer. Einen eigenen Schrank nur für ihre Schuhe, während Clari etliche Ausführungen der immer gleichen Oberteile in ihrem Kleiderschrank hängen hatte. Bestimmt auch eines das genau aussah wie das, das sie sich heute gekauft hatte.

Sie bestellten Saft und Schokoladenkuchen. Bei jedem Besuch in diesem Café aßen sie Schokoladenkuchen, es war fast eine Tradition.

„Alles gut bei dir, Debby?", fragte Clari, während sie um einen kleinen runden Tisch saßen und auf ihre Bestellung warteten.

„Ja. Wieso?" Debby blickte von der Serviette auf, deren Linien sie mit dem Finger nachgefahren hatte.

„Ich weiß nicht. Du bist so abwesend. Du benimmst dich irgendwie anders als sonst."

„Nein, alles gut", sagte sie schnell. Dabei merkte sie selbst, dass sich etwas verändert hatte.

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