2.6 ♌︎ Candice

Weil mir nach der Schule eigentlich nicht danach ist, nach Hause zu gehen, entscheide ich mich dazu, gleich zu Kate zu fahren.

Wie immer stelle ich meine Harley neben den Mini Cooper meiner Freundin, haste zum Eingang hoch und klingle sie auf ihrem Mobiltelefon an.

Bevor sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet, öffnet sich jedoch bereits die Haustür. Ein gutaussehender junger Mann steht in ihrem prunkvollen, weißlackierten Rahmen. Er ist zwar etwas mager, dafür aber groß mit männlichen Gesichtszügen. Im Übrigen strahlt er eine gewisse Dominanz aus, die seine schlanke Statur allemal kompensiert. »Hi, ich bin Harry«, stellt er sich mit einem etwas überschwänglichen Lachen vor. Erst jetzt bemerke ich eine frische Wunde über seinem linken Auge, die getaped wurde.

»Candice«, gebe ich selbstbewusst von mir und trete über die Türschwelle an ihm vorbei.

»Ziemlich frech, hier einfach so das Haus zu betreten«, ertönt seine arrogante Stimme in meinem Rücken.

Das ist der Moment, in dem meine Nervenzellen etwas gereizt werden. Ich halte mitten in meinen Schritten inne und drehe mich langsam zu ihm um. »Hör mal, ich weiß ganz genau, dass du hier nicht wohnst. Deshalb würde ich dir dringend raten, dir deine Machosprüche für zu Hause aufzuheben!«, stelle ich mit felsenfester Stimme klar und kehre ihm dann ohne ein weiteres Wort den Rücken.

Im ersten Stock angekommen, will ich schon auf Kates Zimmer zugehen, da fällt mir ein, dass ich sie hier ganz bestimmt nicht vorfinden werde und steuere auf das erste Gästezimmer zu.

»Hi, Kate«, begrüße ich sie, als ich eintrete.

»Machst du die Tür hinter dir zu!«, meint sie gleich mit Nachdruck und wirft einen vorsichtigen Blick auf den Gang hinter mir.

Ich komme ihrem Befehl nach und frage sie verwundert: »Kate, was ist denn los?«

»Ach, meine Eltern haben so Geschäftspartner mit diesem unausstehlichen Sohn zu Besuch«, entgegnet sie genervt.

»Heißt dieser Sohn zufällig Harry?«, frage ich.

»Ja, warum weißt du das?«

»Weil er mir gerade die Tür geöffnet hat.«

»Dieses Schwein ist einfach unmöglich, ich sag's dir!«, regt sie sich auf. »Der fühlt sich hier einfach wie zu Hause. Und das nur, weil er ein Jahr älter ist, schon ans Collage geht und nebenher hilft, die Firma seines Dads zu leiten.« Kate seufzt.

»Wow, daher also das arrogante Arschloch-Verhalten«, bemerke ich.

»Jaja«, winkt sie ab, »aber jetzt lass uns den Plan für heute Abend nochmal durchgehen!«

»Ich dachte mir, wir könnten eine Zange gebrauchen«, beginne ich und hole das schwere Eisenwerkzeug mit langem Griff aus meiner Tasche.

Kate lacht auf. »Willst du etwa einen klassischen Cluedo-Mord begehen?« Dann verstellt Kate theatralisch ihre Stimme. »Baronin von Walker mit der Zange im Wald.« Sie lacht noch lauter.

»Hey, Kate, kannst du einmal etwas ernst nehmen? Ich meine, wir könnten eventuell ein Loch in einen Stacheldrahtzaun zwacken. Ich meine, die Bullen stehen doch auf die Dinger.«

»Na gut, aber ich ruinier mir mit dem Ding ganz garantiert nicht meine Louboutin-Tasche«, stellt sie entschieden klar.

»Keine Angst, Kate, ich hab einen Rucksack«, zische ich und zeige ihr grinsend meinen modefeindlichen Outdoor-Rucksack.

Gegen Abend trifft nun auch Josephine bei Kate ein und überrascht mich mit ihrer wirklich geeigneten Kleidung. Jo ist schließlich nicht wie Kate, die sich von niemandem was sagen lässt und trotzdem wieder nur Laufstegtaugliches auf den Rippen trägt. Immerhin sind ihre Schuhe diesmal nicht mehr ganz so hoch.

Während Kate sich noch einmal gelassen an ihren Schminktisch setzt, wirkt Jo deutlich nervöser als das letzte Mal.

»Komm schon, Jo, wenn wir zusammen sind, kann uns doch nichts passieren. Es wird schon alles gutgehen.« Auch wenn ich mir da nicht so hundertprozentig sicher bin, hoffe ich, dass alles glattläuft.

»Nein, Candice, ich brauch keine Beruhigung!«, winkt Josephine ab. »Können wir nicht einfach über was Anderes reden? Über was Normales?«

»Na klar, wir können über die Schülerzeitung reden«, schlage ich vor.

»Laaaangweilig!«, ruft Kate mit gedehntem A aus und trommelt mit ihrem Kajal auf ihren Schminktisch.

»Gut Kingsman, dann schlag du was vor!«, fordere ich sie auf. Schließlich müssen wir warten, bis sie endlich fertig ist.

»Wie wär's mit Josephines Beziehungsproblemen?«, fragt sie.

Erschieß mich!, geistert es durch meinen Kopf.

»Ich glaub, das ist keine so gute Idee, Jo muss sicher über einiges nachdenken«, entgegne ich. Schließlich hasse ich es selbst auch, über meine Probleme zu sprechen. Meiner Meinung, ist es besser, sie zu totzuschweigen, um nicht immer an sie denken zu müssen.

»Ja, ich denke, ich brauch noch etwas Zeit«, bestätigt Jo, offensichtlich froh, dass ich ihre Rede übernommen habe.

Im nächsten Moment, wende ich mich an Kate. »Na gut, dann reden wir eben über deine Beziehung zu Mary James«, scherzt sie.

»Ha-ha«, macht Kate unbeeindruckt. »Sehr witzig!«

»Ich meine, das ist doch auch eine Beziehung. Nur dass eure, im Gegensatz zu einer romantischen Beziehung, nicht auf Vertrauen und Nähe basiert, sondern auf unendlichem Hass und Feindseligkeit.«

»Mach nur deine Scherze, Candice Walker«, meint Kate mit einer bedrohlichen Note im Unterton. »Du wirst am Ende schon noch froh sein, dass du meine Freundin bist und nicht die von Nicole Stark oder Mary James.«

Weil Jo wahrscheinlich keine Lust auf eines unserer typischen Wortgefechte hat, linst sie auf ihr Handy.

»Ich kann es mir zwar nicht erklären, aber ich bin tatsächlich froh, deine Freundin zu sein«, entgegne ich mit einem Grinsen.

»So, jetzt bin ich fertig«, verkündet Kate im nächsten Moment und legt ihren Eyeliner zurück in ihr Schminktäschchen.

Jo und ich atmen erleichtert auf.

Meine Freundinnen warten bereits im Auto, als ich noch einmal dringend aufs Klo muss.

Auf dem Rückweg, hoffe ich gerade inständig, diesem Harry nicht noch einmal über den Weg zu laufen, als ich im Foyer plötzlich gegen eine große Person pralle.

»Sorry«, murmle ich genervt und will schon weiter, als ich erkenne, dass es sich gar nicht um Harry handelt, sondern um Kates jüngeren Bruder, Brandon, der mir erschrocken entgegenblickt.

»Tut mir leid!«, sagt er schnell und vergewissert sich, dass ich nicht umkippe.

»Oh, nein, ist meine Schuld, ich hab nicht geguckt«, entschuldige ich mich. »Ich dachte außerdem, du wärst...«

»Harry?«, beendet er meinen Satz mit einem breiten Grinsen in seinem Sommersprossengesicht.

»Genau.« Ich lächle nervös und streiche mir meine blonden Locken zurück.

»Dann hast du also auch schon Bekanntschaft mit unserem Charmeur gemacht«, meint er belustigt, wobei er das Wort Charmeur sehr sarkastisch über seine Lippen gleiten lässt.

»Das kann man wohl sagen«, seufze ich augenrollend und schenke ihm dann ein angespanntes Lächeln.

»Hat er dir etwa was getan?«, meint er nun besorgt und das Fröhliche ist plötzlich aus seinem Gesicht gewichen.

»Nein...nein«, entgegne ich schnell. »Ich muss dann auch los«, füge ich noch hinzu, weil Kate und Josephine ganz bestimmt unruhig werden.

Wir verabschieden uns voneinander und ich trete in die rabenschwarze frostige Nacht.

Für einen kurzen Augenblick denke ich an seine Frage und was sie wohl zu bedeuten hatte, ehe ich auf Kates Wagen zulaufe, dessen kaltweises Scheinwerferlicht, Kegel durch die endlose Finsternis wirft.

Wie findet ihr Brandon bis jetzt? Wie schätzt ihr ihn ein? Er kam bisher ja nicht oft vor und Kate hat ja nicht viel für ihren Bruder übrig. Trotzdem wäre ich gespannt, wie ihn die bisherigen Eindrücke erscheinen lassen! Habt noch einen wunderschönen Tag, 

eure Anna Vanilla ♡

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