1.2 ♛ Kate
Unpünktlich um Viertel vor acht, erscheine ich mit meinem Mini Cooper vor dem Haus der McBrights.
»Wieder mal pünktlich wie die Schweizer Uhr«, bemerkt Josephine ironisch, als sie zu mir in den Wagen steigt.
»Sei froh, dass du einen Chauffeur hast!«, knurre ich, jedoch mit einem Grinsen auf den Lippen.
»Bitte entschuldige, wenn man deine Anreise von zwei Metern berücksichtigt, sind die zwanzig Minuten Verspätung natürlich mehr als gerechtfertigt«, lacht Josephine und streicht sich die seidige blonde Mähne nach hinten.
Zweifellos hat sie recht damit, weil wir direkte Nachbarn sind und ich bloß durch unser Gartentor fahren muss, um bei ihr zu sein. Aber mal im Ernst, sie soll wirklich froh sein, dass ich sie abhole! Ich glaube nämlich weniger, dass sie es begrüßen würde, in dieser Kälte zum Nighthawks zu watscheln. Zum Spring Break sind es immerhin noch über zwei Monate. Die eisige Kälte des Januars friert einen zurzeit noch gnadenlos den Allerwertesten ab.
Drei Minuten später sind wir beim Lokal angekommen und ich parke den Wagen.
Schon von draußen, erkennt man durch die großzügige Fensterfront, dass das Nighthawks für einen Montagabend gut besucht ist. Als Jo und ich das Lokal betreten, kommt uns sogleich warme Luft und reges Stimmengewirr entgegen. Im Hintergrund läuft Musik, die im Gegensatz zu den weinrot-cremeweiß gepolsterten Sitzbänken und den Tischplatten mit Metallrahmen nicht im Stil der Achtziger ist.
Candice winkt uns von unserem Stammtisch aus zu sich.
Ich schiebe mich mit Jo an den vollen Bänken vorbei, als ich an einem der Tische plötzlich Nicole Stark und ihrer Clique bemerke, die an Milchshakes mit pinken Halmen nippen und uns dabei missbilligend beäugen. Mary James findet sich auch unter ihnen. Sollen sie sich doch die hässlich angestrichenen Fischaugen rausglotzen!, denke ich grimmig.
»Es war gar nicht so einfach, den Tisch für euch Trödeltanten so lange freizuhalten«, begrüßt uns Candice mit einem Grinsen auf den Lippen.
»Du kennst doch Jo«, lache ich und zwinkere Josephine zu, ehe wir Platz nehmen. Jo könnte pünktlicher nicht sein, aber seit ich ein Auto habe, hat sich das gelegentlich geändert. Natürlich steht das in keinem Bezug zu mir!
»Leute, ich hab euch schon die Drinks bestellt«, meint Candice und schiebt mir eine Diätcola und Josephine einen Erdbeermilchshake zu.
Freudestrahlend nimmt Jo das hohe Glas mit dem großen Sahnehäubchen und der leuchtend roten Erdbeere oben drauf entgegen.
»Hey, Candice«, wispere ich und beuge mich über den Tisch näher zu ihr, sodass mich beinahe ihre wilden Locken kitzeln. »Hat dich Nicole Stark und ihr Gefolge auch so komisch angesehen?«
»Ja, aber ich schätze nur, weil ich mit dir befreundet bin«, gibt sie lachend zurück. »Die Zurschaustellung ihres Sexlebens auf KatChat hat bei ihr bestimmt keine Freudensprünge ausgelöst.«
»Wie kindisch ist die denn drauf? Ich bin doch sowas wie 'ne Nachrichtensprecherin, ich muss die Leute informieren!«, verteidige ich mich.
Und es ist die Wahrheit. Würde ich es nicht öffentlich machen, dann würde es an der aktuellen Situation auch nichts ändern. Genau wie jetzt, würde das mit Mary James auch in aller Munde sein und jeder würde es wissen. Vielleicht hätte sich das Gerücht sogar von Hat Sex gehabt mit Mark Keller, in Hat Sex gehabt mit Mark Keller und hat sich dabei Genitalherpes eingefangen, geändert. Sie sollte mir verdammt noch mal dankbar sein!
»Wie auch immer, wie läuft's bei der Schülerzeitung, Josephine?«, fragt Candice.
»Wunderbar, wir haben sogar einen neuen Redakteur dazu bekommen«, erzählt sie eifrig.
»Uuund, ist er heiß?«, mische ich mich mit einem Grinsen ein.
»Really?«, fragt mich Candice. »Ist das alles, was dich interessiert?«
»Ja, dann hätte Jo endlich jemanden, der zu ihr passt«, bringe ich schleimend hervor.
»Das ist nicht so einfach, Kate!«, zischt Josephine und senkt dann die Stimme, »und rede bitte etwas leiser, ich will nicht, dass es gleich die ganze Bar erfährt.«
»Weißt du was?«, rede ich. »Ich glaube, du denkst nur, dass du ihn liebst, weil du dir nach zwei Jahren einfach nichts mehr anderes vorstellen kannst. Aber wie jede Beziehung, hat auch eure ein Ablaufdatum und das ist jetzt bei dir und Logan erreicht.«
»Wow, du bist aber aufmunternd!«, kommentiert Candice mit Sorge im Blick. »Wenn ich mal ein Problem hab, ruf ich lieber bei 'ner Hotline an.« Dann wendet sie sich an Josephine. »Ich glaube, du musst mit ihm reden. Das ist wichtig. Redet ihr eigentlich manchmal über euch?« Sie langt nach der Schale Chips, die sie sich offenbar vorhin bestellt hat.
»Naja...«, beginnt Josephine verlegen. »Ich meine, wir reden schon — manchmal.« Sie verstummt.
»Also in vollständigen Sätzen ausgedrückt: ihr redet nie. Hab ich recht?«, entgegnet Candice.
»Ja, das dürfte hinkommen«, antwortet Josephine zähneknirschend.
»Sagt mal, hab ich 'n Knall, oder starren uns die Cheerleader noch immer so Voodoo-Puppen-mäßig an?«
»Ja, jetzt wo du's erwähnst, ich beobachte das auch schon die ganze Zeit durch die Fensterscheiben«, pflichtet mir Jo bei.
Draußen ist es schon länger stockfinster und das gesamte Lokal spiegelt sich an der großen Fensterfront, die sich über zwei Seiten zieht.
Es schüttelt mich kurz durch und lässt mir die Haare im Nacken aufstehen, als Josephine mir ihre Bestätigung liefert. Offenbar hat sich ein kleiner Teil in mir gewünscht, ich hätte es mir bloß eingebildet. Wie ich sie hasse, diese Cheerleader! Das scheint unverkennbar auf Gegenseitigkeit zu beruhen.
Im nächsten Moment vibriert das iPhone in meinen Händen. Auf dem Bildschirm blitzt ein neuer Snap auf. Wahrscheinlich einer meiner zahlreichen Zuschauer. Ohne zu überlegen, entsperre ich mein Handy und sehe ihn mir an.
Das kurze Video zeigt ein verlassenes Haus auf einer Lichtung. Eine sanfte Brise wiegt die Bäume. Im nächsten Moment erstarre ich und umklammere mein Handy so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten. Es ist der Text, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Hier ruht K. Kingsman, steht dort in roten Buchstaben.
»Was soll der Scheiß?!«, rege ich mich wutentbrannt auf.
»Was war denn in dem Video?«, fragt mich Josephine erschrocken. Ihr ist mein Gesichtsausdruck offenbar nicht entgangen.
»Keine Ahnung!«, entgegne ich aufgebracht. »Ich meine, da war ein Haus und eine Drohung, die unmissverständlich an mich ging.«
»Wiederhol den Snap, lass mal sehen.« Candice beugt sich gierig über das Display meines Handys und lässt eine Hand voll Chips in ihren Mund wandern.
»Das kann ich nicht!«, fauche ich nervös. »Ich wollte einen Screenshot machen und hab dabei aus Versehen das Handy gesperrt.«
»Wer kennt das nicht«, pflichtet mir Candice gelassen bei.
»Kannst du vielleicht mal aufhören so locker zu sein?!«, belle ich zu Candice. »Mir hat da jemand gerade eine Morddrohung geschickt.«, versuche ich ihr am Rande meines Wahnsinns klar zu machen.
»Tssss«, macht sie, langt wieder nach den Chips und lehnt sich zurück.
»Da war ein verlassenes Horrorhaus mit der Videounterschrift, Kate Kingsman solle hier in Frieden ruhen...«
»Ach, du Scheiße!«, macht Josephine und in ihrem Gesicht zeichnet sich Angst.
»Kate, bist du dir sicher, dass es nicht ein einfaches, hübsches Haus mit der Nachricht Ruh dich mal aus, Kate Kingsman! war?«, versucht Candice auf mich einzureden. »Denn genau das solltest du auch tun!«, fügt sie ernst hinzu.
»Ja...ja genau«, stammelt Josephine, die Candice wahrscheinlich nur zu gerne glauben würde.
»Sieh mal Kate, du übertreibst gelegentlich«, beginnt Candice ruhig. »Nicht nur gelegentlich, eher öfter«, korrigiert sie. »Ach, sagen wir, so gut wie immer.«
»Was?!«, entfährt es mir völlig entrüstet. »Ich übertreibe?!«
»Ja! Wie damals, als du dachtest, du bekämest graue Haare, weil ich ein einzelnes bei dir gefunden hab. Und damals, als du angerufen und gejammert hast, dein Wagen habe 'nen Totalschaden, handelte es sich in Wahrheit um einen Platten Reifen, den ich dir dann am Straßenrand gewechselt hab.«
»Wisst ihr was? Ich verschwinde!«, winke ich ab und mache Anstalten, aus dem Lokal zu stürmen. In Wahrheit veranstalte ich die Show natürlich nur, um mich an Candice' Gewissen zu bedienen.
»Kate, bitte bleib hier, das war doch nicht so gemeint. Vielleicht hast du ja recht und wir sollten der Sache auf den Grund gehen«, beginnt Candice versöhnlich — genau wie ich das vorhergesehen habe. »Wie hat das Haus denn ausgesehen?«, fragt sie nachdenklich.
Ich wende mich wieder den beiden zu. »Alt und es war auf einer Lichtung im Wald«, entgegne ich.
»Denkst du, es befindet sich hier irgendwo in der Nähe?«
»Wäre möglich, die Bäume ähneln jenen, die im Wald an der Grenze zu Chester Hill wachsen«, meine ich und versuche mir das Video noch einmal vor Augen zu führen.
»Du meinst bestimmt den Moshannon-Wood«, entgegnet Candice.
»Von wem war der Snap überhaupt?«, wirft Josephine dann ein.
»Gute Frage«, murmle ich und entsperre mein Handy per Gesichtserkennung. »Meinen letzten Snap hab ich von einem gewissen Eckstein bekommen.«
»Eckstein?«, fragt Jo. »Kommt euch der Nachname irgendwoher bekannt vor?«
»Nein«, entgegnet Candice. »Noch nie gehört.«
»Dann ist er wahrscheinlich kein Schüler an der Greyforks High«, meine ich.
»Kate, die Greyforks High hat beinahe zweitausend Schüler, wie willst du da jeden beim Namen kennen?«, schaltet sich Candice ein.
»Ich könnte auf der Webseite der Greyforks High im Schülerverzeichnis nachsehen, ob es einen Eckstein auf der Schule gibt«, schlägt Josephine vor.
»Gute Idee.« Candice nickt anerkennend.
Ich sage einfach gar nichts mehr und halte mich da raus, weil ich einfach weiß, dass es keinen mit Namen Eckstein an der Schule gibt, aber ich muss zugeben, auf die Idee von Jo wäre ich nicht gekommen. Aber schon als wir Kinder waren, war sie die Bessere in unserem Detektivclub.
»Zurück zum Haus«, greift Candice den Punkt auf. »Kommt dir das wenigstens bekannt vor?«
»Ja...«, entgegne ich nachdenklich. »Jetzt wo du's sagst, es kommt mir tatsächlich bekannt vor.« Wie verrückt krame ich in meinem Gedächtnis nach Informationen. Ich stütze meine Ellbogen am Tisch ab und lege die Handflächen auf meine Schläfen. »Es kommt mir doch bekannt vor«, murmle ich in mich hinein.
Und dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag. »Ich weiß es, ich weiß es!«, singe ich.
»Was denn nun?«, ruft Candice wissbegierig aus.
»Es ist das verlassene Mordhaus am Rande der Stadt!«, entfährt es mir wie eine Erleuchtung. »Ja, dieses modrige Haus, in der Nähe des Flusses, der Greyforks von Chester Hill trennt.«
Während Candice' Miene sich erhellt, zeichnet sich auf der von Josephine deutlich Angst.
Meine Gefühle sind da eher gemischt. Ich kann nicht einschätzen, ob das gut oder schlecht ist.
»Jetzt ist es klar, du meinst das ‚Moshannon Manor'. Wir sollten unbedingt dort hin gehen! Das wollte ich schon immer mal machen«, verkündet Candice mit leuchtenden Augen.
»Bist du verrückt geworden?«, entfährt es Josephine. »Wir müssen die Polizei rufen!«
»Weil die Polizei uns ohne Beweise auch bestimmt glauben wird«, bemerke ich sarkastisch.
»Dort hinzugehen, ist aber auch nicht die Lösung!«, meint sie ängstlich. »Vielleicht wartet dort ein Serienkiller auf uns.«
»Du schaust eindeutig zu viele Horrorfilme«, lacht Candice. »Wir gehen dort hin, keine Frage«, fügt sie hinzu, als wäre das die einzig offensichtliche Option. »Hier, in Greyforks, passiert sonst nie was Spannendes.«
»Du bist verrückt!«, erklärt Josephine mit abwehrender Körperhaltung entschieden. »Tut mir leid, aber du musst zum Wahnsinnig mutiert sein, wenn du dieser Überzeugung bist...«
»Kapiert ihr es denn nicht? Das will uns doch alles nur das Fernsehen glauben machen. All diese Ammenmärchen und Horrorgeschichten. In der Realität geschehen nie derartige Dinge«, versucht uns Candice zu überzeugen.
Ich muss schon zugeben, dass ihre Furchtlosigkeit etwas ansteckend ist. Nichtsdestotrotz, bin ich nach wie vor der Meinung, keinen Fuß ins Moshannon Manor zu setzen. »Candice, das alles ist ja schön und gut, aber wenn du mal genauer nachdenkst, derjenige, der uns diese Nachricht geschickt hat, will uns dorthin führen, aus welchem Grund auch immer, und ich glaube nicht, dass das zu unserem Vorteil sein wird.« Laut ausgesprochen klingt es noch viel überzeugender, als es in meinem Kopf war.
Josephine nickt zustimmend.
»Damit wäre das geklärt«, verkünde ich.
Aber als ich mich kurz in meine Gedanken flüchte, geschieht etwas Merkwürdiges. Ich reflektiere noch einmal über Candice' Worte und sie ergeben erneut Sinn.
Es ist mit Sicherheit nur ein Scherz und wir sollten ein kleines Abenteuer wagen. Vielleicht hat dieser ‚Eckstein' ja eine Überraschung für uns parat. Könnte ja sein, dass er Lockvogel bei der versteckten Kamera ist und wir im Fernsehen gezeigt werden. Vielleicht gewinne ich dadurch plötzlich Unmengen an Follower, überlege ich, im besten Fall auch welche, die nicht an die Greyforks High gehen. Alle werden davon reden, wie furchtlos Kate Kingsman doch ist. Und wenn wir nicht dorthin gehen, lasse ich mir all das entgehen.
Dann blinzle ich zweimal mit den Augen, um mich wieder auf das Jetzt zu konzentrieren.
»Weißt du was? Ich werd's mir nochmal überlegen, Candice«, meine ich nun geradeheraus.
»Wow, das ist ja mal 'ne Premiere«, bemerkt sie erfreut, weil ich meine Meinung für gewöhnlich nicht ändere — besonders nicht so schnell.
»Also, ich würde es sein lassen. Es gibt nämlich keinen ‚Eckstein' auf unserer Schule«, bedenkt sie. »Und wollen wir nicht langsam nach Hause gehen?«, fügt sie noch hinzu und schaut sich im Lokal um, wo sich schon einige Plätze geleert haben. Dann wirft sie einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr, die ich ihr zum siebzehnten Geburtstag geschenkt habe. »Es ist schon bald elf Uhr.«
Candice sieht auf die Uhr ihres Smartphones. »Es ist viertel nach zehn, jetzt übertreib mal nicht«, lacht sie.
Das ist typisch Josephine. Sie trägt bei der Uhrzeit immer etwas auf.
»Vielleicht hat Jo recht, warum verlagern wir den Abend nicht zu mir nach Hause?«, schlage ich vor.
»Gute Idee!«, stimmt mir Josephine sichtlich dankbar zu.
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