18. Vertrauen
26. Januar, 2101
Ian's Sicht
Es waren bereits einige Tage seit meiner Ankunft in London vergangen. Tage, in dene ich nicht wusste, was mit mir passieren würde. Tage, in welchen ich nicht gedacht hätte, was alles passieren könnte. Tage, die furchtbar langweilig und öde waren, an dene ich nur im Bett gelegen bin, wenn mal mal von dem Vorfall im Bad absieht.
Tage, in dene eigentlich nichts passiert war. Gar nichts.
Den Vormittag schlief ich meistens, wenn es denn möglich war. Meist waren der komische, kleine Zwerg mit den schwarzen Haaren oder die junge Frau mit den zusammengebundenen, blonden Haaren. Simon und Tessa waren ihre Namen, stimmt.
Simon schien sich immer recht wenig für mich zu interessieren. Er fand sich einfach mit der Situation ab und ging seiner täglichen Arbeit nach. Er stellte keine überflüssigen und unnötigen Fragen. Tessa dagegen war das komplette Gegenteil von ihm. Sie schien stets guter Laune zu sein und betrat jedes mal mit einem breiten Grinsen und einer freudigen Begrüßung den Raum. Meistens weckte sie mich dadurch, da ich schlief. (Oder es zumindest versuchte )
Ich mochte ihre Anwesenheit. Es war angenehm jemanden um sich zu haben, der die ganze Zeit redete. Und das tat sie, gewiss. Wenn ich einmal wach war, überschüttete sie mich mit Fließtexten und redete wie ein Wasserfall. Sie schien jeden Tag neue Geschichten auf Lager zu haben.
Zu dumm nur, dass ich kein einziges Wort verstand.
Daher hatte man meist den Eindruck, als würde sie mit sich selbst reden.
Mir sollte es recht sein. Somit war ich nicht gezwungen zu reden. Natürlich wurden mir viele Fragen gestellt - vor allem von Dave. Manche waren einfach und somit mit Kopfnicken oder -schütteln zu beantworten. Fragen die über das 'Ja' und 'Nein' hinausgingen konnte ich nur abweisen. Meist drehte ich mich einfach weg von der Person, die zu mir sprach oder senkte den Blick, um zu signalisieren, dass ich nicht antworten wollte.
Man musste bedenken, dass ich nicht daraufein ging, weil ich es nicht wollte. Ich konnte nicht. Ich hatte seit Jahren kein Wort mehr gesprochen. Ich wusste zum Teil schon nicht mehr wie sich meine Stimme anhörte. War sie wie eine warme Sommerbrise oder doch wie ein zermahlender Stein? Ich wusste es nicht mehr. Wenn ich nur daran dachte mein Mundwerk zu benutzen, wurde ich immer wieder an die Ereignisse von damals erinnert.
An den Schmerz. Den der Verletzungen und des Verlustes. Den der Einsamkeit.
Es passierte ein paar Mal. Wenn diese Erinnerungen wieder aufkamen machte ich dicht. Ich ließ niemanden an mich ran und blockte alles ab. Ich drehte mich einfach von meinem Gesprächspartner weg und verfiel in eine Art 'Schockstarre'. Ich hoffte es sah so aus, als ob ich schlafen würde, sodass meine Pfleger auf dieses Problem nicht aufmerksam wurden.
Bisher war es immer als schlafen durchgegangen, doch wer weiß wie lange es dauern wird, bis es jemand merkte.
Sachmet, der Hund, war eine angenehme Abwechslung. Ab und zu brachte Dave ihn mit ins Hauptquartier. Er nahm Notiz davon, dass die Bettdecke um einiges weicher und bequemer war als die staubige Ecke des Zimmers. Also hatte er sich irgendwann dazu entschlossen seine Schläfchen auf dem weicheren Stoff abzuhalten. Man sagte ja immer Tiere haben einen positiven Einfluss auf Menschen durch ihr Verhalten, ihr Verlangen nach Zuneigung und auch ihr Aussehen. Im medizinischen Bereich wurden Tiere zur Behandlung von Patienten benutzt und tun es heute zum Teil noch immer. Täglich verbrachten die Kranken Zeit mit Hunden oder Katzen, wenn nicht sogar mit andere, noch ausgefalleneren Tiere.
Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Es zeigten sich deutlich Besserungen bei den Leuten mit Angstzuständen oder depressiven Verhalten. (Und vielleicht auch vieles anderes, von dem ich grad keine Ahnung hab.)
Damit wollte ich jetzt nicht andeuten, dass ich Depressionen hatte oder sonstige psychische Schäden, aber irgendwie beruhigte mich die Anwesenheit des Hundes. Manchmal starrte ich ihn einfach an, während er schlief. Völlig entspannt. Sorgenfrei. Das war die Aura die ihn umgab. Eine positive Aura, die auf mich überzugehen schien. Das dunkle Brummen, welches er während seines geruhten Nickerchens von sich gab, vibrierte durch die ganze Decke und beruhigte mein Herz jedes mal, wenn ich mich aufgebracht fühlte. Die Schwingungen des schlafenden Hundes schienen die Schläge meines Herzens anzugleichen.
Dave schien nie besonder begeistert zu sein, wenn er Sachmet auf dem Bett liegen sah und auch Daves Vater schien anscheinend ein Problem damit zu haben.
Man musste schon sagen: der Hund haarte wie verrückt. Die Stelle, auf der Sachmet jedesmal sein Schläfchen abhielt war gut zu erkennen, da eine Unmenge an Hundehaaren an der Decke klebten. Dave hatte die Decke deswegen innerhalb der drei Tagen fast täglich wechseln müssen. Am Anfang störte es mich nicht. Aber innerhalb von 24 Stunden merkte ich, dass es nicht gerade angenehm war, Tierhaare in der Nase zu haben, die dich ständig kitzeln und am 'schlafen' hinderten.
Dave hatte mir dann irgendwann mal erzählt, dass er Sachmet nicht mehr mitnehmen konnte, da sein Vater es als unmöglich empfand einen Hund in ein Krankenzimmer mit hinein zu schleppen, der dort dann nichts bessere zu tun hatte, als die Bettdecke vollzuhaaren.
Also musste Sachmet nun quälende Stunden alleine zu Hause verbringen.
Genau. Dann war da noch Dave.
Wie bereits gesagt: Dave erschien mir ein wenig seltsam. Seine Stimmung war vergleichbar mit einem Würfel. Immer wieder wurde er neu geworfen und es kam meist etwas anderes heraus. Oder das gleiche. Er schwankte schnell vom fröhlichen, glücklichen ins Abwesende bis hin zum Miesepeter. Manchmal hoffte man auf ein bestimmtes Ergebnis. Aber dann musste man sich mit der vorhandenen Stimmung abfinden.
Obwohl er oft aufgebracht war, versuchte er auf mich und andere Personen seiner Umgebung Rücksicht zu nehmen. Allerdings nutzte ihm das nicht viel, da man ihm es anmerkte, wenn er schlechte Laune hatte. Meistens gingen ihm dann die meisten Leute instinktiv aus dem Weg. Ich musst ihn mit jeder seiner Launen ertragen.
Dennoch war er, genauso wie Tessa, sehr gesprächig. Er verhielt nicht ganz so hippelig wie Tessa, aber wenn es ums Reden ging, nahmen sie sich beide nichts. Abgesehen von der Zeit in der er arbeitete, versuchte er ununterbrochen ein Gespräch mit mir anzufangen. Da ihm jedoch bewusst geworden war, dass ich auf seine Fragen nicht antwortete, begann er sich auf 'Ja-Nein-Fragen' zu beschränken. Der große Unterschied war auch, dass ich ihn verstand.
Meistens schlief ich bis zum frühen Abend. Wenn ich wach wurde saß er bereits am Schreibtisch und starrte in seine Unterlagen. Nach geraumer Zeit würde er sich umdrehen und mir erst einen 'Guten Morgen' wünschen, bevor er sich korrigierte und das 'Morgen' zu 'Abend' ausbesserte.
Nachts würde er dann auf seinen Dokumenten einschlafen und dabei all seine Papiere vollsabbern, nur um Morgens dann wieder aufzuwachen und sich zu wundern, warum er so plötzlich weggenickt sei. Er sah bereits ziemlich fertig aus und es waren bereits die ersten dunklen Augenringe sichtbar.
Ich gewöhnte mich an seine Anwesenheit in dem Raum und bald machte mir seine Präsenz nichts mehr aus.Um ehrlich zu sein war ich um ihn herum viel entspannter und ruhiger. Ich wusste nun, dass von ihm keine Gefahr mehr ausging. Seit dem peinlichen Vorfall im Bad, war ich eigentlich ziemlich sicher, dass er mir nichts böses wollte.
Über den kleinen Unfall hatten weder er noch ich miteinander gesprochen und ich war ganz froh deswegen. Er wollte das Thema nicht ansprechen, ich wollte einfach nicht mehr daran denken.
Da denke ich waren wir uns einig.
Ich war es nicht anders gewohnt im eiskalten Wasser zu duschen. Leider hatte ich den Zustand vergessen, in dem sich mein Körper befand und das frische Bad ein wenig unterschätzt, womit es unglücklicherweise zu dieser Konfrontation kam. Noch am Tag danach durchzogen kühle Schauer meinen gesamten Körper und ich lag noch den ganzen Tag unter der wärmenden Decke, ohne mich zu rühren. Dave hatte mir von zu Hause eine ganze Reihe von heißen Getränken mitgebracht, da er nicht wusste welches davon ich bevorzugen würde.
Unter Kaffee, Früchte-, Kamille- und Schwarztee entschied ich mich für den Früchte- und Kamilletee, die ich dann regelmäßig über den Tag hinweg leerte. Er nahm die Übergebliebenen und kündigte an, er suche jemanden der ihm den Kaffee abnehmen würde. So überstand ich auch diesen Tag in meiner Isolationszelle.
Aber das Schicksal war ein mieser Spielpartner, sodass ich das Gefühl hatte, dass alles und jeder meinen Tag ruinieren wollte. Zum Glück (oder leider) war Dave in der Abendschicht eingetragen. Er war, wie die anderen Tage auch, aufgebrochen um das Abendessen für ihn und mich zu holen.
Das Wörterbuch lag nun völlig schutzlos auf dem kleinen Kästchen zu meiner Linken.
Mir war es bereits zu Beginn aufgefallen, hatte jedoch nie die Gelegenheit, beziehungsweise den Mut, gefunden mir das Buch zu nehmen. Wer wusste, was passieren würde, wenn ich seinen Besitz einfach so nahm? In dem ganzen Raum gab es nicht besonders viel zum lesen, abgesehen von Daves Unterlagen auf dem Schreibtisch. Diese lagen jedoch nicht in meiner Reichweite und wirklich interessieren würden sie mich eh nicht.
Ich konnte zwar aufstehen, jedoch hatte ich bisher schmerzhafte Erfahrungen gemacht, sobald ich auch nur meine Füße über die Bettkante hinaus schwingen wollte. Also ließ ich das lieber bleiben.
Heute bot sich mir die perfekte Gelegenheit ein wenig in dem Druckwerk zu stöbern. Dave hatte es einfach auf dem Kasten zurückgelassen, da ihm eingefallen war, dass wir heute noch nichts zu Essen hatten. Das viereckige Möbelstück lag in meinem Radius der Erreichbarkeit und somit auch das Lexikon.
Ich dachte für ein paar kurze Minuten könnte ich es mir ansehen und dann zurücklegen ehe Dave zurückkehrte. Es kam mir vor wie ein paar kurze Minuten. Aber es waren keine paar kurze Minuten.
Bevor ich es mir versah stand der großgewachsene Braunhaarige auch schon wieder im Türrahmen zusammen mit einem Tablett und blickte mich ein wenig verblüfft an. Dass diese Person sich jedes mal so einfach an mich ranschleichen konnte gefiel mir ganz und gar nicht. Bisher war dies schon viel zu oft passiert. Zu oft nach meinem Geschmack.
Ich sah ihn für eine Sekunde an, bevor ich realisierte, dass ich sein Wörterbuch noch immer in der Hand hatte. Panik überkam mich. Er hatte mich erwischt.
In einer Bewegung hatte ich das Buch zusammengeklappt und auf das Kästchen zurück geschoben. Es war zwar bereit zu Spät zu sagen, dass er den Eigentum des Löwenkopfes nie angefasst hatte, aber vielleicht würde er ja ein Auge zu drücken...
Im Hauptquartier in Argentinien wurde Entwendung von fremden Eigentum bestraft. Ich wurde zum Glück noch nie erwischt, wenn ich es getan hatte, aber man hört viele Geschichten und Gerüchte über diejenigen, die es getan haben sollten. Unangenehme Geschichten.
Ich blieb einfach so wie ich gelesen hatte auf dem Bett liegen und versuchte weiter unter die Decke zu rutschen. Ich machte keinen Mucks. Ich blieb einfach ganz still dort liegen.
Stille.
Eine Grabesstille die mich verrückt machte. In den Wahnsinn trieb. Ich wartete jeden Moment auf den strafenden Schlag. Die tadelnden Worte. Auf irgendetwas. Aber minutenlang kam nichts davon.
Dann Schritten, die näher kamen. Schritte, die den Raum durchquerten und mein Bett umrunden.
Seine plötzlich auftretende Stimme ließ mich ängstlich zusammenzucken. Jedoch war das, was er mir mitteilte alles andere als eine Ermahnung.
"Interessierst du dich für die englische Sprache?"
Bitte was? Hatte ich mich grad verhört?
"Oder kannst du sie bereits?"
Was will er damit erreichen? Will er mich nicht zurechtweisen?
"Das hier ist ziemlich gut. Hab es bei meiner Oma in Spanien gekauft..."
Er war jetzt am Schreibtisch angekommen und platzierte das sperrige geholte Essen auf dem Schreibtisch. Dann zog er seinen Drehstuhl vor mein Bett und nahm Platz.
Ich verfolgte sein Tun mit Vorsicht. Mein intimer Blick ließ ihn nicht los. Ich wollte mich nicht in Sicherheit wiegen. Wer wusste was er noch tun würde.
Er nahm das Lexikon, welches ich vorher noch unordentlich auf das Kästchen hingepfeffert hatte, und wog es in seiner Hand. Er schob es auf und durchblätterte ein paar Seiten.
"Ist schon okay, wenn du willst kannst du es lesen. Wenn du Fragen hast kann ich dir ja helfen.", antwortete er und hob mir das Wörterbuch vor die Nase.
Ich war verwirrt und musste seine gesagten Worte erst einmal durchsickern lassen. Dann realisierte ich, dass mir gerade angeboten wurde sein Buch zu lesen. (Ein Lexikon zu lesen...Wtf...)
Sollte ich es wirklich nehmen? War das ein Test? Aber er hatte es mir ja angeboten, also sah ich da eigentlich kein Problem.
Ich akzeptierte es.
Langsam streckte ich meine Hand nach dem Buch aus. Ich wollte sehen, ob Dave seine Meinung doch noch änderte und das alles nur ein Scherz war.
Doch er zog das Buch nicht zurück und hielt es beständig in meine Richtung. Ich umfasste den dicken Buchrücken und warf noch einen letzten prüfenden Blick zu Dave. Dieser blickte mich erwartungsvoll und ein wenig drängend an. Er ließ das gesamte Gewicht der vielen Seiten in meine Hände gleiten und zog sich dann zurück um mit seiner Arbeit fortzufahren.
Ich schlug die Seite auf, bei welcher ich vorhin unterbrochen wurde.
Mir fiel ein wie viel ich in den letzten Tagen erreicht hatte. Zwar waren viele Ereignisse nicht gerade angenehm gewesen, dennoch hatten sie zum gegenseitigen Vertrauen verholfen.
Drei Tage in britannischer Gefangenschaft hatte bereits viel geändert.
Wer weiß schon was noch so auf mich zukommt?
Und schon ist das nächste Kapitel draußen!
Und, ach du scheiße, was läuft hier eigentlich?
Ich hab in den letzten drei oder vier Tagen sooo viele Follower bekommen!
Von 2 auf 27!!! Was geht hier ab! Ich freu mich natürlich und möchte allen meinen Follower danken.
Außerdem wurde die Geschichte so oft gelesen wie noch nie, ich hab so viele neue Leser dazubekommen und es gibt soooo viele, die die Geschichte einfach super finden!
Ich hätte echt nicht gedacht, dass Grenzgebiete so viele Anhänger finden. O_O
Also:
Danke an alle fürs Lesen!
Danke für eure motivierenden Kommentare!
Danke für eure Stimmenabgaben!
Danke an alle, die mir folgen!
Und auch danke an diejenigen, die meine Geschichte einer Leseliste hinzugefügt haben!
...Das musste ich jetzt mal sagen ;-)
Ansonsten: Meinungen zum Kapitel in die Kommentare, genauso wie Vorschläge oder Fragen.
Danke fürs Lesen und für eure Unterstützung und noch einen schönen Sonntag! (oder andere Wochentag, je nachdem, wann ihr lest)
VIELEN LIEBEN DANK!!!!! <3
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