22. Verlagerung
30. Januar, 2101
Ians Sicht
Heute morgen fühlte ich mich so gut wie schon lange nicht mehr.
Am gestrigen Tag war ich nach unserer morgendlicher Spielpartien von Wer-ist-es so fertig gewesen, dass ich tatsächlich eingeschlafen war. Bis ich es mir versah waren meine Augenlider so schwer gewesen, dass ich sie kaum offen halten konnte und mein Körper so träge und bewegungsunfähig wurde, als hätte ich das Gefühl, ich würde im Sitzen einschlafen.
Ich hatte mich unter die Decke verkrochen und war in wenigen Sekunden weggedriftet in einen geruhsamen Schlaf. Oder zumindest befand ich mich in einem Zustand, der dem Schlafen nahe kommen konnte.
Auf jeden Fall bekam ich kein Bisschen mehr mit, was sich nach meinem Einnicken abspielte. Ich war vollkommen weg. Normalerweise hatte ich einen leichten Schlaf und wurde aufgrund jeder Kleinigkeit wach. Es war mit den Jahren zu einem Reflex geworden, eine Absicherung.
Manchmal war es ein Test: mitten in der Nacht aufwachend, stand über dir ein Offizier, der dir eine rasiermesserscharfe Klinge an den Hals hielt, um dir die Kehle durchzuschneiden. Wer nicht bestand...nun ja, hatte Pech gehabt. Das Prozedere danach kannte man schon. Tod, Celda oder Demütigung.
Wobei Demütigung noch das harmloseste war.
Doch diesmal war es anders. Ich schlief durchgehen bis zum Nachmittag. Ein neuer Rekord, denke ich.
Dave war irgendwann später wiedergekommen. Meine innere Uhr sagte so gegen 17 Uhr Als ich aufwachte saß er wie gewohnt in seinem gemütlichen Stuhl und war am Arbeiten. Tessa hatte anscheinend bereits ihre Schicht beendet und der Braunhaarige war zur Ablöse gekommen. War mein Schlaf wirklich so tief gewesen, dass ich davon nichts mitbekommen hatte?
Ich versuchte mich einmal zu strecken und den letzten Schlaf aus meinen Knochen zu schütteln. Bereits nach der ersten Bewegung sah ich ein, dass ich bei meinem linken Fuß nicht weit kommen würde. Es war immer noch ein kleiner stechender Schmerz zu vernehmen und ich wollte mein Glück nicht herausfordern. Die Schusswunde sah gerade so aus, als ob sie gut verheilen würde. Also beschränkte ich mich auf meine Arme und den Teil meines Körpers, bei dem ich mir sicher war, dass ich ihn ohne Probleme bewegen konnte.
Doch irgendwie schmerzte jeder Muskel, jedes Glied meines Körpers - wenn auch nur ein wenig. Ich schien angespannt bis in die kleinste Faser meiner Nerven zu sein. Ich lag einfach schon viel zu lange in diesem verdammten Krankenbett. Aber wo konnte ich auch hingehen? Mein Bein war immer noch so gut wie nutzlos. So schnell wie ich aus dem Hauptquartier gehumpelt wäre, hätten die Sicherheitskräfte mich schon längst wieder eingefangen.
Mein Rücken gab ein knacksendes aber erlösendes Geräusch von sich, als ich ihn einmal nach hinten durchbog. Aber vorsichtig. Ich konnte mich noch an meine Wunde an der Schulter und die demolierten Rippen entsinnen. Ich übte leichten Druck auf die betroffenen Stellen aus, um zu testen, ob sie belastbar waren. Es war okay. Im Gegensatz zu meinem Knie um einiges besser. Die Ärzte schienen wirklich gute Arbeit geleistet zu haben. In wenigen Wochen sollten nur noch Narben zu sehen sein.
Ich streckte meine Arme weit nach oben. Alles schien sich zusammenzuziehen nur um sich im nächsten Moment entspannt wieder zu lösen zu können.
Dave hatte nun bemerkt, dass ich wach war und drehte sich mit freudigem Grinsen und einem "Gut geschlafen?" zu mir um.
Immer noch ein wenig verschlafen, nickte ich nur abwesend.
Dave drehte sich wieder seiner Arbeit zu, hörte jedoch nicht auf zu reden.
"Du scheinst 'nen ruhigen Schlaf gehabt zu haben. Du warst fast nicht wachzukriegen. Ist ehrlich gesagt das erste Mal, dass ich dich so richtig schlafen gesehen habe."
Ich blicke ihn nur emotionslos an. Ich war einfach noch zu müde, um wirklich etwas wahrzunehmen. Oder um mit richtiger Mimik und Gestik zu antworten.
Er blickte sich nicht mal zu mir um, als ich ihm keine Antwort gab. Daran hatte er sich anscheinend schon gewöhnt.
Ich beschloss einfach ein wenig vor mich hin zu dösen, da ich zum Lesen gerade nicht den Elan hatte.
Irgendwann viel später drehte der Braunhaarige die Kappe seines Kugelschreibers zu, schob seine gesamten Unterlagen zusammen und beförderte sie ans andere Ende des Schreibtisches, um demonstrativ auszudrücken: Ich habe keine Lust mehr.
Er schnappte sich seine mitgebrachte Schachtel und wirbelte in seinem Drehstuhl herum. Ich blickte ihn mit einem leicht erschrockenen Blick an, denn ich hatte diese Reaktion nicht erwartet.
"Lust auf ein neues Spiel?", fragte er herausfordernd, während er die Box verführerisch vor seinem Gesicht kreisen ließ. Da ich eh nicht wusste, was ich stattdessen anstellen sollte, räumte ich mein Bett um Platz darauf zu machen.
Dave schien meine Art der Zustimmung wahrgenommen zu haben und machte sich daran, den Inhalt der Schachtel systematisch auf meiner Matratze zu verteilen.
"Wir spielen Cluedo. Kennst du das Spiel?"
Ich dachte kurz nach, für den Fall, dass ich das Spiel kennen würde, oder den Namen zumindest schon mal irgendwo gehört hätte. Mit Bedauern musste ich jedoch den Kopf schütteln. Er grinste mich an und ich meinte eine Spur von Überlegenheit vernehmen zu können.
"Sehr gut."
Er erledigte die letzten Handgriffe auf dem Spielbrett ehe er zu erklären begann.
"Also..."
[...später...]
Dave hatte sich wirklich alle Mühe gegeben mit "Cluedo" einigermaßen verständlich zu erklären. Ich denke auch, dass ich es einigermaßen verstanden hatte. Manchmal musste ich den Spielverlauf unterbrechen, weil ich etwas nicht verstand und ein paar mal war es für ihn nicht leicht gewesen die Spanischen Wörter zu finden, aber das Prinzip des Spieles hatte ich begriffen:
Ein Mord war geschehen und die Spieler müssen ihn aufklären.
Man musste richtig kombinieren können und Beweise und Indizien richtig zusammensetzten und verbinden, sodass zuletzt ein allgemeines Bild entstand und der Täter entlarvt werden konnte. Eine ganz logische Sache also.
Dave schien bereits einige Erfahrungen mit dem Spiel gemacht zu haben und war definitiv kein Anfänger. Er wusste genau, was er tun musste und es war ein wenig schwer mit ihm mitzuhalten. Doch für einen Neuling auf diesem Gebiet - fand ich - hatte ich mich gut geschlagen.
Wir spielten mehrere Runden bis spät in die Nacht hinein, genau so wie das letzte mal. Es war eine tolle Abwechslung zum sonst so tristen und faden alltäglichen Nichtstun. Wir schafften es schließlich unsere letzte Partie um ca 4 Uhr morgens zu beenden.
Natürlich nicht freiwillig.
Wie so viele Male zuvor wurden wir von einem ungebetenen Besucher unterbrochen, der mit einem Höllenlärm die Tür aufriss und das Zimmer betrat. Dave war vor Schreck aufgesprungen, bereit jedmöglichen Gegenstand in die Hand zu nehmen und ihn dem Eindringling ins Gesicht zu werfen.
Er erkannte zum Glück noch früh genug, dass es Tessa war, die da im Türrahmen stand. Bei ihrem Anblick ließ er seinen Arm wieder sinken, der gerade nach der Cluedo-Schachtel greifen wollte. Kurz stand er noch angespannt da, ehe er sich wieder in seinen Stuhl fallen ließ, der neben dem Bett stand.
Er wollt gerade den Mund aufmachen und sich beschweren, doch Tessa - die Fröhlichkeit in Person egal zu welcher Zeit - kam ihm da zuvor.
"I...", schrie sie, ehe sie eine gewollte Kunstpause einlegte und danach fortfuhr, "have great news!!!"
Als sie sprach, versuchte ich erste Wörter herauszuhören, die ich vielleicht schon verstehen würde. Den Kontext verstand ich trotzdem nicht. Hilfesuchend sah ich zu Dave hinüber, in der Hoffnung, er würde mir die Neuigkeit übersetzten.
Sie ließ mir keine Zeit nachzufragen, sondern schloss die Tür mit derselben Lautstärke, mit der sie sie geöffnet hatte und marschierte bis zum Fußende des Bettes. Dort stemmte sie, wie so oft, ihre Hände in die Hüfte und wartete auf unsere Reaktionen.
Wartend starrte sie uns abwechselnd an, den Blick zwischen mir und Dave hin und herschweifend. Ich blickte immer noch zu Dave, um um eine Übersetzung bittend.
Nach einer kurzen peinlichen Stille und langem Anstarren machte Dave den ersten Schritt und antwortete langsam.
"Aaaand...what are these great news?"
Sie machte kurz ein Gesicht, als hätte sie bereits wieder vergessen, was sie sagen wollte, ehe sie sich doch noch dazu überwindete uns - oder eher Dave - von den Ach-so-tollen-Nachrichten Bericht zu erstatten.
Als die blonde Frau wieder zum Reden begann, schaltete ich ab. Bei der Geschwindigkeit und mit dem Akzent, mit dem sie redete, verstand ich eh kein Wort.
Dave schien positiv überrascht zu sein, denn seine Miene hellte sich auf und er machte großen Augen. Er fragte nach einzelnen Details, jedoch wieder in seinem Kauderwelsch, das ich nicht verstand.
Nun war es an mir zwischen den Zweien hin und her zu schauen, in der Hoffnung irgendwer würde mir die Situation erklären. Dave war schon zur Hälfte aufgestanden und wollte den Stuhl zurückschieben, da ergriff ich die Chance.
Ich packte ihm beim Ärmel und blickte ihn an. Als er merkte, dass ihn etwas vom endgültigen Aufstehen zurückhielt, drehte er sich zu mir um. Er starrte nur kurz in mein fragendes Gesicht und schien kurz zu überlegen, was ich von ihm wollte. Dann hatte er anscheinend geschnallt, dass alles, was ich wollte, eine einfachen primitive Übersetzung war.
"Tessa sagte man werde dich in eines der oberen Krankenzimmer verlegen, da diese hier unten nur für Notfälle gebraucht werden."
Ich starrte ihn nur an, ließ die Nachricht durchsickern.
Das würde dann heißen...ich würde endlich aus diesem faden Zimmer kommen.
Endlich mal an die frische Luft.
Mehr als diese vier grauen Wände sehen, dessen Dunkelheit und künstliches Licht mich viel zu sehr an die Celda erinnerten. Das war die erste gute Nachricht seit Tagen, auf die ich mich freuen konnte.
Dave sah, dass ich diese Idee alles andere als blöd fand und drückte sofort nach.
"Tessa sagte auch, dass wir sofort gehen könnten. Sie weiß in welchem Zimmer du untergebracht wirst."
Ich würde jetzt hier rauskommen? Jetzt sofort?
"Willst du?"
Auf eine antwortgebende Reaktion musste er nicht warten, denn er konnte meine Zustimmung aus meinen Augen ablesen.
"Kannst du mit deinem Bein laufen?"
Ich schätzte kurz Situation und den möglichen Grad des Schmerzes ab, der mich beim Aufsetzen meines Fußes erwarten würde, bevor ich langsam und zögerlich den Kopf schüttelte.
Daraufhin drehte sich Dave zurück zu der blonden Frau und wechselte ein paar Worte mit ihr. Diese Salutierte schauspielerisch und stürmte danach wieder zur Tür hinaus. Dann drehte er sich wieder zu mir um und verkündete freudig:
"Dann pack dein Zeug zusammen, wir ziehen um!"
Also tat ich wie befohlen und sammelte meine wenigen Sachen zusammen, die ich als meinen "Eigentum" bezeichnen konnte.
Der Notizblock mitsamt Stift und das Lexikon. Wobei das ja nur ausgeliehen war.
Dave war auch gerade dabei seine Sachen in seine Tasche einzuordnen. Einordnen war das falsche Wort . Chaotisch hineinwerfen, ohne auf irgendwelche vielleicht wichtige Dokumente zu achten, würde es schon eher treffen.
Kurz darauf kam auch Tessa wieder durch die Tür hinein. Vor sich schob sie einen Rollstuhl. Nur, dass es eine moderne hightech Version war.
In das Gerät schaffte ich es glücklicherweise noch ohne Hilfe die Hilfe der anderen zwei anzufordern. Vom Bett rutschte ich einfach in die Polster des Rollstuhles hinein, mein Hab und Gut in meinen Armen.
Kaum saß ich einigermaßen bequem, wurde ich auch schon vorwärts befördert. Dave hatte sich seine Tasche umgeworfen und die Henkel des Rollstuhles gepackt, womit er mich nun Richtung Türe beförderte. Tessa war vorgegangen und hatte schon einmal die Türe entsperrt und hielt sie offen, sodass Dave mit mir ungehindert passieren konnten.
Auch wenn es nur eine Türschwelle war, die ich übertrat , man konnte meinen dass sich Geruch und Atmosphäre von einem Raum auf den Gang änderten. Ein leichter alkoholischer Duft lag in der Luft und, im Gegensatz zu meiner Einzelzelle namens Notfallzimmer, hallten vereinzelt Geräusch durch den schmalen Korridor.
Erst jetzt viel mir auf, wie sehr ich abgeschirmt war. Wie ruhig es davor gewesen war. Dass alles, das ich davor gehört hatte waren meine eigenen Gedanken, mein eigener Herzschlag, Daves Kugelschreiberklicken und das Quietschen seines Stuhles.
Die sich schließende Tür war das Letzte das ich wahrnahm, bevor wir unseren langen Weg durch den gut beleuchteten Gang fortsetzten. Die Farbe der Wände hier unten waren eine Mischung aus Grau und Hellblau. In einem gleichmäßigen Abstand waren Lampen an der Decke angebracht, die klares Licht absonderten und die Umgebung in matte Farbe tauchten.
Während ich die Untergeschosse des Hauptquartieres betrachtete, waren wir bereits am Ende des Ganges angekommen. Vor einer Fahrstuhltür machten wir dann Halt, um auf den Aufzug zu warten.
Nachdem sich die Tür mit einem 'Ping' öffnete, schob mit Dave auch schon hinein und positionierte mich dort im Fahrstuhl, um daraufhin den Knopf für den gewünschten Stock zu drücken.
Mit derselben Schnelligkeit schloss sich die Tür wieder und und es dauerte nicht lange, da setzte sich der Aufzug mit einem leisen Summen auch schon in Bewegung. Es war noch sehr früh am Morgen, weshalb keine Leute, außer uns, den Fahrstuhl benutzten. Wir passierten Stockwerk für Stockwerk, ohne anzuhalten, bis wir uns dem Erdgeschoss näherten.
Ab diesem Stockwerk flutete plötzlich Licht die Fahrstuhlkabine. Erst jetzt bemerkte ich, dass eine Seite des Fahrstuhles komplett durch Glas ersetzt worden war und Freie Sicht auf die Außenwelt Londons preisgab. Je höher wir kamen, desto mehr sah ich London von oben. Unmassen an Gebäuden, Hochhäuser und Wohnungen, Fabriken und Firmengebäuden konnte man in dem Gewirr aus Straßen, Gassen und Vierteln erkennen. Ein Fluss zog seine Wege quer durch die Großstadt und spaltete sich in kleiner Kanäle und Rinnsale auf. Das was vorher wie Mammutbäume aus dem Boden zu sprießen schien, wirkte in der zunehmenden Höhe kleiner und unscheinbarer.
Der Anblick war faszinierend und beeindruckend und ich war wirklich froh endlich mal wieder die Außenwelt zu sehen. Sehen was draußen passierte. Etwas anderes als vier weiß-graue Wände.
Mit zunehmender Höhe konnte ich die aufgehende Sonne besser wahrnehmen, wie sie aus der dunklen trüben Wolkendecke heraus stach und ein Farbenschauspiel größter Kontraste zeigte. Der Horizont war in ein tiefes Blutrot getränkt, dass erst zu einem matten Rosa wechselte, dann zu einem kräftigen Orange, bevor es sich mit der Farbe der Sonne vereinte.
Mein Blick wurde vollkommen vom Fenster gefesselt, während Tessa und Dave eine kleine Konversation führten.
Tessa schien sich wieder in ihrem Redemodus zu befinden, denn sie redete ohne Strich und Komma. Dave war schnell gelangweilt und hatte anscheinend meine Faszination bemerkt.
Er bückte sich kurz zu mir herunter und erschien plötzlich in meinem Blickfeld, was mich ein wenig zusammenzucken ließ. Ich war so fixiert gewesen, dass ich nichts anderes mitbekommen hatte.
"Gefällt dir die Aussicht?", fragte er und ich blickte in ein freundliches lächelndes Gesicht.
Ich nickte. Die Aussicht auf die Stadt von hier oben war wirklich atemberaubend. Sein Grinsen weitete sich bei meiner Antwort. Eher mehr zu sich selbst, konnte ich hören wie er "ich hab da eine Idee" murmelte.
Die blonde Tratschtante neben uns schien sich in keiner Weise gestört zu fühlen, dass ihr niemand zuhörte. Auch als der Fahrstuhl plötzlich zum Stillstand kam und sich die Türen öffneten, plauderte sie weiter, ohne zu merken, dass die zwei jungen Männer ihr nicht folgten, als sie aus der Kabine heraustrat und den Gang entlang ging.
Dave blieb einfach im Aufzug stehen und ich konnte mich nicht wirklich ohne Hilfe irgendwo hin bewegen. Bereits als Tessa den ersten Schritt hinaus gemacht hatte, drehte sich der Braunhaarige zu der Schalttafel mit den angegebenen Stockwerken und drückte eine Zahl.
Ich blickte zu Dave, irritiert von seinem Verhalten und dass wir Tessa nicht folgten. Stattdessen starrte ich die sich schließenden Türen vor mir an. Was hatte er jetzt schon wieder vor?
Dave schien mein Missbehagen wahrzunehmen und hatte auch gleich eine Antwort für seine seltsame Aktion zu haben.
"Keine Sorge, die wird schon irgendwann merken, dass wir ihr abhanden gekommen sind. Ich zeig dir einen besseren Platz den Sonnenaufgang zu beobachten."
Wir fuhren nur wenige Stockwerke, ich glaube es waren sogar nur zwei weitere nach oben. Dave beförderte mich hinaus und wir liefen einen der Korridore entlang, der genauso aussah, wie die vielen anderen in diesem monströsen Gebäude.
Durch eine große Doppeltür kamen wir ins Freie und befanden uns auf einer Art kleinen Terrasse.
Die Sonne hatte ihren Weg am Himmel bereits fortgesetzt und nun schoben sich die Schatten langsam quälend über den Betonboden.
Dave schob mich vor bis zum Geländer, das jeden davon abhalten sollte in die Tiefen zu stürzen. Zumindest wenn man nicht darüber kletterte. Von dort aus blickte ich ein weiters Mal auf die Großstadt London. Aber dieses Mal aus einer noch höheren Perspektive und mit höherliegenden Sonne, die eine einzigartige Atmosphäre erschaffte.
Die Farben hatten sich erweitert. Einzelne Wolken, die dem Prozess in die Quere gekommen waren, hatten nun ein herbes Lila angenommen und das Rot und Orange hatte sich weiter über den Himmel ausgebreitet.
Der Ausblick war noch faszinierender als vorher.
Er, der Löwenkopf, stand da in aller Stille und sagte kein Wort. Er ließ mich einfach genießen.
Die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, die kühle winterliche Morgenluft in meinen Haaren. Ich genoss jeden Moment der Freiheit, bevor man mich wieder in ein Zimmer stecken würde. Wer wusste schon, wann ich dann mal wieder nach draußen kommen würde.
Der friedliche Moment wurde jedoch jäh unterbrochen, als Dave meinte wir sollten uns dann doch noch mal bei Tessa blicken lassen, ehe diese noch völlig ausrastete. Mit Simon wären das dann nämlich schon zwei Personen, die ihn liebend gerne in der Tiefsee ertränken würden. Das, sagte er, würde er sich möglichst Sparen. Immerhin waren beide seine Arbeitskollegen.
Also schob er mich zurück zum Fahrstuhl, um den gleichen Weg wieder zurückzufahren, wie wir gekommen waren. Im richtigen Stockwerk verließen wir den Aufzug in die gleiche Richtung wie Tessa es getan hatte.
Dave schien anscheinend zu wissen in welche Richtung wir mussten, denn er setzte zielstrebig seinen Weg fort.
Weit waren wir noch nicht gekommen, da kam uns auch schon eine angefressene Tessa entgegen. Sie brüllte schon den ganzen Gang entlang, in einer Lautstärke, sodass sie mindestens noch bis in die nächsten drei Stockwerken zu hören war.
Als sie vor Dave stand hörte sie mit ihren Lektionen nicht auf, sondern verdeutlichte alles nochmal durch Mimik und Gestik. Sie war wirklich wütend. Einen solchen Gesichtsausdruck hatte ich bei ihr bisher noch nicht gesehen.
Dave schien nach Entschuldigungen und den richtigen Wörter zu suchen. Er stammelte ein wenig herum, deutete von mir zum Fahrstuhl und zurück zu Tessa.
Diese schien erst über seine Worte nachzudenken, ehe sich ihre Gesichtszüge entspannten und sie eine weniger offensive Haltung einnahm. Argument gewonnen. Keine weitere Person, die hinter Daves Leben her war. Ganz zufrieden schien die junge Dame jedoch auch nicht zu sein, denn nun stapfte sie mit schweren schnellen Schritten voraus und erwartete von uns ihr zu folgen.
Dave musste sich sputen, um mit der Blonden Schritt halten zu können. Als diese den gewünschten Raum erreicht hatte, riss sie die Türe auf und ließ mich und Dave eintreten.
Es sah nicht viel anders aus als mein Zimmer im Untergeschoss.
Es war ungefähr gleich groß, ein Bett war vorhanden sowie ein kleinerer Schreibtisch mit Schubladen und Fächern. Die Tür zum Badezimmer war zwar woanders platziert, das Bad selbst jedoch glich meinem alten.
Der größte Unterschied jedoch war das Fenster. Über der Stelle, wo das Bett platziert war, war ein zweitüriges Fenster eingelassen, mit Vorhängen passend zur Farbe der Wand. Von dort blickte ich zum dritten Mal an diesem Tag auf die Häuser und Straßen der Stadt.
Um ganz ehrlich zu sagen: etwas besseres konnte mir nicht passieren.
Tessa verließ kurz darauf den Raum, um ihrer eigenen Arbeit nachzugehen, Dave half mir von meinem Rollstuhl auf das Bett zu kommen, ehe er sich es in dem Schreibtischstuhl gemütlich machte. Zwar beschwerte er sich, dass dieser nicht so flexibel war, wie der andere; so schlimm wie der andere schien er dann aber doch nicht zu sein.
Dave checkte noch einmal meine Verletzungen und Verbände bevor er sich auf den Weg machte unser Frühstück zu holen.
Ich verbrachte währenddessen die Zeit vor meinem Fenster und genoss die frühe Wärme der Sonne. Bis Dave mit dem Essen zurückkam, beobachtete ich ihren Prozess des Emporsteigens und sah wie sie langsam die Herrschaft über den Himmel gewann.
Ich begann mir ernsthaft darüber Gedanken zu machen, was nach all dem kommen würde.
Würde ich ins Verhör genommen werden? Als Tauschobjekt genutzt werden? Einfach in eine Zelle geworfen werden? Würde man mich töten oder am Leben lassen?
Der letzte Punk machte mir am meisten Angst. Auch wenn ich die Engländer nicht für herzlose Leute halte, ist es eher unwahrscheinlich, dass man mich lebend laufen ließ. Immerhin war ich ein Soldat der gegnerischen Fraktion. Ich hatte einige ihrer Männer auf dem Gewissen.
Um ganz ehrlich zu sagen würde ich gerne hierbleiben. Das waren die ersten zwei ruhigen Wochen, die ich jemals seit meinem Beitritt zum Militär erlebt hatte. Kein frühes Aufstehen, kein Training, keine Oberoffiziere und keine Befehle. Zwar hatte ich bisher nur eine kleine handvoll Leute kennengelernt, die jedoch größtenteils sehr freundlich zu mir waren. Natürlich waren nie alle Leute so wie man es sich gerne wünschte. Aber die gab es immer. Selbst in meinem Heimatland waren solche Menschen vorhanden.
Heimweh hatte ich nicht wirklich. Ich vermisste meine Familie, das schon. Aber seit ich Argentinien nur noch mit dem Militär und dessen Unterdrückung verbinden konnte, sträubte es sich mir dorthin zurückzukehren.
Ja, ich wollte nicht mehr zurück. Ich wollte all dem entfliehen. Von Anfang an hatten sie mich gezwungen.
Aber da war das nächste Problem. Wie überzeugte man die gegnerische Seite davon, dass man nun auf ihrer Seite war? Dass man sein eigenes Land für die Gesellschaft hasste und nicht mehr dorthin zurück möchte? Das man sich gegen seine eigenen Leute stellte?
Wie zum Teufel sollte ich das anstellen?
Und ab da war der Entschluss gefasst. Ich wollte nicht zurück. Ich würde alles tun, um hierzubleiben.
Ich würde einen Weg finden die Leute hier davon zu überzeugen, dass sie mir vertrauen konnten!
Und hier ist das nächste Kapitel!
Ian hat sich ja einiges vorgenommen mit seinem Plan. Nun ihr werdet sehen, was er aus dem macht. So richtig aufregend wirds leider erst im nächsten Kapitel, aber...naja..
Dieses Mal ist das Kapitel ein bisschen länger und auch die folgenden werden länger sein, da ich mehr Inhalt hineinpressen muss. Freu euch auf lange Kapitel!!
Tut mir mal wieder leid, dass es so lange gedauert hat, aber danke fürs lesen und vorab schon mal fürs Kommentieren und "Favorisieren".
Adiós und bis zum nächsten Kapitel.
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