23. Gefahr erkannt
1. Februar, 2101
Ians Sicht
Mittlerweile war ich so weit genesen, dass ich mich wieder richtig bewegen konnte. Das Laufen fiel mir nicht mehr so schwer, wie in den letzten Tagen und auch der Schmerz der restlichen Wunden hatte soweit abgenommen, sodass ich nicht mehr in meinen Bewegungen eingeschränkt war.
Es schien fast so als würde selbst die Atmosphäre zu meiner Genesung beizutragen. Ich fühlte mich viel wohler und nicht so beengt, wie in meinem vorherigen Zimmer. Wann immer ich konnte sah ich aus dem Fenster und beobachtete die Stadt und ihre Leute. An manchen schönen Tagen konnte man Massen an Menschen herumlaufen sehen, alle hetzten sie durch die Gassen, immer ihren Geschäften nachgehend. Andere schlenderten gemütlich und lässig von Schaufenster zu Schaufenster; alleine, mit Freunden,mit Frau oder Mann, oder mit Kindern.
Wenn die Sonne schien waren die Cafés nur so am überlaufen, man konnte stets Leute beim Ein- und Ausgehen beobachten, wie sie sich durch die Tische quetschten, genervt auf die völlig überforderte Bedienung warteten oder versuchten möglich schnell einen Platz zu bekommen, bevor ihn ein anderer klaute.
Von meinem luftigen Domizil sah ich hinüber auf einen Park. Jede Person ging seinen eigenen Tätigkeiten nach. Die Einen joggten durch das grüne Gelände, die Anderen hatten es sich auf der Rasenfläche zusammen mit Decke und Versorgung gemütlich gemacht. Vor allem ältere Herren oder Damen hatten auf den hölzernen Parkbänken platz genommen und starrten in eine Zeitung oder unterhielten sich mit ihrem Nachbarn. Hundebesitzer nutzten das schöne Wetter für einen Ausgang mit dem Hund, die mit einem Affenzahn über das Parkgelände flitzten.
Bei dem Anblick der glücklichen Hunde, musste ich an Sachmet denken. Daves Vierbeiner war schon länger nicht mehr hier gewesen und irgendwie vermisste ich seine Anwesenheit. Aber Daves Vater hatte seinem Sohn verdeutlicht, dass er den Hund in Zukunft nicht mehr zu dem Kranken mitnehmen durfte. In meinem Kopf setzte sich ein Filmstreifen zusammen, welcher Dave und seinen pelzigen Freund zeigte, die - wie viele andere Hundebesitzer an diesem Tag - einen gemütlichen Spaziergang durch den Park unternahmen. Je länger dieser Film in einer Dauerschleife vor meinem inneren Auge ablief, umso absurder kamen ich mir mit meinen Gedanken vor.
Meinen großartiger Plan, die britische Regierung von meinem Hass gegenüber dem argentinische Militär zu überzeugen, hatte sich innerhalb von einem Tag wieder in Luft aufgelöst. Wie ich so darüber nachdachte, kam es mir um einiges schwieriger vor, als ich es davor angenommen hatte. Was könnte ich tun, dass die Leute hier mir glauben würden? Je mehr ich über diese Gedanken grübelte, umso verzweifelter wurde ich.
Ich suchte lange nach irgendwelchen, wenn auch unscheinbaren, Möglichkeiten. Ich ging die unterschiedlichsten Pläne durch, doch irgendwo gab es einen Punkt, da gab es ein Problem oder mein Vorhaben entwickelte sich zu etwas völlig Unrealistischem. Zum Schluss kam ich zu dem Fazit, dass es schier unmöglich war meinen Plan in die Realität umzusetzen. Und ab diesem Zeitpunkt war mein Elan und die davor dagewesene Begeisterung wie vom Winde verweht.
Doch was sollte ich danach tun, mit meinem verzweifelten Plan, wenn mir die Möglichkeit geboten war, zu tun was ich wollte? Auch wenn ich das für völlig unrealistisch hielt?
Ich kannte hier niemanden. Alles hier war mir völlig fremd. Zurück nach Argentinien? Auf keinen Fall! Aber wie sollte ich das wiederum verhindern? Bald würden sie mir hinterherjagen, mich zurück in ihre Lager schleppen. Einfach so einen wertvollen Soldaten verlieren war bei den Argentiniern nicht mit drin. Sie würden mich suchen, überall, und mithilfe des Chips sogar finden-
Moment mal!
Der Chip!
Panisch setzte ich mich in einer Bewegung auf. Ich realisierte, was ich nicht bedacht hatte.
Der implantierte Chip in meinem Unterarm.
Mit diesem kleinen Navi war es dem argentinischen Militär möglich mich überall aufzuspüren - außer unter der Erde. Sobald der Wirt sich unterirdisch aufhielt, schaltete sich die automatische Weiterleitung der Standortkoordinaten aus. Erst wenn der Körper sich wieder überirdisch befand, war das Abrufen meines Aufenthaltortes möglich.
Weil ich in einem der Untergeschosse untergebracht worden war, sollte sie nicht in der Lage gewesen sein meinen derzeitigen Standort zu wissen. Aber seit mindestens einem Tag war ich wieder an der Oberfläche, also hatten sie meine "Zuflucht" bestimmt schon längs ausfindig gemacht. Sie müssten schon auf den Weg hierher sein, oder im schlimmsten Falle waren sie schon in England.
Wenn ich nicht wollte, dass sie mich finden, musste ich das Ding entfernen. Das stand fest. Ich sah mich um. Suchte nach irgendetwas, mit dem ich selbst die waghalsige Operation durchführen konnte.
Dave war nicht da. Er wollte sich aufgrund einer Absprache mit Tessa treffen und war sie suchen gegangen. Er war seit ca. einer Stunde weg und noch nicht wiedergekommen. Ihn konnte ich nicht fragen. Ich bezweifelte auch, ob er mir ein Skalpell überhaupt in die Hand gegeben hätte.
Also suchte ich auf eigene Faust. Ich schlug die Decke beiseite und rutschte von der Matratze hinunter. Unsicher setzte ich meine Füße auf den Boden auf. Ich war in letzter Zeit öfter herumgelaufen, also hatten sie sich bereits wieder ein wenig an die Nutzung gewöhnt.
Ich setzte zuerst auf den Schreibtisch an, da ich dachte, dass ich dort noch eher etwas mit scharfer Klinge finden würde. Ich riss eine Schublade nach der anderen auf, ohne Erfolg. Mit jedem weiteren Fach kamen mehr und mehr Dokumente, Papiere, Ordner und Stifte zum Vorschein. Und mit jedem weiteren Fach sank meine Hoffnung auf einen erfolgreichen Fund. Doch ein einem kleinen Kästchen fand ich dann eine silberne kleinere Schere mit einer scharf aussehenden Klinge.
Es war nicht das beste Gerät, um meine "Operation" durchzuführen, aber etwas besseres hätte ich wahrscheinlich nicht gefunden. Es würde wehtun. Aber das hätte es mit einem Messer auch getan.
Also nahm ich die Schere, sowie eines der Handtücher aus dem Badezimmer. Ich setzte mich auf den Boden, das Tuch griffbereit und begann mit meinem gewagtes Vorhaben den Chip selbst zu entfernen.
Ich rollte die Ärmel meines Shirts bis zu meinem Ellenbogen nach oben, sodass die Unterseite meines Unterarmes unbedeckt war. Bevor ich den ersten Schnitt setzte, fühlte ich nach dem kleinen Metallplättchen. Als ich dessen genaue Position festgestellt hatte begann ich.
Ich machte mich auf den Schmerz gefasst. Der Schmerz, der kommen würde, sobald ich die dünne Haut meines Unterarmes durchtrennt hatte. Und der kam auch.
Sobald ich die Klinge der Schere ansetzte und Druck ausübte, um in der Lage zu sein durch die Haut zu schneiden, pulsierte ein stechendes Empfinden durch meinen Arm. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und biss mir auf die Lippe. Ich hoffte ich könnte mich ablenken. Sobald der erste Schnitt getan war, fackelte ich nicht lange und zog quere eine Schnittwunde über die dünnere Fettschicht. Das Stechen nahm zu und füllte alle meine Muskeln und Blutbahnen, ehe es zu einem großflächigem Brennen abflaute. Ein kleines Rinnsal an Blut begann von meinen Arm auf das Handtuch hinunterzutropfen. Der flauschige Stoff saugt die blutrote Flüssigkeit gierig auf und begann langsam sich damit zu tränken.
Ich legte mein Gerät kurz beiseite, um nach dem Chip zu greifen. Ich sah nicht hin. Ich konnte es fühlen, ich musste und wollte es nicht sehen. Nachdem ich das Metallplättchen abermals erfühlt hatte schob ich es Richtung Schnittwunde und entfernte es somit endgültig aus meinem Unterarm.
Ich versuchte die Blutung fürs erste mit dem Handtuch zu stoppen, doch das saugte sich nur noch mehr mit der roten Substanz voll.
Ich blickte im Zimmer umher, auf der Suche nach etwas, das ich zu einem primitiven Verband umgestalten könnte. Schließlich fand ich ein schwarzes Tuch, das aber nicht aus der gleichen Materie bestand wie das Handtuch, welches ich mir um die Verletzung band.
Den Chip zerstörte ich. Ich rammte die Spitze der kleinen Schere einmal mit Schwung direkt in die Mitte hinein, in der Hoffnung das dadurch die Datenübertragung beendet sein würde.
Folgend hatte ich mir in den Kopf gesetzt Dave zu finden. Wenn der Chip seit mindestens einem Tag aktiviert war, konnte ich sicher sein, dass die Leute vom argentinischen Militär jemanden schicken würden um mich zu holen. Wenn ich Dave davon erzählen würde, könnte vielleicht noch verhindert werden, dass die Argentinier britischen Boden betraten und vielleicht sogar bis nach London vordringen konnten.
So gesehen war das für ihn und sein Land und für mich ein Vorteil.
Also war es für mich beschlossene Sache den braunen Struppelpeter aufzusuchen. Zusammen mit meinem Notizheft machte ich mich auf den Weg. Zumindest bis an der Tür war. Dann fiel mir ein, dass ich höchst wahrscheinlich nicht durch diese Tür hier kommen würde, da diese abgeschlossen sein würde. Und allein bei dem Gedanken durch das Fenster zu steigen drehte es mir den Magen um.
Nur zum Test drückte ich die Türklinke hinunter und zog an ihr. Zu meiner Überraschung ließ sie sich ohne Probleme öffnen. Dave hatte anscheinend nicht abgeschlossen, was mir aber nur zu gute kommen sollte.
Langsam öffnete ich die Türe und spähte durch einen kleineren Spalt nach draußen.
Nach Links.
Nach Rechts.
Kein Mensch war zu sehen. Es waren kaum Stimmen zu hören. Nur schwache hallende Schritte zeugten davon, dass um diese Uhrzeit schon Leute unterwegs waren.
Die Luft war rein.
Ich schob mich endgültig vor die Tür und aus dem Zimmer heraus. Das würde das erste Mal sein, dass ich mich auf eigene Weise durch das Hauptquartier bewegen würde.
Zu meiner Linken führte der Gang noch weiter bevor er eine Abzweigung machte. Eine Reihe von Türrahmen säumten beide Seiten des Flures.
Zu meiner Rechten erstreckte sich ein ähnliches Konstrukt, nur dass das Ende zu sehen war: der Fahrstuhl und zwei Treppen, eine nach oben führend, eine nach unten. Ich schloss die Tür hinter mir.
Fest umklammerte ich mein Büchlein, atmete einmal tief durch, ehe ich mich zu den Treppen bewegte.
Mir war schon ein wenig unbehaglich dabei in einer fremden Basis herumzulaufen, wobei man eigentlich als Staatsfeind Nummer 1 galt. Ich musste wirklich höllisch aufpassen, dass ich keinen Sicherheitsmännern über den Weg laufen würde. Sonst würde sich mein Ausflug in die Freiheit schneller erledigt, als ich hätte träumen können.
Immer an der Wand entlang bewegte ich mich vorwärts bis ich die Treppen erreicht hatte.
Nun galt die Frage: Nach oben oder nach unten?
Ich hatte nicht einmal einen Anhaltspunkt wo sich Dave aufhalten könnte. Ich kannte die gesamte Struktur des Gebäudes nicht, wusste nur wo sich mein altes und neues Zimmer befanden und die Aussichtsplattform im nächsten Stock.
Es war wortwörtlich die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Er könnte überall sein! Da wäre es schlauer im Zimmer auf ihn warten. Aber bis dahin könnte es schon zu spät sein. Außerdem reizte mich der Gedanke, genauso wie er mir Angst einjagte, das HQ auf eigene Faust zu erkunden.
Also legte ich mir einen Plan zurecht. Ich würde oben anfangen und dann jedes Stockwerk nach unten abarbeiten - bis ich ihn gefunden hatte.
Da ich es für sicherer hielt die Treppen zu benutzen statt den Aufzug begann ich damit die ersten Stufen hinaufzusteigen. Immer wieder musste ich ausharren oder mich hinter Türrahmen oder in Nischen verkriechen, da ich Stimmen hörte, die mir entgegen kamen oder sich in der Nähe befanden.
Ich befand mich bereits im vierten nächsten Stockwerk und es war immer noch keine Spur von Dave zu sehen. Das Problem war, dass immer mehr Leute die Gänge füllten. Immer häufiger musste ich mich zurückziehen und abwarten.
Plötzlich erklang aus dem Nichts der spitzte Schrei einer Sirene. Ich zuckte zusammen, vollkommen überrumpelt von der plötzlichen Geräuschkulisse. Das ohrenbetäubende Heulen erfüllte sogleich alle Gänge und jedes Stockwerk und hallte von den Wänden wieder.
Attention, attention. An intruder was sighted. I repeat: an intruder was sighted.
Die Nachricht wiederholte sich in kurzen Abständen, immer wieder.
Ich wurde panisch. Hatte man mich bemerkt? War man mir auf die Schliche gekommen? Ein Alarm bedeutete nie etwas gutes.
Oder...
Bei dem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.
Die Argentinier, die bereits hier waren? Wenn das der Fall wäre, hätte ich ein ernstes Problem.
Ich musste handeln. Ich musste etwas unternehmen. Wenn ich Dave jetzt noch schnell genug finden würde, wäre ich vielleicht noch in Sicherheit.
Und so begann ich zu laufen. Den Gang zurück, die Treppe hinunter. Dem Strom der Menschen entgegen. Alles war in Aufruhr. Man drängte durch die Flure, die Treppen hinunter, Richtung Ausgang. Alles schubste und drängelte. Ich versank in der Menge, wurde von ihr verschluckt. Ich wurde in alle Richtungen geworfen, dennoch schob ich mich weiter.
Dann plötzlich erblickte ich ihn. Er stand am Rande des Ganges, außer Reichweite des mitreißenden Menschenflusses. Durch seine Löwenmähne und Größe stach er aus der Menge hervor. Ich begann schon damit mich durch die Menge zu kämpfen, um zu ihm zu kommen, jedoch hatte auch er mich erkannt und kam mir mit meinem Vorhaben zuvor. Er ging mit schnellen Schritten auf mich zu, packte mich am Arm und zog mich in einen kleinen Nebengang, der von den reißenden Massen verschont worden war.
Er begann auf mich einzureden, doch ich bekam nicht mit, was er sagte. Ich war viel zu konzentriert ihm im den Notizbuch eine Nachricht zu verfassen. Hektisch schrieb ich ihm meine Mitteilung und hob sie ihm ins Gesicht.
Die Augenbrauen vor Konzentration zusammengezogen begann er mein Niedergeschriebenes zu lesen. Als er fertig war blickte er mich ein wenig ungläubig aber auch erschrocken an.
"Die Argentinier, die gekommen sind um dich zurück zu bringen, sind diejenigen, die den Alarm ausgelöst haben?"
Ich nickte eifrig. Er schien es verstanden zu haben. Sein Gesichtsausdruck aber zeugte von Unglaube.
"Aber...bist du dir da sicher? Was wenn das nicht die Argentinier sind? Und außerdem...wie sollten sie dich finden?"
Ich bemerktet, was ich vergessen hatte zu erklären und packte sofort mein Buch wieder, um die Antwort zu geben, die alles begründen würde.
Chip
Der Braunhaarige starrte ungläubig auf das eine Wort, das ihm als Erklärung für alles dargelegt worden war.
"Ein Chip? Mit dem haben sie dich gefunden? Aber wo..."
Er stockte und schien erst jetzt zu bemerken, dass einer meiner Arme mit einem primitiv improvisierten Verband umwickelt war. Daves Hand schloss sich plötzlich um meinen Arm und zog ihn nach vorne, um ihn begutachten zu können. Er schien begriffen zu haben, wo der Chip platziert gewesen war.
"Du hast ihn selbst entfernt?", schrie er ein wenig aufgebracht. Er murmelte ein paar Sätze in Englisch, von denen ich ausgehen konnte, dass es Flüche waren. Ich war ein wenig geschockt über seine Reaktion, doch ich fasste mich schnell wieder und lenkte dabei auf das eigentliche Problem. Auf einer weiteren Seite in meinem Notizbuch erläuterte ich ihm die Sache mit dem Chip. Dass er seit ca. einem Tag aktiviert warm und die Argentinier somit in der Lage waren meinen Standort abzulesen.
Dave machte ein nachdenkliches Gesicht, als er meine Nachricht durchlas. Dann schloss er das Buch und gab es mir zurück ehe er mir antwortete.
"Nun...dann sollten wir wenigstens den Sicherheitsleuten bescheid sagen...", sagte er noch während er sich umdrehte und damit beginnen wollte den Gang zu durchqueren. Ich blieb erst wie angewurzelt stehen, unsicher was ich tun sollte, ob ich ihm folgen sollte. Dann wandte er sich aber zu mir um, als er wahrnahm, dass nicht hinter ihm war.
"Kommst du?", fragte er mit einer Selbstverständlichkeit.
Ich legte die kurze Distanz zwischen uns in minimaler Zeit zurück, während Dave bereits wieder ein flottes Tempo aufgelegt hatte. Als ich ihm einen Blick zuwarf bemerkte ich, dass er tief in Gedanken versunken war. Dennoch fanden wir ohne Zwischenfall aus dem Gebäude hinaus.
Ich hatte währenddessen in den Wachsamkeitsmodus gewechselt. Ich war darauf vorbereitet hinter jeder Abzweigung, hinter jeder Ecke einen argentinischen Soldaten vorzufinden. Es war gleichzeitig ein bedrängendes Gefühl. Als ob überall unsichtbare Augen wären, die dich beobachten würden und jeden deiner Schritte verfolgten.
Wir bewegten uns auf eine größere Grünfläche zu. Was mich wunderte, dass diese mindestens im 8. Stockwerk lag, wenn ich die Höhe schätzten würde. Sie lag inmitten der vier hohen Gebäudekomplexe, die alle zum Hauptquartier gehörten. Eine hohe Kuppel aus riesigen Glasquadern thronte über dem kleinen Biotop. In der Mitte war eine kleine achteckige Bank platziert, während rundherum die Blumen in frühsommerlichen Temperaturen trieben und sprießten und die Bäume in schönster Blüte standen. Und das obwohl draußen auf den Straßen eine Temperatur von 2 Grad herrschte und der Schnee noch nicht mal begonnen hatte zu tauen. Was Technik nicht alles möglich machte.
Ich war so fasziniert von diesem Wunderwerk der Neuzeit, dass ich unaufmerksam wurde. Ich bemerkte nicht die Person, die sich hinter mir in die Kuppel schlich und nahm erst von ihr Notiz als sie sich mit schallender Stimme erkennbar machte.
"Hier sind sie also Kommandant. Ich hatte sie schon überall verzweifelt gesucht...Ich war schon besorgt, da ich von ihnen kein Signal mehr wahrnehmen konnte."
Völlig überrumpelt drehte ich mich um. Dort stand er.
In der typisch für Argentinien grünen Militärtracht, eine feste Jacke aus gefärbten dickem Stoff, eine schwarze Hose und dunkelbraune Stiefel. Persönlich kannte ich ihn nicht. Bestimmt hatte ich ihn schon einmal gesehen, doch wenn ich den Namen nicht kannte, war es um einiges schwieriger sich Person und Gesicht zu merken.
Er hatte dunkelbraunes krauses Haar, spitze Augen und schmal zulaufende Lippen. Ein hämisches Grinsen machte sich dort breit, scharfe Zähne blitzten auf, und ließen ihn heimtückisch und weniger vertrauenswürdig erscheinen.
Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu. Von Dave schien er sich nicht stören zu lassen, obwohl dieser nur einige Meter hinter mir stand. Er war anscheinend keine potenzielle Gefahr für ihn. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war wie gelähmt und konnte keinen Fuß bewegen. Meine Beine wollten mir nicht gehorchen, nicht so, wie ich es eigentlich wollte. Ich blickte nur meinem Mitfahrdienst zurück nach Argentinien in die Augen, wie er gefährlich näher schritt.
"Ein Glück, dass ich sie durch Zufall gefunden habe."
Glück?
"Nun...wenn es ihnen nichts ausmacht, würde ich vorschlagen wir treten die Heimreise an."
Mit diesem Satz drehte er sich um und begann Richtung Ausgang des kleinen Biotopes zu laufen. Für ihn war es wahrscheinlich selbstverständlich, dass ich ihn folgen würde. Doch ich zögerte.
Der davor dagewesene Mut sich gegen das eigene Militär zu stellen, war mit der auftauchenden Präsenz des Anderen plötzlich weg. Ich konnte mich nicht überwinden "Nein" zu sagen. Ich konnte mich nicht überwinden mein Vorhaben in die Realität umzusetzen. Ich hatte den Drang mitzugehen. Weil es Gewohnheit war. Weil ich es gewohnt war mich zu unterwerfen und Befehlen zu folgen.
Der Soldat aus Argentinien hatte es nicht wie einen Befehl formuliert, aber er sprach für die Befehlshaber und Generäle, die das Militär steuerten. Zurückkommen und nicht widersprechen. Gehorchen und keine Fragen stellen.
Reflexe überrannten mich und ich setzte einen Schritt nach vorne.
Noch einen.
Ich begann langsam meinem mir unbekannte Kameraden zu folgen. Dieser war stehen geblieben, um zu sehen, wieso ich ihm nicht hinterher ging. Jetzt da er sah, dass ich aufholen würde, setzte er ungehindert seinen Weg fort. Ich war aufgebracht und verwirrt über meine eigene Tat. In mir tobte ein Sturm aus Pro und Contras, Zweifel und Hoffnung.
Ich sah den Ausgang näher kommen und hoffte immer mehr auf ein Wunder. Ein Wunder, dass alles umkrempeln würde.
"Warte Ian!"
Das war mein Wunder. Das war das nötige Etwas, das mich aus meinen Gedankenpalast riss und die Realität zu mir zurück kommen ließ.
Ich drehte mich um zum Ursprung der Stimme. Hinter mir stand Dave. Immer noch. Er war nicht gegangen, er hatte ausgeharrt und sich im Hintergrund gehalten. Mit ernster Miene stand er da und war selbst ein wenig über sein Tun verwundert. Deshalb dauerte es ein wenig, bis er die richtigen Worte fand, um weiterzureden.
"Du solltest nicht gehen."
Er stockte wieder.
"Nicht, wenn du es nicht möchtest."
Ich hätte nicht gedacht, dass Dave mich so oft in kurzer Zeit verblüffen konnte. Seine Antwort war nicht einfach aus der Luft gegriffen. Er wusste es. Woher auch immer. Er wusste es. Aber woher? War ich wirklich so offensichtlich gewesen? Aber womit? Was hatte ich getan, um ihm den entscheidenden Hinweis zu geben?
Die Antwort würde sogleich kommen. Er zögerte erst aber dann zog er etwas aus seiner Kitteltasche. Ein Buch in Leder gebunden. Nicht nur ein Buch. Mein Tagebuch.
Wie. Zum. Teufel. Kommt. Er. An. Mein. Tagebuch!?!
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mein Tagebuch überhaupt nicht vermisst hatte. Mir war völlig entgangen, dass ich es nicht bei mir gehabt hatte. Stattdessen war es in die Finger dieses Idioten gefallen. Sag nicht er hatte es auch noch gelesen!
Wie als hätte er meine Gedanken gelesen kam darauffolgend:
"Tut mir leid Ian, ich hab dein Tagebuch gelesen... Was man dir dort angetan hat war unakzeptabel, unmenschlich und abartig und dennoch willst du ihre Befehle befolgen? Ian, ich halte dich für einiges schlauer, als dass du das so einfach hinnimmst."
Oh nein. Bitte nicht das. Alles aber nicht das.
"Außerdem...du warst es höchstpersönlich, der den Chip entfernte hatte, der deinen Leuten deine Standortkoordinaten verraten sollte. Wenn du wirklich zurück wolltest, hättest du auch keinem Menschen von dem Chip erzählt. Stattdessen suchst du mich auf - und das nur aufgrund des Chip-"
Bevor er weiterreden konnte rauschte ein Schatten an mir vorbei, mit einer Geschwindigkeit, die einen Zugwind erzeugten. Es war der Soldat, der nun wutentbrannt auf Dave hinhielt.
"Wie kannst du es wagen", brüllte er aufgebracht, "den Kommandanten so etwas zu unterstellen! Als ob er solch eine Tat begehen würde! Als ob er solche Gedanken hätte! Er war dem Militär schon immer treu und wird es auch immer sein! Ich werd' dir schon zeigen wo dein Platz ist, Brite!!"
Die letzten Worte spucke er schon förmlich, sein Gesicht war eine Mischung aus Wut und dem Gefühl der Überlegenheit. Während er Dave immer näher kam, zog er aus seinem Gürtel ein kleineres Messer. Ich sah es im schwachen Licht der Sonne aufblitzen. Die scharfe undankbare Klinge. Er hielt es auf Dave, gewiss gewillt ihn zu töten.
Mein Körper bewegte sich dieses Mal ohne zu fragen. Ohne Befehle anzunehmen.
Der Argentinier war kurz davor mit seiner gezogene Waffe auf Dave einzuschlagen. Im letzten Moment konnte ich die heruntersausende Klinge davon abhalten den Körper des Älteren zu durchbohren. Meine Hände packten die des Angreifers und hielten die Messerspitze auf Abstand von meinem Gesicht weg.
Der gegenüberstehende Soldat war sichtlich überrascht und völlig überrumpelt von meiner Aktion. Das hatte er nicht erwartet.
"Was zum...Kommandant?!?"
Ich nutzte seine Unaufmerksamkeit schamlos aus. Zwar war mein Körper gerade nicht wirklich im Zustand für einen guten Kampf, aber ich ignorierte die brennenden Schreie meiner untrainierten Muskeln und Knochen. Mit drei kurzen Schlägen hatte ich ihm das Messer aus der Hand genommen und Ihn durch mit einem kräftigen Tritt in die Magengrube ein paar Meter nach hinten befördert.
Ich nahm die Grundhaltung ein. Leicht in die Knie, den linken Fuß nach vorne, die Hände defensiv vor meinem Körper positioniert, in der einen das Messer.
Nun war ich entschlossen.
Ich hatte erkannt, was ich wollte. Und ich hatte erkannt, dass dies meine Chance war. Meine Chance mich zu beweisen. Meine Chance dem argentinischen Militär zu entfliehen. Mein entscheidender Kampf.
Während sich mein Kontrahent wieder aufrappelte, war Dave an den Rand des kleinen Gartens getreten. Auf der grünen Rasenfläche befanden sich nur noch ich und mein Gegner.
In meiner Haltung stand ich ihm gegenüber.
Das war meine Kriegserklärung. Ich eröffnete meinem Militär offiziell den Krieg
Soooo....
Wird ja jetzt endlich mal Zeit, dass das nächste Kapitel kommt!
Tut mir wirklich Leid, dass es (mal wieder) zu lange gedauert hat, aber jetzt sind alle Prüfungen geschrieben und die wichtigsten Noten gemacht und ich werde seeehr viel Freizeit haben, die ich auf alle Fälle fürs Schreiben nutzen werden.
Ansonsten Lest, Schreibt, Kommentiert oder Favorisiert so viel ihr wollt. Ich hoffe euch hat's gefallen und dann . . . bis zum nächsten Kapitel <3
(Außerdem vielen Dank an alle, die mich fleißig unterstützten, meine Geschichte zu ihren Leselisten hinzufügen und mir ihre tollen Kommentare hinterlassen. Ihr seid wirklich tolle Leser!!!
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