• Eins •
Es war ein entspannter Sonntagmorgen als Harry draußen an den runden Tischen des Cafés Twenty2 saß und den süßen Duft der Rosensträucher einatmete, die ihren Blütenstaub in alle Richtungen verstreuten. Hummeln hopsten von einem gelben Stempel zu dem anderen und harmonierten zusammen mit den Möwen, die in dem gläsernen Himmelblau ihre Runden drehten. Während Harry von dem goldenen Licht der Sonne umhüllt wurde, tupfte er langsam seinen Mund mit der Servierte ab und lauschte dem sanften Plätschern des Kanals neben ihm.
Er saß ganz alleine da. Nur der Rhabarberkuchen auf dem silbernen Teller vor ihm leistete dem Mann Gesellschaft, der schon seit fast eineinhalb Stunden die Menschen beobachtete, wie sie sahnige Torten und warme Cappuccinos kauften um dem frischen Wind, der aus dem Norden getänzelt kam, entgegen zu steuern. Als er die letzten Krümel der Delikatesse gegessen hatte, spiegelten sich in dem Geschirr die braunen Locken wider, die sich um sein markantes Gesicht legten. Seine rosigen Wangen schimmerten in einem gesunden Teint. Für einen Moment blickte er in das Grün seiner Iris, bevor er den Kopf wieder hob und den rhythmischen Klängen des Radios wieder Aufmerksamkeit schenkte, die ebenfalls aus dem Café trudelten und sich mit dem würzigen Geruch der aus den Kaffeekannen dampfte, vermischte. Die Schultern des Mannes waren locker und entspannt. Keinerlei Falten oder Anzeichen des Stresses zierten sein Gesicht und seine Fingerspitzen begannen im Takt auf und ab zu wippen.
Er beobachtete, wie die Masse der Menschen und Passanten kontinuierlich von Minute zu Minute zunahm. Das Schaben der Kinderwägen auf dem Boden, die sanfte Meldodie der Natur und das Glockenleuten der Kirche verliehen dem Lockenkopf ein unergründliches Gefühl der Freiheit. Bei ihm war eine ganze Zeit vergangen, in der er nicht rausgehen und die Normalität beobachteten konnte.
Das rieseln in der Sanduhr schien so langsam zu verlaufen, wie kleine Schneeflocken im Winter, die vom Wind immer wieder verweht wurden und das erdrückende Gefühl von den letzten Wochen, fühlte sich wie ein Ballast von tausend Tonnen auf seinen Rippenbögen an. Er war froh, dass der Heilungsprozess der Grippe endlich beendet war.
Der Mann um dessen Kinn sich leichte Bartstoppeln schmückten, war es nicht gewohnt an das Bett gefesselt zu sein. Auch jetzt, wenn er nochmal an die letzte Zeit, die nur aus Tabletten, Nasensprays und das schreckliche Schwitzen unter der Bettdecke, an die Alpträume und das hängen über der Klobrille dachte, fiel ihm beim besten Willen nicht mehr ein, wann es ihn zuletzt so sehr erwischt hatte. Seufzend rieb er sich mit der Hand über die müden Augen. An den Winkeln seines Auges lief kurz das Salz des Wassers an seiner Haut herunter.
Dann wendete er sich einem Blondhaarigen Mann zu, der mit seinen schmalen Schultern und dem frischen Gesicht beinahe zehn Jahre jünger als Harry selbst wirkte. Um seine Hüfte war eine weiße Schürze gebunden und für einen kurzen Moment, schlich sich ein mattes Lächeln auf seine Lippen. Vielmehr war es das verschlafene Zucken seiner Mundwinkel und das Erscheinen seiner Grübchen, doch es war da. Wenn auch nur erschöpft.
„Können Sie mir eine Zeitung bringen?", wendete er sich an den Burschen und sah ihn aus erwartungsvollen Augen an. Direkt bekam er ein höfliches Nicken zurück.
„Natürlich Sir."
Eine halbe Minute später hatte Harry das graue Papier zwischen seinen Fingern und die dicke, schwarze Tinte warf ihn den neuesten Klatsch und Tratsch Nachrichten entgegen. Er blätterte sich durch die Wettervorhersagen, das Fernsehprogramm am Abend, obwohl Harry nicht mal solch eine Flimmerkiste Zuhause hatte und wanderte schließlich zu den politischen Äußerungen.
Die Augenbrauen konzentriert ineinander gezogen und die Nase skeptisch kräuselnd las er über die Brexit Wahlkreise, die ihre Meinung stetig zu ändern schienen, über Vorfälle, in denen der Hund bei 35 Grad im Auto vergessen wurde und der Hund die Konsequenzen seiner unzuverlässigen Herrchen bitter Büsen musste. Über die Klimaveränderungen, die Umwelt.
Erst alls er die Zeitung wieder zuklappte, strahlte ihm die Hauptüberschrift entgegen.
Drei Tote bei schweren Autounfall in Chester, zwei schwer Verletzte
Harry runzelte die Stirn. Chester. Seine Stadt, in der nie etwas passierte. Hinter dessen Rücken sich die liebevollsten und gelassensten Menschen befanden und Harry immer dachte, dass Schutzengel über die Dächer schweben würden. Wie ein Polizeisprecher mitteilte, waren zwei Autos offensichtlich bei einem Platzregen an einer Kreuzung ineinander gekracht. Ein Säugling sei verstorben. Bei dieser Vorstellung zog sich Harrys Herz schwer zusammen und seine Fingerspitzen begannen vor Unruhe zu kribbeln.
Hätte er ihnen helfen können? Wären sie vielleicht am Leben geblieben, wenn er schnell genug an die Unfallstelle geeilt wäre? Es fühlte sich kurz so an, als würden schwere Messerstiche auf den Rücken des Mannes prasseln und seine Mundwinkel sanken nach unten. Der Unfall war zwei Straßen neben seinem Backsteinhäuschen geschehen. Er dachte an die Angehörigen und an den Schmerz, an den diese nun gefesselt sein mussten. Die Trennung würde sie wie ein schwarzes Loch tief aufsaugen, als würden sie in den gewaltigen Ozean tauchen und plötzlich ertrinken, weil sie nicht mehr an die Oberfläche zurückschwimmen könnten. Es würde sie innerlich zerfressen und innerlich zeigte eine bösartige Ratte Harry ihr giftiges Gesicht.
Für einen Moment schnürte es ihm den Hals zu, wenn er daran dachte, dass er hätte helfen können. Doch er war krank, Zuhause an sein eigenes Leid gebunden und mit diesem Gedanken daran, faltete Harry die Zeitung ordentlich wieder ineinander. Seine Schultern spannten sich an. Wie hätte er ihnen helfen können? Es war nicht möglich.
Er nahm noch einen Schluck aus seiner Tasse, die sich auf einmal eiskalt unter seiner heißen Haut anfühlte und genoss nochmal das prickeln der erfrischenden Luft in seinen Haaren, bevor wieder den Kellner zu sich rief.
„Kann ich Ihnen noch was bringen?", fragte dieser mit Schweiß auf der Stirn glänzend und dennoch charmant freundlich nach.
Für eine Sekunde sah Harry sich selbst in seinen Pupillen spiegeln. Er sah den jungen Teenager in sich, der immer in Cafés und Restaurants aushelfen wollte, um ein wenig an Taschengeld zu gewinnen. Wie er sich heimlich immer ein Plätzchen aus dem Korb nahm, der unter einer gläsernen Schatulle wie bei Schneewittchen im Wald versteckt lag und er es liebte, bis spät abends mit den letzten Gästen über das Wetter und die neusten Fischfänge am Meer zu plaudern. Ja, für einen Moment sah er sich selbst und spürte, wie sich sein Bauch für einen Moment zusammenzog.
Er vermisste diese Zeit.
„Sir?", unterbrach der Blonde lächelnd seine Gedankengänge und mit einem Schmunzeln schüttelte Harry den Kopf über sich selbst und änderte seine Pläne wie auf Knopfdruck. Anstatt einen zweiten Kaffee zu bestellen, lächelte er freundlich zurück.
„Haben Sie gerade etwas zu tun?"
Aloha ☀️
Ziemlich unspektakulär das erste Kapitel, aber dennoch würde mich interessieren: Was haltet ihr davon?
Ich kann euch versprechen, das der Kellner keine unbedeutende Rolle hier spielen wird. Aber es steht in den Sternen, was er für einen Teil in der Geschichte hat🐥
Ich würde mich sehr über Meinungen und Gedankenäusserungen freuen.
Bleibt schön artig
Alles liebe, J 💘
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