3.6 ♛ Kate

»Candice!«, rufe ich verzweifelt in den Regen. »Candice, bleib doch stehen.«

Aber Candice läuft immer weiter und weiter und ich habe zunehmend Probleme, sie auf meinen Highheels einzuholen.

Der Regen wird immer stärker und ich merke, wie ich den Halt unter meinen glatten Schuhsohlen verliere. Meine Oberschenkel schmerzen bereits brennend und meine Lungen verschlucken sich an den dicken Regentropfen.

Und dann, im nächsten Moment passiert es. Ich übersehe einen Kanaldeckel und bleibe mit dem rechten Absatz meiner Pumps daran hängen und stürze schmerzhaft auf den Asphalt.

Schmerzhaft schreie ich auf. Weil ich nur eine dünne schwarze Strumpfhose unter meinen kurzen Stoffhosen trage, habe ich mir die Knie am rauen Boden aufgeschürft.

»Verdammt, Candice!«, schreie ich ihr wütend hinterher. »Bleib endlich stehen, du egoistischer Kotzbrocken!«

Mit hängenden Schultern blicke ich auf mein aufgeschürftes Knie, aus dessen Wunde jetzt tiefrotes Blut rinnt, das sich im bläulichen Licht der Straßenlaterne mit dem Regenwasser mischt. Es ist mitten am Tag so dunkel, dass sich die Straßenbeleuchtung eingeschaltet hat. »Mist, das war meine Chanel-Strumpfhose«, jammere ich zu mir, während das Wasser in meiner Wunde brennt wie Feuer.

Als ich zu meinem abgebrochenen Stöckel blicke, ist mir zum Heulen zumute. Aber ich muss aufstehen. Ich muss zu Candice.

Es gießt inzwischen wie aus Kannen und die Regentropfen rinnen mir in Strömen das Kinn herunter. Doch ich bin fest entschlossen, aufzustehen. Mit einem bitterem Lachen reiße ich den Stöckel komplett ab und werfe ihn in das Kanalloch. Dann stütze ich mich an den Handflächen ab und rapple mich auf. Der feuchte Dreck der Straße klebt an meinen Händen, doch ich wische ihn bloß an meinen Oberschenkeln ab. Als ich versuche zu laufen, bemerke ich, dass ich mir wohl den Knöchel beim Sturz verstaucht haben muss. Ich bin bereits durchnässt, als wäre ich fünf Minuten unter voll laufender Dusche gestanden, doch ich humple trotzdem die Straße runter und versuche mich irgendwie fortzubewegen.

»Candice!«, rufe ich verzweifelt in den rauschenden Regen und schleppe mich dabei am Ende meiner Kräfte voran. »Caaandiiiiice!«

Und dann sehe ich sie. Sie sitzt an der Mauer neben dem Gehsteig und starrt in die Leere.

»Candice«, hauche ich. »Candice, was machst du hier?«

Zu meiner Überraschung blickt sie zu mir hoch. Ihre blondierten Locken hängen klatschnass an ihr herunter, aber ihre Augen leuchten wie kostbare Türkise.

»Du kannst dir doch nicht sicher sein, ob der Mann lügt«, versuche ich sie etwas zu beruhigen, obwohl ich trotzdem daran glaube, dass Daniel die Wahrheit spricht.

»Das ist es doch, du weißt es einfach.« Sie blickt mich traurig an und wischt sich dann mit dem Handrücken das Wasser unter der Nase weg. »Du weißt es.«

●●●

»Meine Güte, wie seht ihr denn aus?«, schnappt Jo erschrocken als ich mit Candice vor meiner Haustür stehe. Sie ist von der Schule mit Brandon direkt zu mir gefahren.

Der Regen hat inzwischen nachgelassen, doch die düsteren grauen Wolken des Morgens hängen auch jetzt noch, am frühen Nachmittag, schwer vom Himmel. Als wir eintreten, vernehme ich das Geräusch der Tropfen unserer nassen Kleidung, die auf den polierten Fliesenboden nieder klatschen.

Jo hält sich die Hand vor den Mund, weil wir beide noch immer nichts gesagt haben. »Was ist passiert?«, fragt sie uns schließlich und ich kann ihr ansehen, dass sie Angst vor der Antwort hat.

»Der Mann hatte ne Affäre mit meiner Mutter«, kommt es tonlos aus Candice.

»Oh Mann, Candice, das tut mir ja so leid...«

»Schon okay, ich werd's überleben«, winkt sie ab.

»Oh, du liebe Neune, Kate, wie seht ihr denn aus?«, schrillt die penetrante Stimme meiner Mutter durch das Foyer. Das Klacken ihrer Stöckelschuhe auf dem glänzenden Steinboden hallt an den Wänden wider, bis sie schließlich zum Stehen kommt und Candice und mich kritisch mustert. »Ich hole euch die Haushaltshilfe. Die bringt euch frische Sachen und macht euch was zu essen.«

»Ist schon gut, Mutter, das schaffen wir schon«, winke ich mit einem Seufzen ab.

Doch da gestikuliert sie schon mit einem abwehrenden Handzeichen und macht mit schwingenden Hüften im Bürorock auf dem Absatz kehrt.

Eine halbe Stunde später sind Candice und ich geduscht und haben uns in bequeme Kleidung geworfen. Klar, dass Candice und ich darunter was völlig anderes verstehen. Während ich mir eine Kylie Jenner Leggings und ein enges Baumwollcroped-Top übergezogen habe, hat sich Candice eine meiner alten Schlabberhosen und einen Pulli, der seinen Ursprung vermutlich in Brandons Schrank hat, gekrallt.

Wohl duftend und völlig fertig, lassen wir uns im großen Salon mit dem 62-Zoll-Fernseher von unserer Haushaltshilfe bedienen. Candice und Jo mit gegrillten Sandwiches und ich mit Karotten-, Sellerie- und Gurkenstangen, die ich in etwas Hummus dippe.

»Also ich wäre reif für einen Film«, stöhne ich faul und kuschle mich ins weiche Leder des großen Sofas.

»Meinetwegen, etwas Ablenkung kann wirklich nicht schaden«, kommt es von Candice mit zuckenden Schultern.

»Ich hab übrigens auch Mary gefragt, ob sie rüberkommen will«, erwähne ich beiläufig.

»Was? Ich dachte, das wäre mal wieder ein Abend zu dritt!« Josephine beißt wütend in ihr Thunfisch-Sandwich.

»Was soll das denn bedeuten?« Ich verstehe echt nicht, was sie gerade so wütend stimmt. Aber Josephine war sozial schon immer etwas phobisch. Immer will sie nur unter uns bleiben.

»Dass das hier ein wunderschöner Mädchenabend hätte werden können, wie wir ihn schon seit so langem nicht mehr hatten und du ruinierst ihn, indem du Mary einlädst!« Jetzt klatscht sie ihr Sandwich achtlos auf das Teller und steht vom Sofa auf. »Aber wenn du so besessen von Mary bist, dann stört es dich sicherlich nicht, wenn ich jetzt nach Hause gehe.«

»Geh ruhig lernen, du Streberin«, brülle ich und haue meinen Teller mit den Gemüsestangen auf den Sofatisch, »du hast doch sowieso nichts anderes im Kopf.«

»Was soll das denn?«, ruft Candice plötzlich und macht eine streitschlichtende Geste mit ihren Händen. »Warum müssen wir uns schon wieder streiten?«

»Weil Kate 'ne Verräterin ist«, zischt Josephine und geht bereits Richtung Tür.

»Jo, jetzt warte doch!« Candice läuft ihr hinterher.

Die Tür des Salons fällt hinter ihnen ins Schloss.

Vielleicht bringt sie ja Candice wieder zur Vernunft. Unser Trio hat eben Zuwachs bekommen. Das soll Josephine mal akzeptieren.

In der Zwischenzeit gehe ich durch die Filme unseres Streaming-Anbieters und entscheide mich letzten Endes für einen neuen Film mit Ashton Kutcher. Da brauch ich mir nicht einmal den Trailer anzusehen, um zu wissen, dass er gut ist.

»Jo ist weg«, seufzt Candice als sie in ihren viel zu weiten Klamotten wieder kommt. »Sie braucht mal etwas Zeit für sich. Aber wenn ich ehrlich bin, hättest du Mary nicht einladen müssen. Du weißt doch, dass Jo die Zeit nur mit uns dreien sehr wichtig ist und in letzter Zeit waren wir ziemlich viel mit ihr und Liam.«

»Und sie mit ihrem Aiden?«, schnappe ich.

»Das ist was anderes. Aiden war nicht halb so oft dabei.«

Ich hasse es, wie anklagend Candice mich dabei mustert.

Im nächsten Moment dringt die Hausklingel durch die Tür des Salons.

»Das muss Mary sein«, verkünde ich und springe vom Sofa auf. Ich habe jetzt echt Bock, mir mit ihr diesen Ashton-Kutcher-Film anzusehen und dabei zu schwärmen, wie gut er doch aussieht.

Candice begleitet mich zur Tür. Wenn ich aus den Fenstern im Foyer blicke, hat der Regen wieder eingesetzt. Zusätzlich erhellen inzwischen auch Blitze den frühen Abend.

»Schnell«, sage ich im Laufschritt, »draußen ist es bestimmt kalt.« Der Eingang ist zwar überdacht, aber trotzdem könnte der Wind Marys Haare durcheinanderwirbeln und den Regen zu ihr peitschen.

An der Haustür angekommen, reiße ich sie schwungvoll und mit einem erfreuten Lächeln auf.

Als ich jedoch sehe, wer davor steht, verschlägt es mir die Heiterkeit in meinem Gesicht mit einem Mal.

»Daniel!«, kommt es von Candice überrascht.

Er steht völlig durchweicht vor meiner Haustür und sieht Candice flehend an. Sein volles schwarzes Haar klebt nun platt und ohne jegliche Spur von Volumen an seinem Kopf.

»Hi, Candice«, bringt er mit einem reuevollen Lächeln hervor.

»Daniel, wie hast du mich gefunden?« Candice steht geschockt neben mir.

»Ich...ich bin euch gefolgt...«, entgegnet er entschuldigend.

Kaum zu fassen, dieser Typ hat hier die ganze Zeit über vor dem Haus gelauert. Er muss durchs Tor gekommen sein, als wir rein sind.

»Candice, ich...ich muss dir was Wichtiges sagen!« Wasser tropft ihm von seinem Gesicht. Unter ihm hat sich bereits eine große Pfütze gebildet.

»Ich bin nicht dumm. Du bist Mrs. Campbells Sohn, ich weiß«, knurrt Candice wütend. »Und jetzt verschwinde vom Grundstück meiner Freundin!«

»Das ist wahr, Candice, aber ich wollte dir was anderes sagen.« Er sieht Candice mit seinen tiefblauen Augen eindringlich in ihre.»Ich bin dein Vater, Candice.«

Was für eine Neuigkeit. In diesen Kapiteln ist bei Candice wirklich viel passiert. Was haltet ihr von Daniel? Spricht er die Wahrheit, oder ist er bloß ein Hochstapler? Ich wünsche euch noch einen schönen Sommertag, 

eure Anna Vanilla ✿

PS: Wenn alles nach Plan verläuft, dann erscheint die gesamte vierte Folge in der Lesenacht *-*

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