1.3 ♌︎ Candice

Marys aufblitzende Augen treffen mich überraschend und wie die giftige Spitze eines Pfeils.

Sie rennt mit Liam auf Kate zu, während ich versuche, meine Freundin irgendwie aus dieser Lage zu befreien.

Ohne Erfolg.

Im nächsten Moment stehen sie auch schon hinter dem Zaun und ich blicke ihnen entgegen.

»Ist wohl in die Hose gegangen«, zischt Mary mit einem hämischen Lächeln.

»Euretwegen wird Josephine morgen vielleicht mit der Todesstrafe verurteilt!«, kommt es plötzlich von Kate, deren Fuß noch immer auf der inneren Seite des Zaunes festhängt. »Sie wird euretwegen sterben.« Kate klingt verzweifelt.

Zum ersten Mal seit der Enthüllung als Eckstein sehe ich in Liams Augen so etwas wie Trauer oder Reue aufblitzen. Doch dann fängt er sich wieder. »Wer drei Menschen umbringt, dem geschehen eben Dinge wie die Todesstrafe.«

»Das ist nicht fair!«, schnauzt Kate. In diesem Augenblick macht sie eine Bewegung, die sie aus dem Zaun befreit. Schnell klettert sie auf die andere Seite, bevor Liam oder Mary sie aufhalten können.

»Wie gesagt, ist das erst der Anfang«, zischt Liam und macht eine schnelle Bewegung in Kates Richtung. Für einen Kurzen Augenblick ist seine Hand auf unserer Seite des Zauns gewesen.

»Gute Nacht«, zischt Kate dann und wir entfernen uns voneinander.

Kaum sind wir am Wagen angekommen und sitzen im warmen Inneren, zieht Kate was aus ihrer Jackentasche. Ein zusammengeknüllter Zettel kommt zum Vorschein.

»Ich dachte schon, Liam hätte dir unauffällig eine Wanze zugesteckt«, bemerke ich und warte gespannt, bis Kate den Zettel glattgestrichen hat.

Werden womöglich verwanzt. Treffpunkt in einer Stunde im Nighthawks.

»Was?«, entfährt es Kate ungläubig.

»Sie sind womöglich auf unserer Seite«, überlege ich.

»Aber sie waren es doch!«, erwidert Kate wütend. »Sie haben dafür gesorgt, dass Josephine hinter Gittern gelandet ist.«

»Aber was, wenn sie für Eckstein arbeiten und sich nun auf unsere Seite geschlagen haben?« Kaum zu glauben, dass ich im Moment diejenige bin, die Liam vertraut.

»Und was, wenn dies wieder einer ihrer Pläne ist? Sie haben das schon mal mit uns abgezogen.« Ihre Stimme wird etwas lauter.

»Wir haben aber keine andere Wahl!«, entfährt es mir brüllend.

Dann ist es still.

Ich habe Kate tatsächlich zum Schweigen gebracht. Sie blickt starr geradeaus und ich kann beinahe hören, wie ihre Gehirnzellen arbeiten. Aber vielleicht bleibt in ihr auch gerade alles stehen.

»Du hast recht, wir haben keine andere Wahl«, entgegnet sie dann ruhig. »Wir müssen zocken.

Alles oder nichts.«

●●●

Weil wir sonst nichts zu tun haben und uns ohnehin einen Plan B überlegen müssen, fahren wir gleich zum Nighthawks und bestellen uns das Übliche — Kate nippt an ihrer Cola Light und ich an meinem Eistee mit Pfirsichgeschmack.

»Schon verrückt, dass das Leben so flüchtig ist«, kommt es plötzlich von mir und ich bemerke dabei Kates irritierten Gesichtsausdruck.

Sie kann es kaum glauben, derartig dramatische Worte aus meinem Mund zu hören. Verblüffenderweise spricht sie mir nicht ins Wort, sondern wartet, bis ich fortfahre.

»Schon morgen werden wir erfahren, wie es um Jos Schicksal steht. Das ist so verrückt.« Ich lache auf. Ein Lachen, in dem Verzweiflung mitschwingt. »Sie ist unsere beste Freundin und wir müssen sie einfach retten. Irgendwie müssen wir es schaffen! Ich kann nicht daran denken, was sonst geschieht...«

»Ich habe auch Angst um Josephine«, flüstert Kate und greift über den Tisch zu meinem Arm.

Kates Hände sind warm. Und das ist verrückt. Ich habe mir ihre schmalen Finger all die Jahre so unfassbar kalt vorgestellt. Ich hätte es viel früher erfahren, wenn sie nur manchmal solche Dinge gemacht hätte. Und jetzt sitzen wir hier, Kate und ich, warten auf das Eintreffen eines Trojanischen Pferdes und sind vielleicht schon morgen tot.

»Sie kommen!«, zischt Kate plötzlich und reckt ihren Kopf zum Eingang des Lokals.

Ich wende mich um und da kommen sie. Mary und Liam. Sie tragen beide eine Mütze und haben sich anders gekleidet als sonst. Das beruhigt mich etwas, weil es für ihre Vertrauenswürdigkeit spricht.

Sie ordern an der Bar ihre Drinks und kommen dann ruhigen Schrittes auf uns zu.

Mein Herz klopft mir bis in den Hals.

»Guten Abend.« Mary setzt sich neben Kate. Liam nimmt an meiner Rechten Platz.

»Gleichfalls«, entgegne ich mit Geschäftsstimme.

»Wir wollen keinen Trubel darum machen, also sagen wir es euch gleich. Wir sind auf eurer Seite«, erklärt Liam und versucht Kate und mich gleichzeitig anzusprechen.

»Dann habt ihr nichts mit Jos Festnahme zu tun?«, hake ich skeptisch nach und runzle meine Stirn.

»Doch.« Liam kratzt sich am Kinn.

»Dann seid ihr Eckstein«, schlussfolgert Kate, die erst jetzt ihre Stimme gefunden hat.

»Nein, das sind wir nicht«, wehrt Liam ab und es klingt fast so, als würde es nicht nur um diese eine Sache gehen.

»Das passt doch alles nicht zusammen.« Kate verschränkt die Arme vor der Brust.

»Tut es doch. Wir sind sozusagen Anhänger von ihm.« Marys weiße Sommersprossenhaut reflektiert das warme Licht des Nighthawks.

Diese Erkenntnis schlägt in mir ein wie eine Bombe. Ja, es muss ein Netz sein. Ein großer Kreis an Anhängern.

»Dann wisst ihr, wer Eckstein ist?«, wende ich ein.

»Nein, eben nicht. Wir bekommen bloß Aufträge zugesandt«, erklärt uns Liam.

»Dann hattest du in der Nacht, als du uns belauscht hast, den Auftrag bei uns einzubrechen«, schlussfolgere ich und blicke zu Mary.

Sie nickt. »Das hatte ich.«

Mary hat uns in der Nacht also doch nicht belogen.

»Und gestern Nacht, den Auftrag, Jo ins Gefängnis zu bringen?«, frage ich weiter.

»Genau. Das hat Eckstein schon seit längerem Geplant. Deshalb auch mein Einbruch in die Schule.« Liam stößt einen tiefen Seufzer aus. Wenn die Geschichte tatsächlich wahr ist, dann muss das für alles wirklich schlimm sein.

»Was hast du Josephine eigentlich angetan?«, faucht Kate plötzlich anklagend und ihre Stimme scheint sich zu überschlagen.

»Eigentlich wollte ich das nicht tun«, verteidigt er sich, »ich habe mich gewehrt, aber Eckstein hat mir gedroht. Er wollte mir alles wegnehmen und mich rund um die Uhr noch strenger beobachten. Er wollte mir noch krassere Aufträge zuteilen. Also hab ich mich im Internet auf dem Schwarzmarkt nach einem unbedenklichen Betäubungsmittel umgesehen und es im Labor der Schule überprüft. Ich hab wirklich alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet. Ich wollte ihr nicht wehtun.« Er fährt sich nervös durch die dichten Haare. Eine Geste, die nicht so wirklich zu ihm passt.

»Eckstein beobachtet uns rund um die Uhr und checkt, ob wir wirklich die Dinge erledigen, die er uns aufgetragen hat. Wir sind meist sogar verwanzt. Hier im Nighthawks werden unsere Stimmen von der Musik übertönt. Hier ist es einigermaßen sicher.

Wir müssen die Aufträge genau so machen, wie Eckstein es wünscht, es hätte sonst fatale Folgen. Aussteiger wurden schon oft bestraft, oder sogar getötet.« Beim letzen Wort zittert Marys Stimme.

»Und wie könnt ihr uns jetzt helfen, wenn ihr doch Eckstein dienen müsst?« Ich bin kritisch, die beiden könnten sich die Geschichte schließlich auch nur ausgedacht haben. Trotzdem wirken sie ziemlich glaubhaft und ich erinnere mich daran, dass wir ja keine andere Wahl haben, als ihnen zu vertrauen.

»Wir wollen einen Weg finden, auszusteigen und dabei verschont zu bleiben, aber der Chester's Clan ist einfach überall.«

»Der Chester's Clan?«, entfährt es mir völlig verwundert.

Na, schon gespannt, um was es sich beim Chester's Clan handelt? Traut ihr Mary und Liam? Das nächste Kapitel erscheint dann am Mittwoch. Bis dahin wünsche ich euch noch eine schöne Zeit,

eure Anna Vanilla ♡ 

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