1.5 ♌︎ Candice
Nachdem ich die Rechnung übernommen habe, sind wir auf dem Weg zum Wagen von Kates Vater, als mir ein Gedanke kommt. Wäre es möglich, dass Burberry auch dem Chester's Clan angehörte und getötet wurde, weil sie aussteigen wollte?
»Schickes Auto«, pfeift Mary beeindruckt, als Kate den schwarzen Tesla ihres Vaters mit einem Knopfdruck entsperrt und die Lichter, begleitet vom typischen akustischen Signal, kurz orange aufleuchten.
Kate lächelt siegessicher. Besitztümer waren schon immer ihr liebstes Accessoire.
»Wir sollten uns beeilen«, dränge ich, als ich mit Mary auf dem beheizten Leder-Rücksitz Platz nehme. Wie ich Kates Vater kenne, handelt es sich dabei bestimmt um echtes Leder.
Während der Fahrt schwirren mir alle möglichen Gedanken im Kopf herum. Es ist schrecklich, was wir vorhaben. Aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn wir Jo nicht retten würden, obwohl wir die Möglichkeit dazu gehabt hätten. Ich fühle mich etwas so, als würde ich Verfechter der Aussage Der Zweck heiligt die Mittel sein.
Kate fährt über dem Tempolimit, aber das scheint ihr im Moment reichlich egal zu sein. Sie hält einfach mit starren Augen weiter auf unser Ziel zu, ohne Rücksicht auf Verluste. Gott sei Dank macht so ein Elektroauto nicht wirklich viel Lärm.
Niemand sagt was. Die Anspannung liegt wie elektrische Energie in der Luft. Im Wagen ist es bereits stickig heiß und trocken und ich will nur noch raus aus dieser bedrückenden Enge.
Als wir schließlich an der mit Neonröhren beleuchteten Tankstelle ankommen, parkt Kate den Wagen wieder unter der kaputten Laterne.
Mit angespannten Kiefern begeben wir uns in die kalte Nachtluft, die im Kontrast zum Wageninneren noch viel eisiger wirkt.
»Und wie wollen wir dem Typ dann überhaupt den Mord anhängen?«, stellt Mary die gemiedene Frage.
Ich hatte gehofft, sie hätten einen Plan. Sonst muss ich mir schließlich immer alles ausklügeln.
»Ich schlage vor, wir rufen die Polizei, wenn er da ist und dann beweisen wir mit den Überwachungskameras, dass der Typ Louise in ihrer Mordnacht eine tödliche Dosis Tabletten verkauft hat. Das würde Josephine sicher etwas Zeit verschaffen und im besten Fall sogar zu ihrer Freilassung führen.«
»Gut, so machen wir das. Einer sollte voran gehen und der Rest beobachtet aus dem Hintergrund«, schlage ich vor.
»Das ist eine gute Idee«, stimmt mir Liam zu.
»Und wer soll das dann machen?«, seufzt Kate gereizt.
Auch auf Marys Gesicht erscheint ein ausgebrannter Ausdruck.
»Wir spielen Schere-Stein-Papier«, entscheide ich.
Kate murrt, fügt sich dann aber zusammen mit Mary, weil sie einsieht, dass es doch fair ist.
Liam gewinnt gegen Mary und ich gewinne gegen Kate. Übrig bleiben schließlich Mary und Kate, die sich nun im Zweikampf gegenüberstehen.
»Schere, Stein, Papier«, macht Kate und dann steht es fest. Mary hat Papier und Kate Stein. Der Verlierer steht fest.
»Wenn ich sterbe, dann seid ihr schuld«, zischt Kate, begibt sich dann aber neben das Tankstellenhäuschen.
Kate wartet und wartet und wir bleiben in sicherer Entfernung hinter ein paar Ölfässern und beobachten sie und die Umgebung.
Plötzlich erkenne ich einen Typ in rotem Hoodie, der über den Parkplatz direkt auf Kate zusteuert.
»Dieser Kerl kam zwar das letzte Mal von der anderen Seite und trug einen schwarzen Pulli, aber das muss er sein«, flüstere ich Liam und Mary zu.
Der Kerl kommt immer näher. Mit jedem seiner Schritte nimmt auch mein Herzschlag zu, denn ich fühle irgendwie, dass etwas nicht stimmt. Sein Gang ist hektisch, beinahe aggressiv.
»Er kommt auf sie zu, wir müssen uns für einen Eingriff bereit machen«, wispert uns Liam zu.
Wir nicken.
Der Typ ist nur noch etwa zwei Meter von Kate entfernt, als er einfach an ihr vorbei geht und den Laden betritt.
»Dann war es nicht er?«, fragt Mary an mich gewandt.
»Offenbar nicht«, murmle ich.
»Und was, wenn er nicht auftaucht?« Liam sieht uns in der Dunkelheit kritisch und mit gerunzelter Stirn entgegen.
»Das tut er aber!«, versichere ich ihnen und hoffe, dass ich recht behalte. »Schließlich ist er vor zwei Wochen, als Jo auf ihn gewartet hat, auch aufgetaucht.«
»Und was, wenn diese eine Woche niemand da war und er deshalb nicht mehr kommt?«, fragt Mary zweifelnd.
»Das ist beinahe ausgeschlossen. Das ist doch die einzige Kontaktmöglichkeit für Dealer. Man ruft sie nicht an, oder schreibt ihnen eine SMS, man trifft sich einfach«, versuche ich sie und vielleicht auch mich selbst zu überzeugen.
Als der Typ im roten Hoodie mit einer Packung Kippen wieder aus dem Laden kommt uns sich sogleich eine anzündet, schwindet in mir die Hoffnung, der Handlanger von Eckstein würde noch einmal auftauchen.
Als auch nach einer viertel Stunde niemand aufgetaucht ist, packt mich so langsam die Verzweiflung. Was, wenn Mary recht hatte? Aber nein, das kann ich nicht akzeptieren. Es muss anders kommen.
Nach drei weiteren viertel Stunden des Schweigens sind meine Füße gefühlt bereits abgestorben. Es ist wirklich eiskalt, wenn man sich keinen Zentimeter bewegt.
»Ich glaub, er kommt nicht mehr«, spricht Liam aus, was Mary und ich uns schon dauernd denken, es uns aber nicht getraut haben, auszusprechen.
»Wartet!«, ermahne ich sie plötzlich und ich halte Mary mit meinen Armen zurück.
Ich blinzle einmal, wie um mich zu vergewissern, ob es wirklich der Typ mit dem schwarzen Kaputzenshirt ist. Aber nach einer Sekunde bin ich mir dessen hundertprozentig sicher. Unauffällig nähert er sich Kate.
Im nächsten Moment hat sie ihn auch bemerkt.
»Schnell, Mary, ruf die Polizei!«, dränge ich und drücke ihr mein Handy in die Hand, während Liam und ich weiterhin das Geschehen beobachten.
Er ist gleich bei Kate.
Mary redet schon mit der Polizei, als die komische Gestalt plötzlich innehält und dann kehrtmacht.
»Was? Nein!«, entfährt es mir.
»Was ist?«, faselt Mary und nimmt mein Handy von ihrem Ohr.
»Der Kerl kehrt um.«
»Entschuldigung die Störung«, redet Mary schließlich in den Hörer und legt dann auf.
Völlig entgeistert blicken wir uns entgegen.
»Er muss von unserem Vorhaben gewusst haben«, hauche ich, »anders ist das nicht möglich.« Und dann kommt mir ein anderer böser Gedanke. Was, wenn wir einen Spion in unserem Team haben. »Mary, gib dein Handy her!«, herrsche ich sie plötzlich feindselig an.
»Was, warum?«, schnappt sie.
»Gib mir mein verdammtes Telefon!«, zische ich streng.
»Nimm!«, faucht sie mürrisch und drückt es mir entsperrt in die Hand.
In Sekundenschnelle öffne ich mein Anrufprotokoll und erwarte mir schon eine unbekannte Handynummer, doch ich kann dort nur die Nummer der Polizei aufblitzen sehen. Die restlichen Nummern wurden alle vor unserem Plan kontaktiert.
»Du vertraust mir nicht, hab ich recht?«, flüstert sie etwas verletzt.
»Vertrauen muss man sich erkämpfen«, entgegne ich ernst und dann trete ich als erste hinter den Ölfässern hervor und marschiere auf Kate zu, die uns niedergeschlagen entgegenblickt.
Als wir bei ihr angekommen sind, erkenne ich die dicken Tränen, die sich wie kostbare Perlen aus ihren Augen lösen. »Scheiße, verdammt!«, schreit Kate und es ist ihr egal, dass sie dabei von anderen Leuten gehört werden könnte. »Warum zur Hölle ist dieser scheiß Typ wieder verschwunden?« Sie blickt mir mit ihren Tränenverschmierten Augen entgegen, als wüsste ich eine Antwort darauf.
»Keine Ahnung, Kate«, flüstere ich und ich muss mich so sehr zusammenreißen, um nicht anzufangen zu weinen. Ich darf einfach nicht an Jo und die Folgen für sie denken.
»Wir haben es verbockt«, flüstert Kate unter Tränen.
Ich gehe noch einen Schritt auf sie zu und ziehe sie in eine Umarmung. Kates Körper fühlt sich noch viel dünner an, als sie tatsächlich aussieht.
»Es wird alles gut«, flüstere ich in ihre frisch duftenden Haare und streichle ihr beruhigend über den Rücken.
Wie gern ich in diesem Moment meinen eigenen Worten glauben schenken würde. Aber ich brauche diese Worte im Moment genau so sehr wie Kate sie braucht. Ich mag Mary und ich mag Liam, aber ohne Jo hätte ich einen wichtigen Teil in meinem Leben für immer verloren.
Und auch wenn wir ohne sie vier wären, dann würde das noch lange nicht kompensieren, dass Jo weg ist. Als ich mir ein Leben ohne Jo vorstellen muss, beginne auch ich zu schluchzen.
Als Kate meine zuckenden Bewegungen bemerkt, löst sie sich von mir uns sieht mir mit dem traurigsten Ausdruck im Gesicht entgegen, den ich bei ihr je gesehen habe.
»Es ist aus, nicht wahr?«, krächzt sie zitternd. Dann schüttelt sie den Kopf. »Ich kann Jo einfach nicht gehenlassen.«
»Ich auch nicht«, weine ich und wieder liegen wir uns in den Armen.
»Sie hatte ihr Handy eingeschaltet«, kommt es plötzlich von Liam.
Kate und ich lösen uns erschrocken voneinander.
Liam deutet auf Mary. »Wenn wir das Nighthawks verlassen, solltest du dein Handy doch ausschalten!«, zischt er ihr wütend zu. »Du weißt ganz genau, dass Eckstein uns über unsere Handys abhört!«
»Ich hab es eben doch vergessen«, wimmert sie unter Tränen.
Und es ist nicht fair. Das weiß sie ganz genau. Sie hat kein Recht zu weinen, wo sie es doch ist, die es verbockt hat. Und doch kann ich sie verstehen. Ich kann fühlen, wie es sein muss, in ihrer Haut zu stecken.
»Ich mache es wieder gut«, schluchzt sie und fällt auf die Knie, »das verspreche ich euch.«
»Wie verdammt willst du es wieder gut machen, wenn Josephine getötet wird?!«, schreit Kate plötzlich und reißt sich von mir los. »Wie verdammt, WIE?!«
»Keine Ahnung, aber mir fällt schon was ein«, brüllt sie beinahe wahnsinnig. Sie hat ihre Hände in über ihre Augen geschlagen und weint unaufhörlich weiter.
»Das würd' ich dir wärmstens empfehlen!«, schreit Kate auf sie ein. »Sonst hättest du sie auf dem Gewissen.«
Als diese Worte in Mary ankommen, richtet sie sich auf und blickt Kate mit verquollenen Augen entgegen. Sie wischt sich mit dem Handrücken den Rotz von der Nase. »Du hast gut reden«, zischt sie. »Wegen dir hat das hier doch alles erst angefangen. Wegen dir ist Nicole tot!«
Ich halte die Luft an, weil ich ahnen kann, dass gleich etwas passiert.
»Wer hier die Mörderin ist!«, schreit Kate und geht plötzlich auf Mary los.
Mary weiß sich zu wehren und verpasst Kate einen Schlag ins Gesicht.
Diese lässt dies nicht über sich ergehen, gibt ihr eine mächtige Ohrfeige und zieht sie anschließend an den Haaren.
Schmerzhaft schreit Mary auf. Es klingt beinahe wie der Laut eines Tieres.
»Aufhören!«, schreie ich dazwischen und befreie Marys lange Haare aus Kates Klauen. Ich bin stärker als Kate und das kommt mir hier zugute.
Kate blickt mir wütend entgegen. »Was fällt dir überhaupt ein?«, zischt sie. »Mary ist daran schuld, dass Josephine hingerichtet wird.«
»Kate, ich weiß, du hast Angst, das habe ich auch, aber wir brauchen Mary! Und sie ist keine Mörderin, verstehst du? Sie wollte genau wie wir auch, dass Jo befreit wird.«
»Einen Scheißdreck wollte sie«, brüllt sie wütend zurück und ballt erneut die Fäuste.
Ich halte sie fest. »Verstehst du denn nicht, dass wir zusammenhalten müssen?«
»Nein, ich verstehe gar nichts mehr, Candice. Ich will auch nichts mehr verstehen. Und wenn du auf ihrer Seite bist, dann weiß ich auch nicht mehr, was ich von dir halten soll!«
Am liebsten hätte ich in diesem Moment etwas gesagt, das sie ruhigstellen würde. Aber ich drehe mittlerweile selbst beinahe durch. Denn ich weiß genau so gut wie sie, dass es jetzt vorbei ist. Wir haben die kleine Chance auf ein Happy End verspielt.
Kaum vorstellbar, dass wir Jo verlieren werden. Und es ist so verdammt traurig, weil es doch immer Jo war, die an die Gerechtigkeit geglaubt hat. Diese Tatsache beweist einmal mehr, dass diese Welt den Bösen gehört und dass die Guten bis zum Schluss ausgestorben sein werden.
Ein wirklich pessimistisches Ende. Besonders für Candice sind das düstere Gedanken. Was haltet ihr von Kates Vorwurf gegenüber von Mary? Ist Mary wirklich an allem Schuld, oder sollte man auch in so einer Situation zusammenhalten? Das nächste Kapitel stellt das Ende der Folge dar. Ihr dürft also besonders gespannt sein. Ich wünsche euch noch einen wunderbaren Tag,
eure Anna Vanilla ♥
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