5. Erstes Aufeinander treffen

- 22.Januar 2101 -

Wir betraten das Krankenzimmer. Zuerst mein Vater, darauf Tessa, gefolgt von mir und Simon. Letzteres hätte ich während des Weges hierher fast vergessen dass er noch anwesend war, da er sich nicht an meinem Gespräch mit Tessa beteiligen hatte und somit ungewöhnlich still war.

Das Erste was mir auffiel, war der typische Geruch von Desinfektions- und Seditionsmittel der mir beim Betreten des Raumes in die Nase trat. Die Wände des rechteckigen Raumes waren in krankenhausweiß getränkt und von oben herab schien das schwache Licht der Deckenbeleuchtung.

Ich warf einen wiederholten Blick auf meine Armbanduhr, nur um danach zu wissen, dass es zwanzig Minuten vor dreizehn Uhr war. Es war schon mittag. Meine Güte wie die Zeit verging.

Ein sich wiederholendes Piepsen riss mich aus meinen Gedankengängen, was von einem großen Apparat ausging, welcher neben einem stählernem Bett deponiert war. Die Matratze und die Kissen waren mit Weißen Laken überzogen. Am piepsenden Gerät waren unzählige Schläuche angeschlossen, zum einen welche, die unseren Patienten mit Beruhigungsmittel und Schmerzmittel versorgten.

Einen Roten Schlauch, welcher die Herzfrequenz des Verletzen überprüfte und die Behandelnden informiert, sollte der Herzschlag zunehmen, abnehmen oder ob er gar ganz ausfallen.

Ich folgte den vielen dünnen Rohren, am Boden entlang schleifend, die Bettkante überquerend in Richtung Ziel. Am „Ziel" angekommen musste ich erst ein mal stutzen. Die Aussagen des Kriegsrates hatten also doch gestimmt. Vor mir lag ein junger Mann, übersät mit kleinen Schnitten, blauen Flecken und Verbänden.

Zumindest sofern man erkennen konnte, da er mit einer Decke zugedeckt war, welche gerade mal den Kopf und seine Arme sichtlich machten. Ein dünner, eigentlich unsichtbarer,Schlauch, durch den dünne Dosis Blut flossen, waren mit einer Blutinfusion verbunden, welche an der rechten Seite des Krankenbettes platziert war.

Auf den ersten Blick hätte Dave angenommen, der Junge hätte keine Haare, da seine auf dem Bettlaken kaum auffielen. Schneeweiße Haare. Sie waren ungefähr schulterlang und leichte Locken umspielten sein Gesicht. Das sah man auch nicht alle Tage. Also bisher gab es noch keine Anzeichen dafür, dass der weißhaarige Junge ein „Außerirdischer" sei. Im Allgemeinen machte er einen ganz Humanen Eindruck. Bis auf die tausende Schläuche mit dene er verknüpft war und das Atemgerät, welches sein entspanntes und regungslosen Gesicht zierte. Das regelmäßige Rauschen seiner Atemzügen war ein stets vorhandenes Hintergrundgeräusch.

Mein Vater war der erste der seine Wörter fand.

„Nun gut. Simon, Dave, ich möchte bitte, dass ihr zwei den Verletzten examiniert und die Verletzungen dokumentiert. Sobald ihr fertig seid, könnt ihr Tessa die Auswertung geben, dann kann sie die nötigen Medizinischen Mittel besorgen und vorbereiten.

Ich werde derweil die Wertgegenstände des Jungen aufsuchen. In spätestens einer Stunde bin ich wieder zurück, dann will ich den Großteil davon erledigt haben."

Während seines Gesprächs war er bereits zur Tür geschritten und stand dort nur noch im Türrahmen. Als die letzten Wörter gesprochen waren, war er auch schon hinaus getreten in den Gang, ohne sich noch einmal zu den Trio umzudrehen. Zurück ließ er drei ein wenig verwunderte Personen zurück.

Es war nicht üblich, dass er uns mit Patienten alleine da stehen und uns die ganze Arbeit erledigen ließ. Immerhin hatten alle drei Jugendlichen bereits einige Erfahrung, da sie zusammen mit den Ausbildungsjahren bereits mehr als 5 Jahren in der Medizin tätig waren.

„Nun denn, auf geht's!! An die Arbeit!", sagte Tessa, während sie vor Begeisterung in die Hände klatschte. Da war sie wieder. Dieser unzerstörbare Elan.

„Ja,stimmt.", antwortete Simon darauf, der auch endlich mal wieder zu Wort kam, „je früher wir fertig werden, desto dankbarer wird uns Lennard sein."

„Pfff...dankbar. Er lässt uns ja mit Absicht die ganze Arbeit machen."

„Nicht verzagen Jungs! Ihr solltet euch freuen! Der erste Compator den wir behandeln dürfen! Das sollten wir uns wirklich nicht entgehen lassen!"

Die Begeisterung von uns zwei hielt sich dermaßen in Grenzen, dass ich nicht mal ein lächelndes Grunzen zustande brachte.

„Da wir gerade beim Thema sind...recht außerirdisch sieht er ja nicht aus, abgesehen von den vielen Schläuchen."

Ich blickte Simon an. Er hat unser ganzes Gespräch mitgehört? Dieses ganze Gelabere fand er interessant? Oder war ihm einfach nur langweilig.

„Du hast den ganzen Mist mit angehört?"

„Oh ja! War wirklich sehr interessant, über was sich zwei Heranwachsende so unterhalten."

„Hey, du bist selbst nicht mal älter als ich.", entgegnete ich ihm beleidigt.

„Jungs!!!", versuchte die einzige Frau in diesem Raum unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. „Auf geht's!! Mister Warner wird uns die Hölle heiß machen, wenn er hier ankommt und wir haben noch nicht mal angefangen ihn zu untersuchen!"

„Ist ja gut."

Jetzt hatten wir beide den selben Gedanken. Wir gaben uns nur ungern geschlagen, aber Komplikationen mit meinem Vater? Nein. Diese Stufe hatte ich davor bereits ein mal erreicht und mochte es nie wieder tun. Also mussten wir uns wohl oder übel der Arbeit widmen.

Das Patientenbett stand unter einem Fenster, sodass das spärliche Licht, welches die Sonne draußen noch abgab einen leichten, hellen Schimmer auf dem Gesicht des Jungen hinterließ. Man hätte ihn fast für ein Mädchen halten können, was die langen Haare nur noch unterstrichen. Ohne meinen Blick von ihm zu lösen umrundete ich sein Bett, vorbei an Simon, welcher bereits damit begann die Blessuren an Armen und Schultern zu begutachten.

Auf einem kleinen Beistelltisch, der in wenigem Abstand zu ihm stand, lag ein beiger DinA4 Umschlag. Er war mit einem kleinen Wachssiegel versehen, welches den Inhalt davon abhalten sollte, ungewollt hinauszufallen. Es war eins der Militärsiegel. Auf diesem war jedoch ein Kreuz abgebildet um welches sich eine Schlange wand. Das Zeichen des Militärarztes. Auf der Vorderseite war in wenigen Worten -Untersuchungsbericht des Kriegsgefangenen, durchgeführt und dokumentiert durch den Militärarzt Harry Coulson- abgedruckt.

„Hey Leute, hier liegt der Bericht des Militärarztes. Der hat hier schon ein wenig Vorarbeit geleistet."

Ich studierte ein wenig die Akte, überflog sie hauptsächlich und versuchte die wichtigsten Informationen herauszufiltern.

„Tessa, würdest du es mitschreiben?", fragte ich sie, da mein männlicher Kumpel gerade beschäftigt war.

„Klaro! Warte ich hol schnell den Berichtsbogen."

Sie hüpfte von ihrem Stuhl, auf dem sie bis vor kurzer Zeit gesessen hatte und rauschte hinüber zu einem kleinen Aktenschrank, riss eine Schublade auf und kehrte wenig später mit zwei, drei Bögen Papier zurück. Mit Schwung rückte sie wieder zurück auf ihren Sessel und drehte sich zum Schreibtisch hin.

„Bin bereit!!", kündigte sie an.

„Okay,dann...also... insgesamt sehr hoher Blutverlust; wir haben zwei angeknackste Rippen auf der linken Seite des Brustkorbes; große, und viele Schnitte an beiden Armen und Händen. Allgemeine Wunden welche sich bereits infiziert haben, darunter ein ziemlich demoliertes Schienbein."

Man hörte ein ständiges kritzeln ihres Stiftes welcher mit schnellen, geübten Bewegungen über die Blätter flitzte.

„Eine kleine Platzwunde am Kopf. Jetzt kommt das Schlimmste: drei Kugeln insgesamt, davon eine unter den Rippen; eine an der linken Schulter und die letzte in das bereits verletzte Schienbein. Die Kugeln wurden glücklicherweise bereits vom Militärarzt entfernt."

„Wars das dann?", blickte mich Tessa mit großen Augen an.

„Meine Güte", sprach Simon, der das Gespräch aktiv verfolgt hatte, „der Junge ist ja mehr tot als lebendig."

„Da haben wir ja einiges vor uns.", stellte ich mit Bedauern fest.

„Okay, Jungs. Ich hab mir jetzt die benötigte Medizin raus geschrieben. Bin kurz im Lager, um sie zu holen."

Zum wiederholten Male wurde sie vom Stuhl gesprengt und bevor ichs mir versah, war sie auch schon hinaus zur Tür.

Während dessen hatte sich Simon eine kleine Spritzte geschnappt und bereits begonnen dem Verletzten Blut abzunehmen. Dieses füllte er in ein kleines Reagenzglas und steckte es in einen dafür vorhergesehenen Ständer, um es später im Labor auf Mangelnde Vitamine oder vorhandene Krankheitserreger zu untersuchen. Nachdem auch das getan war, wandte er sich wieder seinen vorherigen Tätigkeiten zu.

Mit Desinfektionsmittel, frischen Verbänden, Skalpell und einfacher Salbe gerüstet, begann ich währenddessen Simon ein wenig unter die Arme zu greifen. Langsam löste ich die vorherig angebrachten Binden auf der rechten Seite. Die linke Seite übernahm Simon.

So behutsam, wie ich konnte säuberte ich die vorhandenen Wunden mit einem desinfizierenden Mittel. Daraufhin verteilte ich die kühle Salbe großzügig auf den gesamten Armbereich. Ich ließ alles ein wenig einziehen, bevor ich frische Verbände um seine muskulösen Arme wickelten. Man hätte nie denken können, dass dieser Junge einen solchen Körperbau haben könnte.

Keiner von uns beiden sprach ein Wort. So war das meistens bei Behandlungen. Jeder von uns musste sich konzentrieren, sonst konnte mal schnell was schief gehen.

Der Prozess wiederholte sich einige Male bis wir, schließlich unendlich, am mitgenommenen Schienbein angekommen waren. Um die Schusswunden würde sich mein Vater später kümmern, da er bereit sein wenig erfahrener in diesem Feld war.

Als würde ich gerade vom Teufel sprechen öffnete sich die Tür und machte sich erst erkennbar, als sie mit einem kräftigen, schmackigen RUMS gegen die daneben liegende Wand prallte. Herein trat mein lieber Herr Vater, zusammen mit einem Plastikbeutel in der Größe einer Handtasche. Durch die milchige Schicht der Tüte konnte man dunkle Umrisse eines in Leder eingebundenen Buches erkennen, sowie vielen, kleinen Krimskrams, der alles mögliche hätte sein können.

„Scheint so als hättet ihr bereits einiges geschafft...", stellte er fest, seinen Blick jedoch stets auf ein Dokument in seiner Hand gerichtet. Bevor er jedoch einer der beiden Assistenten antworten konnte, nahm Daves Vater das Gespräch wieder auf.

„Wo ist Tessa?"

„Im Lager. Holt die Medizin.", spuckten Simon und ich fast gleichzeitig aus, dem Beispiel meines Vaters folgend, weiterhin die Konzentration auf die Arbeit gerichtet.

„Gut, gut. Dave?"

„Hmm?"

„Hier ist das Tagebuch des Jungen. Ich möchte bitte, dass du ohne Umschweifen sofort damit anfängst es zu übersetzen."

Seufzend verdrehte ich meine Augen und legte demonstrativ meinen Kopf in den Nacken. Dennoch schob ich ihm meine Hand entgegen, als Geste, um das Tagebuch zu fordern.

Mit einem triumphierenden Lächeln drückte er es mir in die Hand.

„Bis wann soll ichs fertig haben?", fragte ich ihn, wobei sich meine Stimmung Richtung Tiefstpunkt bewegte.

„Keine Frist.", kam zu meinem überraschen, „versuch es einfach so schnell wie möglich verständlich zu machen."

Mein Griff um das Büchlein kräftigte sich ein wenig, bevor ich mich wiederwillig auf meine zwei Glieder namens Beine zog und zügig den Raum verließ. Mit einem kurzen und knappen „Bis später" verabschiedete ich mich noch von Simon, ehe ich auch schon auf dem Gang war. Das Gewusel von heute Morgen schien nicht wirklich abgelassen zu haben, denn noch immer glich die Arbeitsweise der Umherlaufenden der von Bienen-Arbeiterinnen, welche den gesamten Bienenstock auf trab halten mussten.

Ich lief zurück in einen Raum der zum ablagern von Kleidung, Rucksäcken oder Taschen diente. Ich schnappte mir meinen Wintermantel mit dem Fellkragen, meinen blauen Schal sowie die türkise Mütze aus Schafwolle, die mir meine Mutter einmal gestrickt hatte. Als ich noch ein bisschen kleiner war.

Tessa, der ich auf dem Weg zum Ausgang begegnete, wünschte mir noch viel Spaß, von dem ich, zugegeben, eine Ration gebrauchen könnte.


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