26. Abhanden gekommen

06. Februar, 2101

Daves Sicht

Ich war wirklich froh, dass Ian mein kleiner geplanter Ausflug so gut gefallen hatte. Diese Erfahrung war es auf jeden Fall wert gewesen.  Auch wenn der weißhaarige Argentinier sich im Nachhinein eine kleine Erkältung zugezogen hatte. Diese war aber soweit nicht schlimm. Nichts was sich in ein paar Tagen Bettruhe nicht auskuriert hätte. 

Von Bettruhe hatte Ian mittlerweile aber genug. Das hatte er zwar so direkt nicht gesagt, aber er brauchte es nicht einmal aussprechen oder niederschreiben, sein Gesichtsausdruck sprach mehr als tausend Worte. 

Irgendwann wurde selbst das stundenlange Lernen von Englisch Vokabeln langweilig und ich war nicht immer im Dienst sondern hatte auch andere Sachen zu erledigen, weshalb es mir manchmal unmöglich war mich mit ihm zu unterhalten oder andere Spiele auszuprobieren. Dabei war eh bereits fast mein ganzes Arsenal an Karten- und Brettspielen geplündert und bereits mindestens zwei Mal gespielt. 

Es waren 3 Tage seit dem Vorfall vergangen und Ian ging es wieder besser. Um einiges besser. Und das war ihm auch anzusehen. 

Wenn ich mich an vor ein paar Wochen zurück erinnerte, wie ich ihn das erste mal gesehen hatte - so blass, dass man ihn mit einem Toten hätte vergleichen können, der Körper demoliert und geschunden, seine Statur schlank und fast schon abgemagert mit kaum Fett auf den Rippen.

Jetzt nahm sein Appetit und somit auch sein Körpergewicht von Tag zu Tag zu, die leichten Verletzungen und Schürfungen waren erfolgreich verheilt und seine Haut hatte eine gesunde Farbe angenommen. Er wirkte immer noch ein wenig blass, aber ich nahm an, dass der Argentinier von Natur aus nicht viel Bräune hatte.

In seinen Augen aber vernahm ich die größte Veränderung. Der vorherige leere, kalte und dustere Blick hatte sich über die Wochen mit neuem...ja...Lebenswille gefüllt. Es war eindeutig ein Feuer zu erkennen, dass zuvor gefehlt hatte. Ich konnte seit wenigen Tagen Emotionen aus seinen Augen ablesen. Vorfreude, Fröhlichkeit, Langeweile, Angst, Besorgnis - man konnte ihn ansehen und er würde dir seinen Gefühlsstatus offenbaren. Oder zumindest ein bisschen davon. Davor schien er dieses starre Gesicht wie eine zweiten Haut zu tragen, wie eine Maske. 

Ich nahm diese Veränderungen am stärksten wahr, immerhin verbrachte ich die Hälfte meines Tages zusammen mit Ian. 

Es war mal wieder früh am Morgen und ich war auf dem Weg zur Kantine um Frühstück für mich und Ian zu holen. Eigentlich nur ein kurzes Vorhaben, wenn man den von dem ganzen Weg mal absah, den man zurücklegen musste, aber Kalifa war mal wieder an der Ausgabe tätig, also artete alles aus in eine langwierige Konversation. Informationen wurden ausgetauscht und wir brachten uns gegenseitig auf den neuesten Stand. Natürlich wusst mittlerweile jeder über Ian und den Kampf, den wir vor ein paar Tagen mit dem ungebetenen Besuch hatten, bescheid. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich mich aber dann doch zusammenreißen und verabschiedete mich von Kalifa, bevor ich mich auf den Rückweg zu Ians Zimmer begab. Das Tablett auf einer Hand balancierend, trat ich durch die Türen der großen geräumigen Kantine auf den Gang. Das Geschirr klapperte gefährlich und das Wasser in den Gläsern schwappte ungewollt hin und her, als ich mit Schwung um die Kurve schlendere, nur um kurz danach von einem Zwerg aufgehalten zu werden. 

Ich hatte Simon wirklich nicht gesehen und dieses Mal lag es nicht an seiner Größe. Er kam wie aus dem nichts, sodass ich vor Schreck fast das Tablett in hohen Bogen von mir geworfen hätte. Warum musste ich auch ausgerechnet ihm über den Weg laufen?

"Hey, Simon."

Die Begeisterung, mit der ich ihn ansprach hielt sich deutlich in Grenzen. Simon blickte zu mir herauf um zu sehen, wen er gerade fast wie die Titanic versenkt hätte. Als er erkannte wer da vor ihm stand, wechselte sein Blick zu etwas Ernstem. 

"Gut dass ich dich hier treffe Dave, mit dir wollte ich kurz reden."

Klar. Kein Problem. Du hast mich gerade nur fast umgerannt und es ist ja nicht so als ob ich eine Entschuldigung von dir erwarte, aber die hatte ich mir eh nicht erhofft. Also...schieß los!

"Natürlich. Was gibt es denn so wichtiges?"

Er packte mich am Arm und zog weg in Richtung Fahrstuhl, als ob er nicht wollte, dass irgendwer unser Gespräch mitbekommen könnte. Das Tablett wäre dabei fast das zweite Mal flöten gegangen. 

Nach nur ein paar Schritten kam Simon auf den Punkt. 

"Kannst du mir bitte erklären was das von vor drei Tagen sollte?"

Seine Frage überraschte mich und ich musste sie im Gedächtnis ein zweites Mal wiederholen, um zu erraten was er von mir wollte. Vor drei Tagen. Mein nächtlicher Ausflug mit Ian war vor drei Tagen. 

Mist. 

Sag mir nicht er hatte etwa davon Wind bekommen?

"W-Was meinst du?"

Natürlich tat ich auf unschuldig und versuchte mich herauszureden. Das war aber fast unmöglich da ich schlecht im Herausreden, Lügen und Verbergen war. Sowohl mein Stottern in der Stimme als auch mein Gesichtsausdruck der mir bei der Realisierung entgleist war, hatten mich schon ab der ersten an Minute verraten. 

Und Simon war - so sehr ich ihn auch ablehnte - kein Idiot. Er erkannte dass bei meiner Geschichte etwas faul war. 

"Versuch dich nicht rauszureden. Ich weiß genau dass du dich vor drei Tagen zusammen mit Ian rausgeschlichen hast. Aber im Gegensatz zu deinem Vater kannst du mich nicht für dumm verkaufen. Glaubst du wirklich ich würde dir diesen Mist glauben? Ein Erkältung aufgrund eines offenen Fensters? Wir sind hier nicht in einem dieser bescheuerten Anime."

Das fasste so ziemlich alles zusammen und machte es mir unmöglich noch irgendwas dagegen einzuwenden. Leider war nun nicht jeder so leichtgläubig wie mein Vater. 

"Nun ja...," jetzt war es eh schon egal und ich konnte es ihm genauso gut erklären,"Ich hab mit ihm zusammen eine ausgiebige Runde durch die Stadt gedreht. Ihm ein paar Sehenswürdigkeiten gezeigt..."

"Du hast was...?"

Schon jetzt ging mir Simon auf die Nerven und meiner Meinung nach übertrieb er maßlos. Er war so zimperlich. Was konnte denn ein so kleiner Ausflug schon schaden?

"Ist das denn wirklich so schlimm? Er bekommt eh schon fast keine Abwechslung, ist gezwungen den ganzen Tag in einem faden Krankenzimmer zu sitzen und das schon seit Wochen. Ich dachte es würde ihm gut tun ein wenig an die frische Luft zu kommen, deshalb hab ich ihn mitgenommen!"

Simon kämpfte mit seinen Worten. Er schien zu überlegen, was er als Nächstes sagen wolltet.

"Aber hast du nicht ein Mal über irgendwelche Konsequenzen nachgedacht? Was wenn du einen Unfall gebaut hättest? Oder die Wunden dieses ... Argentiniers wieder aufgerissen wären?"

Unterbewusst fiel mir auf, dass er Ian nicht beim Namen nannte, obwohl ich ihm seinen Namen bestimmt schon mal gesagt hatte. Er stellte nur eine erstklassige Zuteilung auf, die er wie einen bitteren Nachgeschmack im Mund ausspuckte. 

"Hast du wirklich so wenig Vertrauen in mich? Denkst du wirklich ich wäre so unvorsichtig? Ich weiß was ich tue! Glaub ich zumindest..."

Seine fehlendes Vertrauen erschütterte mich doch ein wenig. Simon stand vor mir und gab nur einen schweren Seufzer von sich und massierte sich die Stirn. Er sah dabei fast aus wie mein Vater, der hatte die gleiche Angewohnheit. 

"Ich verstehe nur nicht...", sprach er nach einer Ewigkeit,"... weshalb du deine ganze Zeit für ihn opferst? Ich meine du kennst ihn kaum. Die paar Wochen die er hier ist..."

... die reichen vollkommen - wollte ich seinen Satz ergänzen da er ihn auslaufen ließ, aber der Giftzwerg war noch nicht fertig.

"Ich meine du könntest all die Zeit für etwas anderes sinnvolleres nutzten! Stattdessen bemühst du dich seine Zeit totzuschlagen. Du solltest ihn einfach in Ruhe lassen und die Behandlung uns überlassen und dich um deinen Kram kümmern, statt deine Zeit mit ihm zu vergeu..."

Nun war der Punkt gekommen, an dem es zu viel wurde. Simon hatte es hiermit mit seiner Rede übertrieben. Je länger ich ihn anstarrte und je mehr von diesen garstigen Wörtern aus seinem Mund quollen und ich mir diesen Blödsinn mit anhören musste, umso mehr stieg die Wut in mir. Das Echo auf Simons "Rat" kam sofort und ohne großes Nachdenken. Mit einem Ruck blieb ich stehen, wodurch das ganze Geschirr auf meinem Tablett verschoben wurde - ein weiteres Mal. Es klirrte bis ich zum Stillstand kam. 

Simon machte ein Gesicht, als wüsste er nicht, dass er etwas falsch gemacht hatte. Er stockte in seiner Rede - oder besser gesagt - ich unterbrach ihn. 

"Simon. Das reicht."

Ich denke mein Gesicht hatte noch nie einen so finsteren Ausdruck angenommen und ich spürte deutlich wie meine Stirn vor Wut Falten zog. 

"Ich kann auf jeden Fall sagen dass ich mehr über Ian weiß, als du. Außerdem weiß ich ja dass sein sozialer Umgang mit anderen nicht der beste ist. Das heißt aber nicht, dass ich dein Verhalten übernehmen muss. Meiner Meinung nach ist es alles andere als Zeitverschwendung. Im Gegensatz zu dir, Simon, lernen ich neue Dinge und Personen kennen."

Ich bemerkte wie meine Stimme an Lautstärke zunahm und ich die letzten Sätze schon fast schrie.

"Ich kümmere mich nicht um ihn, weil ich Mitleid habe. Ich tue es weil ich es will und weil es mir Spaß macht. Weil diese Person eh schon viel zu viel gelitten hat. Wenn du damit nicht klar kommst, frag am besten meinen Vater ob er dich von Ians Behandlung abzieht. Er tut dir bestimmt den Gefallen. Aber schreib mir nicht vor, was ich zu tun habe..."

Somit war meine Rede beendet und ohne mein Gegenüber auch nur anzusehen oder auf seine Antwort zu warten, drehte ich mich um und stürmte zum Fahrstuhl. Ich hätte es eh keine Minute länger mit ihm ausgehalten. Das Gespräch hatte mich mehr als wütend gemacht. 

Am Aufzug angekommen drücke ich mit voller Wucht auf die Knöpfe. Das aufgebaute Adrenalin musste jetzt alles abgebaut werden. Ich hoffte einfach, dass keiner mit mir einstieg, da dieser sonst Opfer meines Wutausbruches und meiner miesen Launte werden würde.

Die Türen schlossen sich und ich war der einzige in der kleinen, engen Kabine. Schwerfällig lehnte ich mich an die eiserne Wand. Im Kopf ging ich nochmals das eben stattgefundene Gespräch durch. Bei dem Gedanken daran konnte ich aber nur den Kopf schütteln. 

Plötzlich wurde der Aufzug während seiner reibungslosen Fahrt gestoppt und die Türen öffneten auf einer der unteren Stockwerke. 

Na toll. Jetzt würde ich doch nicht mehr so allein sein. Warum konnte dieser verdammte Aufzug auch nicht einfach bis zur meiner Station durchfahren? Ich bereitete mich schon auf das schlimmste vor und wollte den neuen Passagieren schon gar nicht ins Gesicht blicken, sondern sie einfach ignorieren. 

Aber da hatte ich die Rechnung ohne ein gewisse hyperaktive Brillenhexe gemacht. Tessa trat zusammen mit einer weiteren Kollegin in die sperrige Kabine. 

"Oh. Hallo Dave."

Ich warf einen Blick zu ihr hinüber und antwortete mit einem erschöpften aber nachhaltigen "Guten Morgen". Von allen Leuten hatte ich Tessa nicht gewünscht mich anzutreffen. Ich wusste - und sie wusste - dass ich bei schlechter Laune unerträglich sein konnte. 

"Was ist denn mit dir los, dass du schon um diese Uhrzeit so schlecht gelaunt bist?"

"Simon...", murmelte ich nur schwer verständlich, aber das war auch schon genug und die Blondhaarige wusste bescheid. 

"Was hat er denn jetzt wieder gemacht?"

Ich war gerade wirklich nicht gut ausgelegt für einen Plausch. Vor allem nicht mit Tessa. Wenn sie erfahren würde über was ich mit Simon diskutiert hatte, würde sie sich wieder wie eine Mutter aufführen und erst mich und später dann Simon zurechtweisen. Vermutlich würde sie mich sogar zwingen zu Simon zu gehen, mich zu entschuldigen und in Ruhe darüber zu reden.

Mit einem "Nichts." versuchte ich sie deshalb abzuwimmeln.

"Also ich muss schon sagen: Manchmal benehmt ihr euch wie kleine Kinder. Alle beide."

Mir wäre lieber dieses Angelegenheit abzuschließen, also tat ich uninteressiert gegenüber Tessa. Sie verstand. Und wechselte das Thema. 

"Sag mal...Wie soll es denn jetzt eigentlich weitergehen, mit deinem Findelkind?" 

Verwirrt blickte ich sie an. 

"Findelkind?"

"Ich meine Ian, du Dödel..."

Hätte sie doch gleich sagen können.

"Ich weiß noch nicht.... Mal sehen wie seine Verletzungen verheilen und was unser Super-Trio vor dem Rat so ausrichten kann."

Tessa nickte nur. Ihre Kollegin, die mit ihr eingestiegen war, stand ein wenig abseits und lauschte unserem Gespräch. Sie machte den Eindruck als wollte sie unser Privatgespräch nicht stören. Tessa machte aber auch keine Anstalten sie mit einzubinden. 

"Hat er mittlerweile mal gesprochen?"

"Nein. Kein einziges Wort. Aber ich glaube nicht, dass sich das so schnell ändern wird." 

Die Blonde blickte mich fragend an. Ihre Frage war ihr ins Gesicht geschrieben. 

"Nun, ich habe die Befürchtung dass der Grund, dass er nicht spricht, etwas psychisches ist. In seinem Tagebuch hab ich gelesen was ihm zugestoßen ist und er schreibt, dass er seit diesen einen Tag nicht mehr geredet hat. Es war ein sehr traumatisches Erlebnis, musst du wissen." 

"Ich verstehe. Und willst du etwas dagegen tun?" 

Jetzt musste ich selbst überlegen. Ich hatte mir immer Sorgen um seine körperliche Wunden gemacht aber der psychische Schaden, der angerichtete worden war, den hatte ich nie bedacht. Aber wie brachte man jemanden, der seit Jahren nicht geredet hatte, dazu den Mund aufzumachen. Mir wurde gelehrt wie man tiefe Schnittwunden versorgte, Blutungen stoppte oder Herzdruckmassagen durchführte, aber nicht wie man jemanden mit einem Problem im Kopf behandelte. 

Ian war jetzt kein verrückter Irrer, aber das Problem war durchaus seine Psyche. 

"Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Aber fürs Erste werde ich - denk ich mal - nichts tun. Ich möchte ihn nicht dazu zwingen wieder zu reden. Er sollte das ganz von sich aus tun."

Mein Kopf wandte sich zu Tessa. Erst jetzt konnte ich das breite Grinsen sehen, das ihr Gesicht prägte. Irgendwie war es gruselig.

"Was?", hakte ich nach.

Ein fieses Kichern kam aus ihrem Mund. 

"Nichts, nichts.", sagte sie, doch irgendwas sagte mir, dass das nicht stimmte. Bevor ich ihr Verhalten hinterfragen konnte wechselte sie ein weiteres Mal das Thema. 

"Ach ja! Wie war eigentlich dein Ausflug mit Ian? Hat es ihm gefallen?" 

Ihre Frage gab mir Gänsehaut und traf mich wie ein Schlag. 

Bitte. Was? Tessa wusste auch davon. War das denn überhaupt noch ein Geheimnis? 

"Du weißt auch davon?"

"Oh bitte Dave. Da hättest du dir schon eine bessere Ausrede einfallen lassen sollen." 

Der Fahrstuhl kam plötzlich zum Stehen und ich blickte auf das Panel mit den Knöpfen. Das war meine Haltestelle. In diesem Stockwerk musste ich aussteigen. 

Ich stieß mich von der Wand ab, das Tablett fest in der Hand und trat vor die Tür, die sich jeden Moment öffnen würde. 

"Weißt du, dass du deinen Vater auch nicht so leicht veräppeln kannst? Oder glaubst du wirklich, dass er dir das abkaufst?"

Was? Mein Vater auch? Aber...

Ich trat aus dem Aufzug, nachdem sich die zwei stählernen Platten zur Seite geschoben hatten. Ich drehte mich zu Tessa um. 

"Aber warum hat er dann nichts gesagt, wenn er wusste was los war?"

Die Antwort blieb leider aus, da sich die Türen bereits wieder geschlossen hatten und der Fahrstuhl seine Reise fortsetzte. 

Das war schon verwunderlich. Wenn mein Vater von meinen Plänen wusste, wieso hatte er dann nichts gesagt? Sonst würde er mir alles unter die Nase reiben und alles verbieten. Ich war verwirrt. 

Den Kopf schüttelnd setzte ich mich wieder in Bewegung. War Zeit dass Ian sein Frühstück bekam. Vor der Tür nahm ich das Tablett wieder in eine Hand um mir der anderen die Türklinke hinunterzudrücken. Ich trat ein.

"Hey, Ian ich hab dein Frühstück dabei!", sprach ich in den Raum hinein. Ich hatte eh keine Antwort erwartet, aber mir fiel auf wie still es tatsächlich war. Kein Rascheln der Bettdecke, Knarzen des Bettes, Kritzeln eines Stiftes auf Papier oder das unvergleichliche Geräusch einer Buchseite, die umgeblättert wurde. 

Ich drehte mich um und starrte in einen seelenlosen Raum. Das Bett, in dem Ian eigentlich sitzen sollte, war leer. Die Decke am Fuße der Matratze zusammengeknüllt, ein Buch auf dem kleinen Nachtkästchen daneben. Keine Spur von Ian. 

Ich schloss die Augen und öffnete sie kurz darauf wieder, nur um sicherzugehen, dass ich nicht halluzinieren würde. Ein zweites Mal ließ ich meinen Blick durch den Raum streifen. 

Aber ich hatte mich nicht geirrt. Ian war wirklich nicht da. 

Mein zweiter Gedanke war, dass der Argentinier im Bad sein könnte. 

Also stellte ich das Tablett ab und klopfte an die Badezimmertür. 

"Ian?"

Es vergingen Sekunden, doch ich bekam keine Antwort. Es war auch kein Rauschen von Wasser zu hören, dass mir verraten würde, ob Ian gerade duschte. Nur probeweise drückte ich die Türklinke nach unten - nur um festzustellen, dass nicht abgeschlossen war.  

Im Bad sah es nicht anders aus als im Rest des Raumes. Nichts. Keine Spur von Ian. 

Mein Kehle fühlte sich auf einmal staubtrocken an und meine Zunge wirkte wie festgeklebt an meinem Gaumen. 

Wo zum Teufel war Ian? 

Mir schossen tausend Möglichkeiten durch den Kopf. Hatte er den Raum verlassen? Oder wurde er entführt? Wo ist her hingegangen? Und wieso? 

Mich überkam Panik. Das Hauptquartier war groß. Er könnte überall sein. Selbst wenn ich ihn suchen würde, könnte das ewig dauern. 

Ich stürmte zur Tür hinaus, mein Handy aus meiner Kitteltasche gefummelt und nun in der Hand und meine Finger bereits am Wählen von Tessas Nummer. Ich wusste dass die Blonde eigentlich immer ihr Mobiltelefon zu Händen hatte, also versuchte ich bei ihr als Erstes mein Glück. Auf Simon konnte ich gerade pfeifen und meinen Vater wollte ich ehrlich gesagt auch nicht anrufen.

Nachdem ich für fünf Sekunden lang dem nervtötenden Tuten der Warteschleife lauschte, hob Tessa auch schon ab. 

"Dave? Was ist los? Brauchst du noch was von mir?"

Ich stand mittlerweile im Gang vor Ians Krankenzimmer und spähte nach links und nach rechts.

"Tessa, ich hab ein Problem. Ian ist weg."

Stille am anderen Ende der Leitung. 

"Bitte was? Was soll das heißen er ist weg?"

"Du hast mich gehört: er ist weg. Verschwunden. Ich hab keine Ahnung wo er ist. Bitte hilf mir ihn suchen. Er könnte überall sein."

"Das kann ich schon machen, aber wie du schon sagst: er könnte überall sein! Das Hauptquartier ist riesig!" 

"Wir müssen es probieren."

"Ja, gut. Dann sehe ich in den unteren Geschossen nach."

"Danke, dass du mir hilfst Tessa."

"Kein Problem."

Innerhalb von Minuten war das Gespräch beendet und ich machte mich auf die Stockwerke abzusuchen. Mein Gehirn versuchte sämtliche Orte herauszufinden, an denen sich Ian aufhalten könnte. Doch wenn ich so darüber nachdachte konnte er überall sein. Er kannte sich hier immerhin kaum aus. 

Also blieb mir keine andere Wahl als jedes Stockwerk zu durchsuchen. Ich flitzte durch die Gänge, immer auf der Suche nach einem weißen Haarschopf, die Treppe hinauf und in das nächste Stockwerk. Die Leute starrten mich völlig verwirrt an. Einige, die ich als alte Kollegen wiedererkannte, fragte ich, ob sie möglicherweise einen weißhaarigen jungen Mann gesehen hatten. Leider konnte mir niemand Auskunft geben. 

Und dann plötzlich kam mir der Gedanke. Der einzige Platz den ich Ian gezeigt hatte und an dessen Weg der Weißhaarige sich erinnert haben könnte.

Sicher war ich nicht, aber das Risiko war es wert. Es war besser als gar keinen Anhaltspunkt zu haben. Also würde ich dort als erstes nachsehen. 

Über die Treppe ging es hinauf in das nächste Stockwerk. Wie an dem Tag, als wir Ian in sein neues Zimmer verlegt hatten, folgte ich nun dem Weg, den ich mit ihm zur Sonnenterasse gegangen bin. 

Und tatsächlich. Als ich die Doppeltür aufdrückte, die hinaus führte sah ich ihn. Draußen stand Ian am Geländer und starrte auf die weite Stadt hinaus. Der Wind hatte aufgefrischt und ließ die weißen Strähnen des Jüngeren um sein Gesicht tanzen. Den Sonnenaufgang hatte ich leider verpasst. Jetzt zog der glühend rote Feuerball seine Bahn über den Himmel und ließ die Schatten wandern. 

Eine Welle der Erleichterung überkam mich, als ich ihn erblickte. Es fühlte sich an als würde eine schwere Last von meinen Schultern fallen. 

Ich ging in kurzen Schritten zu ihm hinüber und lehnte mich neben ihn an die Eisenstange. 

"Du bist ja gut drauf, sich einfach so aus dem Zimmer zu schleichen."

Ian hatte definitiv nicht damit gerechnet, dass ich direkt neben ihm stehen würde. Er wirbelte herum und ich hätte meinen können er wäre bereit gewesen mir ein dickes Veilchen zu verpassen. Ich war mir sogar ziemlich sicher. Zum Glück bemerkte er, dass nur ich es war, der ihn gerade in seinem ruhigen Moment gestört hatte. 

"Sag das nächste Mal bescheid wenn du nochmal so einen Ausflug machen willst."

Der Argentinier vor mir blickte mich mit großen verwirrten Augen an, ehe er sein Notizbuch hervorkramte und mit kurzen Schwüngen etwas schrieb. 

Hab ich, das stand auf dem Stück Papier geschrieben. 

"Hast du?"

Ian nickte eifrig. Er riss mir das Bündel an Papier wieder aus der Hand. 

Hab einen Zettel hinterlassen. Im Zimmer. 

Einen Zettel? Im Zimmer? Wo denn? Vor lauter Hektik und Panik musste ich ihn wohl übersehen haben. 

"Tut mir leid...", murmelte ich entschuldigend, "den muss ich wohl in aller Eile übersehen haben."

Na toll. Alle Aufregung umsonst. Hätte ich deutlicher hingesehen, wäre uns all der Mist erspart geblieben. Und Tessa war immer noch in den unteren Stockwerken am Suchen.

Ich grub mein Handy aus meinen Taschen hervor und schnell war eine Nachricht an die Blondine getippt, dass ich Ian gefunden hatte und alles in Ordnung war. 

Die Antwort kam kurzerhand und bestätigte mit einem "Okaydokay."

Mir entwich ein schwerer Seufzer und ich deponierte mein elektrisches Gerät wieder in meinem Beutel. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Ian mich immer noch mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck ansah. 

"Okay, lass uns einen Deal machen. Du versprichst mir nicht wegzulaufen und hierzubleiben und ich werde zurück in dein Zimmer gehen und das Frühstück holen. Dann können wir heute hier oben frühstücken."

Die Augen des Weißhaarigen weiteten sich, nur um kurz darauf voller Elan zuzustimmen. 

Also ging ich zurück um das Tablett mit unserem Frühstück zu holen. Auf der Terasse schnappten wir uns einen kleinen, nicht besetzten Tisch und genossen in der frischen Morgensonne unser gestrichenen Brote. Wir plauschten ein wenig, wobei ich das Meiste der Rederei übernahm.

Es war ein gemütlicher Start in den Tag. Bevor alles hektisch werden würde. Ich ich war froh, dass ich diesen Moment mit Ian teilen konnte. 


Damit wäre auch das nächste Kapitel geschafft...

Ich bin wirklich überrascht wie viele von euch auf meine Frage im letzten Kapitel geantwortet haben! Freut mich! 

Ihr könnt mir natürlich auch Fragen stellen, wenn ihr mehr über mich wissen wollt! Zögert nicht!

Simon ist ein  kleines Arschloch, aber das ist schon gut so...

Ich hoffe euch gefällt das Kapitel, auch wenn nicht viel passiert. Ich sollte es erst mal wieder ruhiger angehen, bevor wieder der nächste Höhepunkt kommt. Ich brauche Filler-Kapitel!!! (Aber ich hab fast keine Ideen...)

Ich bin wirklich ein wenig gestresst durch Arbeit, dazu kommt dass ich mich erkältet habe (das macht es nicht besser) ABER ich will dennoch nicht meine Geschichte vernachlässigen. Argggggg!!!!!

Also möchte ich schon mal vorwarnen, dass die zukünftigen Kapitel noch später kommen als eh schon... (Es tut mir so leid!!!!!!)

Es tut mir echt im Herzen weh, da so viele von euch unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht. Aber ich schaff es einfach von der Zeit nicht.

(Ihr seid es bestimmt eh schon leid das von mir zu hören -.-)

Trotzdem viel Spaß bei diesen Kapitel, vielen dank fürs Lesen, Kommentieren, Favorisieren, Hinzufügen, etc...

Und sonst...bis zum nächsten Kapitel!! Adiós!!

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