• Drei •



Zwischen den Häusern der Stadt schwebten Wolken heran, die die Farbe der Häuser in ein müdes Grau tauchten und dafür sorgten, dass Menschen ihre Sonnenbrillen auf die Köpfe schoben. Als Harry den ersten Tropfen auf seiner Wange spürte, der seine Haut so sanft wie eine Feder streichelte, war er wirklich überrascht, denn die Sonne und die glühende Hitze schien sich seit vier Wochen fest in Chester verankert zu haben. Das Wasser der Flüsse sank, die Bäume wurden grauer und das Gras der Wiesen wirkte erschöpft und ließ die Halme hängen. Der Regen war dringend nötig und das erstaunte Raunen der Menschen erstreckte sich über den ganzen Dächern. Wieder tropfte es. Doch der Lockenkopf war bestens ausgestattet und zog seinen Rucksack nach vorne, um einen gelb gesprenkelten Regenschirm heraus zu kramen, der zwischen der schwarz-weiß gekleideten Gesellschaft wie fehl am Platz schien.

Aber in dem Hauch der Sekunde, in der Harry die Reißverschlüsse wieder nach oben ziehen wollte, erklang in Harrys Ohren plötzlich ein lautes, schrilles Geräusch, dass ihn zusammenzucken ließ. Sein Reflex war schnell – prompt drehte er seine Schultern in die andere Richtung und wendete seinen Blick zu dem Tisch, an dem Benjamin gerade das Wasser gebracht hatte und den er jetzt schon so lange beobachtet hatte. Es war wieder bei dem braunhaarigen Mann. Er brauchte einen Moment um zu verstehen, was passiert war, bis er dann die funkelnden Scherben auf dem Tisch und am Boden sah und sich eine Wasserpfütze wie eine Lache aus Blut auf den Steinen ausbreitete.

Die Pupille des Grünäugigen weitete sich unbemerkt. Dieses Mal trugen ihn seine Beine wie von selbst an den Tisch und umso näher er kam, desto genauer konnte er erkennen, wie Blass der Mann wirklich war. Hektisch und überreizt begann er, die Scherben zusammen mit Benjamin aufzuheben und entschuldigte sich mehrmals bei dem Kellner, wobei seine Stimme rastlos und ohne Ruhe klang. Man sah es ihm deutlich an, dass es ihm unendlich unangenehm war, das Glas hinunter geworfen zu haben.

Harry blieb teilnahmslos ein paar Pflastersteine vor dem Tisch stehen. In seinem Kopf durchlief er seine Erfahrungen, die er mit den meisten Menschen gemacht hatte. Zitternde Hände waren überhaupt kein gutes Zeichen und gingen immer mit Unwohlsein oder Nervosität einher. Natürlich wusste Harry nicht, was genau sein Problem war, doch als der Mann, der im näheren Betrachten mit ozeanblauen Augen verlegen die Scherben auf seiner Hand stapelte, geschah das nächste Problem. In binnen von Sekunden hatte er sich geschnitten und dunkles Rot begann, seinen Finger hinab zu tropfen.

„Verdammt, das auch noch." Fluchend kniff er die Lider zusammen und bekam einen rosanen Schimmer auf den Wangen. „Heute ist so ein beschissener Tag. Fuck es tut mir so leid. Aber räumen Sie den Scheiß doch endlich weg."

  „Wollen Sie ein Pflaster?"

Benjamin sammelte völlig überfordert erneut das Glas vorsichtig auf und blickte mit besorgten Augen auf die Verletzung an der inneren Handfläche des Blauäugigen, die einen Spalt wie in einer tiefen Schlucht ähnelte. Währenddessen vermehrten sich die dunklen Wolken über ihnen und ein tiefes Grollen durchbrach die Gesprächsthemen des Cafés, gefolgt von hellleuchtenden Blitzen einige Minuten danach.

„Natürlich will ich ein Pflaster, verdammt. Machen Sie doch." Der Gast wurde von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger.

„Kommt sofort."

„Lassen Sie doch die Scherben erstmal in Ruhe. Sehen Sie nicht, das hier alles voll wird?"

Der Blondhaarige bekam einen roten Hals. „Entschuldigung."

Nun mischte sich der Lockenkopf mit ein. Mit einer stummen Handbewegung hielt er den Blonden an der Schulter fest.

„Ein Verband wäre besser, Benjamin. Die Wunde ist vielleicht tiefer und das Pflaster würde ständig nur wegrutschen. Außerdem sollte das eindeutig vorher gereinigt werden-" Er wendete sich nachdenklich an den Fremden und sah auf seine roten Wangen. „Haben Sie einen hohen Blutdruck?"  Eindringlich sah zu er zu dem Mann runter, der ihn aber nur mit misstrauischer Mimik abfällig beäugte.

„Und Sie sind wer, dass Sie sich einmischen können?"

Harry hatte sich nun direkt vor den runden Tisch gestellt. Seine Augen schweiften zu dem endlosen Blau und ohne alleine viel mit ihm gesprochen zu haben, wusste Harry, dass er sanft mit ihm umgehen musste. Er würde nicht behaupten, dass er in eine andere Rolle schlüpfte, wenn er im Krankenhaus tätig war. Doch die unendliche Anspannung, die verletzte Patienten unbewusst versprühten, konnte an Harry keinen Druck mehr auslösen. Er wusste, dass Menschen Angst hatten. Die Erfahrung hatte er lange genug in der Klinik gehabt. Besonders wenn den Patienten eine gefährliche Operation näherkam, ihre Geliebten krank und bewegungslos an Geräte angeschlossen waren oder sie auf eine Nachricht des Arztes warten mussten, ob sie denn nun hierbleiben mussten oder nicht, zerfiel bei den meisten jegliche Art der Selbstbeherrschung. Wutausbrüche, Tränen und Beleidigungen waren bei manchen Patienten an der Tagesordnung, ohne dass sie es selbst bemerken würden und Harry war sich bewusst, dass ein souveränes, ruhiges und verständnisvollen Verhalten hier von großer Bedeutung war.

Sein Grün strahlte auch jetzt eine unergründliche Ruhe aus. Ohne seiner Wut Beachtung zu schenken, zog er freundlich aber nicht übertrieben die Mundwinkel nach oben und hob die Augenbrauen sanft an.

„Mein Name ist Harry Styles. Entschuldigen Sie, dass ich so frech dazwischenfunke. Aber diese Wunde wird nicht mit einem Pflaster einfach geheilt werden." Zustimmend nickte er zu der Hand des Fremden, doch dieser wendete Harry schon längst wieder den Rücken zu. „Ich arbeite im Krankenhaus. Machen Sie sich keine Sorgen."

Benjamin war mittlerweile mit eiligen Schritten von Dannen gezogen und auch die Blicke der Menschen, die aufgeregter als in einer Kinovorstellung, auf sie gerichtet waren, nahmen langsam wieder ab. Der Lockenkopf runzelte die Stirn und beobachtete den Mann, wie er eine Servierte auf seine Hand drückte, um das Blut zu stoppen. Seine Lippen waren zu einer dünnen, angestrengten Linie zusammengezogen. Als er kurz die Augen schloss, legte Harry besorgt eine Hand auf seinen Rücken, der ganz warm von der vorherigen Sonne war. Er konnte die Härte der Knochenspitzen unter seinen Fingern fühlen.

„Brauchen Sie einen Krankenwagen?"

Behutsam nahm Harry die Hand wieder weg. Berührungen waren nur unter bestimmten Bedingungen angebracht und gerade schien dem Lockenkopf nicht so, dass der Verletzte sich über seine Sorge groß zu freuen schien. Stattdessen warf er ihm einen noch düstereren Blick zu.

„Ich weiß immer noch nicht, was Sie sich hier einbilden. Habe ich nach Hilfe gefragt?"

„Nein aber-„

„Dann haben Sie sich auch nicht einzumischen."

Harry spannte die Schultern an. Benjamin kam mit einem kleinen Koffer zurück, auf dem ein fettes rotes Kreuz abgezeichnet war. Nun begannen auch die Hände des Kellners zu zittern, weshalb ihn der Lockenkopf vorsichtig ablöste. Er hatte zwar immer noch den wütenden Blick des Mannes auf seinen Schultern brennen, doch das ließ ihn kalt. „Lassen Sie", hauchte er beruhigend zu Benjamin, kramte nach den nötigen Utensilien und stellte ein Desinfektionsmittel bereit.

Konzentriert nahm der die verwundete Hand, ganz vorsichtig, während er das genervte Seufzen seines Gegenübers mit einem gutmütigen Augenkontakt zurück zunichtemachte, um wenige Sekunden danach mit der kleinen Dose auf die blutende Stelle zu sprühen. Der Mann zuckte kurz und Harry sah, wie sich sein Kiefer zusammenpresste. Dennoch sagte er kein Wort. Für einen Moment war Harry wieder erstaunt, er wusste nicht wieso. Als er ihn so von der Seite betrachtete, und den Verband um seine Hand wickelte, fiel ihm auf, dass er ein schönes Gesicht hatte. Keine Unebenheiten zierten seine Haut.

„Gut, Danke für Ihre Hilfe."

Der Blauäugige brummte die Worte heraus, als hätte erst einen ewigen Kampf mit sich selbst ausgetragen, ob er nun antworten sollte oder nicht. Immer noch lag das Blau seiner Augen auf dem Tisch, und Harry dachte schon, dass er sich ihm gar nicht mehr zuwenden würde, als er seinen Oberkörper langsam aufrichtete.

„Jetzt muss ich Ihnen wohl etwas zurückgeben."

Harrys Mundwinkel zogen sich augenblicklich nach oben, und trotzdem schüttelte er den Kopf, wobei seine Locken ihm in die Stirn rutschten. „Das ist selbstverständlich."

Nun begann es richtig zu regnen und Gäste begannen, sich in das Innere das Cafés zu drängen oder breiteten ihre Schirme aus, um das Lokal zu verlassen und den Nachhauseweg einzuleiten. Harry hielt kurz seine Handfläche raus, dann drehte er sich zu seinem Tisch um, nachdem er dem Wuschelkopf nochmal verabschiedend zugelächelt hatte. Er hatte beobachten können, dass seine Hände ruhiger wurden – das Zittern verabschiedete sich und seine Stirn entspannte sich, die vorher in Falten gezogen war. Harrys Arbeit war somit erledigt.

Nun drehte er sich mehrmals auf der Stelle um, um seinen Rucksack wieder zu finden, in dem er seinen Regenschirm verstaut hatte. Aber obwohl er sich total sicher war, dass er ihn an seinem Tisch liegen hatte lassen, war dort nur noch ein leerer Platz. Bis er realisiert hatte, dass die Tasche wirklich weg war, hingen seine Locken schon nass seine Schläfen hinunter.

„Hat Ihnen jemand den geklaut, huh?"

Harry drehte sich um. In ihm brodelte es und den Blauäugigen ignorierend, der gerade selbst einen schwarzen Schirm hervorhob, wendete er sich verzweifelt an Benjamin. Doch dieser versicherte ihm, dass er nichts gesehen hatte und riet Harry nur, später nochmal vorbeizuschauen. Seufzend schloss er für einen kurzen Moment die Augen.

In dieser Tasche waren seine Pässe, seine Karten. Sein Portmonee, in dem zum Glück zwar nicht so viel Geld war, aber immerhin ein paar Scheine. Des Weiteren würde sein geliebtes, kleines Bild, dass er immer bei sich herumtrug, weg sein. Harry hatte das Verlangen, sich die Haare zu raufen. Aber er blieb ruhig und ließ den Regen auf seine Kleidung prasseln.

„Kommen Sie. Ich habe noch einen Schirm."

Die britische Stimme erreichte Harrys Ohren wie durch Watte. Schweigend drehte er sich wieder zu ihm herum.

„Geht es Ihnen besser?"

„Ja. Danke - Kreislaufprobleme und so." Er reichte Harry den Schirm.

Kreislaufprobleme.

Harry wusste was die Symptome davon waren und seiner Meinung nach, passten diese keines Falls zu ihm. In bestimmten Verhaltensmustern vielleicht schon, aber wenn Harry so darüber nachdachte, erinnerte ihn das eher an eine Panikattacke. Dafür hätte er den Briten allerdings erst Untersuchen müssen. Und in sein Inneres zu schauen, konnte er immerhin schlecht.

„Danke. Darf ich Sie vielleicht trotzdem begleiten?"

Der Grünäugige strich sich vorsichtig die nassen Strähnen hinters Ohr und spannte den Schirm langsam auf. Der Wind blies um seine Beine, tanzte seinen Rhythmus. Er folgte dem Mann, der ihn noch vor fünf Minuten mit abwertenden Todesblicken gemustert hatte und sah zu ihm, als er eher zögernd nickte.

„Von mir aus."


Hallo ihr wundervollen Menschen 💘☀️

Ich bin zurück mit einem neuen Kapitel. Irgendwie ist es noch länger geworden, als es gewollt war aber naja. Ich hoffe das macht euch nichts aus.
Mich würde wie immer interessieren, was ihr von den Kapitel haltet. Wie findet ihr Harry? Wie schätzt ihr ihn ein?

Ich wünsch euch eine schöne Woche, alles gute 💐

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