7. Ians Tagebuch
1. Eintrag, 2094
Hallo liebes Tagebuch (ich weiß nicht ob das ein wenig seltsam klingt),
Also, mein Name ist Ian Álvarez. Ich bin am 7. Juli 2081 geboren.
Das ist das erste Mal dass ich in ein Tagebuch schreibe, geschweige denn, dass ich eines besitze grenzt an ein Wunder. Ich habe es unter meinem Feldbett gefunden. Ich habe nachgefragt, aber es gehörte keinem. Anscheinend würde der vorherige Besitzer nicht mehr wiederkommen. Also bin ich jetzt einfach so frei und benutze es. Ich bin in dem Moment in dem ich schreibe 13 Jahre alt. Ich wohnte in einem Dorf in Argentinien.
Ähhmm...meine Lieblingsfarbe ist grün oder türkis? Oh man, was schreibt man so in ein Tagebuch? Egal ...
Bei uns im Dorf gab es einen alten Mann, der seit einigen Jahren durch die ganze Welt zog, um sich die Städte, Dörfer, Wälder, Landschaften und Leute anzusehen. Monatlich kommt er immer wieder zurück in unser Dorf und zeigt uns Bilder, die er mit seiner Spiegelreflexkamera geschossen hatte und erzählte uns seine Geschichten, wie er durch die halbe Welt wanderte.
Einige Male brachte er auch etwas mit wie Gestein aus den Dolomiten, das glitzerte, wenn man es in die Sonne hob. Selbst getauchte Muscheln aus dem Roten Meer, Öle, Essig, Honig und südländisches Obst für die Frauen. Mir brachte er einen Tieger zahn aus Afrika mit. Ich habe ihn schleifen lassen, ein Loch hineingebohrt und ihn an einem Lederband befestigt. Ich hab die Kette furchtbar gern getragen. Allerdings hab ich sie damals verloren. Ausgerechnet die einzige Erinnerung an meine Heimat hab ich beim Angriff des Argentinischen Militärs aus den Augen verloren.
Damals war ich 9. Wir wurden alle gemeinsam abtransportiert. Kinder, Frauen und Männer. Nur die Alten und Schwachen nicht.
Die hatte man niedergestreckt. Man hatte sie vor dem Dorfbewohner aufreihen lassen, die Soldaten hatte angelegt und geschossen. Für den Rest ging es in eine Auffangstation.
Ich wurde mit meiner Familie gemeinsam registriert, danach jedoch gleich wieder aussortiert. Natürlich hab ich mich gewehrt, gebissen, um mich herumgeschlagen, doch es half nichts. Stattdessen wurde ich der Abteilung für schwer erziehbare Kinder eingeteilt. Weil ich Widerstand zeigte. Mich gegen die Regierung auflehnte, so wurde es begründet.
Was seitdem mit meinen Eltern passiert ist, weiß ich nicht. Ich hatte sie seitdem nicht mehr gesehen, aber ich gehe davon aus, dass sie schon längst nicht mehr leben.
Daraufhin bin ich vielen anderen Kindern, sowohl jüngere als auch ältere, in ein Wohnheim gekommen. Es gab mehrere Bettenlager, jedes beinhaltete mindestens 15 Stockbetten.
Mädchen und Jungs wurden streng getrennt. Jungs durften nicht in die Lager der Mädchen und ebenso anders herum. Nur zum gemeinsamen Mittagessen durften beide Geschlechter gleichzeitig. Es gab feste Vorschriften, sollte man sich nicht daranhalten, wurde man bestraft. Nach argentinischer Art. Vor dem Schlafengehen wurden wir alle gezählt, fehlte einer durfte sich keiner zur Ruhe legen, bevor der Abwesende nicht gefunden worden war.
Nach der Zählung wurde die Tür verriegelt und ein Wachposten davor postiert. Die Fenster waren mit Eisengitterstäbe versehen, die jede Flucht unmöglich machten. Die anderen erzählten es hatten bereits einige versucht zu entkommen. Manche wurden jedoch erwischt und wieder her gebracht, andere hatte man nie wieder gesehen. Ob sie wirklich diesem Gefängnis entfliehen konnten oder ob man mit ihnen sonst etwas gemacht hatte, weiß niemand.
Die folgenden Tage wurden wir dann in die Schule geschickt. Anderer Ort, gleiches Prinzip. Geschlechtertrennung, strenge Ordnung, Bestrafungen. Sämtliche Fächer wurden unterrichtet, alles was man später einmal brauchen könnte. Die Klassen wurden genauer nach Alter getrennt und man führten Tests durch um wieder extra auszusortieren.
Der Tagesablauf war streng geregelt. Morgenappell war um 7 Uhr, wo wir durchgezählt wurden, ob noch alle da waren. Sollt einer fehlen, mussten alle solange dort bleiben, bis der Fehlende gefunden wurde. Manchmal dauerte das nur ein paar Minuten, ab und zu aber auch Stunden. Im schlimmsten Fall sogar den halben Tag.
Sollten nun alle anwesend sein, dann gab es Frühstück. Nicht viel aber gerade so, dass es bei dem Einzelnen nicht zum Zusammenbruch kommen sollte. Danach hatte jeder eine halbe Stunde Zeit zum frisch machen und duschen mit warmen Wasser, wer danach kommen sollte hatte Pech und musste eine eiskalte Dusche über sich ergehen lassen. Der folgende Ablauf war unterschiedlich, die einen Morgentraining, die anderen Unterricht.
Um 14 Uhr gab es kurze "Snack-Pause" für ca. eine Stunde. Danach wurde das gleiche Prozedere fortgesetzt bis zum Abend. Bis um 20 Uhr wurde geschuftet, dann stand Abendessen auf der Liste.
Viel Zeit dazwischen blieb nicht danach, da schon um 21 Uhr Nachtruhe war. Alles wurde sofort hermetisch abgeriegelt. Und das war erst der Anfang der grausamen Hölle. Es sollte noch viel schlimmer kommen.
Seit vier Jahren stecke ich nun schon hier fest und sehe keine Chance zu entkommen. Vier Jahre reine Grundbildung, Schmerzen und Disziplin.
Nun ja ... das war die schnelle Kurzfassung gewesen
Ian Álvarez
Das schrille Trällern meines Handys ließ mich aufschrecken. Ich legte meinen Stift beiseite und überblickte erst einmal meinen Schreibtisch. Hatte ich es nicht dort irgendwo hingelegt? Ich überlegte einen Moment, bevor ich begann meine Hosentaschen zu durchkramen.
Nichts.
Verdammt noch mal. Noch immer war der Klingelton zu hören. Es war doch ganz in der Nähe. Ich drehte mich weg vom Tisch und blickte auf den Boden.
Aha!
Da war es ja! Muss mir wahrscheinlich bei meiner Auseinandersetzung mit Sachmet herausgerutscht sein. Kurz bückte ich mich zu Boden und hob es auf. Ich wischte einmal über den Bildschirm um abzuheben.
"Ja?"
"Dave? Ich bins.", schallte es vom anderen Ende der Leitung. Mein Herr Vater war dran.
"Ja?", erwiderte ich mit weniger begeisterter Stimme.
"Hör zu. Heute wird es wieder später, ich werde vor 21 Uhr nicht nach Hause kommen. Wir planen die Operation noch. Mach dir einfach selbst etwas oder geh zu Marley, sie wird dir bestimmt was machen."
"Ja, sicher. Ich kann dir ja was mitnehmen, dann kannst du es dir später warm machen."
"Ich werde mir unterwegs noch etwas holen, danke."
Noch bevor ich ihm antworten konnte, ertönte ein Klicken und der Anruf war beendet. Er schien es anscheinend furchtbar eilig zu haben. Seufzend nehme ich das Handy von meinem Ohr und schaue auf die Uhr.
18:11
Noch ca. 3 Stunden. Ich verstaue mein Handy in meiner Hosentasche und schwinge mich von meinem Schreibtischstuhl. Auf dem Weg in die Küche währe ich beinahe über Sachmet gefallen, der quer vor der Türschwelle zu meinem Zimmer lag.
"Du machst deinem Namen wirklich aller Ehre, Sachmet." Der schien jedoch völlig unbeeindruckt und schlief seelenruhig weiter. Ich machte mich weiter auf zum Kühlschrank. Allerdings stellte sich bereits zwei Sekunden nach der Öffnung der Tür heraus, dass es dort nicht viel zu holen gab.
Er war , Essens technisch gesehen, fast vollkommen leer. Und ein paar Gurken und Milch oder Bier würde mir zum Abendessen nicht reichen. Vor lauter Frustration knallte ich die Tür wieder zu, wobei die Glasflaschen aneinander schlugen.
"Dann eben zu Marley."
Traurig darüber zu sein nicht kochen zu können, war ich nicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich sei der einzige Mann auf dieser Erde der gerne das Essen zu bereitete. Aber seit meine Mutter nicht mehr da war, musste das ja irgendjemand übernehmen und es war ganz bestimmt nicht mein Vater. Aber heute musste ich mir ehrlich gestehen, dass ich keinen Bock hatte.
Also ab ins Cafe.
Mein pelziger Freund kam gut allein klar, also musste ich mir um ihn keine Sorgen machen. Ich rannte kurz zurück in mein Zimmer um das Tagebuch und meinen Notizblock zu holen. Je früher ich das Ding durch hatte umso besser.
Zurück zur Eingangstür, wo mein Wintermantel hing, durchsuchte ihn erst einmal nach meiner Geldbörse. Nachdem ich zufriedenstellend feststellte, dass noch etwas Geld vorhanden waren, schlüpfte ich auch schon in meine Straßenschuhe und schnappte mir meinen Hausschlüssel. Kurzerhand verließ ich die Wohnung ein weiteres mal und freute mich schon auf ein schmackhaftes Abendessen.
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